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Der Ledermann – die Bildergalerie
Der Nachtwandler – der Wohlfahrtausschuß – Schloßwachen
Wenn ein Mann in einem fort von Morgen bis Abend mit Lob erhoben wird, sowohl von den andern als von sich – wenn er die besten Aussichten auf Thronen und Prinzessinnen genießt – wenn er mit seinem Gesichte 32mal in die Gemäldeausstellung hineinkommt, ja selber mit seinem eignen dreiunddreißigsten darin nachzukommen vorhat, so sollte wohl jeder denken: was kann ihm fehlen, dem Manne? Aber doch sumste und sauste und schnurrte dem Grafen mitten in den Lustgängen seines Paradieses eine fatale Hornisse ins Gesicht, die sich jeden Augenblick darauf setzen konnte; – und dies war der sogenannte ewige Jude in Lukas-Stadt. Wir wollen hier nicht lange fromme und einfältige Betrachtungen darüber anstellen, daß auch die Hohen der Welt ihre Plagen haben und Menschen bleiben, und daß sogar für Thronen trotz ihrer Höhe noch Schlaglawinen auf den Gebirgen der Zukunft bereitliegen; sondern wir wollen uns lieber gleich erinnern, daß Nikolaus von der mit Affenleder überzogenen Gestalt, die ihn im Nebel gleichsam angeredet, besonders aufgeregt worden. In den Wellen seiner einmal bewegten Phantasie brach und verzog sich dann die Gestalt immer unförmlicher, und daß sie vollends Nasenspitze und Ohren bewegen konnte, war ihm schrecklicher, als säh' er einen Löwen mit dem Schwanze oder eine Schlange mit der Zunge wedeln. Am fünften Morgen nach dem Einzuge brachte der tiefdenkende Stoß die Schreckenpost, der ewige Jude habe in der Nacht Nikolopel in Brand stecken wollen und sei auf den italienischen Dächern mit einer breiten Mordbrennerfackel umherspähend gesehen, aber durch das Hinaufblasen des Nachtwächters gestört und hinabgezogen worden.
Der Fürst, als Landesvater seiner Residenzstadt und seiner Residenzstädter, wollte eiligst Eilboten dahin beordern, als sich der dicke Schlotfeger melden ließ, der, sofort vorgelassen, mit einem verfaulten Brett eintrat. Er sei – berichtete er – nachts draußen in der Stadt gewesen und habe zu seiner Lust waldhornieret; da sei der Ledermensch mit dem faulen Holze, das er oben auf den Häusern wie eine Fackel herumgeschwungen, auf einmal vor ihm gestanden und habe ihm dasselbe als einen Brief an den Herrn Grafen zum Überreichen übergeben; und es sei wahrscheinlich ein altes Sargbrett aus dem benachbarten Kirchhofe, wie aus der angestrichenen Farbe und aus den noch leserlichen Wörtern: »denn ich bin Herr und sonst keiner« zu ersehen.
Wiewohl jetzo Stoßens ganze Mordbrennerei zu einem phosphoreszierenden Faul- und Sargbrett erlosch, und das ganze Gerücht auf einen Dachwandler einlief, welchen ein Lippen-Waldhorn statt eines Nachtwächterhornes herabgetrieben: so wurde dem Grafen das Wesen gerade durch die abenteuerliche Knotenlösung noch schauerlicher. Er ließ den in der Stadtgeschichte unfehlbaren Pabst vorrufen, um Licht zu bekommen. Dieser schenkte ihm so viel reinen Wein, als er hatte, ein: der Ledermann – dies war stadtkundig, dem Wirt zufolge – blieb jedem ein Wundertier, besonders da er (Tausend sind Zeugen) von nichts lebte, ausgenommen von der Luft, und niemal einen Bissen oder Tropfen zu sich nähme oder sonst natürliche Bedürfnisse verriete; und doch ergriff' er die stärksten Männer mit Riesenmuskeln, wäre aber durch ein einziges Wort von einer Frau zu bändigen, weil er für das weibliche Geschlecht ebensoviel Zuneigung äußerte als für das männliche Haß. »In dieser Woche aber« – bemerkte Pabst – »sei er