Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
wie Nikolaus fürstlich erzogen wird – und der Pater Josephus geheilt – und der Armgeiger de Fautle getränkt und ausgefragt
Ich habe im Belehnkapitel den Apotheker Marggraf am Grabe seiner Gattin in lauter Freude über das Glück stehen lassen, daß Fürsten, welche an bloßen bürgerlichen Hofbedienten das Mitmachen der Hoftrauer bestrafen, diesen doch zuweilen an Hoffreuden und ersten Wiegenfesten kleiner Prinzen schönen Teil vergönnen; denn der Apotheker hatte seinen guten Teil, den Prinzen, im Hause. In manchen frohen Stunden konnte Marggraf sich nicht enthalten, mit unglaublicher Schlauheit und Vieldeutigkeit auf Nikolaus hinzuweisen und zu sagen: »Ja, ja! Da, da! Der liebe Nikel! – Ich habe hier ein kleines Markgräfchen, aber nicht jeder hats.« – Da er nun selber Marggraf hieß, der Markgraf von Hohengeis aber noch keinen Prinzen hatte: so konnt' er so sehr mißverstanden und verstanden werden, als er nur wollte. Ehrverlust spürte er nicht viel mehr als andere Leute Blutverlust, die ein fliegender Hund im Schlafe anbeißt. Zum Glück haben überhaupt Männer, die durchaus etwas vor sich bringen wollen, es sei an Höfen oder im Handel, die Naturgabe, daß sie mit ihren breitesten Ehrenwunden den Helden der Walhalla gleichen, die jeden Tag aus Gefechten die gefährlichsten Wunden mit ihren luftigen Leibern holen, jedoch jeden Morgen sie wieder zugeschlossen antreffen.
Elias Henoch hatte nun einen kleinen Potentaten von drei oder vierthalb Fuß zu erziehen vorbekommen und solchen freilich künftig gut ausgearbeitet abzuliefern; aber wie er es machen sollte, da in der ganzen Nachbarschaft aus Prinzenmangel kein einziger Prinzenhofmeister zu haben war, der ihm etwas hätte vormachen können, dies wäre für den Apotheker eine wahre Aufgabe gewesen, hätt' er solche sich gemacht; denn er konnte ebensogut einen Elefanten (was die Römer getan) auf dem Seile tanzen lehren, als einen Potentaten regieren.
Inzwischen schickt' er ihn vor der Hand in die Stadtschule.
Zum Glück bekam er einen pädagogischen Formschneider in die Hand. Es traf sich nämlich herrlich, daß der Exjesuit und Pater Josephus, der als künftiger Prinzeninstruktor des *** Kronprinzen nach dessen Hofe durch Rom gehen wollte, allda von seinem eignen Körper als einem Schlagbaum angehalten wurde, welcher ihn in die Marggrafsche Apotheke als ein heimliches Kontumazhaus auf einige Wochen einwies. Der Hof, wohin er ging, wurde von reinen strengen Sitten beherrscht, welche gewöhnlich mehr unter einer Fürstin als unter einem Fürsten regieren. Da nun der gute Josephus, wie Proserpina, unter dem Blumenpflücken der Freuden in eine dumme Art von Orkus geraten war: so wollt' er vorher inkognito im Landstädtchen Rom bei dem verschwiegnen Apotheker sich so gut herstellen lassen, als in diesem, wenn nicht unschuldigen und goldnen, doch quecksilbernen Zeitalter möglich ist. Dädalus gab einer hölzernen Venus durch Quecksilber lebendige BewegungBeckmanns Geschichte der Erfindungen B. 4.; und noch bleibt dieses Halbmetall stets in heilsamer Verbindung mit der Göttin und hilft auf die Beine.
