Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Die Feuda waren Majorate, und der größere Teil der Güter blieb fideikommissarisch, je nach den örtlichen Gesetzen. Aber die Französische Revolution änderte dies System. Im Königreich Neapel wurde die Lehngerichtsbarkeit im Jahre 1806, in Sizilien 1812 abgeschafft; im Kirchenstaat verzichtete der größere Teil der Barone darauf im Jahre 1816, nach dem Beispiel des Prinzen Colonna. In Neapel wurden die Fideikommisse teilweise abgeschafft im Jahre 1807 und gänzlich im Jahre 1809. Zur Zeit des Todes Philipps III. waren sie in Sizilien (wo sie am 2. August 1818 aufgehoben wurden) noch in Kraft, und ebenso im Kirchenstaat, wo sie es noch gegenwärtig sind. Deshalb wurde die Nachfolge nach den verschiedenen Gesetzen geregelt und das väterliche Erbe geteilt.

Philipp, der Abkomme Marcantonios in gerader Linie, hinterließ nur drei Töchter, Maria (vermählt mit Giulio Lante della Rovere), Margareta (vermählt mit Giulio Cesare Rospigliosi) und Vittoria (vermählt mit Francesco Barberini); den Stamm pflanzte sein Bruder Fabricius fort.

Dies ist, was ich von einem so berühmten Geschlecht habe berichten wollen, ehe ich den Leser in den Palast Paglianos führe. Aber dieses Schloß, einst durch Pracht und Glanz belebt, ist heute, wie hundert andere Italiens, nur ein ödes, stilles Haus, durch welches ein mürrischer Kastellan den Besucher führt, leere Wände zeigend und bedauernd, daß die alte schöne Waffensammlung der Familie, Trophäen von vielen Schlachten, nicht mehr vorhanden, und daß die kostbaren Gemälde verkauft oder anderswohin fortgebracht seien.

Mit Vergnügen durchwandern wir alte Adelsschlösser, wo jetzt die Stammbäume als dürre Pflanzen an der Wand hängen, und die Tapeten zerfasern wie die Diplome, welche der Vasall endlich zerrissen hat. Wie gespensterhafte Schatten erscheinen noch einige geschwärzte Ahnenbilder in vergoldeten Rahmen, Porträts von Kriegern oder Kardinälen, und von schönen Frauen, deren Stuartkragen ihr Zeitalter kenntlich macht. Freilich fand ich ihrer wenige, kaum dreißig Bildnisse, von denen mir der Kastellan nichts zu sagen wußte. In seinem Kopf sah es noch wüster und leerer aus als im Palast seiner Herren, und alle Erinnerungen der Vergangenheit waren im Bewußtsein dieses modernen Menschen ausgelöscht. Was hätte ich nicht gegeben, vermochte er mir jene schöne bleiche Frau mit dunkelschwarzen Augen zu bezeichnen, gehüllt in eine rote Sammetrobe! Doch war's am Ende nur ein Name, ob Felice Orsini, oder Lucrezia Tomacelli, oder Diana Paleotti, gleichviel. Oder war es jene unglückselige Herzogin von Pagliano selbst, deren tragisches Ende einen der seltsamsten Romane jener Zeit bildet? Sie fand ihren Tod nicht in diesem Palast, sondern in einem andern Schloß ihres Gemahls.

In der kleinen Galerie fehlt nicht das Porträt eines Astrologen, den wir uns einmal gewöhnt haben als spiritus familiaris in jedem großen Adelsschloß der Vergangenheit zu denken, mit langem weißem Bart und in weitem Sammettalar. Solche Tracht stimmt gut zu der gediegenen und schwerfälligen Einrichtung mittelaltriger Paläste, worin heute unser französischer Frack neben Glacéhandschuhen so überaus lächerlich erscheint. Der Sterndeuter, dessen Bildnis ich betrachtete, war «Nicolaus Colinus de Paliano, Astrologus Insignis», wie die Inschrift sagt.

In andern Zimmern findet man die Wände mit Ansichten von Städten und deren Plänen geschmückt, wie von Madrid, Paris, Venedig, Florenz und Genua.

Die Säle sind von mittelmäßigem Raum und ländliche Zimmer im Vergleich zu dem fürstlichen Prachtsaal, welchen man im Palast Colonna zu Rom bewundert.

