Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Die öffentlichen Monumente von Florenz

1856

Ich will in diesen Blättern eine Anschauung der öffentlichen Bildwerke der Florentiner Skulptur geben, also nicht von den Antiken reden, welche, dem Zusammenhang ihrer Welt entrückt, in die Museen verschlossen sind. Die Kunst soll aber fürs Volk sein, nicht für den Gelehrten und den Luxusmenschen allein. So war sie es im Altertum und größtenteils auch in der Zeit ihrer mittelalterlichen Blüte, während sie sich in unsern Tagen immer mehr und mehr sowohl dem volkstümlichen Verständnis als dem öffentlichen Leben überhaupt entzogen hat.

In Florenz scheint die Kunst noch ein überraschend demokratisches Wesen bewahrt zu haben, sowohl was die Öffentlichkeit ihrer Werke als ihren geschichtlichen Zusammenhang mit Stadt und Volk selber betrifft.

Florenz: Palazzo del Podesta, Bargello

 Florenz: Palazzo del Podesta, Bargello 

Eine große Menge von Bildsäulen ist auf Plätzen oder in Kirchen aufgestellt, und mögen sie nun von größerem oder geringerem Wert sein, ihre Beziehung auf das Volk ist lebendig, anregend und erfreulich. In der Loggia dei Lanzi lagert sich das Volk in der Morgenfrische oder in der Abendkühle unangefochten unter den Statuen, welche dort aufgestellt sind. Musik erschallt dort an den Festtagen, die Loge wird erleuchtet, Kinder tanzen ungestört um die Gruppe des Ajax und des Patroklus und unter dem Perseus des Benvenuto Cellini oder der Judith des Donatello. Mitten in dem Raume aber, welchen die Uffizien umschließen und wo in den Pfeilernischen die Porträtfiguren der großen Florentiner und Toskaner stehen, lärmt das Volksleben vom Morgen bis zum Abend. Man pflegt dort die Lotterie zu verspielen, welche viele tausend Menschen herbeilockt. Zu den Füßen der Bildsäulen Machiavellis, Dantes, Boccaccios haben sich die Straßenbuchhändler aufgestellt, und indem sie die Werke jener Männer feilbieten, möchte es scheinen, als sähe man ihre Verfasser Anteil nehmen an den modernen Menschen, die ihre hundertfach aufgelegten Schriften zu suchen kommen. So dem Volk als Eigentum hingegeben, wie diese und andere Werke der Kunst auf Straßen und Plätzen, sind auch die Denkmäler der großen Florentiner in den Kirchen.

Die Geschicklichkeit der meisten Bildsäulen aber setzt sie in ein ererbtes und fortdauerndes Verhältnis zu den Bürgern. Der Florentiner sieht in ihnen die reiche und große Vergangenheit seiner einst freien Stadt verkörpert und hat diese gleichsam wie eine marmorne Chronik vor Augen – ein großer Vorzug, der die Wirkung der Bildwerke unendlich erhöht, sollten sie auch weit unter den Forderungen stehen, die man an die Kunst machen wird. Denn es ist wahr, viele jener Bildsäulen sind sehr mittelmäßig, aber wer von den Männern und Zeiten weiß, welche in jenen Denksteinen vorgestellt sind, wird Florenz glücklich preisen und den Reichtum seiner Genies bestaunen. Und selbst, wo die Statuen keinen eigentlich monumentalen Charakter haben, wie die Kolossalfiguren vor dem Palazzo Vecchio und wie jene in der Loggia des Orcagna, sind sie doch wenigstens Denkmäler jener Zeiten, in welchen die bildenden Künste durch das florentinische Volk erneuert wurden.

Stellt man sich vor den Palazzo Vecchio, den originellen Bau des Arnolfo, von einer schweren und echt mittelalterlichen Architektur, und betrachtet man die vor ihm stehenden Statuen, den David Michelangelos, die Gruppe des Herkules und des Cacus von Baccio Bandinelli, und das zur Seite aufgestellte große Brunnenwerk des Ammanati, so erscheinen diese auf dem schwärzlichen Hintergrunde des Palastes hell hervorleuchtenden Marmorfiguren wie die Künste selbst, welche aus dem barbarischen Mittelalter siegreich herausschreiten.

