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worin des Prinzen akademische Laufbahn gut, aber kurz beschrieben wird
Mit Recht sagt' ich am Ende des vorletzten Vorkapitels: ich kann nicht genug eilen, um zum letzten Vorkapitel zu kommen; denn ich kann ja in diesem nicht genug eilen, um endlich in das erste Kapitel zu gelangen.
Ich denke, ich koche die Geschichte der akademischen Laufbahn zur angenehmen Sirups-Dicke ein, oder dämpfe sie hinlänglich ab, wenn ich sie so erzähle, wie folgt:
»Prinz und Gouverneur zogen miteinander in ihrem Inkognito nach Leipzig und blieben da ein paar Jahre in einem fort darin, bis sie wieder nach Rom heimkehrten. Nikolaus hatte dort unter allen Vätern von Geburt, welche zuweilen durchreiseten, nie seinen eignen angetroffen, sondern war mit seinen Heiligenstrahlen und zwölf Nasennarben ohne Vorbild ungekannt stehen geblieben. Nie vergaß der Prinz seiner Würde und Abkunft; indes mußte er sich doch hauptsächlich auf Pflanzenkunde und Scheidekunst legen, um sich als geschickter Apotheker in Rom zu setzen, zumal da schuldenshalber die Marggrafsche Apotheke bald unter dem Strohwisch wegzugehen drohte. Lange konnte er sich ohnehin aus zwei Gründen nicht auf der Universität aufhalten, da erstlich der Diamant durch ihn und Peter so glücklich verflüchtigt und geschmolzen worden, als wäre der eine ein Brennspiegel, der andere BockblutNur Bockblut löset, wie Lessing in seinen antiquarischen Briefen aus Plinius bemerkt, den harten Stein auf., und da er zweitens nicht die Stunde erwarten konnte, wo er seine geliebte Prinzessin, von welcher er so lange Zeit geschieden und ohne eine einzige Zeile ihrer Hand gelebt, wiedersehen durfte; denn sie hatte ihn nicht dahin begleiten können, da er sich nicht getraute, sie sicher genug einzupacken, weil zwar eine Stoßwunde am Fleisch, aber nicht die kleinste an Wachs wieder verwächst. Da überhaupt in großen Städten die träumerische Phantasie einschrumpft, aber in kleinen aufschwillt, wo keine Größe durch einen beschämenden Maßstab zurückscheucht: so legte ihn besonders das kaufmännische Leipzig mit seinen hohen Häusern recht unter die Pflanzenpresse und drückte ihn erbärmlich platt und fahl, bis er erst wieder in Rom in einige Blüten schoß.« .......
Und so ist nun, glaub' ich, das ganze sechste und letzte Vorkapitel, wo die Leipziger Studentenjahre mit ihren sämtlichen Auftritten darzustellen waren, im ganzen gedrängt und eutropisch genug zu Ende gebracht, soweit ein neuer Eutrop sich dem alten klassischen Eutropius, dem Abkürzer der römischen Geschichte, im Verkürzen gleichstellen darf.
– Jetzo endlich darf ichs heraussagen, wie alles steht, und daß ich bisher nicht ohne viele Hinterlist gegen die ehrlichen Leserinnen geschrieben. Es fängt nämlich die wahre Geschichte – Nikolaus' und seiner Freunde eigentliche ordentliche ungestörte Historie – erst im nächsten ersten Kapitel an; schreitet aber freilich dafür so strenge ohne alle Vorkapitel von Tag zu Tag, von Stelle zu Stelle fort – nicht wie in den sechs Vorkapiteln manches, zumal Kleinstes überfliegend –, daß ich die Zeit- und Raumeinheiten wahrhaft beobachte und den ganzen historischen Weg nicht als ein lyrisches Flügelpferd, sondern als eine gute epische Flügelschnecke zurücklege, ähnlich der naturhistorischen im Meere, welche als Wurm mit zwei häutigen flügelähnlichen Flossen darin schwimmet, sehr schöne Farben hat, Leibspeise der Walfische ist und sich bei den Naturforschern Clio nennt, ein Name der geschichtlichen Muse, den ich wohl vom Seewurm auf mich als dichterischen Geschichtforscher übertragen mag.
Die Umstände bei der Sache sind hauptsächlich diese, daß ich die sechs Vorkapitel oder ihre historischen Bruchstücke erst überkam, als ich schon die sogleich folgenden zwölf ordentlichen Kapitel völlig ausgearbeitet hatte und sogar flüchtig gefeilt. Da ließ sich weiter nichts anderes machen – einzuweben waren die breiten Stücke nicht –, als sie etwas geschickt vorzustoßen und sie dem Werke als ein Vorwerk anzubauen. Es wurde dazu eine gewandte leichte Hand verlangt. Leser rennen gewöhnlich und sind am wenigsten aufzuhalten und einzufangen, wenn sie eine wahre bestimmte Geschichte in der Ferne vor sich erblicken. Ich durfte daher auf keine Weise den Vielkopf, wie Wolke das Publikum höflich und schicklich übersetzt, etwas davon merken lassen, daß die historische Hauptsache erst später im nächsten Kapitel anfängt – denn über die Überschrift »Vorkapitel«, die etwas verraten konnte, ging der Vielkopf wie gewöhnlich hinweg –; und doch durft' ich wieder auf der andern Seite nur kompendiarisch darstellen und gallische Flüge statt deutscher Schritte machen, weil ich sonst ein ganzes Buch einem schon fertigen Buche hätte vorauszuschicken gehabtWurde mir doch von einer gewissen Person, die ich nicht zu nennen brauche, die oben in der Geschichte mitspielt, ernsthaft angesonnen – als man meine Willfährigkeit zu der bisherigen Vorgeschichte wahrnahm –, diesem Vor-Bande oder Vor-Teile wieder einen Vor-Band, also den Urkapiteln Ururkapitel vorzuhängen und vorzuspannen, wie es etwan mit den Vorgeschichten des Erdballs geht, der täglich rückwärts (nicht bloß vorwärts) älter wird; aber ich versetzte sehr ernst und fest: »Deutschen Lesern kann man viel ansinnen, jedoch nicht alles, und es ist überhaupt nicht meine Gewohnheit, ihnen eine Geschichte auf irgendeine Weise lange vorzuenthalten, nicht einmal durch erlaubte Ausschweife.«, und weil ich mich selber in das eigentliche rechte Geschichtwerk zurücksehnte.