In unmittelbarer Nähe steht S. Andreas, die Familien- und Gruftkirche der Colonna, ein zierliches Gebäude von mäßigen Verhältnissen. Sie enthält die Gräber des Zweiges von Pagliano. Es war Filippo I. (1578-1639), welcher die Asche vieler seiner Ahnen, die vorher an andern Orten beigesetzt gewesen, nach Pagliano schaffen ließ, wo er diese Familiengruft erbaut hatte. Als ich in dieselbe hinabstieg, erstaunte ich nicht wenig, sie gänzlich leer zu finden. Die Wände dieser großen runden Grabkammer sind weiß übertüncht; kein Sarkophag, noch irgendein Monument von Marmor zeigt sich hier, sondern rings um die Mauern laufen Inschriften, deren gleichförmige Charaktere dem 17. Jahrhundert angehören. Man findet hier die Epigramme auf Marcantonio und seine Gemahlin Felice Orsini, auf Ascanius und Johanna von Aragona, seine Eltern, auf Fabricius und Agnese von Montefeltro, seine Großeltern. Ob die schönste Frau Italiens, Giulia Gonzaga, des Vespasiano Colonna Gemahlin, in Pagliano begraben liegt, weiß ich nicht anzugeben; ebensowenig weiß ich dies von der berühmten Vittoria. In ihrem Testament bestimmte sie, daß man sie in dem Kloster begraben solle, wo sie sterben werde. Sie setzte zugleich ein Legat für die Nonnen von S. Anna de' Falegnami aus, welche sie in ihrer Krankheit gepflegt hatten, und der Testamentsakt selbst wurde am Lager der Sterbenden den 15. Februar 1547 vollzogen, im alten Palast der Cesarini nahe bei der Argentina. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß sie in jenem benachbarten Kloster S. Anna bestattet wurde.

Von Pagliano führt keine Fahrstraße nach dem nur sechs Millien entfernten Anagni, denn jene Stadt hat nur das einzige Tor im Gebrauch, welches gegen Genazzano liegt; wer nach der entgegengesetzten Seite will, muß längs den Mauern hingehen. Nur ein labyrinthischer Feldweg, für Reiter zugänglich, aber oft steil und rauh, weil der vom Regen ausgewaschene Kalkfels nackt zutage liegt, führt durch die öde Wildnis nach Anagni.

Ich machte diese Straße zu Pferd in Begleitung eines Campagnolen, den ich als Führer mitgenommen hatte, an einem köstlichen Septembertage, welchen ich zu den genußreichsten meiner vielen Wanderfahrten durch die «Saturnia tellus» zählen werde, so schön war jene Wildnis und so unvergleichlich der Anblick dieser majestätischen Gebirge. Der Hügel von Pagliano läuft weit gegen den Flug vor, indem er nach allen Seiten ziemlich schroff niederstürzt. Weinberge umkränzen ihn vom Gipfel bis zum Fuß; auf seinem Kamm, über welchen wir fortritten, wächst dichtes Gebüsch von Mastix, von Erdbeerbäumen und Myrten, worüber ich mich verwunderte, weil doch die Myrte die Küste und die Meeresluft zu lieben pflegt. Auf dem Hügel wohnen Kolonisten, in Strohhütten von komischer Gestalt, wie man sie auf der Campagna von Rom überall findet.

Zwischen diesen Kolonien reitet man zu einem einsamen Kloster fort, welches im grünen Wald von Eichen, Kastanien und Ulmen liegt. Es heißt S. Maria di Pagliano.

Von dort muß man den Wald durchziehen, der den Hügel umgibt und nur von engen Pfaden durchschnitten wird. Er senkt sich in die Tiefe, so daß es schwer ist, auf dieser Jähe fortzureiten. Unten liegt eine romantische Wildnis, ein ödes Gefilde, welches sich zwischen dem Hügel von Pagliano und jenem von Anagni ausbreitet. Nur hie und da steht eine einsame aus braunem Gestein erbaute Meierei oder eine Mühle an einem schäumenden Wildwasser, über das wir hinwegsetzen müssen. Die Landschaft beleben Herden von Rindern und Schafen. Man sieht hier den Pifferaro des weihnachtlichen Rom in seinem Naturzustande und hört hier die fremdartigen Klänge der «cornamusa» oder des Dudelsacks, die der Hirt ertönen läßt, wenn er hinter der Herde hergeht, welche ruhelos wie auf der Flucht das Gras zu weiden scheint.

Gegen Ende September steigen von allen jenen Bergen, die wir um uns her sehen, Schafherden in die Ebenen nieder; sie wandern bis vor die Mauern Roms, dort zu überwintern. Bei meiner Heimkehr stieß ich auf einen solchen nach Rom ziehenden Trupp von Schafen; es war ihrer eine so große Schar, daß sie den Weg buchstäblich erfüllte, von zottigen Hunden, von Schäfern zu Fuß und zu Pferd geordnet und bewacht. Ich schätzte sie auf 3000, aber ein Hirt sagte mir, es seien ihrer nahe an 5000 Stück, die von der Serra nach Rom zögen. Das Geschrei der Mutterschafe und das Blöken der Lämmer erfüllte die Luft mit jenen sanften Klagetönen, von denen die Campagna vor den Toren Roms im Oktober und November widerschallt, so daß sie dann noch mehr einer großen klassischen Idylle gleicht.