Die Statuen auf dem Platze des Großherzogs, vor dem alten Palast und in der Loge des Orcagna, vom Blick mit einem Male zusammengefaßt, sobald man aus dem Korso tritt, machen ein freilich wunderlich zusammengesetztes Ganzes, von historischem, von mythologischem und von biblischem Charakter. Man erkennt, daß sie weniger die Geschichte des Bürgers als die des Herrschers über den Bürger geschaffen hat. Es ist die Geschichte der Mediceer, an welche sie erinnern. Diese reichen Bankiers, Tyrannen, wie so viele andere kleine Fürsten Italiens, manchen an Geistesgaben weit untergeordnet, allen aber an Glück und an politischer Kunst überlegen, aus Vorliebe wie aus Ehrgeiz und kluger Berechnung den Künsten und Wissenschaften eifrig zugetan, wie die Este, die Gonzaga, die Herren von Urbino, von Verona und von Mailand, hatten den unberechenbaren Vorteil für sich, daß sie Florentiner waren und eine Stadt beherrschten, in welcher die bildenden und redenden Künste schon seit dem 13. Jahrhundert in Blüte standen. Zeit, Ort, Reichtum, Herrscherglück und der allgemeine nationale Sinn machten aus den Medici die Kunstfürsten Italiens. Ihre Schandtaten und die sittliche Barbarei dieses Hauses hat die Kunst verbrämt, wenigstens vor den Augen der Menge, welche die Geschichtsbücher der mediceischen Herrschaft nicht kennt.

Seit dem 15. Jahrhundert wurde jene Dynastie der Mittelpunkt des Kunstlebens in Toskana, und davon nun gibt jene Piazza Granducale eine bildliche Anschauung. Denn ihre großen Gebäude, meist von der mächtigen Demokratie der Florentiner geschaffen, wie der alte Palast und Orcagnas Loge, sind dann jenen zu Fürsten erhobenen Kaufleuten von Florenz dienstbar geworden und fürstlich von ihnen umgewandelt. Hier gruppieren sich also wie auf das Geheiß der Medici die bildenden Künste, beherrscht von dem altertümlichen Palazzo Vecchio. Zu seinen Füßen stehen die schon genannten Statuen, mit dem Palaste selbst sind durch herübergeschlagene Bogen die Uffizien verbunden, welche die Schätze der Malerei und Bildhauerkunst enthalten; und seitwärts steht vor ihm die Loggia, welche mit ihren Gruppen und antiken Bildsäulen ganz einem kleinen Museum gleicht, das kunstliebende Herrscher sich gesammelt haben – nur daß es ein offenes Museum auf der Straße und nicht ein abgesperrtes Kabinett ist.

Den ersten Blick ziehen nun die drei nebeneinander gestellten Kolossalfiguren auf sich: der Herkules und Cacus, die Figur des David, und wiederum ein kolossaler Neptun als Brunnenfigur – im vortrefflichen Größenverhältnis zu dem Bau des alten Palastes. Als architekturbelebende Gestalten und im ganzen gesehen erfreuen sie durch Würde des Charakters und stimmen wohl zu dem düstern Ernst des alten Gemeindehauses von Florenz. Sie durchbrechen seine finsteren Massen, welche ohne jene Statuen den Sinnen schwerfallen würden. Sie passen also äußerlich und architektonisch sehr gut, sonst stehen sie, einzeln für sich und in ihrem Gedanken betrachtet, in keinem entschiedenen Verhältnis zum Palaste. Oder man müßte in den Herkules, welcher den Riesen Cacus erschlägt, jenen Sinn hineinlegen wollen, daß er die Fürstengewalt bedeuten solle, welche die rohe Volkskraft bändigt, und man müßte ferner in dem Hirten David das Sinnbild des Königtums erkennen wollen. So meint Vasari sehr geschroben, daß der Gedanke Davids sein solle: wie David sein Volk verteidigt und mit Gerechtigkeit regiert habe, so solle auch derjenige, welcher diese Stadt regiere, sie mutig verteidigen und sie gerecht regieren.

