Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

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Ur- oder Belehnkapitel,

worin die Beleihung der Leser mit der Geschichte vorgeht, nämlich die Investitur durch Ring und Stab

In der Markgrafschaft Hohengeis liegt das Landstädtchen Rom, worin der Held dieser vielleicht ebenso langen als bedeutenden Geschichte, der Apotheker Nikolaus Marggraf, jetzo im Belehnkapitel von weitem auftritt. Auch der Unwissendste meiner Leser, der nie ein Buch gesehen, kann dieses Hohengeiser Rom weder mit jenem großen italienischen verwechseln, das so viele Helden und Päpste aufzog, noch mit dem kleinen französischenEin Dorf im Departement der Deux-Sevres. Siehe in Jägers Zeitungslexikon, von Mannert neu bearbeitet, den Artikel Rom., das sich bloß durch Eselzucht auszeichnet. Verständige Leser suchen ohnehin meine Städte und Länder selten auf der Karte, weil sie schon wissen, daß ich meistens, wenn auch nicht verfälschte Namen, doch ganz neue angebe, zu welchen erst spätere Reisebeschreiber die Örter und die Stiche liefern.

Sämtliche Romer nun – so, aber nicht Römer hießen sie sich, noch ehe Wolke so zu schreiben vorgeschlagen – konnten unter dem einzigen ausgemachten Narren, unter dem Großkreuz der Narren ihres Städtchens, sich niemand anders vorstellen als den Apotheker Henoch Elias Marggraf – wegen der Hoffnungen von seinem Sohne – also gerade den Vater eines Helden, für welchen der Verfasser dieses mehre Jahre seines Schreiblebens, wie die Verlagbuchhandlung mehre Ballen ihres Schreibpapiers, aufzuwenden entschlossen ist. Ob aber Rom recht hat, oder der Verfasser und die Buchhandlung und der Apotheker, dies wird die Zeit lehren, – die man auf das Lesen dieser Geschichte verwendet. Der alte Henoch Elias war nun ein Männchen, das nicht mit bloßen Federn, sondern über seine ganze kurze Länge hinab mit lauter Flügelchen von Tag-, Abend- und Nachtfaltern besetzt war – überall oben oder unten hinausfahrend und wieder zurückfahrend und sich dann setzend als Apotheker der Stadt. Aufgeräumter, gesprächiger, toller war niemand in Rom als er. Aber diese springende Lebhaftigkeit eines Affen wird in einem schönern Licht erscheinen, wenn man die gesetzter Denkenden versichert, daß er hinter ihr bloß eine andere Ähnlichkeit, nämlich Hab- und Greifsucht eines Affen geschickt verbergen wollte, weil er alle leere Plätzchen (volle hatt' er gar nicht) sowohl in seiner Apotheke als in seiner Kasse so zu benutzen suchte wie die Bienen die ihrigen, welche jede Zelle, sogar eine eben vom ausgekrochnen Bienenwurm ausgeleerte, sogleich mit Honig nachfüllen. Lustigkeit ist die beste Fledermausmaske des Nehmens, sogar des Geizes; und der Apotheker setzte in seinen lebhaften, aufflackernden, italienischen Lustfeuern wohl häufig Ehre und Verstand beiseite, aber niemals einen Profit.

Zum Glücke hatt' er nun in seinen Mitteljahren, als er den Erbprinzen von Hohengeis als Reiseapotheker nach den warmen Bädern von Margarethahausen begleitete, auf eine reizende italienische Sängerin getroffen, welche gerade an den Hopstänzen seiner Glieder und Worte besondern Gefallen fand. Da er dieses Gefallen und noch dazu ihre zwei Hände voll Ringe und diese wieder voll Steine sah, so entschloß er sich, Hände und Ringe zu wechseln, bloß aus Liebe gegen ihre Hände (denn an seinem Ringfinger und Fingerring steckte fast nichts), um die Reisende heimzuführen. In der Tat konnte die schöne Sängerin – von welcher die Nachtigall wohl die Stimme hatte, aber nicht Augen und Schönheit – ihr Wachsen, wie Bäume und Tierhörner das ihrige, nach Ringen messen und abzählen; denn welchen hohen Ohren sie vorgesungen, diese lieferten steinreiche Ringe, wenn auch nicht Ohrringe, an ihre Ohrfinger, Zeigefinger, Mittelfinger und Daumen ab.