Nun nähern wir uns Anagni, und wir sind schon am Fuße des Hügels, auf welchem diese uralte Metropolis der Herniker erbaut ist.

Ein hohes stattliches Tor steht vor uns und zeigt auf seinem Gesims das Wappen der Stadt, einen Löwen, in dessen Rücken ein Adler seine Krallen schlägt.

Anagni überraschte mich; an jene finstern Straßen und verwohnten Häuser der Campagnastädte gewöhnt, ritt ich hier an Reihen von ansehnlichen Gebäuden und Palästen hin, welche den Luxusstil Roms aus dem 17. Jahrhundert zur Schau tragen und der Stadt das Gepräge einer gewissen Wohlhabenheit geben. Dieses moderne Aussehen setzte mich in Verwunderung, und ich konnte mir dasselbe nicht erklären, bis ich mir eine Geschichte Anagnis geben ließ.

Ich kam auf den Platz der Stadt, ein schmales Viereck, dessen eine Langseite wohnliche Häuser, dessen beide Kurzseiten Paläste schließen, während die vierte von einer steinernen Wehr eingefaßt wird. Er liegt am Rande des Hügels, und auf ihm lustwandelnd blickt man in die Saccoebene, durch welche sich die Via Latina von Valmontone her in großen Windungen weiterzieht. Sie berührt Anagni nicht, sondern geht unter seinem Hügel fort, Ferentino und Frosinone vorüber nach dem Liris, den sie gleich hinter Ceprano erreicht. Von diesem Platz aus ist der Blick so schön, daß er auch denjenigen hinreißt, welcher ganz Italien von den Alpen bis an das Afrikanische und Ionische Meer gesehen hat. Geradeüber stehen die Volskergebirge, deren sonnige Felsen sich so deutlich darstellen, daß man die Fenster in den Orten dort oben sehen kann. Allenthalben ziehen volskische Städte den Blick auf sich, weil sie das Gebirge entlang aufgereiht sind: Monte Fortino, das berühmte Segni, Gavignano, Rocca Gorga, Sgurgola; dann Morolo, Supino, Patrica, hinter welchem der hohe, als Pyramide anfragende Monte Cacume blau und schön sich darstellt. Dahinter Berggipfel neben Berggipfel; wieder andere Städte; hier Ferentino hinter einem Hügel, dort Frosinone, dessen Burg noch sichtbar ist, und Arnara, Pofi, Ceccano, viele andere Orte, die der Blick entdeckt. Gegen die römische Seite dehnt sich eine große Ebene aus, begrenzt von den Höhen Palestrinas, welches selbst in so weiter Ferne sichtbar wird. Auch die Lateinerberge erscheinen; und so umspannt hier das Auge ohne Anstrengung einen großen Teil Latiums.

Ganz anders gestaltet sich die Landschaft, kommt man auf jene Seite, welche dem Platz abgewendet ist. Und hier wird uns die Lage Anagnis erst deutlich. Der Hügel, auf dessen äußerstem Rand es erbaut ist, zeigt sich im Zusammenhang mit der Serra, oder er springt aus ihr in einer sichelförmigen Krümmung hervor. Das braune Gestein ist nackt und schroff, daher man in eine öde Bergwildnis hinabsieht, in welcher nahe bei Anagni Monte Acuto steht, ein schwarzes Kastell, von der Höhe gleichen Namens so benannt.

Überblickt man diese Lage, so wird man sich nicht wundern, daß Anagni ein beliebter Zufluchtsort oder der Sommersitz mancher Päpste des Mittelalters wurde, als Landstadt über der offenen Campagna, auf einem Höhenzug gelegen, welcher durch seine Luft gesund und durch seine Felsen und Mauern geschützt ist.

Es ist auch nur das Mittelalter, dem die Stadt ihren geschichtlichen Namen verdankt. Denn obwohl Haupt der Herniker, eines kräftigen Volksstamms in Latium, war sie doch bedeutungslos zur Zeit der Römer, und nachdem sie von diesen erobert worden war, blieb sie eine unterjochte Landstadt. Noch heute erinnern an das römische Altertum einige Trümmer, aber ihrer sind wenige. Man sieht Überreste antiker Mauern und auf der nördlichen Seite der Stadt eine Reihe kolossaler Bogen, welche den schroffen Hügel stützen. Dieses bedeutendste Denkmal römischer Zeit bietet einen mächtigen Anblick dar. Von den Resten einer Burg ist nichts zu entdecken; wahrscheinlich lag sie auf dem Punkt der Stadt, wo sich heute der Dom erhebt. Auch zyklopische Mauern, wie sie noch Ferentino und Segni haben, finden sich nicht vor.

