Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Man atmet hier unwillkürlich Geist des Mittelalters, dessen mystischen Charakter jene Verse so völlig aussprechen. Und in Wahrheit, ich glaubte in das geheimnisvolle Wesen jener merkwürdigen Zeiten tief versenkt zu sein, als ich aus der Galerie in die erste kleine Kirche trat und mich plötzlich in einem kleinen Dom mit reizender gotischer Säulenarchitektur befand, und von Wänden und Decke das Gewirr bunter, hie und da schon geschwärzter Fresken herabschimmerte. Unsichtbare Mönche im Chor sangen eben die Vesper; ihre kraftvollen Baßstimmen schallten feierlich und gemessen durch das Dämmerdunkel der Kirche, und die Pausen ihrer Litaneien wurden durch das heisere Gekrächz von Raben ausgefüllt. Denn drei junge Raben ernährt man hier im Klosterhof zum Andenken an S. Benedikt, und es scheint, daß die Zahl dieser lebendigen Symbole des Ordens nicht überschritten wird.

Eine Beschreibung des Klosters, welches durch seine Gemälde berühmt ist, zu geben, ist schwer. Der kleinen Tempel und Kapellen sind viele von labyrinthischer Anlage, weil diese sich dem Bau der Felsenhöhlen anbequemt. Sie sind teils in und aus den Grotten selber erbaut, deren nacktes Gestein bisweilen sichtbar wird, teils hat man sie an die Felsenwand angelehnt, und man steigt daher von einer Kirche in die andere auf Stufen hinab und glaubt sich in den wunderlichsten Bergkatakomben zu befinden, welche, mit Farben überladen, von Altarkerzen funkeln. Es gibt aber der Gemälde unzählige, denn man sieht keine Decke oder Wandfläche in diesen Krypten, die nicht mit Fresken verziert wäre. Sie stellen das Leben und die Wunder Benedikts dar, beziehen sich auf die Geschichte des Klosters und enthalten Szenen aus dem Leben anderer Heiliger oder allegorische Darstellungen. Die Geschichte des Mönchtums hat im Leben Benedikts ihr Heldenepos aufgestellt, und es liegt den romanischen Rittersagen völlig parallel. Nicht blutig und grell wie die Legenden der Märtyrer des mit dem Heidentum kämpfenden Christentums, sondern von einer milden Phantasie durchdrungen, durch Zeit und klassische Lokale bedeutend und anziehend, entfaltet es einen großen Reichtum von angenehmen Bildern. Ich finde sogar, daß die Wunder Benedikts mehr Poesie haben als die meisten anderen Taten der Heiligen. Die Liebe zwischen Bruder und Schwester mildert den rauhen Egoismus eines weltabgeschiedenen Einsiedlerlebens; sie stellt sich schön und religiös in Benedikt und Scholastica dar, und ihre Abenteuer, Einsamkeit, Wanderung über die Berge, Zerstörung alter Heidentempel, der Bau von Klöstern bieten reichen Wechsel dar. An den Meister schließen sich ebenso schön die Jünger, vor allem Placidus, der Apostel Siziliens, und Maurus, der Apostel Frankreichs, und sie leiten die Phantasie aus der engen Anachoretenwildnis wieder in eine bedeutende geschichtliche Ferne. Es eignete sich daher Benedikts Leben sehr wohl zu malerischer Behandlung; und so hat diese große Romanze des Mönchtums (sie wirkte wohl auf die Poesien vom Gral und vom Titurel ein) hier in Subiaco ihre klassische Darstellung gefunden.

Ganz Latium hat nichts aufzuweisen, was jenen Gemälden gleichkäme, außer in gewissem Betracht die Malerei in der Krypte des Doms zu Anagni. Für die Geschichte der Kunst ist ihr Studium von Nutzen, weil diese Fresken verschiedenen Stilen angehören: dem strengen Byzantinismus, der Zeit Cimabues und Giottos und dem 15. wie dem 16. Jahrhundert. Ich werde nur Einzelnes und Bedeutenderes herausheben.

