Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

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Vierzehntes Kapitel

Das Zollhäuschen – Jeremiaden von Frohauf Süptitz – Kirchengütereinkauf – der Artillerist Peuk mit seiner Stockuhr – Dorf Liebenau – Bau der Mobiliar-Residenz – Liebebrief an Amanda – Allerhöchstes Klistiernehmen und -geben

Dessen erster Gang

Kleindeutschland – der Vorfrühling – das Zollhäuschen – Wetterklagen des Predigers – einiges Wetterlob des Kandidaten

Die große Reise des Fürstapothekers sollte von der Markgrafschaft Hohengeis, dieser äußersten Spitze des Land-Runds Kleindeutschland, durch die beiden Brennpunkte desselben bis zur zweiten Spitze gehen. Leider ist nur bis zu gegenwärtiger Minute und Zeile Kleindeutschland im Gegensatze von Großdeutschland so unglaublich wenig bekannt und beschrieben, daß ein Deutscher gewiß tausendmal mehr von Großpolen und Kleinrußland weiß, indem man wirklich in so dicken Länderbeschreibungen wie Büschings, Fabris und Gasparis sogar den Namen des Landes vergeblich sucht und folglich in guten Karten noch weniger davon antrifft. – Zu erklären ist die Sache leicht, wenn man sich erinnert, wie wir Deutsche von jeher statt eines geographischen Nosce-te-ipsum (Erkenne dich selber und dein Nest) lieber die Kenntnisse von den fremdesten und fernsten Ländern aufjagen und daher zum Beispiel die österreichischen Länder nur als Straßen kennen, die vor Italien liegen und dahin hinabführen; so wie wir die zugänglichern Schönheiten Salzburgs liegen lassen auf der teuern Wallfahrt nach der steilen Schweiz. Das Eigne durchreisen wir nur, um das Fremde zu bereisen. – Ich darf daher keck behaupten, daß in dieser Reisegeschichte mehre Ortschaften und Länder vorkommen, wovon wir die erste erschöpfende Beschreibung und die ersten Kartenrezensionen noch heute durch die allgemeinen geographischen Ephemeriden erhalten sollen. Oder sind denn die Fürstentümer Scheerau, Flachsenfingen, Hohenfließ, so wie die Städte Pestitz, Kuhschnappel, Flätz, Rom und so viele andere, von welchen ich (und zwar als der erste, soweit meine geringe Belesenheit reicht) einige Nachrichten als Beiträge zur Kleindeutschlands-Länderkunde geliefert, sind sie seitdem nur im geringsten näher untersucht und beschrieben worden von so vielen Reisenden und Erdbeschreibern?

Bloß das Landstädtchen Krähwinkel nehm' ich aus, welches in Kleindeutschland im Fürstentum Flachsenfingen (ganz verschieden von einem Dorfe in Norddeutschland) liegt, und wovon ich die ersten NachrichtenIm heimlichen Klaglied der Männer, das 1801 bei Wilmans erschien. Kotzebues Kleinstädter kamen erst einige Jahre später heraus. bei Gelegenheit einer da spielenden Geschichte gegeben. Kotzebue hatte nun die Gefälligkeit, das von mir zuerst beschriebene Städtchen mit seinen Kleinstädtern zu bevölkern und sie darin handeln zu lassen, als wären sie darin geboren. Indes hätte er – wenigstens haben die andern Namenvettern in Norddeutschland sich darüber bekanntlich im Druck beschwert – wohl irgendwo anmerken mögen, daß ich zuerst ihn in das Städtchen gebracht; an sich zwar eine wahre Kleinigkeit, sowohl für den Kotzebueschen Nachruhm als für den meinigen; aber die kritisch-geographische Welt will doch genau wissen, wer von uns beiden Amerika zuerst aufgefunden, ob eigentlich Kolumbus oder ob Vesputius Amerikus, der zu deutsch Emmerich heißt; und ich berufe mich hier auf den Herrn Kapitän Kotzebue, der ja selber entdeckte.