Erst mit dem Ende des 13. Jahrhunderts wurde Anagni eine wichtige Stadt, als es das seltene Glück hatte, in einem Jahrhundert vier seiner Mitbürger auf den päpstlichen Thron zu erheben. Der erste war Innocenz III. Conti (1198-1216), dann folgte Gregor IX. Conti (1227-1241), Alexander IV. Conti (1254-1261) und endlich Bonifacius VIII. Gaetani (1294-1303). Aber schon früher war die Stadt von Päpsten bevorzugt, weil in der Zeit, als die Römer eine republikanische Regierung einsetzten, mehrere Päpste sich in die Mauern Anagnis zurückzogen. Dort starb Hadrian IV. Breakspeare im Jahre 1159, der einzige Engländer, welcher die Papstkrone getragen hat, flüchtig vor dem römischen Senat, dessen Forderungen, die Republik zu bestätigen, er sich entzogen hatte; dorthin floh Alexander III., sein berühmter Nachfolger, nicht minder dessen Nachfolger Lucius III. (1181-1185).

Der Vorzug, vier Päpste aus seinem Schoß hervorgehen zu sehen, mußte der Stadt vielfach zum Gewinn gereichen. Sie schmückte sich mit Gebäuden und Palästen; der Charakter ihrer Architektur war der gotisch-romanische, den man in vielen Orten Italiens bis ins 15. Jahrhundert hinein anwandte. Selbst in Genazzano fanden wir dergleichen alte gotische Gebäude. Ihrer aber sind in Anagni wenige außer dem Dom, und die merkwürdigsten das Stadthaus und die Casa Gigli.

Der Palast der Commune hat eine mächtige Arkade, über welcher ein einfaches Schloß ruht. Durch sie geht die Straße fort, als wie durch ein Tor. An der Fassade befinden sich in Stein gehauene Wappen des Mittelalters, worunter das Brustbild eines Capitano der Stadt vom Hause Rovere, also dem 15. Jahrhundert angehörend. Merkwürdig ist die Hinterseite durch die Verzierung des Gesimses und der Fenster mit kleinen Säulen im moresken Geschmack, wie man ihn ähnlich in Ravello oberhalb Amalfi wiederfindet.

So hat sich das Stadthaus aus dem allgemeinen Untergange des Mittelalters gerettet und dient nun neben der Casa Gigli als Monument der Vergangenheit. Dies Haus Gigli, ein kleines Gebäude, wohl aus dem 14. Jahrhundert, erinnerte mich an Häuser in Palermo. Es ist ein Viereck mit plattem Dach und einer Vorhalle. Diese besteht aus zwei Rundbogen; wo sie zusammenlaufen, ruhen sie auf einer einzelnen Säule. An ihr geht eine Freitreppe von Stein zu der gewölbten Türe empor, welche in der Tiefe der Vorhalle angebracht ist. Schön wiederholt sich die Architektur dieser Halle in dem einzigen Fenster, welches gleichfalls den Rundbogenstil und die einzelne tragende Säule zeigt. Über den Bogen gliedert sich das Gesims in kleinen Ausschnitten einfach und harmonisch ab; indem nun darüber auf dem platten Dach Vasen voll blühender Blumen stehen, erhält dies Haus einen reizenden und südlich fremden Charakter.

Als ich diese Casa erblickt hatte, setzte ich mich auf einen Stein und zeichnete ihr Bild in meinem Wanderbuch ab. Sofort umringte mich eine Schar von Bürgern; indem sie mein Vorhaben billigten, erkannte ich, daß sie einen patriotischen Stolz in dies Denkmal der besseren Zeit setzten. Sie klagten bitter über jene vier Päpste, ihre Landsleute, weil sie im ganzen so wenig für ihre Vaterstadt getan und sie nicht einmal mit einer Wasserleitung versorgt hatten. Dies ist freilich ein Unglück, denn die Anagninen trinken Zisternenwasser, welches mir faul und ungenießbar erschien; indes ist ein Aquädukt nur mit großen Kosten herzustellen, da er von Monte Acuto über einen tiefen Taleinschnitt müßte hergeleitet werden. «Wohl», sagten jene Bürger, «die Wasserleitung würde große Summen gekostet haben, aber bedenkt, es waren ihrer vier Päpste, und qualche cosa per uomo hätten sie hergeben und so endlich das Werk ausführen können.»


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