Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

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Eben trat der Apotheker ein; leichter ruhiger Anstand, verbindlichstes Lächeln, eine gewisse Würde verkündigten den Fürsten. »Ihro Durchlaucht haben wir«, hob Worble an, »sämtlich in corpore unsern Dank darbringen wollen; auch haben wir vorher eine heutige leichte Sitzung über das Mitreisen gehalten, von welcher ich Ihnen, Sire, einen kurzen Bericht abzustatten wünsche!« – So hatt' er angefangen, in der festen Erwartung, der Apotheker werde bei seinem vollen Absprung von der Duzbrüderschaft seine Leute kennen. Aber der Apotheker erwiderte: »Damit werden Sie mich unendlich verbinden, Herr Reisemarschall« – und warf so den betroffnen Marschall beinahe aus seiner Rolle, weil dieser seinen halben Ernst gar mit einem ganzen aufgenommen sah. Dabei hatte Marggraf seinem sonst schreienden Sprachton einen solchen Dämpfer (sordino) aufgesetzt (hohe Personen sprechen fast unhörbar, hatt' er gehört), daß er unendlich schwer zu verstehen, sogar zu beantworten war.

Der Freimäuerer erstattete jetzo einen gedrängten Bericht, nicht ohne leichte Bosheit gegen die zwei Mitbesoldeten. »Wie konnten Sie,« – wandte sich darauf der Apotheker mit ausnehmender Leutseligkeit und Grazie zuerst an Renovanz – »mein bester Herr Hofmaler, nur einen Augenblick daran zweifeln, daß ich Ihren Herrn Bruder mit größtem Vergnügen und ganz auf meine Kosten in mein Gefolge aufnehme, wenn ich damit einen solchen Künstler wie Sie gewinnen und um mich behalten kann? War dies freundschaftlich genug gedacht?« Renovanz verbeugte sich schweigend, aber doch um zwei Pariser Linien tiefer als sonst.

»Auch Sie, Herr Marschall, können Ihre Gemahlin mitnehmen«, fuhr Nikolaus fort. – »Durchlaucht!« – versetzte Worble mit ptolemäischen Kreisen und Windungen und Wendungen auf dem Gesichte – »diese laß' ich wohl nirgend lieber als zu Hause. Mach' ich mich auf einige Zeit weg von ihr: so tu' ichs hauptsächlich, weil ich eben auf zweierlei ausgehe, welches in der Ehe so wichtig ist, in der wohl manche Wetterwolken unterlaufen: Ich wünsche nämlich durch mein Verreisen es dahin zu bringen, daß wir uns beide nacheinander stark sehnen, nicht nur sie sich nach mir, sondern auch ich mich nach ihr, was beides jetzo der Fall nicht sein will. Die Ehe – auch meine – hat das Besondere, daß man – die Frau vollends – darin zwar sehr liebt, aber auch verteufelt brummt; so wird man dadurch auffallend jenem frommen ManneSulzers Schriften. B. 1. S. 105. ähnlich, welcher bei dem Namen Gott, so gottesfürchtig er war, aus Gemütkrankheit ihn immer so zu lästern gezwungen war, daß ihm selber grausete; die eheliche Liebe selber erhält sich unter der Schneedecke der ehelichen Zänke ganz warm. – Zweitens will ich meine Abwesenheit zu noch etwas machen, nämlich zu einer Hahnemannschen Weinprobe gegenseitiger Tugend und Treue; ich will versuchen, ob sie mir in der langen Abwesenheit, und ob ich ihr unter den großen Versuchungen treu bleiben kann. Dies ist das wenige, was ich mit vielem habe sagen wollen, Durchlaucht! Sonst hab' ich noch andere Gründe genug zum Mitreisen, die nicht einmal so ordentlich lauten.«

Der Apotheker nahm zwar den kühnen Scherz in seiner Gegenwart liebreich auf; doch lächelte er nicht laut, sondern wandte sich schnell so an Süptitz: »Wie herzlich gern, Herr Prediger, säh' ich Sie, so wie Ihre Gemahlin, auf meiner Reise zugegen! Es sollte Ihrer Gesundheit so gut zuschlagen wie, hoff' ich, der meinigen.« – Erst aus spätern Papieren ersah ich, daß Nikolaus unter seinen Reisezwecken sich auch den vorgesetzt, seine am chemischen Feuer vergelbten Jugendrosen in freier Luft rot aufzufrischen, um schöner bei der Schönsten anzulangen. »Ohne weitere Frage« – sagte er zu sich – »stellt jeder sich nach einer Reise viel blühender vor, und die Freude des Wiedersehens tut denn auch noch dazu.«

