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Worin von neuem gesessen wird allen hohen Meistern und dem unzüchtigen Heiligenmaler
Zur rechten frühen Tagzeit kamen die funfzehn Meister in Lukas-Stadt die Treppe hinauf, und ihnen schloß sich als der sechzehnte der unzüchtige Kupferstecher an. Namen wie Tizian, wie Fra Bartolomeo di S. Marco, Rosa, Reni fühlten sich und ihren Nachruhm und einige Unzufriedenheit mit dem Vorruhm der belgischen Vorgänger.
Mit Vergnügen konnte man das fürstliche Zartgefühl bemerken, daß Nikolaus die welsche Schule ganz mit demselben leutseligen Anteil wie die Schule des vorigen Tages behandelte und so dem Neide, soweit es unter Künstlern möglich, vorbaute. So schickte er auch, ehe er und alle sich setzten, wie tags vorher einige kurze Anreden voraus und tat dar: Kunst als solche veredle stets; sie sei kein bloßes Silhouettenbrett des Gesichts oder eine englische Kopiermaschine der Gestalten, sondern eine selber gebärende Madonna – sie solle mehr sein als ein bloßer Planspiegel des Gesichts, den man überall hinhänge, sie solle sein ein erhabner Spiegel, der vergrößere; – das sei eben die große welsche Meisterschule, daß sie sogar ein bloßes Porträt verschönert zu geben wisse, ohne die Ähnlichkeit zu beleidigen. – Man werd' ihn, zumal in diesem Saale, schon verstehen; das heilige ewige Innere so vom Menschen heraus zu malen auf das Gesicht oder Porträt, eigentlich so von dem ganzen Geiste, der sich nicht immer in Taten und Gesichtzügen rege, oder sich doch nur in schlechten zeige, in Farben, Mienen und Blicken, den wahren echten Silberblick zu malen durch das Porträt – – »O meine Künstler, was brauch' ich weiter zu sagen? Beginnen Sie!«
In dieser Anrede scheint Hacencoppen mehr der welschen Schule als sich selber beizufallen und seiner früheren an die belgische fast zu widersprechen; aber er wird uns befriedigen, wenn wir bedenken, daß er die halbe Meinung und manche Wendung vom Hofstallmaler Renovanz her hat, der sich ganz für die italienische Schule geboren glaubte und oft im Pferd-Stalle die Schönheiten derselben – Zuhörern malte mit unendlich feuriger Beredsamkeit. Seine besten Pferde, die in den fürstlichen Ställen zum Nachgebären aufgehängt wurden, und seine kräftigsten Schlacht- oder Prügelstücke setzte er tief unter die Heiligen- und Madonnenbilder herab, die er der Kunstwelt geben wollte.
Jetzo setzten sich nun die sämtlichen Meister in Bewegung und auf die Stühle – ein Tizian, Fra Bartolomeo di S. Marco, ein Da-Vinci, ein Kaufmann (wahrscheinlich Kaufmann Angelika) – vorwärts, nebenwärts, seitwärts, hinterwärts, vor den Spiegeln. Aber hinter ihm und an dem Hauptspiegel saß der Heiligenmaler oder unzüchtige Kupferstecher und fing daraus sein Vollgesicht auf. – Herrlich und ungebunden und im großen freien Stile malten und zeichneten alle – der Nase wurde im Vorbeigehen auf dem Gesichte gedacht, aber jeder Pinsel war ein Jenner, der die Pocken abschaffte; denn man ging allgemein weniger der eignen oder der Hacencoppenschen Nase als der griechischen nach. – Auf der hohen Schneelinie des griechischen Statuenprofils standen sämtliche Künstler und pflanzten da glänzende glatte Schneegestalten und folglich auch seine auf – ihre Farben waren gesunde Abführmittel und Waschwasser, die jede Unreinigkeit und jeden Flecken der Porträthaut so gut vertrieben, daß man nachher schwören wollte, man habe einen andern Kopf vor sich. – Denn dies war eben von jeher das Ausgezeichnete der welschen Schule in Lukas-Stadt und sonst, daß sie das Gesicht, das zu sitzen hatte, zu einem Paradiesvogel machte, dem man zur höhern Schönheit die Füße abschneidet, und an welchem die malerische Beschneidung der Lippen, der Ohren und des Fleisches die Hauptregel war. – Wie die Büsten der Alten, nach Herder, bloß Ideale waren, denen man, so wie es sich gab, einen dazu passenden Namen eines Einzelwesens beilegte – etwa die des Euripides ausgenommen –, so wurde den glatten griechischschönen Porträten, welche die welsche Schule erschuf, allemal der Name der Person gegeben, die eben saß.
Hacencoppen sah aus wie ein Engel, man kannt' ihn kaum.
Und doch bestand dabei wahre Mannigfaltigkeit des Gesichts, jeder Meister tischte ein Bildnis seiner eignen Eigentümlichkeit auf, keiner schrieb oder druckte dem andern diebisch nach, sondern jeder lieferte seinen besondern Hacencoppen; so erbaute sich, wie von selber, ordentlich eine Grafen- oder Fürstenbank von sechzehn Nikolausischen Gesichtern.
