Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

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Viertes Kapitel

oder man hat viel, wenn man begraben wird wie ein Fürst, desgleichen so getrauet wie einer

Der Apotheker war, wie wir längst gelesen, aus dem Klub nach Hause gelaufen. Er kam mit der von Worble geschmiedeten berauschenden Krone im Kopfe an und schauete vor allen Dingen nach dem chemischen Brütofen seiner Diamanten. Sein Stößer Stoß ruhte vor dem faulen HeinzeBekanntlich ein chemischer Ofen, dessen Form das immerwährende Nachschüren entbehrlich macht. mit dem gegen das offne Ofentürchen gebückten Kopfe, zu schlafen scheinend. Als ihn Marggraf leise wecken wollte, fuhr er nicht auf oder um, sondern guckte fort und rief: »Morbleu! das geht ja, wie es Gott nur haben will, morgen früh ist entweder ein oder der andere scharmante Diamant fix und fertig, oder ich will, so wahr ich lebe, gelogen haben wie ein verfluchter Windsack.«

»Lieber Defektuarius!« – versetzte der Apotheker und sah immer froher ins Blühen seiner Kohlen hinein – »ganz wohl! Und von dem kleinsten Diamante glaub' ichs selber fest. Hab' ich Ihn denn nicht bishero für einen der gescheutesten Diener irgendeines Herrn gehalten?«

»Lieber wollt' ich auch ganz viehdumm sein, Herr Prinzipal, als kein ordentlicher gescheuter Diener, der die Sachen und Öfen seines Herrn Prinzipals so gut besorgt und heizt, als er nur nach seiner wenigen Einfalt versteht«, sagte Stoß.

Die langen Freudenblicke, die der Apotheker in den Ofen als in eine Diamantengrube warf, waren für den Stößer ebenso viele beweisend aufgereckte Schwurfinger, daß die Sache schon richtig sei und ausgemacht; denn er hielt mit eigentlichem Köhlerglauben die Kohlenmeiler seines Herrn für die versprochenen goldenen Berge und glaubte ihm alles, weil er nur dessen Stößer war – und weil er an ihm hing – und weil er die Öfen heizte. »Leg Er«, sagte Marggraf endlich, »Seine dumme Tiegelzange weg; sieht Er nicht, daß ich Ihm die Hand drücken will?«

»O sacre Diable!« (sagte Stoß nach dem Drucke und wusch und scheuerte mit den trocknen Händen das Gesicht und war überhaupt halb außer sich vor Lust) »ich wills Ihnen gerne stecken, warum wir am Montage die Demanten so gewiß bekommen, als das Vaterunser im Amen ist. Es haben drei Schöpsenköpfe mir aus List Stein und Bein schwören müssen, daß sie mir am Montage allerhand leihen wollten; – nun kanns uns an einer spendabeln Woche nicht fehlen.« Das aberglaubige Volk hält nämlich Abborgen am Montag für ein Zaubermittel zu einer gesegneten Woche, und darauf rechnet Stoß. Der Adel nimmt vielleicht mit mehr Recht dasselbe von jedem Wochentage an.

»Ich lege mich jetzo«, sagte der Apotheker, »hier auf dies Kanapee und sinne aus; schweig' Er ein wenig.« Marggraf wollte sich nämlich auf ein ernstes Austräumen und Ausmalen des von Worble nur lustig abgeschatteten Fürstenstuhles legen, um dessen Thronhimmel mit Deckengemälden und Sternbildern zu überziehen. Oder deutlicher: er ging an die Baute eines Ätherschlosses.

– – Ich wollte, ich dürfte voraussetzen, daß die Leser den Unterschied zwischen Luftschlössern und zwischen Ätherschlössern, anstatt ihn zu vergessen, machten. Luftschlösser an sich kennt und baut jeder, sie sind das letzte und höchste Stockwerk auf jedem Lustschloß – etwan wie auf der Peterskirche die Doppel-Rotunda –; nur daß am höhern Luftschloß oft durch Baukosten das tiefere Lustschlößchen verwittert und zerbröckelt. Inzwischen dürfen wir Untertanen uns schon von der Hoffnung einige teure Baurisse zu solchen Luftkugelrotunden zu verschaffen suchen; nur den Fürsten sollten spanische Schlösser und böhmische Dörfer bleiben. Ein Baulustiger eines neuen Jerusalems über seinen Giebeln und Türmen erliegt dem Schwerdrucke und Passatsturme der Lüfte, in die er hineinbauet.

Hingegen wie anders, höher, leichter werden Ätherschlösser dem Bauherrn fertig! Es wird nämlich ein dergleichen Schloß leicht dadurch auf- und ausgebauet, daß man nichts wünscht und sucht, sondern es nur so macht wie der Apotheker Marggraf oder wie viele, die ich kenne, z. B. ich.

