Jean Paul
Der Komet
Jean Paul

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Siebzehntes Kapitel
in drei Gängen

Wie der Fürst in Lukas-Stadt geachtet wird – und wie er da große Malerschulen findet – und wie er abends spazierengeht – und zuletzt mit dem Stößer spricht

Erster Gang

Die Höflichkeit des römischen Hofs – die niederländischen und die italienischen Meister und Gesichtmaler

Es ist angenehm zu erzählen, mit welcher Untertänigkeit und Höflichkeit der freundliche Papst samt seinem ganzen römischen Hof unsern Fürsten samt Gefolge empfing und aufnahm, und wie alles, was Beine hatte, um Hacencoppen lief und stand, scharrte und rannte. Wäre eine dicke, vom langen Regenwetter ausgehungerte Winkelspinne edel genug, so könnt ich des Wirtes Heranstürzen an den eintretenden Grafen mit dem Herausschießen der Spinne auf eine im Gewebe summende Mücke anschaulich machen. Denn der arme römische Hof hatte seit Jahren keinen Fürsten mehr zu sehen und von ihm Papstmonate abzuschöpfen bekommen, weil er an den früheren Fürsten, wie Juden an deren Münzen, stets zu viel Rand abgefeilt und dieselbe Kreide sogar doppelt gebraucht, womit Bierwirte schlechtes Bier entsäuern, aber die Gäste versäuern.

Endlich sah unser Pabst wieder einen langen Milchner bei seinem Peter-Fischzug in dem Hamen schnalzen, und der Fisch hatte ein ganzes Maul voll Stater. Der Wirt hatte nämlich bei der Polizei, mit welcher er in ewiger Wechselwirkung stand, den ganzen Inhalt des Marggrafischen Passes erforscht und folglich die Sache erfahren, daß Nikolaus sich bloß für einen Grafen ausgebe, aber für einen Fürsten in der Tat ansehe; daher beschloß er, nun ihm keine gräfliche, sondern eine fürstliche Rechnung zu machen, ihn ganz als Fürsten zu behandeln. Und später darf ich auch zu meinem Vergnügen die Rechnung und die Behandlung als Beweise anführen, daß unser Fürst-Apotheker zuerst vom römischen Hofe als Fürst anerkannt worden.

Der Nikolausische Hof besetzte den ganzen Gasthof, Der faule Heinz und die voltaische Säule wurden von einer Bedeckung unter Stoßens Anführung und Trag-Ordres in ein Kabinett des Grafen hinaufgebracht. Die Prinzessin Amanda war der Reisemarschall Worble befehligt, in dem Inkognito ihrer mit rotseidenen Vorhängen umkleideten Standuhr durch eine Sänfte und deren Träger in das schönste Zimmer Marggrafs bringen zu lassen; die nötigen Wachen waren schon an die wichtigsten Türen gestellt.

Sogleich bei dem Eintritt in den römischen Hof mußte Nikolaus bald gewahr werden, wie gut man sein Inkognito durchschaue und in ihm deutlich genug den Fürsten erkenne, so viele Müh' er auch angewandt, für einen bloßen Grafen zu gelten. »Im Gasthofe kann man sich« – sagte er auf der Treppe zum Marschall – »dergleichen schon gefallen lassen, wenn ich nur dabei hoffen darf, daß man am Hofe mein Inkognito anerkennen und mir alle fürstlichen Zeremoniell-Lästigkeiten ersparen wird. Oder glauben Sie etwa das Gegenteil, lieber Marschall, und sagen Sie mir es frei?« – »Der Henker müßte den Hof holen« – versetzte Worble – »es ist aber nicht das Kleinste zu befahren – ein Hof, der sich dergleichen unterfinge, wäre selber noch an keinem Hofe gewesen und legte dadurch am ersten dar, wie sehr es ihm am Wichtigsten fehle, an Zeremoniell, an Hofsitten, an Etikette, an Anstand, an allem.« –

Indes hatte Nikolaus doch von der Dienerschaft des römischen Hofs, von den Aufwärtern, Kellnern, Kleiderausklopfern, Lohnbedienten, eine solche scheue Ehrerbietung auszuhalten, daß er wohl sah, man halte ihn für etwas anderes als einen Grafen. Und darin hatte er auch recht; denn das ehrerbietige Gesinde und Gesindel hatt' es von seinem Herrn erfahren, der hohe Gast sei nicht richtig im Kopfe, und es war daher in der beständigen Angst, er drehe mit der Riesenstärke der Tollen vielleicht einem den Hals ab, der ihn nicht nach seiner fürstlichen Einbildung behandle.