»Herr Marggraf!« – (versetzte Süptitz),- »mein Herr Markgraf von Hohengeis muß wohl in jedem Fall erst um gnädigsten Urlaub von mir gebeten werden; aber ich werde daher erst nach einigen Tagen indirekt – unmittelbar wollt' ich sagen, jedoch beides, so wie direkt mit mittelbar wegen des Gleichklangs zu verwechseln, gehört wohl auch unter die unerkannten Leiden des Menschen – alle Beschließungen überbringen können.«

Damit ich aber meine mir so lieben Leser und Käufer auf keinem halben Bogen lang die Angst aushalten lasse, einen solchen Mann wie Süptitz auf Marggrafs Reisen einzubüßen: so soll ihnen sogleich dieses Kapitel mitteilen, was ich im nächsten hätte berichten müssen. Frohauf Süptitz hatte nämlich das Eigne, daß er zu einem Gott getaugt hätte, welcher, um eine kurze Zeit zu erschaffen – sei sie auch noch so lang –, vorher eine ganze Ewigkeit a parte ante nach den Philosophen dazu haben muß: – so lange beratschlagte er sich mit sich und seiner Frau. Letzte aber setzte ihn jetzo erstlich vor lauter Bewunderung – denn ihr Ehe-Haupt war ihr das Haupt der Christenheit und ein Christuskopf des Wissens –, zweitens vor lauter Liebe – denn für sich und ihr Wohlsein gab sie keinen Groschen, aber für jenes und ihn alles – in noch größere Schwankungen, als er schon litt, weil sie teils gern zu Hause bleiben wollte, gegen welches er ihr seinen Mangel an einer Kranken- und Gesunden-Wärterin einwarf, teils gern mit dem Männerzuge gehen, wobei er ihr dessen mögliche Verstärkungen, deren Ende gar nicht abzusehen war, und ihre einzige weibliche und priesterliche Würde vorhielt. »Mein Hauptanliegen dabei ist ja bloß, daß du nicht so viel nachdenkst, sondern etwas magerer wirst«, sagte sie.

Daß Frohauf nun nicht bis diese Stunde noch dort sitzt und fortfährt, abzuwägen und zu überschlagen, verdanken wir bloß seiner Diebgemeine, die in einer Nacht den gordischen Knoten durchschnitt! Es traf sich nämlich glücklicherweise für alle Parteien, daß der Spitzbubenverein im Zuchthause sich zu einem Ohnehosenbund oder -klub verknüpfte, und daß das ganze Schelmenkonklave – nur darum so hart wie Kardinäle vermauert und so karg beköstigt, damit jeder selber sich zu einem heiligen Vater erhebe – sich eines Bessern besann und glücklich durchbrach und den Zurückzug antrat, ohne auch nur einen Mann oder die geringste Kindermörderin einzubüßen. Nicht einmal einen ehrlichen Mann hätten die Schelme zurückgelassen, wäre einer im Zuchthause dagewesen; zum Glück aber war ihr Zuchthausverwalter selber keiner, sondern hatte diese Habeas-corpus-Akte für diese armen Inkorporierten bestätigt und war mit ihnen als Räuberhauptmann davon gegangen. Es ist noch nicht historisch ausgemittelt, ob zu dieser Aufhebung der Selberleibeigenschaft, nämlich zu diesem Stürmen der Bastille von innen heraus, nicht das damalige französische von außen hinein die Schelme hauptsächlich bewogen hat. Der Leser erinnere sich nur – was er ohne seinen größten Schaden nie vergessen kann –, daß die gegenwärtige Geschichte, die er hier aus mir als der Quelle zu schöpfen hat, gerade im Anfang der französischen Revolution vorgefallen. Das Diebgesindel fand sich ja von seinen Obern ebenso gebunden und gedrückt wie Frankreich, ja es hielt sogar mit einigen Frankreichern (die ich aber für damalige Emigrés halte, welche sich in der gallischen Kreuzschule selber veniam exeundi gegeben) die Marmorsäge gemeinschaftlich an der Hand. Davon aber anderswo! Wichtiger ist für uns der Umstand, daß die Zuchtleute ihre kleine Bastille nicht sowohl abgebrochen als angezündet. Dies hatte den für unsere Geschichte kaum zu berechnenden Erfolg, daß mit dem Zuchthause auch dessen Kirche in Rauch aufging und dadurch unser Süptitz weit längere Ferien überkam, als auf der Universität Coimbra gegeben werden, wo sie jährlich nur acht Monate dauern. Denn jetzo konnte er jahrelang abwarten, bis die Stadt den Schafstall und die dazu nötigen Böcke für den Seelenhirten wieder zusammenbrachte, besonders da Rom vielmehr sich tausend Glück dazu wünschte, daß die Kirchgänger die Mühen und Kosten eines Selber-Schubs unaufgefodert übernommen. Kleinere Sünder und ehrliche Schelme aus der Stadt, die sonst auch in der Zuchthauskirche hospitiert hatten, konnten künftig in anständigeren Kirchen bekehrt und gebessert werden, in der Stadtkirche, in der Schloßkirche, in der katholischen.