Michelangelo: David

Michelangelo: David

Den David haben nun aber wunderlicherweise zwei Heidengötter in die Mitte genommen, zu seiner Linken nämlich Neptun mit dem ganzen Gefolge von Meerwesen, zu seiner Rechten Herkules. In dieser Gesellschaft, woran man schon die zufällige Zusammenstellung der Figuren erkennt, befindet der alttestamentliche König sich sehr unheimlich. Jene bezeichnen die elementarische Naturkraft und die über die rohe Natur siegende Mannesgewalt; David ist ein Hirtenknabe. Zwar soll er als Goliathbezwinger gedacht sein, aber der Goliath fehlt, und der Knabe selbst ist wider die traditionelle Vorstellung in ein riesiges Körpermaß vergrößert. Denkt man sich nun zu diesem Riesenjüngling den Goliath, so müßte dessen Gestalt mindestens die Maße der Bibel haben und so groß werden wie Johanns von Bologna Figur des Apennin im Park von Pratolino. Ohne Zweifel hätte sich eine Statue des Riesen Simson an Davids Stelle mit dem Neptun und mit dem Herkules trefflich vereinigt. Übrigens ist die Zusammenstellung des Psalmenkönigs mit Neptun und Herkules für die moderne Skulptur sehr bezeichnend, welche biblische, christliche und heidnische Gestalten, zumal in Rom, verbunden hat.

Michelangelo arbeitete den David in seiner Jugend, im Jahre 1501, aus einem Block von karrarischem Marmor, welchen Simon von Fiesole lange vor ihm und machtlos zu einem Riesen verhauen hatte. Der junge Bildhauer bewältigte den Block mit der ihm eigenen ungestümen und waghalsigen Kraft und schuf daraus den David, und so trägt diese Figur, obwohl nicht vollkommen schön, doch den erhabenen und feierlichen Ausdruck des Genies.

Dagegen ist Herkules, welcher den Cacus erschlägt, eine mittelmäßige Gruppe des Baccio Bandinelli, ohne großen und edlen Stil. Die Leiber sind wulstig und unschön, das Ganze barock, wie so manche Werke aus jener Zeit, die sich dem Manierierten zuneigte. Als Michelangelo, mit welchem Bandinelli in der Bildhauerkunst zu wetteifern sich unterfing, wider Willen des Tyrannen Alexander von Medici Florenz verlassen hatte, war dieser darob so erzürnt, daß er neben dem David diesen Herkules aufstellen ließ. Das geistreiche Volk aber legte darauf dem Cacus die Worte in den Mund:

Ercole non mi dar, che i tuoi vitelli
Ti renderò con tutto il tuo bestiame,
Ma il bue l' ha avuto Baccio Bandinelli.

Nicht schlag' mich Herkules, denn deine Kälber
Geb ich zurück und all dein Vieh; doch nur
Der Ochs gebührt dem Bandinelli selber.

Wir betrachten nun das große Brunnenwerk des Ammanati, welches in gleicher Linie mit jenen Figuren, aber nicht mehr vor dem Palazzo Vecchio, sondern schon auf dem Platze selbst aufgestellt ist. Bartolomeo Ammanati war ein Schüler des Baccio Bandinelli und des Jacopo Sansovino. Sein Werk ist ausgezeichnet durch Umfang und durch Reichtum seiner phantastischen Verzierungen. Aus einem Kreise von bronzenen Meergöttern erhebt sich der kolossale Neptun. Vier Seepferde ziehen seinen Wagen. Die Figur selbst ist aus weißem Marmor, von gut herausstrebender Kraft, und hat bei weitem mehr Ausdruck als der Herkules des Bandinelli. Im übrigen ist das ganze Brunnenwerk stark barock, aber das verzeiht man ihm und mag es sogar gut leiden, weil sich mit Fontänen das Phantastische recht wohl verträgt, und weil die reiche Verzierung eher als der Ausdruck die Hauptsache ist. Das Ganze wirkt im Verein so vieler Figuren recht lebendig und ist wirklich eine Zierde des Platzes.