Der Exjesuit oder der Dominus ac Redemptor noster-JesuitSo heißt die Bulle, welche die Jesuiten aufhob. kannte überhaupt seine zweifache Würde, als Jesuit von der großen Observanz und als Prinzenlehrer, viel zu gut, als daß er nicht als ein ungefallner reiner Engel – und wie wohlgebildet, gesittet, jugendlich und freundlich war nicht sein feines Gesicht! – hätte auftreten sollen; daher ließ er sich mit Freuden von der Krätzmühle des Apothekers zermahlen und sein Gold mit Quecksilber verquicken, um aus ihr nach dem Verrauchen des Quecksilbers ganz schlackenlos herauszukommen als gereinigtes glänzendes Gold.
– Und einen solchen treffenden Prinzenlehrer und Schatz besaß nun der Apotheker umsonst im Hause und konnte ihm unbesorgt seine ehelichen Geheimnisse anvertrauen, da er dessen uneheliche als Faustpfänder des Schweigens in Händen hatte.
Der Pater Joseph erklärte zu Marggrafs Freude: er habe Nikolausen bald das Prinzliche angemerkt in den hohen Phantasien, so wie leicht aus den Geistesgaben gemutmaßt, daß er nicht Marggrafs Sohn sei, sondern irgendein Bastard, weil Bastarde nach der Geschichte so viele Talente zeigen. Vor allen Dingen riet er ihm, den jungen Fürsten die Geschichte, und zwar die seines Hauses studieren zu lassen; da aber das letzte noch auszumitteln sei: so möge Nikolaus den gothaischen Taschenkalender oder sonst einen recht auswendig lernen, nämlich das genealogische Verzeichnis aller regierenden Häuser in Deutschland, ja in Europa. Da man nicht wisse, fuhr er fort, mit welchen von so vielen hohen Häusern der Prinz verwandt sei: so hab' er sich die Linien und Seitenlinien jedes einzelnen Hauses und alle Geburt-, Vermähl- und Kröntage samt allen Prinzessinnen einzuprägen, um dann leicht, wenn er zu den Seinigen komme, auch den entferntesten hohen Verwandten mit allen Taufnamen sogleich zu kennen; dies werd' ihn außerordentlich empfehlen, und jeder werde Lunten riechen.
Der dankbare Pater Joseph übernahm, außer den Stunden seiner Verquecksilberung, sogar selber die historische Professur bei dem Prinzen und überhörte ihm gern die verschiednen, vor der Hand noch nicht mutmaßlichen Stammbäume; und der gothaische Taschenkalender war hier ein schöner Plutarch und Schröckh. Dabei frischte der gute Jesuit das äußerst trockne, bloß mit Lettern gezeichnete Namenregister mehr farbig auf durch die Wappenkunde – diese fürstliche Bilderbibel – und suchte so durch die heraldischen Tiere mehr Leben in die Sachen und Namen zu bringen; denn ein Wappenbuch bleibt um so mehr ein heraldisches HierozooikonSo heißt das Werk, worin Bochart über alle in der Bibel vorkommende heilige Tiere seine Erläuterungen gibt. für den Adel, als darin die edelsten Raubtiere ihre Tierherrschaft ihm als dem Löwenwärter und Falkenmeister unterordnen.