Während Marggraf in seiner langen, von mehr als einem Möbel-Juden aufgeschmückten Zimmergasse zufrieden wandelte und sich endlich zum ersten Male in seinen fürstlichen Appartements antraf, so sagte er zu dem durchlaufenden Stoß: »Jean, siehst du, so sehen Fürstenzimmer wie meine aus. Denke dir aber einmal alle die Kur- und die Fürsten, die Erz- und die Herzoge und Mark- und Grafen auf einmal in corpore hier versammelt, welche vor mir nach und nach diese fürstlichen Appartements bezogen haben, Husar!« – »Diable!« versetzte Jean, »Pracht heißt das! Da müssen die ersten Herren brav geblecht haben, bis der Gastwirt die Sachen so weit hergerichtet. Nu, uns wird er vollends rupfen, hör' ich, und ich möchte meine Federn nicht hergeben – aber Sie sollten als ein vernünftiger Durchlaucht ein Einsehen haben und zu einem solchen Schelm mit seinen ganz unchristlichen Rechnungen sagen: Holla! mein Freund!«

Eben trat Pabst herein, um, wie die Gastwirte pflegen, seinen ersten Gesandtenbesuch bei dem hohen Ankömmling abzustatten. Es ist dem guten Pabste nachzurühmen, daß er von jeher höflich war, immer ein ehrerbietiger Wohllaut und Bückling in Person, der sein Haupt gar nicht genug entblößen konnte und gern drei Mützen aufeinander aufgehabt hätte, um zugleich mehr als eine abzunehmen.

Die Fischer in VenedigJägers Zeitunglexikon. müssen zwar ihre Fische mit unbedecktem Haupte verkaufen, damit der Sonnenstich sie zum Losschlagen für einen wohlfeilern Preis ansporne; aber die, die sich selber stets entblößen und barhaupt darstellen, wollen Fische erst fangen und andere anders entblößen als sich.

Der Gastwirt schlug sogleich auf der Schwelle den Kramladen seiner Neuigkeiten auf, die er für Schmeicheleien hielt; in dieser Hoffnung erzählte er, wie scharmant mit dem Grafen von Hacencoppen zugleich ein lang-ersehnter Erbprinz des Landes eingetreten, und wie der Herr Graf deshalb recht viele Feste mit seiner Gegenwart zu beehren bekommen werde. »Dies ist noch unentschieden«, versetzte Nikolaus. – – Hier wird wohl jeder Leser, der nur einige Stücke und Minuten von Marggrafs so freudiger Verwechslung der Prinzgeburt mit seinem Fürsteneinzug im Kopf behalten, voraussehen, daß Nikolaus die obige Antwort mit der verdrießlichsten Stimme gegeben, die nur zu hören ist. –

Inzwischen tat er gerade das Gegenteil: er gab sie mit der freundlichsten.

Aber es konnte nicht anders sein; einmal war er über den verwechselten Willkomm in einer Entzückung, welche, wie jede Empfindung und wie die Fieber, noch über die Veranlassung hinaus fortdauerte. Auch schloß er ganz richtig so: entweder der Erbprinz langte ganz kurz nach mir an, dann bezog sich ohnehin das meiste auf mich; oder er kam kurz vor mir, dann war man am Hofe – er kenne dergleichen – ordentlich froh, daß die Geburt eines Thronerben einen schönen Ausweg eröffnete, die Feier eines Einzugs und jener Geburt ineinanderfallen zu lassen, ohne im geringsten weder sich selber noch das Inkognito zu kompromittieren. Später versicherte Nikolaus aufrichtig: »Mein Fall war ein ganz anderer als der lächerliche jenes deutschen Fürsten, welcher bei seiner Einfahrt in London die herrliche Gewölb-Erleuchtung jeder Nacht für eine bloß seinetwegen veranstaltete Illumination zu halten beliebte, weil er sich einbildete, die Erleuchtung falle, wie etwa die Feierlichkeit bei meinem Einzuge, zum ersten Male vor.« –

