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1. Die arabische Periode
Sizilien war das erste Land Europas, welches die Sarazenen überfielen, nachdem die arabische Herrschaft sich über die Nordküsten Afrikas ausgebreitet hatte. Seit dem siebenten Jahrhundert wurde die Insel von ihnen angegriffen; sie kamen von Asien, darin von Afrika, von Candia und von Spanien, planlos herumschwärmende Korsaren. Aber erst im Jahre 827 faßten sie den bestimmten Plan der Eroberung.
Michele Amari hat in seiner Geschichte der Muselmanen in Sizilien mit umsichtiger Kritik die Tatsachen der arabischen Invasion aus allen vorhandenen Quellen klar wiederhergestellt. Diese sind bei den Italienern die Chronik des Johann Diaconus von Neapel (850), der Anonymus Salernitanus (gegen das Ende des zehnten Jahrhunderts); bei den Byzantinern der Chronograph Konstantin Porphyrogenitus und dessen Nachfolger; bei den Arabern Ibn-el-Athir, Nowairi und Ibn Khaldun. Es war in Sizilien, welches unter der byzantinischen Herrschaft schwer zu leiden hatte, eine militärische Revolution ausgebrochen; der General Eufemius hatte sich erhoben, die Insel von Konstantinopel loszureißen. Aber die nichtsizilischen Truppen schlugen sich wieder zu Byzanz und zwangen den Rebellen, sich nach Afrika in die Arme der Aghlabiten zu werfen. So wurde der Sizilianer aus Haß und persönlicher Rachlust zum Verräter an seiner Religion und seinem Vaterlande.
Er machte in Kairewan Ziadet-Allah den Vorschlag, ein Heer nach der Insel zu senden, welche mit Hilfe der empörten Sizilianer leicht zu erobern sei. Er selber begehrte für sich den kaiserlichen Titel. Die Stimmen in Kairewan waren geteilt, da viele die Unternehmung für zu gewagt hielten. Doch Ased-ben-Forad, der siebzigjährige Kadi der Stadt, berühmt und gefeiert als Rechtsgelehrter, bestimmte den Herrscher zur Unternehmung und übernahm selbst den Oberbefehl. Araber, Berber, flüchtige spanische Sarazenen, Perser und die Blüte Afrikas, segelten am 13. Juni 827 auf 70 bis 100 Barken aus dem Hafen von Susa aus, nicht stärker als 700 Pferde und 10 000 Fußsoldaten. Sie landeten am 17. Juni bei Mazzara. Den General Palata schlugen sie in einer blutigen Schlacht, während welcher Ased, wie einst Mohammed und Ali, in verzücktem Gebete lag, das Kapitel des Korans Ja-Sin betend. Bald darauf marschierten die Sarazenen gegen Syrakus; sie schlugen ihr Lager in gewissen Höhlen um die Stadt her auf, wie der arabische Geschichtschreiber sagt, das heißt in den berühmten Latomien. Ein Jahr lagen sie vor Syrakus, aber die Griechen hielten sich tapfer, ermutigt auch durch die Hilfe, die der Doge von Venedig, Giustiniano Partecipazio, zugesagt hatte. Die Sarazenen wurden durch die Pest dezimiert wie alle Heere, die einst vor Syrakus lagen, zumal die der Karthager und der Athener. Auch Ased-ben-Forad starb an der Krankheit im Jahre 828.
Das sarazenische Heer wählte Mohamed-ibn-el-Gewari zum Anführer, zog aber endlich entmutigt ab, und in kaum besserer Verfassung, als einst Nikias von Syrakus abgezogen war, auch in derselben Richtung, aber mit minderer Energie verfolgt.
Gleichwohl setzten sie sich, von Eufemius geführt, in Minoa fest, und durch neue Zuzüge verstärkt, eroberten sie Agrigent. Panormus fiel im Jahr 831. Von den Mohammedanern Bulirma genannt, erhielt diese Stadt seither den Namen Palermo. Hier schlug Ibrahim-ibn-Abdallah-ibn-el-Aglab, erster Wali, das heißt Statthalter von Sizilien, seine Residenz auf. Unter seinem Nachfolger geriet auch Castro Giovanni, das alte Enna, in die Hände der Sarazenen. Noch aber widerstanden Syrakus und Taormina, bis die erstere nach heldenmütigem Widerstande fiel. Was uns von dieser Belagerung erzählt wird, erinnert an den Heroismus der alten Syrakusaner zur Zeit des Nikias und Marcellus. Alle Speise war aufgezehrt worden; man fristete sein Leben mit zerstampften Knochen und mit Leichen; man hoffte immer auf Entsatz durch den Kaiser Basilius, der seinen Flottenadmiral Adrian der Stadt zur Hilfe geschickt hatte.
