Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
worin aus Ägypten ausgezogen wird und vorher das gelobte Land aufgepackt und mitgenommen, und darauf ein Bettelzug und ein Kandidat der Theologie erscheinen
Wenn man an der Grenze auf einer Anhöhe stand: wahrlich, schwerlich sah man je einen prächtigern Zug, oder einen seltnern.
Alles fuhr entweder, oder ritt, oder ging; jedoch nach Belieben – ein pfeifender pockengrubiger Vorreiter, welches Worble war, der Reisemarschall – ein herrlicher Leib- und Staatwagen, fast ein halbes niedliches Vorzimmerchen, mit vielem versehen, worin der Fürst Marggraf selber saß, gegenüber der Prinzessin-Braut aus Wachs in ihrer Standuhr – zu beiden Seiten reitend das Regiment Marggraf, aus zwölf teils invaliden, teils angeworbenen braven Haustruppen bestehend, als starke Bedeckung gegen künftige Spitzbuben – dicht hinter dem Staatwagen des Apothekers ein seltsam bedeckter mit dem Stößer, der vor dem aufgepackten faulen Heinze und der voltaischen Säule saß, in Arbeit, und neben ihm der Rezeptuarius mit einem verdrießlichen Gesichte und seiner vollständigen Dreckapotheke im Sitzkasten – ein niedliches Vis-à-vis mit dem Hofmaler Renovanz, gegenübersitzend seinem ätherisch und wächsern gebaueten schönen Bruder, welcher schlief – gleich darauf eine Reisekalesche mit dem Hofprediger – und dann ein schwerer Kutschkasten mit dem Schächter Hoseas, der sein jüdisches Küchengeschirr und einen Bei- und Kochjuden mit hatte – darhinter noch gar ein leerer Zeremonienwagen für künftiges Frauenzimmer – und alles dies vollends geschlossen mit einem Küchen- und Kellerwagen und mit einer Fuhre, worauf manche Eheweiber aus dem Regiment Marggraf hockten .....
Die Pracht schon an sich überstieg alles; aber was war diese gegen die allgemeine Freudigkeit und Bewegung! Hier sprengten einzelne Reiter die Linie herab, um zu decken und zu sehen – dort hielt sich hinten Süptitz an seinen Wagen an, um sich magerer zu laufen – der Fürst steckte aus rechtem und aus linkem Kutschenschlage das aufgeheiterte Gesicht heraus, um zu sehen, ob jedes andere lächle – der Reisemarschall, wie gesagt, pfiff – so mancher vom Regiment stieß in sein Horn – ein paar Pferde wieherten – ein Lenzwind blies – der Rezeptuar schnupfte – Renovanzens Bruder schlief und nickte – und endlich hinter der Reiselinie galoppierten gar zwei Leiterwagen mit Ochsen nach und waren mit Krüppeln, Lumpengesindel und Bettlern geladen.
Letztes veranlaßte den Apotheker, einen Flügeladjutanten an die Leiterwagen, welche, wie es schien, vergeblich nachzurädern suchten, eilig abzuschicken, um sie zu befragen, was sie haben wollten. Einstimmig riefen die Leute vom Wagen herab: sie kämen bloß aus Rom und wollten betteln bei ihm.
Da nämlich die dortige Armen-Negerei viel von Marggrafs Almosen-Ausgüssen gehört, ja früher etwas davon bekommen, aber die so schnelle Abreise eines solchen Allvaters der Weltwaisen nicht vermutet hatte: so hatten sie sich sämtlich zur Miete zwei Ochsenwagen zusammengeschlagen, um etwa der Wolke von Goldregen nachzukommen, um noch im Lande einige Tropfen aufzufangen, ehe sie über die Grenze gezogen war. Der Plan war doch gut.