Welcher erfreuliche Stadt- und Reisemorgen mit seinem Glanzblau des Himmels und mit dem Jubelgetobe auf dem Marktplatz! Gegenüber sah den Grafen das weiße Schloß, worin sein neugeborner fürstlicher Vetter lag und schrie, mit den blitzenden Fensteraugen an, und Wagen hinter Wagen rollten ins Schloßtor hinein, um zum Vetter (er überschrie alle Hofleute) Glück zu wünschen. Wer nur auf dem Markte stand, sah in die Schloßfenster und wandte sich um und schauete an die Gasthoffenster hinauf zu ihm. Dem Grafen war eigentlich zu Mute, als führen alle die glückwünschenden Festwagen bei ihm vor und huldigten ihm bestens.

Nun sah er sich doch endlich in der berühmten Kunststadt, wo es statt eines Renovanz tausend Renovanze gab, und wo er zeigen konnte, wie ein Fürst Künste beschützt. In der Tat durfte sich Lukas-Stadt nach dem evangelischen Patron der Maler nennen. – Luxstadt ist daher eine sehr einfältige Verkürzung, wenn die Rede davon ist, wie alles da färbte, pinselte, zeichnete und saß, teils um zu malen, teils um gemalt zu werden, und sogar der Fürst spitzte den Zepter zur Zeichenfeder zu.

Aus den Niederlanden und aus Unter- und Mittelitalien war längst so viel, ja weit mehr verschrieben und abgeholt, als zur niederländischen und italienischen Schule und Galerie eines kleinen Fürsten gehört. Man scheuete keine Opfer und bezahlte gern treue Kopien für ein Urbild und ließ sich aus Holland und Welschland gern Landschaften und Bauerhütten und Menschen und Vieh auf Holz und Leinwand kommen, sobald die Bilder nichts kosteten als alle ihre Urbilder in Natur auf dem Boden. Daher es dem Ländchen oft sehr an Geld und Geldeswert fehlte, weil man, wie bei dem sogenannten Schwenkschießen an einigen Orten der Schütze allezeit das in Natur gewinnt, was er im Gemälde trifft, umgekehrt in jener verlor, was man in diesem bekam; kurz das Ländchen lag gleichsam als das dünne Farbenspektrum um die lebhaftesten Farben her. Daher konnten Stadt und Fürst überzeugt sein, daß ihre jährlichen, fast übervölkerten Kunstausstellungen Werke lieferten, die man etwan in Berlin und in Weimar antraf. Der Stolz auf dieses Neu-Berlin und Neu-Weimar war allgemein; denn er ging bis zum Kerl hinab, welcher zu dem Rahmen seiner Bilder bloß die Galgenpfosten wählte und darin irgendein Urbild in effigie hing, das einzige Gemälde, wobei der Staat etwas gewann. Freilich müssen unter so vielen Malerdutzenden viele Dutzendmaler sein; und in der Tat konnte der Schutz-Evangelist Lukas hier fast in seine Lage in Persien wieder geraten, wo er den Patron der Färber vorstellt. Das Farbengeben wurde ihren Händen so leicht als bei Edelsteinen unsern Köpfen, die wir bloß leicht zu bewegen brauchen, um jene anders zu färben. – Die Wahrheit zu sagen, die Künstler stolzierten wohl, schmierten aber sehr, und mehre aus der niederländischen Schule verdienten weniger Kopisten als Kopien zu sein. – Doch wars wieder auf der andern Seite ausgemacht, daß, wenn in Lukas-Stadt so viele Künstler eigentlich keinen Heller taugten, die meisten auch keinen hatten, sondern sich halfen, wo sie konnten; deshalb litten freilich in dieser schönen Kunststadt viele an der Malerkolik des Hungers – und die Lumpen, welche sonst der Gewändermaler an sein Modell als Studien herumhängt, hatte mancher selber an, wenn er aus dem Spiegel arbeitete – und das niederländische Still-Leben ohne Menschen und Geräteprunk war den lukas-städtischen Niederländern viel schwerer auf der Leinwand als auf der eignen Stubendiele darzustellen.