ganz besonders des Teufels lebendig; er marschiere mehr als sonst auf den Dächern herum, und sogar schon aus dem Schornstein des römischen Hofes hab' er dreimal herausgeguckt. In dergleichen Paroxysmen gerate er aber jedesmal, vorzüglich wenn große Herren in der Stadt eintreffen, die er sämtlich nicht ausstehen will, weil er allein der regierende Fürst der Welt in seiner ganz erbärmlichen Narrheit zu sein denkt; aber nach der Stärke seines jetzigen Unwesens müsse er fast urteilen, daß ihn mehr als ein einziger, bloß durch die Geburt angekommener Fürst in Hitze setze.« – –
Hacencoppen verstand recht gut die feine Anspielung auf seinen Rang. Der Stößer aber fing Feuer bei dem Schornstein des Gasthofs, aus dem das Ledergespenst dreimal geschaut; und er fluchte mehre Mon-dieus und Au-diables ins Zimmer hinein, um augenscheinlich zu machen: der Drache rutsche gewiß wohl in der nächsten Nacht den Rauchfang herunter aufs Kamin und erdrossele am Ende den Herrn, der Seibeiuns! »Sacre,« sagt' er, »es ist ein höllischer Hexenmeister, so wahrhaft, als ich mit meinen zwei Füßen dastehe. Da muß aber der Herr Wirt alle Abende einen Besen ins Kamin legen, so kann er nicht darüber weg.« – Stoß steift sich nämlich auf einen bekannten Paragraphen der Rockenphilosophie, daß eine Hexe über keinen in den Weg gelegten Besen schreiten kann, ohne ohnmächtig zu werden; ein freidenkender Paragraph, der denselben Besen, welcher das Zauber-Reitpferd ist, zum spanischen Reiter und Schlagbaum der Hexen macht.
Der ehrerbietige Pabst schlug in allem Scherze vor, statt des Besens den Kaminfeger selber in den Kamin zu legen, da er doch draußen in der Residenz Nikolopolis aus Mangel an Feuermauern nichts zu fegen habe, hier unten aber im Kamin mit seinem Fett ganz bequem im Hinterhalt liegen könne, um den Nachtwandler zu empfangen, wenn er oben vom Rauchfange herunterkomme.
Der Fürst resolvierte auf alles vor der Hand nichts als die wichtige Frage: warum man den Wahnsinnigen frei umlaufen lasse, da er sogar in das Schloß zum Fürsten dringen könne? Aber der Wirt erklärte: »dem sei schon durch Befehle an die Wache vorgebaut; – auch brauche Herr Graf von Hacencoppen« – setzte der Wirt nach einigem Nachsinnen hinzu –-»bloß unten am Tor ein paar Mann Wache hinzustellen, die diesen Fürsten der Welt, wie der ewige Jude sich nenne, nicht einlasse, da er ohnehin im Hotel nichts zu suchen habe.« – »Natürlich,« – fügte Stoß, aber nicht als Satiriker, bei – »da das Gespenst nichts braucht und bloß die Gäste vertreibt.«
Diplomatiker haben gewiß ohne mein Erinnern oben wahrgenommen, daß der Fürst, gleichsam als hab' er einen heiligen Bund mit andern Fürsten geschlossen, nicht ohne ein Beispiel des lukasstädtischen zur Wehre oder zum Kriege greifen wollte, nämlich zur Türsteller-Wache am römischen Hofe und zur Wegelagerung des Schlotfegers im Kamin. Er genehmigte aber vor der Hand weder einen Türsteher noch die Kamin-Wegelagerung des Waldhornisten. Doch konnt' er kaum die Mittagtafel erwarten, um den seltsamen Nebelstern durch seine Fernröhre, d. h. durch seine Gelehrten, zu beschauen und näher an sich heranzuziehen, und sollte das Gestirn sich ihm zuletzt in einen bedenklichen Schwanzstern verlängern. Manche Menschen können den Gedanken nicht ertragen, einen ordentlichen Feind zu haben, nicht aus Furcht, sondern aus Unbehaglichkeit des Herzens; – und vollends jetzo ein Graf von Hacencoppen, der von einem warmen Meere der Liebe ins andere schwamm! Ein Feind war ihm, als stieß' er sich darin an eine Eisinsel.