Kurz der Zuchthausprediger Frohauf Süptitz wurde Hofprediger des Apothekers und nahm Ruf und Reisepaß an, was eben zu erweisen war und den Lesern frühzeitig zu erzählen ......

Wir sind nun wieder ins Zimmer zurück, wo, wie gedacht, gesessen und gestimmt wurde. – Der Fürst hob endlich die Sitzung auf, entließ aber jeden mit solchen aufrichtig-gemeinten Anerbietungen der Fürsorge, mit solchen herzlichen Ausdrücken seiner Hoffnung, ihnen allen, und wer etwa noch sich anreihen würde, den Reiseweg durch lauter Freuden zu verkürzen, daß seine Schwester Libette ordentlich Tränen in die Augen traten über sein gutes Herz und seinen kranken Kopf und sie ganz verdrießlich die Reisegesellschafter ansah, welchen jenes und dieser etwas eintragen sollte.

Nach der Entfernung der Mitreiser befahl Libette ihren Schwestern, aus dem Zimmer zu gehen, weil sie so gut etwas zu sagen habe als jeder; denn der vortragende Rat Worble hatte sie (er wollte mithin mehr als gewöhnlich zart erscheinen) in seinem Stimmen-Protokoll ganz ausgelassen. »Bruder,« – fing sie an – »denn eine Mutter werden wir gottlob doch haben – ich will mitreisen; höre mich aber aus.« Jetzo stellte sie ihm – sie konnte eine Schwester Rednerin, ja eine Kanzelrednerin sein – mit sanftem Nachdruck vor, wie sie bisher am meisten für ihn gesorgt, sowohl für seine Pflege als für seine Freude, und wie sie, ob man sie gleich den wilden rauschenden Ruprecht nenne, doch ihn immer so weich auf den Händen und Fingern getragen wie ein Grasmücken-Ei – sie fragte ihn, wer wohl seine Bedürfnisse und Nöten und Süchteleien besser kenne als sie aus einem langen Beisammenleben – (»das werd' ich hart empfinden,« sagt' er dazwischen, »aber stark ertragen«) – sie bat ihn, selber zu entscheiden, ob es nicht gut sei, wenn ein doch von weitem Blutverwandter sich seiner und seiner Gelder ein wenig annehme gegen blutfremdes, durstiges Hofgesindel, das einen Zapfhahn nach dem andern in ihn stechen und einbohren werde. – »Sie mögen stehlen,« sagt' er, »ich mache einen Diamanten und bleibe vergnügt.« – »Und vergnügt, mein Bruder?« erwiderte sie und faltete die Hände und blickte zu ihm starr mit solchen liebewarmen, liebefeuchten Augen hinan, daß seine selber trübe wurden und er mit beiden Händen ihre gefalteten lange umschloß, eh' er sich endlich zur Frage verfügte: »ob es aber je die Delikatesse des Geschlechts erlaube, daß eine Dame als die einzige unter lauter Männern sei, gleichsam eine Blume im Forst; hier besonders sitze der Hauptknoten.« – »Wenn er nur da sitzt, so gibts noch Trost in der Welt«, versetzte sie; »ich werde dein Hofnarr, Herr Marggraf, und habe Hosen an und sage Du zu dir, wie zu allen deinen andern Narren! Ihr nennt mich ja ohnehin immer den Tyroler Wastel.«