– Und Margaretha – so wiedertaufte die Italienerin sich deutsch, wie Mara sich welsch – versprach dem unschuldigen Henoch-Elias (der Ringrenner oder -stecher und Steinschneider oder -gräber erstaunte selber) wirklich Hand und Hände zu geben, sobald sie sich nur durch die anwesenden hohen Badgäste hindurchgesungen habe. Der selige, gen Himmel fahrende Henoch! – Diesen Aufschub seiner Seligkeit wünschte eben still sein Herz, weil jetzo unerwartet immer so viele Fürsten in MargarethahausenSoeben vernehm' ich von einem Liebhaber meines Vorlesens, daß es noch ein zweites Margarethahausen gebe, ein ritterschaftliches Dorf in württembergischen Amte Balingen, ja noch ein drittes, ein Franziskaner Nonnenkloster unweit davon mit einigen Höfen und Zehnten. Und wirklich fand ich das zweite und dritte in Jägers Lexikon, von Mannert überarbeite (Band 2. Seite 273); aber dafür stand das erste oder meines gar nicht darin. eintrafen, welche anzusingen waren, daß das Margarethahäuser Badwasser, nur schöner als das Karlsbader, versteinern und die Hand mit Juwelen inkrustieren konnte.

Glücklicherweise für die Verlobten bekam die allda badende Fürstenbank auf einmal so viele Feste zu feiern – teils Freuden-, teils Trauerfeste, weil Eilreiter mit Nachrichten sowohl geborner Erbprinzen als gestorbner Apanage-Prinzen eintrafen –, daß die Sängerin fast nichts zu tun hatte, als nur einigermaßen vor ihnen ihre sämtlichen hohen Freuden und Leiden durch die Singstimme auszusprechen. Mitten unter diesen Festgelagen händigte unerwartet Margaretha, reichlich beschenkt, halb von Feierlichkeiten übertäubt, halb vom Singen entkräftet, vielleicht der Fürsten und Höfe selber satt, dem treuen Bräutigam ihre weiße Hand mit den feinen langen Fingern ein; sie wollte lieber den Hoffer und Harrer mit einem prosaischen Ja eilig beglücken als länger mit einem poetischen Sirenen-Nein. Diese schmeichelhafte Eile war dem guten Henoch Elias noch nie begegnet. Und dabei eine solche Göttin an sich zu haben! – Er sah mit ihrer glänzenden und mit seiner närrisch-kurzen Gestalt so kostbar und unbeholfen aus wie ein gesprenkelter Frosch, dem ein aufgeschnappter Schmetterling mit den breiten Flügeln, die der Frosch schwer hineinzustopfen vermag, das grüne runde Maul beflügelt. – Und dabei besaß er an seiner so fürstlich beschenkten Margaretha noch gleichsam jenen schwedischen Bergknappen zur Ausbeute, welcher nach vielen Jahren mit allen reichen Erzadern durchschossen und durchwachsen aus dem Stollen gezogen wurde.

Noch im Bade wurd' er priesterlich eingesegnet.

Nach neun kurzen Februar- oder Hornung-Monaten gab die Sängerin dem Reiseapotheker schon die schöne Frucht ihres Brunnen-Ja zu pflücken, den Helden dieses Werkes, namens Nikolaus, er, wie eine Amphions-Baute, gleichsam eine Schöpfung der Töne.

– Müßt' ich mich nur nicht zu weit rückwärts schreiben in einer Woche und Geschichte, wo ich noch nicht einmal vorwärts gekommen: wahrlich, Winke – Schlüssel – Nachschlüssel – Grubenlichter – Notae ad usum Delphinorum – versiones interlineares – Ergänzblätter – Supplement-Bände – complementa possibilitatis und mehr wollt' ich hier einschieben und darüber mich ausbreiten; aber Verfasser langer Werke müssen sich leide ins kurze ziehen, um nicht den kürzern zu ziehen. –