Auf diese Weise glaub' ich eine der schwersten Aufgaben eines Geschichtschreibers nicht unglücklich gelöset zu haben, indem der größte Teil der Leser wirklich mit mir bis hieher dicht vor das erste Kapitel gekommen ist. Die wenigen andern Leser, welche sich etwa mit Überspringen aller Vorkapitel sogleich hieher an das erste Kapitel gemacht haben, halt' ich hier vielleicht zeitig genug an und halte ihnen vor, um sie zurückzutreiben, ob sie einem Autor, der ihnen 38 Jahre seines Lebens durch seine Feder schenkte, wohl eine halbe Stunde, einundzwanzig Minuten und zwölf Sekunden abschlagen können; denn wahrlich keinen Deut mehr kann das Lesen der sechs Vorkapitel ihnen kosten, sobald der Rechnung im allgemeinen Anzeiger nicht öffentlich vom Anzeiger selber widersprochen wird, daß ein ordentlicher Mensch, der in sechzehn Sekunden seine gedruckte Oktavseite durchliest, ein ganzes Alphabet von Druckbogen in einer Stunde, zweiundvierzig Minuten und vierundzwanzig Sekunden durchbringen kann.
– Und so mach' ich mich, nachdem ich so glücklich mit Sechsen angekommen bin, vergnügt weiter und arbeite, während der Leser die nächsten zwölf fertigen Kapitel durchgeht, ungestört und gemächlich an den darauffolgenden hinten fort; endlich kommt der Leser aus seinen Kapiteln nach und findet mich in meinen; ein köstliches Leben von allen Seiten! – Und ich gewinne am meisten dabei.
– Damit indes der gute, nie genug zu lobende Leser, der sich durch die bisherigen sechs Vorkapitel-Wochentage durchgeschlagen bis zum Sonntage des ersten Kapitels, sogleich wisse, von welchen Zeiten und Umständen dasselbe zu erzählen anfängt: so soll es ihm hier mitgeteilt werden. Nikolaus ist seit der Zurückkehr aus Leipzig teils um einige Jahre älter geworden, teils um manches Goldstück ärmer (der Diamant ist ohnehin längst fort). Der Prinzengouverneur Peter Worble hat beinahe gar nichts und ist seitdem zwar vielerlei geworden, aber nicht viel. – An Thronbesteigungen denkt vor der Hand kein Mensch, und Gott dankt man schon in der verschuldeten Apotheke, wenn man nur etwas zu beißen anstatt zu beherrschen hat. – Übrigens legte sich Nikolaus, noch bevor er Weisheitzähne hatte, etwas auf den Stein der Weisen .......... Doch genug; sonst erzähl' ich ja beinahe das erste Kapitel, eh' es nur da ist, und mich dünkt, in ihm selber ist immer noch Zeit genug dazu.
Buchbindernachricht nach dem Abdrucke des Vorstehenden, für den Leser
Eben nach einigen Monaten bringt mir die fahrende Post aus Heidelberg die abgedruckten Vorkapitel, und ich sehe mit Erstaunen, daß diese, wenn gar die ernsten Ausschweifungen für die Leserin in die Presse nachgesendet werden, allein einen ganzen ersten Band des Kometen vollmachen, so daß die Kapitel mit der eigentlichen Geschichte, wovon bisher so viel Redens gewesen, erst im zweiten auftreten. Eine sehr verdrießliche Sache für mich, da mir so manches Wink-Reden wäre zu ersparen gewesen, hätte ich den Abdruck der Vorkapitel vorher in Händen gehabt. Auch wird die Leserin leider den ganzen Tempel des Werks nach der Stiftshütte beurteilen. Es gibt nun aber weiter keine Hülfe, als daß ich in der Vorrede, die ich zum Glücke noch zu schreiben habe, die ganze Sache erzähle und jeden darauf vorbereite, daß er den zweiten Band abzuwarten hat. Von der andern Seite aber kommt mir, so viel seh' ich wohl ein, der Zufall des vollmachenden und zweibändigen Abdrucks besser zustatten als die feinsten Maßregeln, die ich selber nur hätte nehmen können, damit die Leserin nicht aus historischem Hunger die Vorkapitel überhüpfe; denn den ganzen ersten Band, den sie vom Bücherverleiher holen läßt, kann sie nicht überspringen, sondern sie muß ihn für ihr Geld so lange lesen, bis sie den zweiten bekommen. – Und so ist alles gut.
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Ernste Ausschweife des sechsten und letzten Vorkapitels sind: Die Wohltäter im Verborgnen – Die Kirchen – Leiden und Freuden – Traum über das All.