Eine kühne Frau errät selten ein Mann; denn ihre Mißgriffe wie ihre Griffe fahren über den Kreis der Klugheit hinaus. – Mit dieser unvorhergesehenen Kleidung und Rolle hatte sie das schon lange stehende Heer von Marggrafischen Einwendungen auf einmal zerschlagen; es flohen alle Einwendungen ihres Geschlechtes – ihrer bürgerlichen Abkunft – ihres lustigen mannhaften Poltertons – einiger Unbildung – und des Du; und er nahm ihre Mitreise an und um so leichter an, da sogar Hofnärrinnen von fürstlichem Geblüt an großen Höfen, bemerkte er, nichts Unerhörtes seien.Z. B. als die Kaiserin Katherina 1717 nach Berlin abging, nahm sie die Fürstin Gallizin als Hofnärrin an und mit. Nur wurde ausgemacht, daß sie einige Tage vor ihm sich aus der Apotheke verlieren und dann in Tracht eines Tyrolers sich zu ihm finden sollte, damit nicht einmal seine Freunde, geschweige ein anderer in seinem Gefolge, je errieten, wer sie wäre. Sie versprach es ihm um so leichter, da sie es den Freunden sagen und sie um Blind- und Stummsein bitten wollte.

– – Aber welche rüstige Eile der Reiseanstalten! Marggraf wäre noch lieber aus Rom geflogen als gefahren; und einen solchen Schwangern-Ekel, eine solche Wasserscheu empfand er vor der Stadt, die ihn so lange für einen Bürgersohn, für einen Übergeschnappten, ja neuerdings für einen Spitzbuben angesehen, daß er nicht einmal die Freude kosten wollte, etwan eine oder die andere Armengasse zu beschenken. – – Ich sollte hier fast über die Erscheinung einen Augenblick philosophieren. Wie oft kommt sie nicht vor in manchem Fürsten- und Ministerleben, diese Ortscheu! Welche Kleinigkeiten gehören nicht dazu, um eine Wagentüre mit dem Kronwappen auf immer vor einer Stadt zuzusperren oder sie gar auf so fernen Umstraßen vorüberzulenken, daß man die nächsten nach der gedachten Stadt niemal auszubessern braucht! – Und doch hat ein solcher Ort-Ekel das Eigne, daß ich oben von solchen Orthassern die Metaphern von Schwangern und Gebißnen, welche nicht etwas Ursprünglich-Verhaßtes fliehen, ganz glücklich gebraucht und daß die Sache noch viel weiter geht. Denn ein guter Mensch wie Marggraf konnte sämtliche Romer kommen lassen und alle ziemlich lieben, nur aber den Rest der Stadt nicht ausstehen, den er im Kopfe hatte.

Nach allem, was bisher gewiß ausführlich erzählt worden, müßt' ich nun gar zu wenig von Welthändeln verstehen, wenn ich nicht voraussehen wollte, daß im nächsten Kapitel der Auszug aus Rom unfehlbar erfolgt, und daß Marggraf samt allen seinen Freunden – und Lesern, setz' ich dazu – an der Grenze in neue Länder übertritt. – Ist denn nicht schon alles Kostbare bestellt und bezahlt, was im nächsten Kapitel kommen muß, weil es unentbehrlich ist, und hat Marggraf irgend etwas nicht gekauft? Ja hat nicht sogar der Schächter Hoseas sich selber eingekauft zu einem Hofjuwelier desselben und will mitreisen – für schwache Reisekosten und mäßigen Gehalt –, um nur sich dem Apotheker stets als den treuen Diamantkäufer bereit zu halten, welcher die Funkelsteine, wie elektrische Funken, aus seinen Händen in fremde weiterleitet?


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