Aber er merkte bald, daß die Frist bis zur Mittagtafel, da er erst spät, nämlich mit dem Hofe speiste, zu einer halben Ewigkeit werde. Wenigstens der Hofbankier und Schächter Hoseas mußte eilig erscheinen, der als zeitlicher Jude wahrscheinlich auf den ewigen gestoßen. Er kam in der Hoffnung angerannt, etwas Besseres, nämlich einen Diamanten statt eines Juden zu taxieren. Allein er wog dem Grafen auf seiner Goldwaage, die zu einer Hexen- und Fleischwaage wurde, den Ledermenschen nicht einmal als vollötigen Israeliten vor, sondern als einen Juden-Antichristen; denn er erzählte, der Mensch könne gar keine Juden leiden, sondern nenne sie alle Habel oder Abel, die er sämtlich zu erschlagen wünsche, so wie er, nach seinem Glauben, als Kain den ersten Habel totgemacht; auch die Christen nenn' er seine Habels.
Der Vorsänger Hoseas machte nun mit Flehen dem Grafen Fürsorge für sein teures Leben zur Pflicht und fügte zur Verstärkung hinzu: seitdem er dies und anderes wisse, weich' er selber dem Tollhäusler, den leider die Polizei nicht einfange, ob er gleich Fremden nachsetze, straßenlang aus; denn als Jude überbot Hoseas den Löwen an Mut, welcher so sehr gepriesene Tierkönig (nach Sparrmann und Naturgeschichtschreibern) nur im Hunger angreift und kämpft, aber feige davonläuft, wenn er sich satt gefressen; indes Hoseas gerade dann am tapfersten sich wehrt, wann er sich völlig gefüllt mit Geld und Geldes-Wert. –
Jetzo wurde dem Grafen die Zeit zum Mittagessen noch länger, ob sie gleich etwas kürzer geworden. Der Reisemarschall wurde einberufen. Dieser stattete folgenden Bericht ab: »Mein Gönner ist der Lederne eben nicht; wenigstens wünscht er mich zu vergiften. Er versicherte mich erst gestern, bei einer gewissen Diskrepanz unter uns, wahrhaft offen: er sehe sich schon lange, aber vergeblich nach einer langen frischen Viper um, damit er mir solche, indem er sie ohne Schaden am Schwanze fasse und herabhängen lasse, so geschickt ins Gesicht schleudere, daß sie mit einem tödlichen Imbisse mich ausreute und abtue; denn er trage nicht umsonst eine Schlange auf der Stirn als Kain-Zeichen! Seinen langen Knittel-Zepter – so tauft er ihn – hebt er schon von weitem, wenn er mich sieht, als einen Türklopfer oder Stundenhammer in die Höhe, um das Schlagwerk an meinem Glockenkopfe anzubringen. Aber ich ziehe jedesmal, wann er seine Aufziehbrücke als Fallbrücke herablassen will, um mit mir zu kommunizieren, da zieh' ich von fernen in die Luft mit allen meinen Fingerspitzen bloß mehre Linien langsam herab und gehe damit wieder seitwärts hinauf – Sofort kann er seinen Zepter-Prügel nicht mehr aufrecht halten, sondern läßt ihn sinken; seine Augenlider senken sich wie zum Schlafe, und sein Gesicht fängt ordentlich zu welken an, und er läuft fort. Wahrscheinlich magnetisier' ich ihn von weitem; denn sonst, glaub' ich, hätte mich dieser etwas verspätete Kain wohl durch seinen Schäferstab oder Zauberknittel in seinen Abel verwandelt.« –
Der Graf fragte verwundert, womit er denn das seltsame Wesen so sehr gegen sich aufgebracht. »Gnädigster Herr!« versetzte Worble, »bloß durch Liebe, nicht gegen den Kerl, sondern gegen die guten Weiber. Er nennt alle Weiber Hevas oder Heven, Even, und sich die redliche Schlange, die ihnen den Apfel und die Erkenntnis des Bösen und Guten zu geben hat. Die Mannspersonen aber erklärt das Geschöpf sämtlich für Schelme, darunter aber mich für einen großen. O! Gnädigster, mich! – als hätt' ich nicht dasselbe auf dem Baume vor wie er und säße droben, um sie auf ihre Selberbeschauung und Blättertoilette zu bringen. Der Lederne affektiert nämlich eine besondere Hochachtung für Weiber – ein Blick, ein Laut bezähmt ihn – und will darum Leute nicht dulden, die sich nur kleine Weinproben von ihnen nehmen, aber deshalb nicht das ganze Faß heiraten wollen. Bloß den Höfer Kandidaten Richter läßt er laufen; aber auf mich und meinen Kopf soll die Inklination seiner langen Magnetnadel fallen, wie die Russen den Stock auf die Weiber fallen lassen, für welche sie besondere eheliche Liebe tragen.« –
Jetzo wär' es gar nicht möglich gewesen, daß dem von Hacencoppen die von neuem abgekürzte Eßfrist nicht wieder zu lang geworden wäre. – Es wurde schnell zu Süptitz geschickt.