Die erste kleine Kirche im gotischen Stil, nach einer dortigen Inschrift vom Abt Johann V. um 1116 ausgebaut, wurde von Johann VI. um das Jahr 1220 mit Fresken geschmückt. Sie bedecken im eigentlichen Sinn des Worts die Wände, Malereien, deren ursprünglicher Charakter leider sehr gelitten hat. Obwohl sie hart und in der Zeichnung ungeschickt sind, zeigen sie doch ein auffallend frisches Leben naiver epischer Volkskraft des Chronikenstils in der Malerei, wenn man diesen Ausdruck gestatten will. Zur Rechten und Linken stellen sie in ungeteilter Zusammenstellung viele Szenen aus dem Leben Christi dar, darunter seinen Einzug in Jerusalem, ein Gemälde von sehr figurenreicher Komposition, ferner seine Leiden und die Begebenheiten nach seinem Tode. Sie sind zum Teil gänzlich geschwärzt, doch glücklicherweise durch Restauration viel weniger verdorben als die Gemälde, welche sich auf S. Benedikt beziehen. Unter diesen stellt ihn eins vor, wie er sich in den Dornen wälzt, die lockende Phantasie eines schönen Weibes aus Rom zu verscheuchen, und in einem anderen sieht man ihn in der Grotte die Regel schreiben und liest dabei dies alte leoninische Tetrastichon:

Hic mons est pinguis, multis claruit signis,
A Domino missus sanctus fuit Benedictus,
Mansit in cripta, fuit hic nova Regula scripta.
Quisquis amas Christum talem sortire Magistrum.

Dieser Berg ist behaglich, er glänzt durch vielerlei Zeichen,
Wurde Sankt Benedikt doch von dem Herrn gesandt.
In der Höhle blieb er und schrieb hier die Regel, die neue.
Du, der du Christus liebst, wähle zum Meister dir ihn
.

Es schließt diese Vorkirche eine kleine Tribüne, die durch das nackte Gewölbe des Felsens gebildet wird; vor ihr stehen, als am Ende des Kirchenschiffes, drei Spitzbogen auf den zierlichsten Säulen, gleichsam den Triumphbogen bildend, dessen Lunette die Porträts der Eltern Benedikts, des Probus und der Abundantia, zieren. Dahinter ein kleiner Altar samt Tabernakel, die einzige alexandrinische Arbeit, die ich im ganzen Kloster fand, wo das Musiv im Widerspruch zu jener Zeit von der Freskomalerei völlig verdrängt worden ist.

Eine Reihe von sehr kleinen Kapellen führt sodann in das tiefer gelegene Innere; sie bilden einen kurzen und schmalen Gang, gleichsam das Querschiff der Kirche. Auch hier sind alle Wände mit Gemälden bedeckt; aber leider hat man sie vor kurzem so schonungslos restauriert, daß sie ganz grell und bunt heraustreten. Es sind Einzelbilder oder kleinere Kompositionen. Man sieht Benedikt mit seiner Schwester speisen, den Tod dieser Heiligen, den Tod des Placidus und des Maurus. Auch findet man dort einen antiken Kindersarkophag, welchen anmutige Reliefs von Vögeln umgeben, über einer kleinen Säule als Wasserbecken aufgestellt.

Eine Treppe führt in die besonders merkwürdige Unter- oder Mittelkirche. Auch hier sind alle Wände mit Gemälden bedeckt, und einige Inschriften haben uns sowohl Epoche als Namen der Maler aufbewahrt. Man liest in gotischen Charakteren: «Magister Conxolus pinxit hoc opus»; anderswo: «Stamatico Greco Pictor perfecit A. D. MCCCCLXXXIX.» Conxolus malte am Anfang des 13. Jahrhunderts, also noch vor Cimabue, und ehe sich die italienische Malerei von dem typischen Charakter des byzantinischen Stils lossagte. Vielleicht war er derselbe Maler, welcher die Vorhalle von S. Lorenzo vor Rom unter Honorius III. mit Wandgemälden schmückte; denn beide Arbeiten, sowohl in Subiaco als in Rom, gehören derselben Zeit und Art an. Conxolus' Gemälde, und es rühren wohl die meisten Fresken in jenem Kloster von ihm her, haben noch die griechische Manier, aber keineswegs in ihrer ganzen Strenge und steifen Magerkeit. Man findet unter ihnen ganz vortreffliche Gestalten von edlen Formen und einer Einfachheit der Gewänder, die ans Antike streift. Jedenfalls ist dieser alte Meister, dessen Name (von κομψός?) einen Griechen zu verraten scheint, von Bedeutung, und vielleicht malte er, wie die Cosmaten, seine Namensverwandten (κοσμήτης) und Zeitgenossen, meißelten, so in Rom wie in Subiaco und in der Krypta des Doms von Anagni.