Wenn mein Held mir in Zukunft einige Ehre macht und den Lesern lange Freude: so haben wir wohl das Wichtigste davon bloß dem trefflichen Erzieh- und Studien-Plan des Dominus ac Redemptor noster-Jesuiten zu verdanken; der kostbare Fürstenspiegel, den er während seiner metallischen Kurzeit für den Erzieher Marggraf goß und schliff und mit dem nötigen toten Quecksilber als Folie belegte, stellte den so wahren Grundsatz auf: der Prinz soll kein Vielwisser werden, aber ein Vielerleiwisser; und wie er schon als Soldat in wenig Wochen sich von unten auf bis zum Oben diene und die Stufen von Schildwache – Korporal – Lieutenant – Hauptmann – Major – Obersten nicht auf einer Schneckentreppe, sondern auf einer Sturmleiter auflaufe, so daß er schon ganz oben herunterschauet, wenn man ihn kaum unten gesehen und die andern Kameraden noch alle auf der Folterleiter liegen: so könne und müsse er noch mehr als Wissenschafter alle Felder des Wissens schnell übersehen aus der Vogelperspektive, wenn er die rechten Luftschiffer von Lehrern gehabt zum Aufsteigen. Non scholae, sed vitae discendum, sagte Josephus; d. h. der Fürst habe nicht für Lehrstuhl und Schreibepult zu lernen, sondern für die Hoftafel, für den Spieltisch und für die Sessel im Schauspiel und Konzert; wisse er etwas zur Hälfte, so werde immer jemand da sein, der die andere Hälfte voraussetze oder anflicke; daher kenn' er selber für eine fürstliche Erziehung keine wichtigern Werke und keine mehr ad usum Delphinorum (zu Kronerben-Gebrauch) als Reallexika oder Sachwörterbücher – denn erstlich werde in ihnen die größte alphabetische Ordnung beobachtet, bei dem übermäßigen Reichtum an allen Wissens-Artikeln; und zweitens könne ein geschickter Lehrer leicht aus ihr Ordnung nach Sachen zusammenklauben. Er wußte aber damals dem Apotheker aus literarischer Unkunde kein anderes Erziehwerk vorzuschlagen als das Zedlerische Universallexikon.
– Himmel! wäre doch meinet- und des Prinzen wegen schon damals wenigstens die erste Auflage des »Conversationslexikons« bei Brockhaus zu haben gewesen! Wie wäre seine Bildung, auch ohne die Supplementbändchen, so viel reicher und zeitgemäßer ausgefallen! Denn mit diesem bloßen Lexikon von 10 Bänden getrau' ich mir jeden Prinzen oder sonst einen für Hof- und »Konversation« bestimmten jungen Menschen vollständig zu bilden, wenn ichs recht mache und die Artikel der nämlichen Wissenschaft aus dem Zehnersystem der zehn Bände systematisch zusammentrage und geschickt zusammenschweiße; ob ich gleich gern zugebe, daß ein gewöhnlicher Prinzenhofmeister, der den Prinzen bloß nach der festen Buchstabenordnung des Lexikons ausbilden wollte, anfangs immer nur einen ABC-Schüler liefern würde, bis erst nach langer Zeit ein DEFGHIKLMNOPQuRSTVWXYZ-Schüler dastände.
Endlich, nahm der schöne, wie eine Jungfrau junge und milde Pater Joseph nach dem Ablaufe seiner Verquickungen von dem Apotheker mit vielen weichen Danksagungen Abschied; dieser aber, dem nie mit Worten viel gedient war – ausgenommen mit seinen eignen –, preßte dem entquecksilberten glänzenden Jesuiten noch das Versprechen ab, daß er ihm durch einen Feldscherer, einen alten Freund in der Hauptstadt, von Zeit zu Zeit die wichtigsten Schritte wolle schreiben lassen, die er dort in der Erziehung des Kronprinzen tue, damit Henoch sie in Rom bei seinem bloßen Erbprinzen gleichen Alters bloß nachzumachen habe. Natürlicherweise mußte Josephus die Sache dem hitzigen Manne zusichern; denn dieser wollte gern in der Erziehung mehr zu viel als zu wenig tun – als Egerie und Gesetzgeber eines künftigen Gesetzgebers –; er wollte den künftigen Vater mit vielleicht einem bloßen Fürstenhute durch einen Sohn überraschen, der sogar eine königliche Metallkrone zu tragen gelernt und folglich noch leichter sein Fürstenhütchen aufsetzte und schwenkte, so wie bei den Griechen der Läufer seine Kunst in bleiernen Schuhen einübte, um nach Abzuge derselben noch behender zu laufen.