Aber der Hofprediger war in Nikolopolis und wurde erst zur Tafelzeit erwartet.
Gegen seine Gewohnheit erschien er viel später als sonst und brachte ein ganzes Gesicht voll Wogen mit, die sogleich noch jäher gegeneinander zu laufen anfingen, als Nikolaus seine Frage nach dem Ledermenschen tat; denn von diesem kam er eben her. Er erzählte: er sei in Nikolopolis in sein niedliches Zimmerchen, das er bei Liebenau genossen, zum Vergnügen der Wiedererinnerung gegangen, als sich auf einmal der ewige Jude mit seinem langen Stocke vor die Türe gestellt und ihn nicht wieder hinausgelassen. »Zum Fenster hinaus«, sagte er, »ließ mich meine Dicke nicht springen, und zu erschreien war im ganzen Städtchen kein Christ. Die Haupt-Fluchtröhre, die man in solchen Gefahren sich vor Tollen, als Jäger zu reden, graben muß, ist nun die, daß man nach ihrer eignen Idee spricht und handelt, als habe man selber ihre Tollheit, was bei einiger Philosophie, nach Cicero, nicht schwer wird. ›Bester Mensch!‹ fing ich an.
›Du Habel,‹ unterbrach er mich, ›ich bin keiner. Mein Vater, der Fürst der Welt, ließ sich herab und erzeugte mich als Schlange mit Heva, und sie nannte mich, als einen Göttersohn, Kain und sagte: ich habe den Mann, den Herren. (1. B. Mos. K. 4. V. 1.) Siehst du nicht die Schlange auf meiner Stirn als Geschlechtwappen? Darauf fiel meine Mutter und vermischte sich mit dem bloßen Menschen Adam und gebar den ersten Habel, den ich auf dem Felde totgeschlagen, weil er ein paar von meinen Untertanen und Tieren umgebracht und verbrannt zu Opfern. Denn ich habe als Fürst der Welt die Herrschaft über die Tiere, so wie über euch Habels. Hab' ich unrecht, Habel, du eingebildeter Hofprediger eines eingebildeten Fürsten?‹
Ich versetzte diesem eingebildeten Fürsten der Welt: ›Bester Kain, ganz unbekannt ist mir deine Behauptung nicht; schon im Dictionnaire von Bayle und in den biblischen Diskursen von Saurin wurde der Glaube mehrer Rabbinen angeführt, daß Eva zuerst mit der sogenannten Schlange in ein ganz vertrauliches Verhältnis geraten; und in Michaelis' orientalischer BibliothekErst. Teil. S. 52. steht schon längst die Meinung des Engländers Pye angeführt, aber nicht widersprochen, daß eine Schlange auf der Stirn das Zeichen Kains gewesen. Aber wie kann es denn bei solchen Umständen kommen, daß man, bester Kain, vom dummen Volke der ewige Jude genannt wird?‹
›Was,‹ – rief er – ›bin ichs denn nicht, eingebildeter Hofprediger eines eingebildeten Fürsten? – Bin ich etwa seit Habels Tod gestorben? In euerem alten Buche steht schon, daß ich siebenmal gerochen werden soll, und daß ich meine Zeichen der Unverletzbarkeit trage; aber, eingebildeter Hofprediger, wo steht denn in euerem alten Buche, daß ich je gestorben bin? War ich nicht in tausend Schlachten und habe hunderttausend Habels totgeschlagen, und mein Wappen war meine Unsterblichkeit?! – Antworte auf der Stelle, eingebildeter Hofprediger!‹