Es gibt in jener Unterkirche von Subiaco Gemälde der verschiedensten Vorstellung; die meisten indes beziehen sich auf die Geschichte des Klosters. Unter der Treppe sieht man z. B. den Papst Innocenz III. dem Abt Johann VI. ein Diplom überreichen und Gregor I., welcher dem Abt Honoratus die Schenkungsurkunde einhändigt. Auf das Leben Benedikts beziehen sich mehrere: eins, welches ihn mit seiner Amme darstellt, ist durch die schöne und anmutige Gestalt des Weibes und die sehr gute Gewandung besonders ausgezeichnet. Ein anderes stellt seinen Tod höchst originell vor: der Heilige liegt in schwarzer Kutte auf dem Lager; aus seinem Mund führt ein Lichtstrahl auf die kleine und nackte Puppengestalt seiner Seele, welche ein geflügelter Engel bereits in den Händen hält. Der Engel ist von sehr gutem Ausdruck, mit streng griechischem Profil und den mandelförmig geschlitzten Augen; die sanfte Neigung der Häupter, schon lange vor Giotto ein charakteristischer Ausdruck des Graziösen, erinnert lebhaft an die besten Katakombengemälde. Dies merkwürdige Bild von brauner Mittelfarbe ist glücklicherweise nicht retuschiert worden. Ihm ähnlich an kindlicher Naivität sind noch mehrere andere Gemälde, die ich übergehen muß. Nicht alle sind von demselben Meister, und es finden sich auch einige, die ohne Zweifel schon dem 11. Jahrhundert angehören, da sie den schlechtesten Byzantinismus der Formen festhalten; so die kolossalen Deckengemälde, Apostel und Heilige vorstellend und in grellem Widerspruch zu den Fresken auf den Wänden stehend. Sie sind obendrein auf das ungeschickteste angefrischt worden.

In derselben Mittelkirche befindet sich auch die Grotte Benedikts. Sie erinnerte mich lebhaft an die berühmte Grotte der heiligen Rosalia auf dem Berg Pellegrino bei Palermo. Denn hinter einem reichgeschmückten Altar sieht man die marmorne Figur des jungen Benedikt knien, im Gebet vor dem Kreuz niedergeworfen; sie ist ein nicht schlechtes Werk aus der Schule Berninis, und obenein wird ihre Wirkung durch das Halbdunkel der Höhle erhöht. Freilich hat hier alles einen spielenden Charakter; die Kleinheit und Zierlichkeit dieser flimmernd bunten Kirchlein, Kapellen und Grotten gleicht einem niedlichen Phantasiespiel, wie ich es in ähnlicher Weise auf dem Gebiet religiösen Vorstellens nicht wieder gefunden habe. Es ist ein illustriertes Bilderbuch von Legendenpoesien, welche unblutig und schmerzlos, aber phantastisch sind wie das Leben von frommen Anachoreten in der grünen Wildnis und unter den Vögeln des Feldes. Die Religion tritt hier als ein Märchen auf und bringt nur eine dementsprechenden Stimmung hervor. Dies ist entschieden der Charakter jenes Klosters, insofern höchst merkwürdig und vielleicht einzig in seiner Art. Nirgends wird hier der Geist zum Ernst gestimmt; nicht einmal in jener heiligen Grotte kann selbst das gläubigste Gemüt des Katholiken von Ehrfurcht oder von religiösem Schauer durchdrungen werden. Die Künstler, welche dies etwa durch einige schwermütige Gemälde erregen wollten, wurden um die feierliche Wirkung sofort betrogen, und die reizende Spielerei des Ganzen um sie her scheint ihre Phantasie selbst geneckt zu haben.

Dies merkte ich an zwei Freskobildern, welche sich dort an den engen Wänden gegenüberstehen, wo neben jener Grotte eine Treppe in die unterste Kapelle hinabführt. Sie stellen den Triumph des Todes nach den bekannten Kanzonen des Petrarca dar: der auf einem Pferd reitende Tod sprengt über Leichen fort und erschlägt mit dem Schwert einen Jüngling, der sich mit seinem Gefährten unterredet. Gegenüber drei offene Särge; in dem ersten liegt ein eben verstorbenes junges Weib; in dem andern erblickt man ihre Leiche in ekelhafter Verwesung; in dem dritten endlich ist sie als völliges Skelett dargestellt. Ein Greis deutet auf diese Stufen des Nichts, indem er drei schöne Jünglinge zu belehren scheint, welche in vornehmer Tracht und Falken auf den Händen tragend mit trauervollem Ernst dastehen. Der Meister dieses merkwürdigen Gemäldes (es hat leider sehr gelitten) ist nicht bekannt – es scheint, daß er der Zeit Ghirlandajos angehört. Von derselben Hand mag der bethlehemitische Kindermord über ebenderselben Treppe herrühren. Die Handlung ist auf das einfachste und schönste so entwickelt: eine Gruppe von Müttern, ihre Säuglinge in den Armen, ängstlich und liebevoll sie an die Brust drückend; es bewegen sich gegen sie Krieger lebhaft mit gezücktem Schwert. Ich habe diese greuelvolle Szene, ein Lieblingsgegenstand der Malerei aller Epochen, nie so fein und mit so künstlerischem, ja dramatischem Gefühl behandelt gefunden; und man lobe den Verstand des Künstlers in Erinnerung an die schonungslose Metzgerszene des Kindermordes, wie sie auf den Tapeten im Vatikan abgebildet ist. Der Maler in Subiaco wußte, daß er nur dann rühren konnte, wenn er das Unmenschliche ahnen oder fürchten ließ. Die Ausführung des Bildes ist sehr im kleinen.