Im ganzen belohnen mich meine Werke wenigstens durch die Beruhigung, daß ihnen und besonders dem gegenwärtigen, sollten sie auch zu dünne poetische Ausbeute darreichen, doch geographische genug übrig bleibt, welche sie zur Nachwelt aus einer Jetzo-Welt hinüberbringen kann, wo unter allen Karten während der freundschaftlichen Friedenschlüsse keine durch geschickte fausse melange so sehr gemischt werden als Landkarten. Für mich wird es noch immer Schmeichelei genug bleiben, wenn ein künftiger Pomponius Mela – gleich jenem Geographen, welcher (nach Addisons Zuschauer), das Heldengedicht Virgils aufmerksam durchgegangen, nicht um die poetischen Schönheiten, sondern um die geographischen Nachrichten von Italien darin aufzufischen – gleicher Gestalt das lange Prosa-Epos des Kometen weit mehr wegen der trocknen Notizen, die ich über Kleindeutschland mitteile, als wegen der dichterischen Schönheiten und Blumen durchstudiert und liebgewinnt, die ich in einem fort unterwegs verstreue, um der geographischen Kunststraße sozusagen das Trockne zu benehmen. – –

So fange denn endlich die wahrhaft wichtige Reise an!

Die Reisezeit war nicht trefflicher zu wählen, denn es war Lenzanfang, folglich der 21. März; im März aber zu reisen, ist sehr köstlich, zumal wenn man vor Staub kaum sein eignes Wagenrad oder sein Stiefelpaar sehen kann. Welche ausgehellete Herzen schlugen von Marggraf Nikolaus an bis zum Kandidaten und Stößer hinab – welche beide nun vollends stilltoll waren vor Lust –; denn es fehlte an nichts, weder an Himmel noch an Erde!

Das Himmelblau sah aus wie eine junge Jahrzeit; als wär' es anders gefärbt, so sehr erschien alles Älteste neu – die Tannenwälder ergrünten lustig unter ihren Schneekronen, als wär' es im Winter anders – gelbe Gänseblümchen und gelbe Schmetterlinge, immer die ersten im Herauskommen, trugen neue chinesische Kaiserglanzfarben auf die bisher erdfarbige Erde auf – das welke Herbstlaub der Büsche rauschte zwischen den lebendigen jungfräulichen Knospen, aber das Rauschen war viel schöner als das andere des noch ziemlich frischen Fall-Laubs im Herbste. Der Vorfrühling kann sich zwar nicht zu den Menschen hinstellen wie der Nachsommer und zu ihnen sagen: »Sehet, was ich auf den Armen und Zweigen habe, und ich wills euch zuwerfen«; – er braucht vielmehr selber Kleider und Früchte; aber ihr liebt ihn doch wie ein nacktes Kind, das euch anlächelt.

Der Wetter-Kandidat Richter sprach sich darüber passend gegen den Reisemarschall Worble aus, welcher neben ihm saß und fuhr. Worble hatte nämlich, da er mit dem größten Vergnügen sah, daß wenigstens einer aus des Fürsten Gefolge den Fürsten für keinen Apotheker ansah, sich mit Richter in den leeren Zeremonienwagen gesetzt – den leeren Gaul ließ er nachreiten –, um ihn als einen weniger Kleingläubigen als Großgläubigen ganz vollzupacken mit lauter halbwahren, aus einer besondern Linkerhand-Ehe der Wahrheit mit der Lüge erzeugten Berichten von Marggrafs Jugendleben, für welche er recht leicht das ganze Gefolge als Zeuge stellen konnte. Der Durchlauchte Herr Vater, erzählte er, habe den Fürsten absichtlich im strengsten Inkognito einem Apotheker zum Erziehen anvertraut, damit er ohne die leiblichen und geistigen Giftmischereien des Hofs zu einem gesunden gewandten Honoratior großgebildet würde. »Es ist von da aus,« fuhr er fort, »mein Freund, nur ein Katzensprung zu einem regierenden Herrn, indes von einem Bauer, zu welchem wohl manche Romanschreiber, z. B. Wieland, ihre Fürstenkinder lächerlich genug verpuppen, ein gar zu langer Weg bis zu den Sitten und Kenntnissen eines Regenten aufläuft. Und mit wem hat ein Fürst unmittelbar ein größeres Verkehr, mit Landvolk oder mit Stadtvolk? Und doch, welche Sitten und Lagen – bitt' ich Sie ernstlich – kennt er wohl dürftiger, die der Landleute, die er so oft in der Feldarbeit, in der Kirche oder auf dem Markte sehen kann, oder nicht vielmehr die versteckten Seiten der eingebauten Honoratioren, der Apotheker, der Rentamtmänner, der Spitalschreiber? – War es also vom Fürstvater unklug gedacht, oder filzen Sie ihn auch, wie so mancher meiner Bekannten, darüber aus, daß sein Sohn sogar die Apothekerkunst und in Leipzig die akademische Laufbahn (ich versah schwaches Gouverneuramt dabei) studieren müssen, und aus welchen Gründen, bitt' ich, Herr Kandidat?« – (Ich ersuche meine Leser, mir hier und sonst alle Querantworten zu schenken und solche selber zu geben.) – »Um desto erfreulicher werden Sie es demnach finden, daß der Fürst sich endlich auf die Reise zu seinem so lange ungesehenen Herrn Vater macht, obwohl in einem starken Inkognito – denn er nennt weder seinen noch den väterlichen Namen bestimmt –, und daß gerade Ihr Wetter so paßt.«