Zu diesem schwachen, aber treuen Bilde der vortrefflichen Kunststadt – und ich könnte diese noch mehr erheben, wäre sonst der Ort dazu – habe ich mir die schönsten Farben von dem Reisemarschall geben lassen, als er sie dem Fürstapotheker vormalte. »Ich will« – sagte dieser voll größeren Eifers, als Worble erwartete – »den Künsten da schon aufhelfen – welche Malerschulen sind da?« – »Ich glaube wohl ein Paar, die einander entgegen malen«, sagte Worble, der selber nichts Rechts davon verstand. –»So wirds«, versetzte der Graf, »vielleicht eine niederländische und eine italienische sein?« – Zu keiner bessern Stunde als während dieses Gesprächs konnte sich ein langer, an Rock und Gesicht abgeschabter Mensch anmelden und mit der Bitte vorstellen, den Herrn Grafen zu porträtieren. Er suchte sich noch besonders durch die Nachricht zu empfehlen, daß man ihm bloß bei Gelegenheit, z. B. bei dem Essen, unter dem Frisieren, unter dem Rasieren, unter dem Schminken zu sitzen brauche, und setzte dazu, alle vornehmen Gäste des römischen Hofs seien bisher, gottlob! noch mit seinem Pinsel zufrieden gewesen. Es war also, so wie es Gasthofbartscherer gibt, der Gasthofmaler, der das ganze Gesicht der Passagiere, aber im schöneren Sinne abnahm als der Scherer ein Stück davon. »Ich unterstütze die Kunst, wo ich sie nur finde,« sagte Nikolaus, »Sie sollen fünf Louis dafür haben.«

Nach einer halben Stunde trat der Wirt ein und trug vor: die größten niederländischen Maler der Stadt und seine innigsten Freunde, die fast jeden Abend eine Pfeife bei ihm rauchten, die Herren Denner, Zaft-Leeben, Paul Potter und Van Ostade und Dyk, wüßten und wünschten für sich und die Kunst kein größeres Glück als dieses, den Herrn Grafen von Hacencoppen zu malen. – »Himmel! solche berühmte, in allen Galerien ansässige Künstler hegt Ihre glückliche Stadt auf einmal,« versetzte Nikolaus, »Herr Pabst? – Ich erstaune ganz. Wären solchen Heroen der Kunst zehn Louis für mein Bild anständig genug, so säß' ich gern; Künstler aufmuntern, war von jeher mein Bestreben.« – Hier stockte der Wirt ein wenig mit dem Dankerguß und ließ ihn nur tröpfeln, weil ihm zehn Goldstücke für fünf Maler zugleich doch etwas winzig gegen fünf Goldstücke für den einzigen Gasthofporträtierer vorkamen, – bis Nikolaus deutlicher hinzufügte: »Ich wünsche aber noch mehren Künstlern, worunter Ihre Kunststadt ja so manche arme hat, zu sitzen und jedem, besonders dem dürftigen, meine Aufmunterung von zehn Louis zukommen zu lassen.« Da erriet der Wirt seine ganze Fehlrechnung mit Freuden; denn auf den Gedanken, daß der Graf in der Eile und Unwissenheit alle die genannten, aber längst verweseten Künstler, wie, Denner, Potter u. s. w., für noch leibhafte, in Luxstadt angesiedelte angesehen, käme der Henker und kein Pabst. Indes mäßigte dieser doch die freudigen Ausrufzeichen und Handaufhebungen über einen solchen Kunstmäzen, die sonst ohne das Mißverstehen ausgebrochen wären.


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