Kaum hatte der Flügeladjutant die Antwort der Leiterwagenmannschaft überbracht: so befahl der Fürst und Apotheker, auf der Stelle zu halten, damit sie näher heranführe; und es wurd' ihr sehr günstig von weitem zugewinkt. Sie fuhr bei Marggrafs Wagen vor – und er sah nun wirklich auf der Landes-Grenze die letzten Romer, gute vollständige Sansculottes oder politisches Freiheitsein nur aushaltende, nicht ausbreitende Ohnehosen, Ohnestrümpfe, Ohneärmel und Ohnehemden, und was sonst noch zu Kleidern gehört und fehlt. In ziemlicher Ferne konnte man sehen, wie er dem Regimentstabe von Bettelstäben zuwarf und nachwarf – nämlich zu viel; denn ein oder zwei Stelzbeine fielen mühsam auf das lebendige Knie, das sie noch hatten; die Weiber riefen »Herr Jesus« und warfen die Arme in die Höhe, und die Kinder die Ärmchen. Nur einer glaubte bei diesen Konstantinischen Schenkungen, es hätte mehr gegeben werden können; und dies war Marggraf selber, welcher seinen Zorn gegen Rom und das neuliche Verschließen seiner Hand vor Armen ordentlich auf der Grenze abzubüßen suchte.
Indem Worble auf einer Anhöhe vor dem Grenzwirthause hielt, damit alles davor frühstückte, sah er auf der entgegenstehenden Straße einen dürren Jüngling mit offner Brust und fliegendem Haare, und mit einer Schreibtafel in der Hand, singend im Trabe laufen. Der Mensch machte gleichfalls vor dem Wirthause oben halt und schauete unverrückt in das neue Erntefest der Armut hinab. Er sah immer erfreuter aus, und endlich weinte er gar darüber. Dem Reisemarschall gefiel der geistige Teilnehmer an den körperlichen Teilhabern, und er knüpfte ein Gespräch mit der Frage an: »Bleibt wohl schön Wetter, mein Herr?« – »So schön wie die Jahrzeit und der Auftritt unten,« (versetzte der Mensch) – »denn in fünf Minuten weht es.« Als Worble den Kopf schüttelte, bat ihn der Jüngling, versuchsweise von der Morgenwolke gegenüber den Kopf wegzudrehen, nur fünf Minuten lang, und ihn darauf wieder hinzuwenden, so werd' er sie sehr durchlöchert erblicken, zum Zeichen anfangender Auflösung; denn der Mond kulminiere dann eben über Amerika.
Zu Worbles Erstaunen traf alles pünktlich zu; aber es war sehr natürlich, denn der junge Mensch war ein Wetterprophet, wie nachher noch mehr einleuchten wird, und wußte folglich so gut wie ich, daß der Mond täglich viermal mit einer kleinen Wetteränderung, und wär' es Verdünnung des Gewölks oder neuer anderer Wind, seine Bahn bezeichne, nämlich erstens bei seinem Aufgange, zweitens bei seinem Untergange, drittens bei seiner Vollhöhe (Kulmination) über uns und viertens bei der andern über Amerika.
Worble sah als Reisemarschall auf der Stelle ein, daß ein echter Wetterprophet unter allen Stücken eines vollständigen Reisegepäcks das nötigste sei; und ohne sein schmeichelhaftes Erstaunen zu verbergen, befragte er den Propheten um den Namen. »Wer soll ich anders sein« – versetzte der Prophet –»als der Kandidat Richter aus Hof im Voigtlande?«
Meine Leser werden erstaunen, der Kandidat war demnach niemand anders als – ich selber, der ich hier sitze und schreibe. Denn kaum hatte Worble den Namen gehört, so fiel er dem Kandidaten um den nackten Hals à la Hamlet und begrüßte ihn als den trefflichen Verfasser der Auswahl aus des Teufels Papieren, dessen versteckten Namen er in Gera von dem Verleger Beckmann erfahren hatte und der eben, wie jetzo bekannt, der meinige ist. Der Verleger brauchte schon damals kein Geheimnis aus meinem Namen zu machen, weil mein Buch selber eines blieb und zu Makulatur wurde, wenigstens zu einer erfrorenen Scheinleiche, welche erst durch das Erwärmen von den spätern lebendigen Geschwistern wieder die Augen aufschlug.