Auf derselben Stelle, auf welcher jetzt der große Brunnen steht, war es, daß man Savonarola am Galgen verbrannte. Jedesmal am 23. Mai, an dem Jahrestage seines Todes, kam das Florentiner Volk auf diesen Platz gezogen und bestreute die verhängnisvolle Stelle mit Blumen. Dem zu wehren und das Mal eines dem Hause Medici feindlichen Andenkens hinwegzutilgen, ließ Cosmus I. jenes Brunnenwerk errichten. So sagten mir die Dominikaner von San Marco. Der Wassergott sollte also eigentlich jenes Feuer löschen; aber wenn auch Ammanatis Neptun aus seiner Urne ein ganzes Mittelmeer entströmen ließe, er würde doch die Flammen jenes Scheiterhaufens nicht löschen. Sie brennen in der Geschichte fort, wie die des Huß und Hieronymus, und sie sind die Pietra mala von Florenz. Cosmus I. sitzt seitwärts von jenem Brunnen zu Pferde, eine der besten Statuen des Johann von Bologna aus dem Jahre 1594. Das Piedestal trägt bronzene Reliefs, welche die wichtigsten Szenen seines Fürstenlebens darstellen, seinen Triumphes-Einzug nach der Besitzergreifung der Republik Siena, die so heldenmütig und größer als Florenz gefallen war, seine Erhebung zum Großherzog und seine Bestätigung durch den Papst. Vermißt wird unter den Reliefs freilich die Tragödie des Don Garcia, Sohnes von Cosmus, angeblichen Mörders seines Bruders, des Kardinals Giovanni, der in den Maremmen plötzlichen Todes starb. Hierauf ward er das Schlachtopfer seines rasenden Vaters, von welchem er vor den Augen seiner flehenden Mutter Eleonore mit dem Degen soll durchstoßen worden sein, worauf nach zwölf Tagen Eleonore starb. Alfieri hat als Tragödienschreiber daran geglaubt, Geschichtschreiber bejahen und verneinen, die Fama beweist nach vorangegangenen Taten das Mögliche als das Wahrscheinliche. Dies ist derselbe unglückliche und energische Cosmus, Sohn des Giovanni delle bande nere, welchem die Florentiner, nach der Ermordung des Ungeheuers Alexander Medici durch seinen Vetter, nicht mehr imstande, die Republiken zu ordnen, die Signorie gaben. Es geschah auf den Rat des Geschichtschreibers Guicciardini, des abgesagten Feindes der Volksherrschaft. Cosmus machte der Republik Florenz für immer ein Ende; ihn erhob der Kaiser Karl zum Herzog, nachdem er ihm zum Weibe gegeben hatte jene unglückliche Eleonore, die Tochter des großen Pietro da Toledo, Vizekönigs von Neapel. Der kräftigen Persönlichkeit des ersten Herzogs von Florenz entspricht das Monument, dessen Haltung gut und edel ist. Die Inschrift lobt ihn, wie Denkmäler zu loben pflegen.

Den Mediceern sind indes nur wenige Monumente auf öffentlichen Plätzen errichtet. Ferdinands I. Reiterstatue steht auf dem schönen Platz dell' Annunziata, eine nicht ausgezeichnete Arbeit des Johann von Bologna. Außerdem erhebt sich auf dem Platz San Lorenzo ein Denkmal jenes schon genannten Giovanni Medici, des tapferen gran diavolo oder delle bande nere. Bis zum Jahre 1850 war es nur ein Piedestal mit einigen Reliefs des Baccio Bandinelli, seither hat man den Helden selbst daraufgesetzt in sitzender Haltung, einen Lanzenstumpf gegen das Knie gestemmt; die Figur aber ist unschön und gänzlich geistlos.

Doch haben uns Ferdinand I. und Johann von den schwarzen Banden vom großherzoglichen Platz entfernt; wir müssen dorthin zurückkehren, um die Loge des Orcagna genauer zu betrachten.


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