Und dennoch siegte eines über alle fünfzehn, nämlich das sechzehnte vom unzüchtigen Kupferstecher oder Heiligenmaler. Der Spiegel, aus welchem er, wie ein Selbermaler, zeichnete, tat gewiß viel Großes dabei. Durch das verdoppelte Entfernen des Urbilds hatte der Kupferstecher schon die halbe ideale Milderung des Kopfes gewonnen, und durch die Kurzsichtigkeit, die er sich durch Stechen zugezogen, erbeutete er die zweite Hälfte. Auf diese Weise war der im Spiegel fast unsichtbare Nikolaus von einem Heiligenmaler, der früher, eh' er stach, selber zwei oder drei heilige Nikolaus gemalt, schon so zu idealisieren und darzustellen, daß Hacencoppen sich kaum mehr gleichsah und sich mehr dem Bilde ähnlich fand, das er sich selber in seiner Kindheit von seinem Namens-Heiligen vorgemalt.
Der unzüchtige Kupferstecher tat oben am Scheitel aus alter Gewohnheit noch eine Art Heiligenschein hinzu und war leicht zu rechtfertigen, hätte auch der Graf nicht schon von Kindheit auf phosphoresziert; der Mann durfte sagen, er sei diesen Halbring oder diese türkisch-christliche Mondsichel von seinen alten Heiligen her gewohnt, und man habe überhaupt diesen Sichelbogen als sein Malerzeichen zu nehmen; daher er dem Putzkamme und Diadem weiblicher Köpfe auf seinen Kupferstichen unwillkürlich sogar etwas von einem dünnen Heiligenschein-Komma anzeichne.
– Aber ihr Leute samt und sonders, was verschlägt es denn überhaupt, wenn der Maler auf seinem Pergament ebensogut Heilige erschafft als der Papst auf dem seinigen, und zwar ebenso leicht durch einen halben oder ganzen Ring über dem Scheitel, nur aber viel wohlfeiler als der Papst und ohne Hunderttausend-Gulden-Zuschüsse aus allen katholischen zweiunddreißig Winden her? – Der Papst schlage nur selber in Spittlers KirchengeschichteB. 2. nach und sehe da, ob nicht jeder Bischof bis in das zehnte Jahrhundert hinein das Recht gehabt und ausgeübt, Heilige in seiner Diözes zu machen und allda verehren zu lassen; ein Recht der Heiligungen, das erst im zwölften Jahrhundert den Bischöfen von Alexander III. verboten wurde, der den heiligen Vater allein für den Heiligen-Vater erklärte. Wenn Päpste in dem einzigen Benediktinerorden Teig zu fünfundfunfzigtausend Heiligen antrafen und ihn auskneteten und ausbuken – das bloße Kloster Kassin lieferte fünftausendfünfhundertundfünfundfunfzigBriefe über das Noviziat. B. 2. –: so können sie sichs wohl gefallen lassen, wenn ein unzüchtiger Kupferstecher zu einer solchen Heiligen-Schar, unter die gewiß mancher Schelm sich eingeschwärzt, auch von seiner Seite ein paar Heilige von nicht besonderer Aufführung anwirbt und sie durch den Ringkragen oder die rote Halsbinde eines Kopfzirkels zur Heerschar enrolliert. Kann es doch auf der Erde der Heiligen kaum zuviel geben, und wenn alle Menschen dergleichen würden, so daß am Ende gar alle bloß sich untereinander selber zu verehren hätten, sogar ein advocatus diaboli den andern: so säh' ich eigentlichen Schaden davon nicht ab; am allerwenigsten für den heiligen Vater selber. Denn diese von seinem Fischerringe über die Köpfe gesiegelten Heiligenringe halten ja seit Jahrhunderten die lange Ruder-Ringkette zusammengereiht, woran er Weltteile festgemacht, und ein paar hundert wunderliche Heilige würden unter so vielen Wunderheiligen weit weniger stören als fruchten. Übrigens wollen wir gar nicht lange darüber reden, ob, wenn ein Konklave von Kardinälen, oft sogar von einigen sündigen darunter, einen Papst, also einen Schöpfer der Heiligen, selber schaffen kann, sogar aus der eignen Mitte heraus, ob, mein' ich, ein unzüchtiger Kupferstecher nicht statt eines heiligen Vaters und Heiligen-Vaters wenigstens einen heiligen Sohn der Kirche erzeugen könne. Die Hauptsache bei allem diesen ist jedoch, zum Grafen zurückzukommen und von ihm zu erzählen.
– Es ist dies aber nicht viel: daß er nämlich mit der herzlichsten Freude die ganze welsche Schule bar bezahlte, erst darauf sie um schleunige Vollendung und Verdopplung ihrer heiligen Werke ersuchte, damit sie noch ihn in die Ausstellung hineinhingen, bevor er abginge, – und daß er, nachdem er die sechzehn Bilder durchflogen, worin jeder etwas anderes von ihm getroffen, bei dem ganzen mehr freundlichen als feindseligen Treffen sich nach den Goldstücken noch mit Worten bedankte. Er verbarg sich nicht, daß er wie die sechzehn Gesichter auf einmal aussähe; nur daß er das von dem Heiligenmaler für das schönste und ähnlichste nehmen mußte.
Wie freilich letztes Bild die fremde Prinzessin erfassen und mit hundert Erinnerungen aus den längst vorübergezogenen Roms-Tagen jetzo im Lenze übersäen werde, wenn es in der Galerie dastehe und die Freundin Amandas mit Freuden davor; nicht einmal zu gedenken, daß sie das Bild wohl gar in den ersten Überraschungen an Amanda selber schicke – dies alles zu erleben, konnte Nikolaus kaum erwarten an dem Tage, wo er den welschen Meistern gesessen.