Wie groß noch damals die Ehrfurcht vor dem alten Syrakus war, zeigt eine merkwürdige Sage: Während Adrian im Peloponnes an der Küste von Elis untätig zögerte, kamen eines Tages Hirten zu ihm und meldeten, die Dämonen in den Sümpfen hätten ihnen angezeigt, daß am morgenden Tage Syrakus fallen werde. Die Hirten führten den General selbst an den bezeichneten Ort, und wirklich ließen sich Stimmen hören, die den Untergang der alten Hellenenstadt verkündeten. Und so geschah es, daß Syrakus zur angesagten Zeit fiel, am 21. Mai 878. Die Sarazenen drangen in die Stadt, mordeten die Einwohner mit grausamer Wut, plünderten die Häuser und verbrannten sie. Aus der unermeßlichen Beute kann geschlossen werden, daß Syrakus auch in der byzantinischen Epoche durch Handel wieder aufgeblüht war.
Wir haben aus dieser Zeit ein schätzbares Dokument, den Brief des Mönchs Theodosius an den Archidiakonus Leo, worin er die Belagerung und seine und des Erzbischofs Gefangennahme beschreibt. Nachdem die Stadt gefallen und der größte Teil der Einwohner getötet war, schleppten die Sarazenen den Schreiber des Briefs und den Erzbischof nach Palermo vor den Groß-Emir. Sobald die Heiden mit ihrer Beute in Palermo erschienen, eilte man ihnen mit Siegesgesang entgegen; es schien alles Volk des Islam, so sagt der Mönch, zusammengeströmt vom Aufgang der Sonne und vom Untergang, vom Norden und vom Meer. Die Gefangenen wurden vor den Emir geführt, der auf dem Boden saß und in seiner tyrannischen Gewalt sich sehr behagte. Der Moslem machte dem Erzbischof Vorwürfe, daß die Christen Mohammed schmähten, und dieser antwortete ihm mit der Entschlossenheit eines Märtyrers. Beide Geistliche wurden in den Kerker geworfen, aus welchem eben dieser Brief geschrieben ist.
Am 1. August 901 ergab sich auch Taormina, und seither war ganz Sizilien der Herrschaft des Halbmonds unterworfen.
Als die Insel unter die Sarazenen gefallen war, empfing sie mohammedanische Gesetze, arabische Sprache, arabische Sitte. Von Sizilien, welches Rom bereits vier Päpste gegeben hatte (Agathon im Jahre 679, Leo II. 682, Sergius 687 und Stephan III. im Jahre 768), drohte das Christentum verschwinden zu wollen; indes die Araber traten nicht fanatisch auf, obwohl sie sich hie und da bemühten, die Sizilianer mohammedanisch zu machen. Abulfeda erzählt, Achmed, Gouverneur der Insel (im Jahr 959), habe dreißig edle Sizilianer mit sich nach Afrika geführt und sie gezwungen, zum Islam überzutreten. Viele Kirchen und Klöster zerfielen, viele Gemeinden gingen ein, andere erkauften sich durch Tribut Duldung und behaupteten mitten in der arabischen Herrschaft standhaft das Christentum. Als die Normannen nach Sizilien kamen, leisteten ihnen die Christen im Val Demone und im Val di Mazzara tätige Hilfe; in Palermo gab es sogar einen griechischen Bischof Nikodemus, der in der Kirche des heiligen Ciriacus sein Amt verrichtete.
Die Herrschaft der Araber war übrigens nach der Natur dieses Volkes unruhig und viel bewegt und wie nach außen durch Kriege mit den Griechen von Byzanz und von Kalabrien stürmisch, so innerlich durch Faktionen verworren, endlich durch wiederholte Aufstände der sizilischen Städte Syrakus, Agrigent, Himera, Lentini, Taormina gefährdet. Solange nun die Aghlabiten von Kairewan herrschten, wurde die Insel von ihren Walis regiert, als aber jene Dynastie durch die Fatimiden im Anfang des 10. Jahrhunderts unterging und das Kalifat von Tunis mit dem von Ägypten vereinigt ward, wurde auch Sizilien eine ägyptische Provinz. Dies geschah nicht ohne blutige Kämpfe der früheren und der neuen Besitzer dieser schönen Insel.