Sieht (mein' ich) ein tüchtiger fleißiger Bauherr der Ätherschlösser, also unser Apotheker vor allen, etwan einen außerordentlichen Luftspringer: so malt er sich unter dem Zuschauen vor, wie es vollends wäre, wenn ers zehnmal weiter triebe; dann springt er heimlich in sich von einem Tore zum andern durch Springwasser hindurch, bringt ein gefülltes Glas aus diesen mit, ja er setzt über eine vorüberfliegende Wolke hinüber und kommt auf einer entfernten wieder zum Vorschein; und nun denkt er sich das allgemeine Erstaunen über den Wolkenspringer, gegen welchen der arme Seiltänzer nur ein rückgängiger Seilermeister ist. – Vernimmt er eine große Sängerin, die alles übertrifft und rührt: sogleich setzt er sich hin und gibt sich solche Mara-Töne, eine solche Diskanthöhe, unbegreiflich wachsend aus einer solchen Baßtiefe, und dabei so unerhörte Fertigkeiten, daß er die ganze weibliche Zuhörerschaft zu warmem Brei auf den Sesseln zerflossen vor sich sieht, und daß sogar die Männer fallsüchtig durcheinanderzucken und einige vor horchendem saugenden Anhalten des Atems gar ersticken, worauf er selber so ruhig, als hätt' er nichts verrichtet, nach Hause geht, um da von den nachgelaufenen Bekannten mit Bewunderung sich umrungen zu sehen. – Rücken verschiedne mit Ruhm bedeckte Heere ein, welche die Stadt zu toll anstaunt: so ist er auf der Stelle (in seinem Kopfe) ein außerordentlicher Held-Riese, entweder Pantagruel der Sohn oder Gargantua der Vater oder Grandgousier der Großvater, kurz ein Generalissimus der Welt, und geht als solcher den Heeren bloß allein (stich- und schußfest an Achilles Ferse und Sigurds Schulter) ganz gelassen mit seinem mähenden Degen in der Rechten entgegen, dabei doch sich mehr auf die Linke einschränkend, womit er Mann nach Mann bloß aus einer Compagnie in die andere überschleudert. Auf gleiche Weise stellt sich der Bauherr von Ätherschlössern bei allen großen Gemälden, Büchern, Jagden, Riesen, Zwergen die Wirkung vor, die es hätte, wenn er Colossäa lieferte, wogegen jene zu elenden Fuggereien einkröchen. Und wer unterließ die weniger als Marggraf! Solche Ätherschlösser werden aber ohne Baugerüste und Baurechnungen – bloß mit eigenen ausgedehntesten Baubegnadigungen – aufgeführt, so hoch man will (denn wie schon Luftschlösser größer sind als Bergschlösser, da der Luftkreis 15 Meilen höher über dem Erdkreis steht, so noch mehr Ätherschlösser, weil Äther die Luft einschließt und schrankenlos überschwellt); – – ohne zähen Wunsch der Erfüllung, ohne Neid und Gier – noch leichter als einen Traum, den man nicht palingenesieren kann, sieht man ein Schloß entfliegen, das jede Minute schöner nachzubauen ist. Kurz dergleichen Ätherbauten bleiben nach Bauverständigen unter allen Werken die harmlosesten, selber die der Liebe und die Außenwerke der Festungen nicht ausgenommen. –

Als der Apotheker auf dem Lotterbette lag, ging er, wie gedacht, an die Bauten des Ätherschlosses, indem er dasselbe (wie Menschen pflegen) auf sein fertiges festes Luftschloß, zu welchem er durch die Edelsteine in der Diamantgrube längst den Grundstein gelegt, aufsetzte, da Luft den Äther leicht trägt und beide zuletzt ineinander verlaufen.

»Wenn Er wüßte, Defektuar,« fing langsam Marggraf an, »was für Himmelfahrten ich mir jetzo im höchsten Grade lebhaft denke, ein ganz himmlisches Leben für uns beide, welchem gegenwärtig nichts fehlt, als daß es noch nicht da ist, sondern erst mit den Diamanten kommt; aber wie wollt' Er das wissen, Stoß!« – –

»Fi! Ob ichs weiß oder nicht, ein so himmlisches Leben sucht seinesgleichen und war von jeher mein Leben«, versetzte Stoß und geriet vor dem Apotheker in acht oder neun mimische Entzückungen über einen durchsichtigen Himmel, welcher gar nicht genannt war, geschweige gewölbt, noch gestirnt.