»Wahrlich beim Himmel,« versetzte Richter, »ist es nicht ein neuer Reiz der Jahrzeit mehr, daß die Vögel noch sichtbar, ohne Laubgehänge, auf den nackten Zweigen voll Knospen unverdeckt sitzen? Und nun vollends die Lustflüge der neugewordnen Vögel, die uns aus den fernen Ländern die alten Gesänge, die für unsere Gärten gehören, wiederbringen; – und doch ist auch wieder der Gedanke schön, daß sie dieselben Töne, die sie jetzo auf nackten Ästen singen, vielleicht vor wenig Wochen in Asien auf immer grünen Gipfeln angeschlagen. Und hört man nicht in neuen Tönen alle vergangnen tausend Frühlinge auf einmal?«

»Sehr himmlisch scheint das Wetter,« – versetzte Worble –, »und daher speisen Durchlaucht im Freien, droben neben dem Zollhäuschen auf der Anhöhe. Abends übernachten wir schon in einem Dorfe, wo alles sogar noch viel wärmer und der Frühling mehr herausgekommen. Auch ich erblicke gern die alten Sänger auf den Bäumen; aber weniger gefallen mir von den Schreiern die vorjährigen Nester-Betten ohne Vorhänge; jene Krähennester dort droben möcht' ich sämtlich heruntergabeln.« –

Die Gesellschaft kam nun vor dem Zollhäuschen an. Der Zolleinnehmer, ein dickes Männlein, war mit einem entzückten Gesichte unter sein Haustürchen gesprungen, ohne die geringste Not – denn er hätte bloß zum Fenster heraussehen und in der Stube den Schlagbaum aufziehen können –; und er faßte einen kostbaren Zug ins Auge, der ihm so viele Gulden zu zollen hatte, daß ihm selber davon fast ein halber zufiel, nach dem Zollgesetz. Um so weniger wußte er, was er aus der Sache machen sollte, als er sah, daß ein Teil des Gefolgs unter dem Schlagbaum fortfuhr, der andere aber diesseits desselben abstieg und Lager schlug. Denn in seinem Kopfe waren an die Gehirnkammerbretter nur zwei ausländische Wörter geschrieben: Invalid (das war er) und Defraudanten (das waren andere). Endlich hört' er den Reisemarschall überall herumsagen, daß der Fürst hier, unmittelbar nach dem déjeuner im Wirtshause, ein kurzes Lager aufschlagen wolle, um sein déjeuner dinatoire (Nikolausen gefielen solche französische Sprach-Kokarden oder dieses Wort-Rauschgold der Großen ausnehmend) zu nehmen, und da merkte der Einnehmer, man würde ihn nicht sowohl betrügen als beehren. Marggraf würdigte vom Wagen herab nicht nur das Haus eines Blicks in die Fenster, welches bloß ein einziges mit Ziegel gedecktes Stübchen war, sondern auch den Soldaten einiger Fragen über sein Privatleben. »Höchst Dero Durchlauchten,« sagte der Mann, »es geht etwas knapp; doch läßt sichs leben. Jeden Sonnabend bringt mir meine Frau das Essen auf die ganze Woche, und ich brauche nichts. Jeden Sonnabend trägt sie auch den Zoll in die Stadt auf die Kammer, weil ich nicht aus dem Chaussee-Hause darf. Wäre nur das elementische Defraudieren nicht: so wollt' ich mich jährlich auf 25 bis 27 Gulden rheinisch schätzen, denn ich erhebe von jedem Chaussee-Gulden 2 Pfennige als mein, und ich könnte leben wie ein Prinz, da alle meine Kinder brav spinnen und krempeln. Aber das heilige Donnerwetter schlage doch in alle Defraudanten, die ich unten im Tale mir vor der Nase kann vorbeifahren sehen! Ich kann ja nicht nachlaufen und auspfänden, weil sonst währenddessen rechtschaffene Passagiers mir oben gratis den Zoll verfahren.«

