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Vierundvierzig Millien von Rom entfernt liegt in einem der schönsten Bergtäler der Campagna, welches der «immerkalte» Anio durchfließt, die berühmte Benediktinerabtei Subiaco. Die Apenninen entsenden hier eine Bergkette, die Simbrivinischen Höhen, und scheiden den Kirchenstaat von dem Königreich Neapel, dessen angrenzende Provinz das alte Land der Marsen ist, heute Marsica, ein zu den Abruzzen gehöriger Distrikt. Der Anio entspringt an ihrer Grenze oberhalb des Orts Filettino, und mit großer Gewalt herabstürzend bildet er ein langes und zum Teil schmales Tal, welches von Oliven- und Kastanienwäldern anmutig beschattete Berge bis nach Tivoli hin einschließen. Auf den Gipfeln dieser Hügel erheben sich längs dem Lauf des schönen Bergstroms braune Kastelle des römischen Mittelalters: Filettino, Trevi, Jenna, Subiaco, Agosta, Cerbara, Marano, Anticoli, Roviano, Cantalupo, Saracinesca, Vicovaro, S. Polo, Castell' Madama und Tivoli. Dies ist auch zum größten Teil das Gebiet jener alten Benediktinerabtei, ein merkwürdiger Schauplatz des noch wenig bekannten Mittelalters des römischen Latiums, und vor allen Dingen die Wiege des Mönchtums im Abendland.
Tivoli
Aus dieser wilden Einsiedelei unfruchtbarer Berge sind die Klöster und Mönche hervorgegangen, welche sich als Kolonien der Hierarchie Roms über Italien und Sizilien, über Deutschland, Frankreich und das ferne Britannien verbreiteten. Sie halfen diese Länder an Rom ketten, und mitten in die Barbarei finsterer Jahrhunderte warfen sie (ihr bleibendes Verdienst!) einige Keime der Zivilisation, erhielten die klassische Wissenschaft der Alten, kopierend, sammelnd und forschend hinter der Nachtlampe dumpfer Zellen, wenigstens am Leben, und bewahrten endlich als Aufschreiber ihrer verworrenen Zeitereignisse in Chroniken und Dokumenten uns unschätzbare Kunden des Mittelalters. Es ist wahr, Menschen, welche von dem Treiben der Welt grundsätzlich entfernt lebten, wurden die Väter der Geschichtschreibung – eine seltsame Tatsache, die indes aufhört, es zu sein, wenn man bedenkt, daß die Klöster in jenen Jahrhunderten mit dem politischen Leben in fortdauernder Beziehung standen.
Ich will in diesen Blättern die Geschichte einer der merkwürdigsten Abteien in ihren Hauptzügen geben. In wissenschaftlicher und historischer Hinsicht wird Subiaco freilich von Monte Cassino weit überragt. Dies Kloster aber ist die älteste Tochter von jenem im nahen Grenzland des Liris, das ganze Mittelalter hindurch ein einsamer Leuchtturm der Wissenschaft, und noch heute durch die Schätze seiner Archive wie durch Fleiß und Gelehrsamkeit seiner Mönche ausgezeichnet. Doch ist die Geschichte Subiacos für die Kenntnis der mittelalterlichen Zustände im römischen Land wichtig und zugleich als Bild des geistlichen Feudalismus lehrreich. Indem sich um dies Kloster nach und nach ein kleiner ihm völlig untertäniger Lehnstaat bildete, tritt es als mächtiges Fürstentum in der römischen Campagna auf, dessen König der Abt und dessen stolze und gewalttätige Barone die Mönche waren, welchen Kastelle und Städte, Ritter und Landvolk pflichtig und gehorsam sein mußten.
Die Gründung der Abtei fällt in die Zeit, als der Heldenstamm der Goten unter Theoderich Italien und Rom beherrschte und den Untergang der römischen Kultur durch milde und weise Gesetze noch für ein halbes Jahrhundert verhinderte. Aber der Sturz des römischen Reichs war bereits geschehen. Indem sich die alte Ordnung der Welt, außerhalb deren Formen keine andern damals begriffen wurden, auflöste und alle bürgerlichen und staatlichen Bande der Gesellschaft zerrissen, bemächtigte sich der Menschen ähnlich wie am Anfang des 4. Jahrhunderts der Trieb zur Flucht aus der Welt und zum Anachoretenleben. Benedikt begründete das abendländische Mönchtum und wurde neben seinem jüngeren Zeitgenossen, dem Papst Gregor dem Großen, der zweite Stifter der römischen Hierarchie. Was diese ihm verdankte, hat jener Papst mit verständigem Blick gleich erkannt: er selbst beschrieb im zweiten Buch seiner Dialoge die Taten seines Waffenbruders, des Mönchs von Subiaco, der das Abendland plötzlich von der Herrschaft der byzantinischen Ordensregel des Basilius befreite, eine national-römische Regel aufstellte und seine Zöglinge in die Länder sandte, sie an Rom zu ketten.