Die Herrschaft der Fatimiden war die glücklichste Periode Siziliens unter dem Joch der Mohammedaner. Die Insel wurde zu einem eigenen, von Ägypten abhängigen Emirat erhoben, welches seinen Sitz in Palermo nahm. Hassan ben Ali war der erste fatimidische Emir im Jahre 948; und schon um 969 wurde Sizilien ein in seinem Hause erbliches Emirat. Seine Weisheit wird ebenso gepriesen wie seine Kraft; er unterdrückte alle inneren Parteien und gab dem Lande Ruhe, so daß er nicht allein dort sicher herrschte, sondern auch Kalabrien und Italien bis nach Rom hinauf schreckte. Vergebens ermannte sich der griechische Kaiser Konstantin Porphyrogenitus zu einer Unternehmung; sein Heer ward geschlagen, seine Flotte vernichtet. Auch Hassans Nachfolger Abul Kasem Ali ängstigte Italien mit Streifzügen, und kaum entging der Kaiser Otto II. dem Tod oder der Gefangenschaft von ihren Händen. Von der Beute, welche die Araber fortdauernd nach Sizilien schleppten, wurden die Städte reich, und immer neue Scharen kamen von Afrika herüber, die Insel zu bevölkern. Gleich dem maurischen Spanien begann sie aufzublühen.
Glücklich war auch Jussuffs Regierung (990-998) und die Giafars im Anfange des 11. Jahrhunderts, ferner die Herrschaft Al Achals, seines Nachfolgers. Etwa achtzig Jahre dauerte dieser geordnete Zustand, bis die Verwirrungen in Afrika auch Sizilien ergriffen und endlich in viele kleine Sektenherrschaften zerspalteten, wodurch der Untergang des arabischen Inselreiches herbeigeführt wurde.
Hassan Samsan Eddaula war der letzte Emir von ganz Sizilien. Gegen ihn hatte sich der eigene Bruder Abu Kaab erhoben und ihn im Jahre 1036 nach Ägypten verjagt. In einzelnen Städten hatten sich arabische Despoten aufgeworfen, und andere Emire von Afrika benützten die Verwirrung, um sich zu Herrschern zu machen. Dies war der günstige Zeitpunkt, die Araber zu verdrängen. Der Kaiser Michael der Paphlagonier sandte also den tapfern Georg Maniaces mit einem Heer nach Sizilien. Aber nicht diesem gelang die Eroberung, sondern den Normannen, und erst im Jahre 1072.
Wir sehen übrigens, daß der Charakter der arabischen Herrschaft in Sizilien ein weit anderer war als jener des maurischen Reichs von Spanien. Beide Länder, die gesegnetsten von Südeuropa, waren von afrikanischen Arabern erobert worden, aber unter sehr verschiedenen Verhältnissen. Die Mauren in Spanien zerstörten ein mächtiges, christliches Reich, welches ein wohlgeordnetes Regierungs- und Verwaltungssystem besaß. Sie mußten deshalb ein gleiches an die Stelle setzen. Ihre Herrschaft, aus dem Kalifat der Omajaden hervorgegangen, stellte sich den Abassiden in Asien als rechtmäßig und orthodox entgegen; ihr wiederum trat das Christentum mit heroischer Ritterlichkeit gegenüber und zwang sie durch diesen Gegensatz zur doppelten Energie. Endlich war Spanien ein großes und reiches Land.
Anders war die Stellung der Araber in Sizilien. Sie zerstörten dort keine große, einheimische Macht, sie verdrängten nur die elenden und barbarisch gewordenen Griechen von Byzanz; die Unterjochung wurde ihnen leicht, und was sie eroberten, waren herabgekommene Städte. Ferner war ihre Herrschaft aus einer Sekte oder Provinzialdynastie hervorgegangen, entbehrte also aller derjenigen Kraft, welche ein großer Ursprung verleiht. Das Christentum endlich trat in keinen Gegensatz zu ihr, denn es fiel sogleich zusammen, weil der Umfang Siziliens zu klein war, die Berge der Insel keine Stellung gaben wie die Pyrenäen.