Der Reisemarschall holte den Kandidaten, der seine Freude über einen dritten oder vierten Leser seines Buchs kaum weitläuftig genug auszusprechen wußte, mit Mühe aus, ob er eine Lustreise auf Kosten des Herrn Marggrafen Nikolaus mitzumachen Lust in sich spüre; er versprach ihm, da Durchlaucht ohnehin noch keinen großen Schriftsteller und keinen eigentlichen Wetterkundigen von Profession in ihrer Suite besäßen, ihm die Stelle auf der Stelle zu verschaffen, sobald nur der Fürst vor der Kneipe halte und den Pferden zu saufen geben lasse. – Wer bekam bei diesen Worten statt eines Veilchen am Wege einen ganzen Vorleglöffel voll Veilchensyrup in die Hand? wer anders als der arme Kandidat Richter, der auf einmal, nachdem er so viele Jahre in Hof unter Kaufleuten und Juristen mit seinem aufgedeckten Halse und langem Flatterhaare bestäubt und unscheinbar hingeschlichen, sich im Gefolge und Pfauenrade eines Fürsten als einen langen Glanzkiel sollte mit aufgerichtet sehen, in täglichem engsten Verkehr mit lauter Hofleuten, nach deren Bekanntschaft er schon damals hungerte und durstete, um später endlich Werke wie einen Hesperus, einen Titan u. dergl. der Welt zu liefern, Werke, die sie ja gegenwärtig hat und schätzt und worin eben Höfe treu und täuschend aufzutreten hatten!
Der Apotheker hielt an und stieg aus – der Reisemarschall stellte den Kandidaten ihm vor – der Fürst sah ihn scharf an, aber unendlich mild – der Marschall hob Richters Talent, sowohl im Schreiben als im Prophezeien, sehr heraus – kaum aber war nur Worbles halbe Bittschrift zu Ende: so wurde vom Fürsten dem Kandidaten der Theologie aus Hof die Bestallung zum Prophetenamt mündlich zugefertigt mit allen Nutznießungen und Privilegien des Amts, wie solche auch immer Namen haben mochten.
– Was den Freudenkehraus oder Lustpolterabend in des Kandidaten Gehirnkammern anlangt, so war solcher so laut und verworren, daß mir darüber alle die witzigen Verschrobenheiten ganz entfallen sind, womit der junge Mensch dem Fürsten seinen Dank darbringen wollte, weil er es damals für seine gesellige Pflicht ansah, jeden Satz zu einem kurzen, scharfen, blanken, dünnen Gegensatz auszuschleifen. Wer es freilich wußte, wie der Kandidat in Hof, gleich faulem Holze, gedrückt und zerdrückt, doch nicht auszulöschen war, sondern zerkrümelt und unter manchem Wasser fortleuchtete: der mußte, wenn er nur halb so gutmütig dachte wie er, ihm den glänzenden Glückwechsel so gönnen wie ich. Desto schöner ist, was er selber einige Stunden später dem Reisemarschall auf die Frage, ob ihn die jetzige, wie es scheine, fliegende Himmelfahrt nach der vorigen Fegfeuerfahrt nicht vielleicht zum Schwindeln und Herausfallen aus seinem Poetengange und gradus ad Parnassum bringe, entschieden zur Antwort gab: »Herr Reisemarschall! Nicht den Dichter acht' ich am meisten, welcher im Unglück, sondern jenen, der im Glück und in der Muße treu der Muse bleibt. Der gar zu gewöhnliche Mensch und Schreiber, Herr von Worble, ist ein Wind, der nicht eher als in zerfallenen Gemäuern und Engen sich hören läßt, obwohl auch da nicht sonderlich; hingegen der rechte Dichter und Mensch ist ein Ton, der sich an keinem äußern Widerstand erst erzeugt, sondern sich nur verdoppelt, zu einem schönen Echo.« Was denn auch der Kandidat redlich gehalten bis jetzo, wo er den Gesandtschaftrat-Titel hat und Jahrgehalt und immer noch fortschreibt, als hätt' er keinen Kreuzer im Vermögen. –