Benedikt, um das Jahr 480 in Nursia in der Valeria geboren, kam mit 14 Jahren nach Rom, dort in den Studien der Humanität sich auszubilden. Aber plötzlich von der Sehnsucht nach der Einsamkeit ergriffen, wanderte er in die grüne Wildnis der Simbrivinischen Berge und lebte hier, in verzückte und schwärmerische Betrachtungen versenkt, in einer Felsenhöhle. Der Ort hieß Subiacus; er war dem Plinius bekannt als köstliche Villa des Nero, wo dieser Kaiser durch Aufdämmung des Anio drei künstliche Seen hatte anlegen lassen, um in goldenem Netz die Forelle zu fangen. Die letztere ist noch heute ebenso wohlschmeckend als zu Neros Zeit, aber die Seen verschwanden schon im Mittelalter.
Als nun der junge Einsiedler an jenem Ort lebte, bestand die Stadt Subiaco noch nicht; nur auf den Ruinen der Neronianischen Villa hatte sich bereits ein Kloster des S. Clemens angesiedelt, und es war einer der Mönche desselben, Romanus mit Namen, welcher dem Jüngling Speise in die Höhle zu tragen pflegte. Benedikt, von seiner frommen Schwester Scholastica ermuntert, trat endlich wie Mohammed aus der Grotte hervor: der Ruf seiner Heiligkeit war schon rings verbreitet, und indem sich an den Anachoreten viele Römer anschlossen, entwarf er selbst die allgemeine Ordensregel und verteilte die Brüder in zwölf kleine Klöster, die man zu gründen geschäftig war. Sie standen alle in demselben Tal und in derselben rauhen, damals wahrscheinlich völlig unkultivierten Felsenwildnis. Blickt man in diesen Kreis ernster und schweigsamer Berge, die bald nackt und steil in den blauen Äther hinaufgreifen, bald mit grünen Büschen sich bedecken, in denen die Nachtigall am Wildwasser flötet, so muß man den guten Natursinn des Schwärmers loben. Keine der entzückenden Fernsichten, an denen die Campagna Roms so reich ist, lockt hier den Sinn in das sonnigwarme Leben, sondern der Horizont wird durch den Felsen rings umstellt und versperrt.
Nordwärts lagern sich gigantischen Vorgebirgen ähnlich zwei große Berge. Zwischen ihnen braust der wilde Anio herab; seine von niederrollendem Gestein vergebens behinderte Straße mit Gewalt sich öffnend, wälzt er seinen schönen Silberstrom durch schattige Schluchten und wiegt durch sein unablässiges und melancholisches Brausen die Seele in Schlaf und Einsamkeit. Hier nun an den Felsenwänden über dem Fluß saßen ringsumher in zwölf Klöstern die Heiligen Roms gleich den Bergraben versammelt, und das Tal von Subiaco mochte einem jener öden Felsentäler Ägyptens gleichen, wo ehemals Athanasius und Antonius zahllose Schwärme der östlichen Mönche um sich her geschart hatten.
Indessen vertrieb der Neid eines Priesters aus dem nahen Vicovaro (Varia) den Patriarchen von Subiaco. Pelagius versuchte eines Tages jene Klöster durch schöne Mädchen in die Luft zu sprengen, welche er gegen die Zellen der Mönche auszusenden die Bosheit hatte. – Benedikt verließ den entweihten Ort, wo er viele Jahre gelehrt hatte, bekümmert und ungewiß, wohin er sich wenden solle, und begleitet von drei jungen Raben, die er erzogen hatte. Er ging nach Monte Cassino, wo er im Jahre 529 das berühmte Kloster stiftete.