Ich fand daselbst noch einige andere originelle Vorstellungen, besonders zwei Figuren des S. Stephan und des S. Laurentius. Der erste Heilige wird gesteinigt; wunderlicherweise hat der Maler oder eine spätere Restauration wirkliche Steine in das Gemälde eingefügt, und er scheint in solchen Eifer geraten zu sein, daß er sich selbst den Nimbus des Heiligen materiell vorstellte, indem er ihn durch einen derben Steinwurf zerschlug. Laurentius ist eine anmutige Jünglingsgestalt; mit seiner reichen Diakonengewandung bekleidet, hält er die Palme in der Rechten, das Buch in der Linken, und er steht aufrecht auf dem Rost.

Ich füge noch hinzu, daß man aus der eben beschriebenen Kapelle in die letzte, sehr kleine Grotte hinabsteigt. Man sagt, Benedikt habe daselbst seine Schüler in der Schrift unterwiesen. Ihre Wände sind mit Stuck bekleidet und zeigen noch Reste sehr alter Malerei.

Und dies sind die hauptsächlichsten Merkwürdigkeiten jenes Klosters. Doch wollen wir nicht vergessen, uns noch den oberen Hof anzusehen. Denn von hier hat man den besten Anblick der gigantischen Felswand, unter welcher alle diese Heiligtümer aufgebaut sind. Sie fällt lotrecht herab, ja sie scheint über das Kloster herstürzen zu wollen; es steht aber glücklicherweise im Hof die Figur des Heiligen, welche die Rechte abwehrend gegen diesen Fels ausstreckt und die Worte ausruft: «Ferma, o rupe, non danneggiare i figli miei!» (Stehe still, o Fels, und beschädige meine Kinder nicht.) Als ich in diesen Hof trat, fand ich zu Füßen der Figur sämtliche drei Raben sitzen und kläglich krächzen. Diese unheimlichen Vögel mit ihren Baßstimmen und ihren schwarzen Benediktinerkutten erschienen mir als sehr originelle Attribute des Heiligen, wie in der Mythologie der Alten andere Vögel anderen Göttern beigesellt sind. Die Raben spielen mehrfach eine Rolle in der Geschichte Benedikts; ich habe schon gesagt, daß sie ihn auf seiner Wanderung von Subiaco nach Monte Cassino begleiteten, und der Leser mag wissen, daß sie ihm zuvor das Leben retteten. Denn als der Feind Benedikts ihm einst einen vergifteten Kuchen schickte, trugen sie diesen in die Felsenwüste fort. Es schien mir überhaupt der Bergrabe ein wahrer Mönchsvogel zu sein, und jedenfalls ist er ein besseres Attribut als der Hund mit der Fackel im Maul, welchen sich die Dominikaner zum Symbol erwählt haben.

Ich wurde noch an einer anderen Stelle an das Altertum oder vielmehr an einen berühmten Namen erinnert. Es gibt nämlich am Kloster ein Felsengärtchen, welches voll von Rosen ist. Ehedem waren sie Dornen und ebendieselben, in welchen sich Benedikt nackten Leibes wälzte. Als im Jahr 1223 der berühmte Gründer des Franziskanerordens Subiaco besuchte, pfropfte er jenen Dornen Rosen ein, und deren Nachkommen stehen noch heute in üppiger Blüte. Man entdeckte mit der Zeit an diesen Rosen Wunderkräfte. Ein Mönch sagte mir ernsthaft, daß sie, zu Pulvern gerieben und verschluckt, jede Heilung von Krankheit oder Zauberei bewirken. Ob sie auch die köstliche Eigenschaft der Rosen des Apulejus besitzen, sagte mir der treffliche Mönch nicht und war auch sonst nicht wahrzunehmen.


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