Während demnach die Mauren in Spanien zu einer ganz Europa verdunkelnden Herrlichkeit emporblühten, während sie ihr neues Reich durch schöne Denkmäler der Baukunst und durch eine große wissenschaftliche Kultur zu einer europäischen Epoche erheben und sich selbst 700 Jahre lang behaupten konnten, kamen die Araber Siziliens in zweihundertjähriger Dauer ihres Reiches eigentlich nicht über den tumultuarischen Zustand einer flüchtigen Besetzung hinaus. Trotz der heutigen Sizilianer, die auf die Periode ihrer arabischen Unterjochung mit einem gewissen romantischen Behagen zurückblicken, darf man behaupten, daß jenes Reich des Großemirs von Sizilien den afrikanischen Raubstaaten nicht unähnlich gewesen sei.
Die Sarazenen waren indes nicht rohe Barbaren. Sie nahmen allen Anteil an der gemeinschaftlichen Kultur des Orients, die sich mit reißender Schnelligkeit entwickelt hatte. Die Poesie, die Künste, die Wissenschaften des Morgenlandes verpflanzten sie auf den altdorischen Boden Siziliens. Die heutige Literaturgeschichte der Insel hat auch sizilische Araber in den Katalog ihrer Schriftsteller aufgenommen, wie ihn Amari zusammenstellt. Aber wir würden mit Freuden alle diese Versekünstler mit ihren pomphaften Namen für die eine arabische Geschichte Siziliens des Ibn Katta dahingehen, die verlorenging, und für solchen Ersatz selbst auf den Diwan des Ibn Hamids von Syrakus verzichten.
Wichtiger jedoch und das einzig übriggebliebene Denkmal vom Leben der Araber in Sizilien ist ihre Baukunst gewesen. Kairewan, von wo sie herüberkamen, war schon berühmt wegen seiner von Akbar im 7. Jahrhundert gegründeten Moschee und wird als Hauptsitz des Kalifats jener Gegenden an glänzenden Gebäuden reich gewesen sein. Von dort brachten die Araber Sinn und Geschmack für schöne Architektur mit sich; aber sie errichteten auf der Insel keine so großen Bauwerke wie die Mauren in Spanien. Wir wissen von keiner prächtigen Moschee, und selbst von dem Alkassar der Emire von Palermo, dem spätern Normannen- und Schwabenschlosse, läßt sich nicht mehr mit Gewißheit sagen, wieviel den arabischen Herrschern davon zuzuschreiben sei. Palermo war vor allen andern Städten durch Luxus und Reichtum blühend und ein ganz orientalischer, üppiger Herrschersitz geworden; dort und in andern Städten bauten die Araber ihre Kaufhallen und ihre Gartenschlösser, von der entzückenden Natur dazu eingeladen, welcher zum Reiz orientalischer Märchenwelt nichts mangelt, weder die wunderbare Schönheit des Himmels und des Meers, noch die schwelgerische Pracht der Vegetation.
In der Blütezeit der arabischen Herrschaft unter der Regierung Hassan ben Alis und Kasems, von denen ausdrücklich gesagt wird, daß sie viele Städte und Schlösser bauten, mußte sich die Insel mit maurischen Architekturen erfüllen. Kein Gegensatz konnte größer sein, als dieser des graziösen und phantastischen Stils des Orients zu dem ernsten und majestätischen Charakter der dorischen Tempel Siziliens.
Der Baustil der Mauren drang auch in die folgenden Perioden ein; er dauerte wie ihre Schrift und Sprache im Gebrauch selbst der Normannen und Schwaben, welche vielfach die arabischen Formen beibehielten. Indem nun die Architektur der Sarazenen sich mit der byzantinisch-romanischen verschmolz, erzeugte sich der gemischte Stil, den man den arabisch-normannischen nennt. An ihm allein oder an dem bleibenden Einfluß des arabischen Charakters kann man erkennen, wie viele und prächtige Gebäude die Mauren in Sizilien müssen aufgeführt haben. Aber alle jene Schlösser der Emire, über deren Pracht der Normannenfürst Roger in Erstaunen geriet, hat die Zeit zerstört, und von den arabischen Architekturen zweier Jahrhunderte steht heute wenig mehr aufrecht als die Cuba und die Zisa, zwei Lustschlösser bei Palermo, die sich mit Sicherheit als Sarazenenbauten erkennen lassen, wenn sie auch spätere Restaurationen und selbst teilweise Erweiterungen erfuhren.