In Subiaco waren jedoch seine Anstalten aufrecht geblieben, und er selbst hatte den Bruder Honoratus als seinen Nachfolger und Abt daselbst eingesetzt. Aber die Geschichte der zwölf Klöster wird seitdem dunkel, und es scheint, daß der Vernichtungskrieg der Goten ihr Gedeihen hinderte. Freilich hatte der Abt Honoratus das Hauptkloster aufgebaut und es den Heiligen Cosmas und Damianus geweiht; es ist dies eben das heutige, welches den Titel der Santa Scholastica führt, und soll das einzige von den ursprünglichen zwölf Klöstern übriggebliebene sein. Denn die Langobarden zerstörten diese bereits im Jahre 6o1, und die verjagten Kinder des heiligen Benedikt hatten Mühe, sich nach Rom zu retten, wo ihnen der Papst das Kloster des S. Erasmus auf dem Cölischen Berge einräumte. Der berühmte Papst Gregor spielt in der Geschichte der Abtei von Subiaco als Stifter von deren weltlicher Macht eine Rolle; die Mönche schreiben ihm nämlich eine Urkunde vom Jahre 599 zu, worin er jenem Kloster eine Menge von Gütern und Privilegien schenkt, und man behauptet mit Grund, daß dies Pergament die Basis von vielen Rechten geworden sei, welche sich die Benediktiner von Subiaco anzueignen wußten. Das Original dieser Schenkungsurkunde ist, wie das berühmte Dokument des Klosters von Monte Cassino, verlorengegangen und nur in einer sogenannten beglaubigten Abschrift vom Jahr 1654 enthalten. Es gibt übrigens noch andre Urkunden dieser Art, Schenkungen Gregors IV. und Nikolaus' I. und der Könige Hugo und Lothar aus dem Jahre 941, die kein Einsichtiger für echt halten wird. Auch hatten sich die Fälschungen im Kloster so sehr angehäuft, daß der Papst Leo IX. im Jahr l051 mit eigner Hand viele Dokumente dort verbrannte.
Die Abtei Benedikts blieb 104 Jahre lang öde und verlassen, bis sie der Papst Johannes VII. im Jahr 705 neu bevölkerte. Aber die Sarazenen zerstörten sie um 840, worauf sie unter dem Abt Peter I. gegen die Mitte desselben Jahrhunderts wieder aufgebaut wurde. Noch einmal, durch die Ungarn im Jahr 938 verwüstet, wurde Subiaco endlich unter Benedikt VII. im Jahr 981 von Grund aus wiederhergestellt, und dieser Papst weihte am 4. Dezember die Klosterkirche unter dem Titel des S. Benedikt und S. Scholastica ein. Seither erfuhr die Abtei keine Beschädigung mehr durch Feindeshand, sondern durch wirkliche und unbestrittene Schenkungen an Gütern bereichert, begann sie herrlicher aufzublühen.
Die Chronisten stimmen in den Berichten überein, indem sie erzählen, daß die feudale Macht der Abtei mit dem 11. Jahrhundert begann, überhaupt in der Zeit, als die Feudalität in allen Ländern sich völlig entwickelte. Das Ansehen von Subiaco war so groß geworden, daß mächtige Barone der Campagna Kastelle und Besitzungen S. Benedikt schenkten; unter andern war es der Marsengraf Rainald, welcher den Mönchen Arsoli, Anticoli und Roviano verlieh, und mehrere Kastelle erwarben sie zu ewigem Lehn. Um diese Zeit wurden demnach die Äbte wirkliche Barone. Aber es ist auffallend, daß sie Subiaco selbst, einen Ort, der sich seit älteren Zeiten im Schutz des Klosters gebildet oder vergrößert haben mußte, nicht unterjochten. Im Klosterhof der S. Scholastica sieht man einen Stein in die Wand neben der Eingangstür der Kirche eingemauert; er enthält eine merkwürdige Inschrift vom Jahr 1052, dem vierten Leos IX., welche besagt, daß der ehrwürdige Abt Hubertus den Klosterturm zu Ehren Christi, seines Bekenners Benedikt und dessen Schwester Scholastica erbaut habe; sie zählt alle Besitzungen des Klosters jener Zeit auf, voran die Grotte Benedikts, die damals noch bestehenden zwei Seen, den Fluß Anio samt dem Mühlen- und Fischrecht und 24 Kastelle oder Orte im Aniogebiet, Subiaco aber befindet sich nicht unter ihnen. Erst nachdem der Abt Johannes V. im Jahr 1068 die Rocca oder Burg über dem Ort erbaut hatte, mochte, wie ein Geschichtschreiber der Abtei behauptet, Subiaco dem Kloster untertan werden. Diese Burg nebst abtlichem Palast erhebt sich noch heute, freilich in verwandelter Gestalt, imposant und kühn auf dem pyramidenförmigen Berge, um dessen Abhänge her die heutige Stadt aufgebaut ist.
Johann V., Kardinaldiakonus von S. Maria in Dominica zu Rom, ein außerordentlich kräftiger und kriegslustiger Abt, scheint der eigentliche Gründer der weltlichen Herrschaft Subiacos gewesen zu sein. Volle 59 Jahre regierte er wie ein weltlicher Fürst; er führte die glücklichsten Kriege mit den Baronen der Umgegend, und nachdem er sein Kloster mit Reichtümern erfüllt und über der Grotte Benedikts (dem Sacrum specus) zu seinem bleibenden Denkmal eine Kirche erbaut hatte, starb er im hohen Greisenalter im Jahr 1121.
