Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ernste Ausschweife des fünften Vorkapitels

Die prophetischen Tautropfen

Ein zu weiches und weises Kind beklagte an einem heißen Morgen, daß die armen Tautropfen gar nicht lange auf den Blumen hätten funkeln dürfen wie andere glückliche TautropfenVerfliegt der Tau sogleich bei Sonnenaufgang: so kommt nachmittags Regen und Gewitter. Bleibt er lange funkelnd liegen: so bleibt der Tag hell., die die ganze Nacht unter dem Monde leben und blinken und noch am Morgen bis zum Mittag in den Blumen fortglänzen; »die zornige Sonne«, sagte das Kind, »hat in ihrer Hitze sie aus den Blumen getrieben oder sie gar verschlungen.« Da kam an diesem Tage ein Regen mit einem Regenbogen, und der Vater zeigte hinauf: »Siehe, droben stehen deine Tautropfen im Himmel und glänzen in Pracht, herrlich nebeneinander gesellt, und kein Fuß tritt mehr auf sie; denn merke, mein Kind, vergehst du auf der Erde, so entstehst du im Himmel«, sagte der Vater; aber er wußte nicht, daß er weissagte; denn bald darauf starb das zu weiche und weise Kind.

*

Der Dichter auf dern Krankenbette

Schon halb geschieden vom Leben lag der Dichter auf dem Siechbette, und die Nacht war um ihn, nur am Himmel standen die Sterne hell mit ihren entfernten Tagen. Einmal malte er sich sein Begraben aus samt den Tränen, welche strömen würden, wenn die Glocken, die bisher ihn und seine Liebenden nur zu froh- und zu weh-milden Gängen begleitet und gerufen, auf einmal die Liebenden zu einem letzten Gange ohne ihn rufen und läuten würden: da wurde er durch das zukünftige Leichengeläute zu weich und matt und sich selber zu wichtig. Auf einmal fing mitten in der Nacht ein Geläute aller Glocken an, und ihm war zugleich, als streife erschütternd etwas über und durch ihn. Ein Angstgeschrei kam: es ist ein Erdbeben und läutet die Glocken! – Nun schämte sich der Dichter seiner vorigen Trauer, und er erhob sein Herz und fragte sich: wenn die Erde zerreißt und eine Welt sich selber und tausend Bewohner zu Grabe läutet: wer bist denn du, daß du aus dem Leichengeläute eines kleinen weggeflognen Wesens etwas machst? – Aber die Erderschütterung hatte heilend den Kranken berührt, und seine Totenglocke wurde noch nicht gezogen.

*

Der Regenbogen über Waterloos Schlachtfeld

Als endlich statt der Mordgewehre nur noch die zerrissenen Glieder rauchten und statt der Kämpfer nur noch die Verwundeten gehört wurden, sich nichts mehr bewegte als die Zuckung, und als der Tod sein meilenlanges niedergeschnittenes Erntefeld ansah, das Durcheinandersterben der Menschen und Tiere auf einem Lager: so erschien in Morgen ein Regenbogen, als wolle der Himmel die blutige Erde mit dem linden Verbande aus Farben umschließen – Für die brechenden Augen war der Ehrenbogen in Morgen hingestellt mit seinen Blumenfarben und mit dem Himmelblau und mit dem Erdengrün und dem Morgenrot; der Siegerkranz, vom Himmel gereicht und halb von der Erde verdeckt; der halbe Zirkel der Ewigkeit, in welche das Herz zieht, wenn es sich verblutet hat. Und wie vormals nach der Sündflut der erfreuliche Bogen als Zeichen der künftigen Verschonung gegeben wurde: so stand er nach einem so langen Blutregen über Europa als ein Friedens-Bote am Himmel, daß nun aufhören werde das Vertilgen der Menschen und die Ebbe und Flut des vergossenen Brüderblutes. Deutet das himmlische Zeichen nie anders, ihr Könige!

*

Das Gefühl bei dem Tode großer Menschen

Die Ewigkeit hat Großes und die Vergangenheit hat große Menschen genug und die Zukunft ihrer noch mehr; aber wie wenige hat immer jede Gegenwart, die schmale Erdzunge zwischen den beiden Geisterweltmeeren! Man kann in einem erlaubten Sinne sagen, der Untergang einer bevölkerten Häuserzahl durch Erdfall und Wassersturz wiege in der geistigen Welt oft weniger als der Untergang eines Kraftmenschen, der wie alles Große eigentlich nur einmal erscheint; daher der Beiname des Einzigen bei Friedrich II. so überflüssig, ja zweideutig gewesen. Wenn wir erleben müssen, daß mehre ausgezeichnete Geister hintereinander sterben: so ekelt uns das Leben an, die Erde wird uns zur Waise, und man glaubt einsam ohne Vater zu sein, weil sie nun ihre großen Gedanken, die wir nicht kennen, nicht mehr unten bei uns denken. Als Herder starb, hatte der Verfasser – und er hofft, noch mancher Deutsche – ein Gefühl, wie es den Reisenden auf dem höchsten Gebirge fäßt, drückt und hebt, wenn vor ihm unten die Erde als eine verflossene Nebel-Ebene und als ein verstummter Schauplatz liegt, und über ihm der Himmel schwarzblau ohne ein Leuchtwölkchen steht, aber ihn aus dem dunkeln Abgrunde blitzend anschauet bloß mit einer einzigen, scharfen, kalten Sonne. – Denn so stehet das Auge eines aufgestiegnen Genius in der Ewigkeit und sieht uns an ......

Unser noch so junges neunzehntes Jahrhundert scheint für uns Deutsche das Sterbejahr des vorigen zu sein, wenigstens das der Großen, die uns Dichter oder Weltweise waren; denn geboren, d. h. erschienen ist uns aus den ineinander fassenden Enden beider Jahrhunderte noch kein Ersatz. – Aber wozu die ganze Betrachtung oder überhaupt jede Trauer um verlorne Geister, zu welchem Nutzen? – Zum Nutzen derer, die wir noch haben, indem wir nämlich unsere Trauer durch das Schonen und Achten der Genien ausdrücken, welche entweder als neue Himmelkörper ihren Bogen mit erst wachsendem Lichte hinaufsteigen, oder als alte den ihrigen schon hinuntergehen und nur noch kaltes Licht auf die früher von ihnen gewärmte Erde werfen.

*

Alte und neue Staaten

Die neuen Staaten, weniger auf einem ethischen Wurzelgeflechte als Ganzes ruhend, verlangen tägliche Nachhülfen und Erinnerungen zum Gedeihen und sind einträgliche Gemüsgärten, die in jedem Jahre neu gepflanzt werden; aber die alten Staaten sind Obstgärten, die, einmal angelegt, von Jahr zu Jahr ohne neue Ansaat reichere Früchte geben und höchstens das Beschneiden bedürfen.


 << zurück weiter >>