»Mein Stoß,« sagte Nikolaus, »wenn Er sich besonders verwundern will, so muß Er erst hören, wie ich mir alles deutlich ausmale, was ich genösse, wenn ich ein regierender Herr würde und eine Krone bekäme und meinen Zepter dazu. Eine Unmöglichkeit wär' es am allerwenigsten. Wenn man Premislause im Böhmen vom Pfluge wegnimmt und zu Königen aushebt; – wenn Pizarros, die nicht einmal lesen und schreiben können, statt der Schweine Reiche der Inkas zu hüten und zu regieren bekommen und Lima zur Residenzstadt; – ja wenn gar Lakaien, wie ich gewiß gelesenEin Lakai des Marquis de Carpegna wurde anfangs des vorigen Jahrhunderts vom neapolitanischen Fürsten Brancaccio, der keine ehelichen Erben hatte, auf einmal als sein unehelicher gerufen, dann zu einem ehelichen legitimiert und endlich zum Fürsten erklärt. Theatr. Europ. T. XVII. S. 346 des Jahres 1705., bloß darum zu Fürsten emporgestiegen, weil sie vorher uneheliche Kinder derselben gewesen und zu ehelichen legitimiert geworden: so ists ja noch natürlicher, daß zu einem Apotheker als dem viel edlern Wesen zuerst gegriffen wird und er auf den Thron gesetzt, der ihm vielleicht aus mehr als einem triftigen Grunde gebührt. – Jedoch was ist denn dies? Kennt Er, ich bitt' Ihn herzlich, den Didius Julianus?«

»Au voleur! Ich mag den närrischen Menschen kennen oder nicht, so bleibt doch alles wahr, was Sie von ihm sagen wollen.«

»Didius lebte zu seiner Zeit im großen römischen Reiche und erstand, als eine Prätoren-KohorteEr will sagen Prätorianer. von 15000 Mann dasselbe öffentlich versteigerte, das ganze lange Kaisertum um 1300 Taler, an jeden Mann 15000 mal zahlbar, wurde jedoch baldigst samt seinem gekrönten Haupte enthauptet, als Septimius Severus sich die römische Kaiserkrone von seinen Soldaten zuschlagen ließ, weil er mehr geben konnte, nämlich 2600 Taler jedem. Wenn Er nun bedenkt, wie außerordentlich groß das römische Reich – weit ausgedehnter als ganz Europa wegen seiner andern einverleibten Weltteile – gewesen gegen eine kleine deutsche Markgrafschaft, die ich ja zu jeder Stunde mit einem tüchtigen Diamant bezahlen will: so wird Er wissen, Stoß, von was die Rede ist. Jetzo sind vollends die Zeiten, wo mancher Thron, weil alles unten um ihn herum rebelliert, für Geld zu haben ist, und ich kann Königen, die ihren abstehen, dafür vielleicht etwas bieten, wenn es dort im faulen Heinze zu etwas kommt.«

Der Stößer schnappte heftig mit der Tiegelzange auf und zu und sagte entzückt: »Peste! darin kommts freilich zu 'was. Und daß Sie in drei Kuchen auf einmal Bohnenkönig gewordenWer unter den am heiligen drei Königtage gebacknen Kuchen den einzigen trifft, worin eine Bohne steckt, wird der König des Festes. Warum man die Bohne zum Kronen-Diplome wählt, ob, weil die Alten mit ihr verdammten, oder weil sie den schweigenden Pythagoräern unleidlich, oder weil sie schwer verdaulich war und dem Denker durch Blähen schadete, dies bedarf nicht der geringsten Untersuchung, da ein Kuchenbäcker an all dergleichen gar nicht denkt., das muß manches bedeuten. Aber was wollen wir lange passen, wir können ja König werden ohne einen Heller Demant, da Sie doch, wie jeder hofft, so gut ein echt fürstliches Hurenkind sind wie der Bediente vorhin, ders auch bis zum Fürsten gebracht. – Aber freilich brauchen tu' ichs so sehr wie Sie- ich muß ganz neu herausgekleidet werden vom Stiefel bis zum Kopf – betrachten Sie nur, was ich an Sonntagen anhabe, und an Werkeltagen bin ich gar ein Haderlump. Peste! wenn ich daran denke, wie Sie mich Halunken so gnädig ausstaffieren werden, sobald Sie in Gold und Silber stecken – haben mir schon jetzo so viele Kleinigkeiten spendiert, wo Sie selber schmal bissen und nichts hatten.«

»Leg' Er mir« – sagte Nikolaus – »noch das Fußkissen unter das Kopfkissen, ich liege zu tief. – Aber um Gottes Willen, wer von uns spricht denn davon, daß ich heute oder morgen, dir nichts, mir nichts, ein regierender Fürst werde? Hör' Ers besser, daß ich mir nur recht lebhaft vormalen will, wie es stände, wenn ich den Fürstenmantel umhätte. Und da gesteh' ich gern voraus, daß ein Paradies, soviel ich sehe, in das andere führt und des Guten, das ich sowohl stiften als genießen kann, gar kein Ende ist.«

Hier rieb sich Stoß die Hände vor Lust, vor möglicher.