– – – Leider ist nur hier schon der zweite Band zu Ende; aber freilich, wie sehr ich wünschte, ich hätte lieber den dritten fertig und schlösse ihn hier, kann ich kaum sagen. Denn wenn ich mich so auf die mosaische Anhöhe dieses unseres historischen Kanaans stelle und hineinschaue und sehe, welche Begebenheiten im künftigen Bande herankommen – und welche Länder sich ausbreiten teils mit Milch und Honig, teils mit Schwefelmilch und Weinsteinrahm und Sauerhonig – wenn ich nur betrachte, was schon die beiden vorigen Bände für Bruttafeln und Wespennester und Heckkästen und Treib- und Gebärhäuser von Menschen und Sachen gebauet, welche alle im Frühling des dritten Bandes lebendig herausfahren und summen und sausen und brausen müssen, unter andern Renovanzens Bruder und der Kandidat Richter und die Hofnärrin Libette und Marggrafs Hofhaltungen und Haus- und Hofsuchungen in den verschiedenen Städten, und die Städte dazu und der Zuchthausprediger mit seinen seltenen Leiden und Sätzen – und wenn doch dies alles gar nichts und nur Bettel ist gegen die neuen Leute, welche aufstehen und zum Gefolge stoßen, wovon der ewige Jude allein schon jede Erwartung und mehr als ein Kapitel erfüllen kann – ja wenn sogar wieder schöne Heckkästen und Treib- und Gebärhäuser für noch spätere Bände zum größten Reize des dritten ausgezimmert und angestrichen werden: so sollt' es mich nicht zu sehr wundern, wenn mancher Leser noch lieber sein eignes Ende erlebte als das Ende dieses Bandes, da zumal das eine gerade einen Himmel aufmacht, das andere aber einen verschiebt.
Aber erst in der Michaelismesse 1821 fährt der dritte Band oder Himmel auf Frachtwagen in hohen Ballen nach Leipzig. Ein kleiner, wenn auch schwacher Vorschmack wär' es freilich, wenn ich hier die Moralien, die sich aus einigen künftigen Kapiteln ziehen lassen, geben wollte. Ich will es gern, da es leicht und kurz zu machen ist, weil jede Moral stets kürzer ausfällt als die Fabel oder Geschichte vorher. Aus dem 17ten Kapitel folgt die Moral: die Hebel der Jahrhunderte und Völker sind benützte Augenblicke; nur durch das Drehen des Minutenzeigers kannst du unschädlich den Stundenzeiger bewegen. – Aus dem 18ten Kapitel fließt diese: sei ein Ja oder Nein, aber kein Dazwischen; weder der lange Bart des Mönchs und des Juden, noch das balbierte Kinn fallen verdrießlich ins Auge, sondern nur der wochenlang stehendgebliebne Bart eines Taglöhners oder Gefangnen. – Aus dem 20ten fließt diese. ihr Staat- und Geschäftmänner, sehet doch die Philosophie und Poesie, welche kein kameralistisches Gewicht aufzeigen, darum nicht für unwichtig, sondern gerade für die geistigen Imponderabilien an, welche den körperlichen gleichen, die, wie z. B. das unwägbare Feuer, Licht, Anziehen und Abstoßen, allein erst das Gewichtige und Körperliche zusammensetzen und zersetzen und beherrschen. – Aus dem 27ten: tragt doch nicht, ihr gesetzten steifen ritterlichen Menschen, auch an den Pantoffeln Sporen – und ihr feurigen, spannt dem Leichenwagen keine Hengste vor. – Aus dreien nahen Kapiteln fließt diese: das Volk ist ein gerader Stamm, aber alle Späne, in welche ihn die Staats-Drechsler teilen, krümmen sich. –
Und endlich aus dem letzten Kapitel: »Ende gut, alles gut, mithin auch der Anfang.«