– Und bald fingen nun die pädagogischen Stricknadeln oder Poussiergriffel nach den besten Mustern sich zu bewegen an. Der Feldscher berichtete, der Potentat habe einen Musiklehrer bekommen: sogleich war der Stadtkantor in der Apotheke, welcher für seine Wassersucht noch die Rechnungen schuldig war, und der vier bis sieben der schwersten Klavierstücke dem kleinen Nikolaus einschmieden mußte, damit seine Finger künftig, wenn er den Zepter darin hätte, durch die Tasten in Erstaunen setzten. Nur zu leichte Stücke lernte er nicht spielen.
Der Feldscher hatte kaum geschrieben, das Französische werde getrieben: wozu wäre ein alter Tanzmeister in Rom herumgegangen, wenn ihn nicht sogleich Henoch zum Sprachmeister des Markgräfchen installiert hätte, damit er in kurzem keine geringern Wunder täte als Pfingstwunder? Da Henoch nämlich vom Pater Joseph gehört hatte, daß Fürsten an vornehme Fremde, die ihnen vorgestellt werden, bloß Fragen – französische – zu tun haben, nicht aber Antworten zu geben, welche vorzureizen gegen den Respekt laufe: so konnte der Apotheker den französischen Unterricht vor der Hand fast um die Hälfte ohne die geringste Einbuße des fürstlichen Parlierens abkürzen, wenn der Kleine aus den Gesprächen in der Grammaire bloß die französischen Fragen auswendig lernte ohne die Antworten darauf, welche nur der andere zu geben und zu verstehen hatte.
Der Apotheker griff zu diesen Erzieh-Abbreviaturen aus mehr als einer guten Ansicht; er wollte nicht nur seinen fürstlichen Nestling so früh als möglich fertig und gleichsam auf den Kauf gemacht haben – jede Minute kann ja der Fürstvater aufs Theater springen aus dem Lager –, sondern er wollte auch künftig recht viel für das Erziehen einnehmen und jetzo recht wenig dafür ausgeben. Ein vernünftiger Sparhals wird zwar zuweilen, wie Friedrich der Einzige, Feste veranstalten; aber ihnen wird, wie nach der Sage denen Friedrichs, immer ein Taler fehlen, wenn er nicht gar lieber mit dem fehlenden Taler das ganze Fest bestreitet; und er erwartet, wenn er auch mit einer Flasche Wein beschenkt, als vernünftiger Mann die leere Flasche zurück, so wie bei der Vorsetzung von einem Glas Wein natürlich das Glas.
Noch wohlfeiler hatt' es Henoch, als aus der Erziehhauptstadt auch die Nachricht einlief, daß der Kronprinz eben Unterricht im Kartenspielen nehme, vielleicht das wichtigste Stück im ganzen Studienplan. Wie dem Fürsten die Jagd als ein Tierkrieg empfohlen wird, so das Spiel als ein Papierkrieg, da die Karten eigentlich Staatpapiere und Territorialmandaten im kleinen sind. Ein König wird nie auf seinem Frisierstuhle oder am Schreibpulte oder auf dem Sattel Audienz erteilen; aber wohl wird er an feierlichen Tagen am Spieltische hinter der Stuhllehne Große empfangen und Gehör geben; ordentlich als wenn das Bild des Kartenkönigs, den er in der Hand hat und ausspielt, einigermaßen das in den Sitzung- und Audienzzimmern über dem leeren Sessel aufgehangne fürstliche Bildnis vorstellte, so wie er wieder mit den Königbildern der Karte sein eignes Bild auf dem Gelde gewinnt oder verspielt. Ich erwäge dabei nicht einmal ernsthaft, daß ein Spiel Karten von jeher in hohen Händen den Handatlas von seligmachenden Himmelkarten abgegeben, da hohe Personen an langer Weile oder langer Zeit so außerordentlich leiden, daß sie, um solche nur etwas zu verkürzen, genötigt sich mit den Karten, ihren periodischen, einzigen Zeitblättern der Abende, verbinden müssen.