Hier verfügte sich Nikolaus selber vom Wagen ins Stübchen oder Häuschen und besah, was er darin antraf, den Hangtisch mit einem Stuhl, ein Schränkchen mit einer gedruckten Zollzettelbank und dem nötigen Dintenfaß und einem großen Wasserkrug neben ein paar Tellern. Sogleich gab er dem Reisemarschall, der durch das Zollfenster hineinsah, einen Wink zum Eintreten und darauf einen Doppelsouverain mit dem zweiten Wink, den Souverain dem Einnehmer zu zollen. Große Fürsten geben und nehmen freilich gern mit fremden Händen; denn sonst hätte Nikolaus alles näher und kürzer gehabt. –

Der Soldat wies sogleich den Souverain zurück und schwur, in der ganzen herrschaftlichen Kasse hab' er jetzo nicht Silber zum Wechseln genug. Worble aber gab statt aller Antwort die Zollgebühren besonders. Der Einnehmer zählte zwar letzte genau durch, aber während des Zählens sagte er: »Zu viel ist zu viel! Meine Frau und meine Kinder fallen in Ohnmacht darüber. Die sollten beim Element da sein und meinen alleruntertänigsten Dank vor Ihrer fürstlichen Gnaden abstatten!« Er beniesete die Sache, nämlich seinen Dank, weil ihm die Freudentränen in die Nase gekommen waren.

Es ist aber ganz natürlich: Gold war zu viel und zu bedeutend für das Auge eines Mannes, der denselben Wert nur in viele Silberstücke zerschlagen vorbekam, und welchen stets mehre klingende Münzen bezahlten, die nun von einer einzigen stummen vornehm repräsentiert werden; – ein Goldstück ist eine goldne feste Sonne, um welche die Silberplaneten laufen, die erst zusammengenommen eine ausmachen – es ist Patengeld, eine Residenzmünze, eine Summa Summarum für alle kleine Einnehmer und Ausgeber.

Daher nennen Fürsten nie Gulden, Kreuzer, Heller nach ihren Namen, Louis, Fréderic, Napoléon, sondern nur Goldstücke. So wars auch fürstlich von Nikolaus gedacht, daß er mit vieler Mühe eine Tasche voll Gold in Rom einwechselte, um, gleich andern Fürsten, die gern leicht tragen, nichts anders bei sich zu haben als das an sich schwerere Gold. Ein Fürst kann von der Paradewiege aufs Paradebett gelegt werden, ohne je einen Kreuzer in der Tasche gehabt zu haben; eine Fürstin vollends hat nicht einmal einen Kronentaler je getragen; denn sie hat gar nichts bei sich, nicht einmal die Tasche. Es würde indes dem liebenden Herzen einer Fürstin gut zuschlagen, wenn sie, um dasselbe auf der Stelle zu befriedigen, ohne von ihren Kammerherrn zu borgen – denn ihre Hofdamen haben auch keinen Heller –, etwa eine Tabatière voll Goldstaub oder einen Rosenkranz von Samenperlen bei sich führte, damit sie einem zerlumpten Bettler mit durchlöcherten Taschen, der um eine Gabe winselt, eine kleine Prise oder kleine Perle geben könnte.


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