Die Ehe fing schon mit Unehe an; denn mehre Glanzsteine in den Ringen, die der Apotheker zu Bausteinen seines Glücks zu vermauern gedacht, wurden als Meteorsteine befunden oder unecht und der helle farbige Regenbogen auf ihren Fingern, der ihm heitres trocknes Wetter versprochen, ergrauete erbärmlich und wurde selber zu Wasser; nur die Vorsteckringe verblieben echt, nämlich von Gold. Der Apotheker, der in seinem Leben nie etwas verschenkt hatte als diesesmal seine Hand selber, mußte seine Ergebenheit bereuen und den ganzen Tag unbeschreiblich sauer zu allem sehen; und wenn er, der immer vor andern ein aufprasselndes, durcheinander fahrendes, lustiges Feuerwerk war, sich vor Margaretha als das abgebrannte, rauchige, geschwärzte Gerüst hinstellte: so war dies nur ein Anfang. Denn als vollends noch dazu sein Erstgeborner kam: so wußte die arme Sängerin ein Lied davon zu singen von seiner losplatzenden selbzünderischen Natur; wohin sie nur griff, in jedem Winkel und Schiebfache, in jedem Fleisch- und Zuckerfasse, in jeder Hauben- und jeder Pillenschachtel und Nadelbüchse und Bratenpfanne, saß er als Bombardierkäfer und knallte los wenn sie ihn anrührte, ihr ganzer Lebensweg war voll Selbschüsse gelegt, womit er vor ihr unversehens auffuhr.

Die Ursache war, sie liebte ihren Erstgebornen, den kleinen Nikolaus, ganz übermäßig, nicht einmal zu erwähnen – weil dies erst später eintreten konnte –, daß sie es vier Jahre lang hintereinander tat, als sie schon zwei Töchter nachgeboren und auf das vierte Kind jede Stunde aufsah. Der Kleine hatte zwei medizinische Merkwürdigkeiten, die ihn von seinem Vater so wie von tausend andern unterschieden. Er hatte nämlich auf der Nase zwölf Blatternarben auf die Welt gebracht, als hätt' ihn die Natur schon ungeboren mit diesen Stigmen (Wundenmalen) für das Leben gestempelt und tätowiert, was aber nicht gewesen sein kann, da er später die wahren Pocken bekam und also die Narben früher als die Wunden hatte. Das zweite Wunder war, daß sich im Dunkeln, schon in der Wiege, eine Art Heiligenschein um seinen Kopf ansetzte, besonders wenn er schwitzte, oder später, wenn er sehr betete oder sich ängstigte. Dieser Heiligenschein war wohl weiter nichts als die Bosische BeatifikationSo nennt man den elektrischen Kopfschimmer an Menschen, die auf einem isolierenden Pechkuchen elektrisiert werden., nur daß bei ihm das elektrische Laden und Ausstrahlen von selber sich machte, so wie z. B. bei Castilhon in Bouillon, der sich und seinen Schlafrock oft in Flammen stehen sah und überall aus sich mit Fingern Funken ziehen konnte.Wilhelms Unterhaltungen über den Menschen. B. 2

Seine Mutter gab nun der Blatternase und dem Heiligenscheine einen Mann zum Vater, an welchem sie sich in Margarethahausen nach der Hochzeit versehen habe, als sie durch ein Zimmer gegangen und der Mann im Finstern zufällig einen so heftigen Heiligenschein aus den Haaren geschossen, daß alle zwölf Blätternarben auf seiner Nase plötzlich erleuchtet geworden und zu zählen gewesen. So schön-natürlich sie aber alles ableitete, so verübte doch in ihr als einer Erzkatholikin die Heiligensucht eine solche Blendgewalt, daß sie die Stigmen und den Nimbus um ihren kleinen Nikolaus heimlich für Titelvignetten und Buchdruckerstöcke, für Vorbilder eines künftigen Heiligen ansah, bei welchem der Körper dem Geiste gleichsam vorangewachsen und vorausgelaufen.

Aber die Mutter fand auch einen geistigen Nachtrab des körperlichen Vortrabs schon jetzt an dem bloßen Knaben von kaum vier Jahren; – darum hatte sie ihn so unsäglich lieb; – und dies waren zwei Vorzüge, welche die katholische Kirche am meisten, und besonders an Heiligen sucht; nämlich der Knabe zeigte erstens eine ans Wunderbare grenzende Mildtätigkeit, ein gänzliches Unvermögen, Schmerzen zu ertragen, die nicht die seinigen waren, und zweitens eine außerordentliche Phantasie, aber eigner und katholisch-heiliger Art – wie etwa die des Ignatius von Loyola –, welche ihre Darstellkraft nicht nach außen, sondern nach innen gegen den Besitzer selber kehrt und nur ihm, nicht andern vordichtet und vorspiegelt ....... Doch nun kein Tröpfchen Dinte weiter für das Kind vermalt, da es nie mein Vorteil noch Wille sein konnte, im Ur- und Belehnkapitel jemand anders in Handlung vorzuführen als bloß die Eltern. Der Kleine wird noch Kapitel genug füllen als Held.


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