»Aber bild' Er sich doch nicht sofort ein, ich werde im Fürstenmantel Ihn mit jeder Kleinigkeit ansingen, die einen Fürsten so groß macht, und wie warm ich mich z. B. schon in der Wiege betten würde als Fürst; denn ich hätte als Kind meine Orden und Regimenter und einen Hofstaat – es besteht aber solcher aus einem Oberhofmeister, zwei Kammerherrn, einem Kammerheizer, einem Tafeldecker und Türhüter –«

»O! Sacre! das wäre!« rief Stoß.

»Was wäre,« versetzte Nikolaus, »da ich die fürstliche Kindheit längst verabsäumt? Aber dies will ich mir denken, was ich als Fürst genösse, wenn ich mich so recht herunterlassen könnte bis zu jedem Bürgerlichen und nun der Augenzeuge der unbeschreiblichen Freuden wäre, welche so arme, vom Thronhimmel um ganze Himmelleitern entfernte Teufel über einen so nahen Fürsten empfinden müßten, gerade als ob sie einen hohen Fixstern unten in der hohlen Hand hielten. Welche Luftsprünge würde Er z. B. machen, wenn ich mich mit Ihm – ich will Ihm nicht einmal einen Groschen schenken – so recht vertraulich unterhielte, als kennt' ich Ihn schon längst!«

»Ganz natürlich,« versetzte Stoß, »und hinterher steckten Sie mir doch viel genug in die Tasche.«

»Aber was ist alles Herablassen eines Fürsten, lieber Mann, gegen ein ordentliches Inkognito desselben, das allein schon wert ist, daß man ein Fürst wird, da Untertanen sich keines Inkognito anmaßen dürfen, indem sie ja niemals so überall bekannt sind als ein Fürst. – Da hab' ich denn schon früh in meinen Tölpeljahren mir es lebhaft gedacht, wenn ich etwa so in einem bloßen blauen Überrocke ohne Stern und Stein (denn ich will den Fürsten verstecken) in der erbärmlichsten Novembernacht in eine enge einstöckige Bettelgasse schliche, durch die mit Lumpen geflickten Fenster hineinsähe in die dampfende Stube voll Kinder in Viertelhemden, die in die Kartoffelschüssel ohne Salz hineingriffen – – Denk' Er sich doch einmal, ich bitt' Ihn, hinein in die Sache, wenn Er nun in Seinem Überrocke ohne Seinen Fürsten-Stern in die niedrige Stube schritte und ganze Hände voll auf die Kartoffeln würfe« .......

»Corbleu!« – versetzte Stoß – »Aber doch nicht alle meine Dukaten würd' ich vor die Hungerleider schmeißen, sondern viele für mich wegstecken, und ich ließe eben vorher fünf oder sechs wechseln fürs Bettelzeug.«

»Um Gottes Willen,« – rief Marggraf – »wer spricht denn von Ihm und Seiner Knauserei! Damit Er aber nur einigen Begriff von mir als Fürsten bekommt, so wollen wir Spaßes halber meiner fürstlichen Leichenbestattung nachfolgen.

Schon vorher wird der ganze Hof schwarz gemacht, von jedem Kavalier an bis zu den Zimmern und Degen, und keine Perücke darf sich pudern. Den größten Höfen wird mein leider zu frühes Abfahren geschrieben. Ich selber liege in Samt auf einem hohen Paradebett, neben mir Kommandodegen, Zepter und Stab, und werde strenge von den vornehmsten Kammerherrn in ganz langen Trauermänteln bewacht; dabei häng' ich noch als mein Porträt an der Wand und stehe in Wachs gebosselt auf einem Sessel und bin oft genug da. Er kann sich leicht denken, daß das ganze in eine solche Trauer versetzte Land nach der Trauerordnung weder schießen, noch tanzen, noch orgeln darf, nur läuten, aber letztes in jedem Neste eine Stunde. Wem zu Ehren glaubt Er wohl, Defektuar, daß eine so allgemeine Landtrauer angestellt wird? Mir bloß, Stoß, mir, der markgräflichen höchstseligen Leiche.«

»Diable! – Wahrlich diese meine Nase gäb' ich drum, wenn mich der liebe Gott einen solchen Tag an Ihnen und Ihrer Leiche erleben ließe.«


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