Seit dieser Zeit traten die Benediktineräbte völlig als kriegerische Fürsten in der Campagna auf, angesehen und gefürchtet wie die Orsini und die Colonna, mit denen sie wetteifern durften. Die Vasallen der Abtei, das unglückliche Landvolk und die Bewohner der hörigen Kastelle, seufzten unter einem feudalen Despotismus, der um so schrecklicher war, weil er von Mönchen ausgeübt wurde, Menschen, die, in ihren Leidenschaften durch keine bürgerliche Rücksicht gemildert, oft schonungsloser waren, als die weltlichen Barone es sein mochten. Sie selbst, obwohl ein ungeregeltes Sinnenleben sich erlaubend, unterlagen dem eisernen Despotismus des Klosters und der wenigstens anfangs ganz unumschränkten Gewalt des Abts, welchen sie wählten; aber sie hielten sich dafür durch die Herrschaft über die Vasallen schadlos, indem sie Zolleinnehmer, Kastellane, Verwalter der Klostergüter und Richter über Leben und Tod waren. Denn der Abt sandte in jedes Kastell einen Mönch als Kastellan, welcher dort die Justiz ausübte, barbarisch und quälerisch, wie sie im Mittelalter war; und erst im Jahr 1232 bestimmte der Papst Gregor IX. zur Erleichterung der Vasallen, daß jene Burgvögte, sooft sie Gericht hielten, einen Rechtsanwalt aus der Bürgerschaft zuziehen sollten. Man nannte ihn nach dem Gebrauch der Zeit buon'uomo, später aber Kastellan. Denn endlich wurde den Mönchen die Gerichtsbarkeit über die Kastelle entzogen, und während sie als Verwalter und Zinseintreiber darin blieben oder die Türme bewachten, übte der vom Abt bestellte Kastellan unabhängig von jenen, doch in seinem Namen, die Justiz aus.
Die Untertanen der Abtei zerfielen in drei Klassen: Freie, welche nicht die Verpflichtung hatten, als Klostersoldaten zu dienen, weil sie keine Güter von den Mönchen zu Lehn trugen; Milites, welche in ihrer Eigenschaft als Lehnsträger des Klosters ihm mit den Waffen dienen mußten, und endlich die leibeigenen Bauern oder Servi. Alle diejenigen Vasallen, die als Milites in einem Kastell wohnten, standen unter einem Konnetabel. So gebot demnach der Abt über ein kleines Heer dienstpflichtiger Untertanen; er besoldete später auch Banden wie alle andern Barone, und wenn er ein kriegerischer Herr war, führte er seine Truppen zu Roß mit Schild und Schwert selbst in den Kampf. Die beständigen Fehden mit den angrenzenden Bischöfen von Tivoli, von Präneste und Anagni oder die Streitigkeiten mit den umwohnenden Baronen gaben zu Waffentaten oft Gelegenheit. Man gab den toten Äbten selbst in die Gruft das Schwert an die Seite.
Sie gehörten auch hie und da den angesehensten Adelsfamilien der Campagna an, wie unter andern der kampflustige Lando, Neffe Innocenz' III., aus dem berühmten Geschlecht der Conti von Segni. Er starb im Jahr 1244. Indes schützte weder die eiserne Gewalt, welche diese Äbte ausübten, noch die geregelte politische Verfassung das Kloster vor ganz zufälligen Verwirrungen der heillosesten Art. Die Zustände des Papsttums in Rom wiederholten sich im kleinen auch in der Abtei von Subiaco. Es waren die Mönche von wilder Parteiwut ergriffen, und der freche Ehrgeiz einzelner unter ihnen spottete aller Gesetze Benedikts. Nach dem Tode des Abts im Jahr 1276 überfiel der Mönch Pelagius mit bewaffneten Anhängern das Kloster, sich zum weltlichen Gebieter der Abtei aufzuwerfen; er verjagte die widerstrebenden Mönche, und nachdem er das Kloster geplündert hatte, zog er sich nach Cervara in ein wildes Felsennest oberhalb Subiaco zurück, wo er sich vier Jahre lang mit den Waffen behauptete, während welcher Zeit das Kloster leer stand. Der Papst hatte jedoch einen neuen Abt gewählt und mit einem Heerhaufen ausgesandt: aber nur nach schwieriger Belagerung gelang es diesem, den rebellischen Mönch zu überwältigen.