Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Der architektonische Mittelpunkt der Stadt ist ihr Dom oder die Kathedrale der Assunta, deren erste Anlage in das Jahr 1114 fällt. Nach mehrmaligem Umbau wurde sie mit dem hohen Glockenturm zur Seite im Jahre 1659 aus den Fundamenten vollständig neu erbaut, unter der Leitung des namhaften Bildhauers Zimbalo. Sie hat eine mächtige, aber nicht gerade künstlerisch schöne Fassade im Rokokostil. Der prächtige weit sichtbare Turm neben ihr, von vier Aufsätzen übereinander, ist mehr als fünfzig Meter hoch. Eine Inschrift besagt, daß der Bischof Aloysius Pappacoda im Jahre 1659 den Grundstein des Neubaues gelegt hat.

Zur linken Seite des Doms steht eine künstliche Grotte mit hölzernen Heiligenfiguren (Christus von Engeln umgeben), deren ich nur erwähne, weil ihre dörfliche Plumpheit den Eindruck stört, welchen der von schönen Bauwerken umgebene Domplatz im ganzen macht. Die Götter der christlichen Religion gehören nicht auf die Straße, sondern in die Kapellen oder Kirchen, schon deshalb, weil sie häßlich sind.

Mit dem Dom steht die Wohnung des Bischofs in Verbindung, ein mit einem Portikus aus Halbsäulen geschmücktes Gebäude. An dieses schließt sich das Seminar, ein ansehnliches Bauwerk aus gelbem Kalkstein, mit überreicher Fassade, einem großen Hof, welchen Arkaden bilden, und einer mit Büsten geschmückten Eingangshalle. Die Erbauer dieses schönen Palastes waren die Bischöfe Michele und Fabrizio Pignatelli am Ende des 17. und am Anfange des 18. Jahrhunderts. Man sieht ihre Wappen auf den kunstvoll gearbeiteten Türen im Portikus. Heute dient das Seminar zum Teil als Soldatenkaserne.

Das Bistum Lecce ist ein Suffragan des Erzbistums Otranto. Seine Stiftung wird auf Sankt Oronzius zurückgeführt, den ersten legendären Christen und Märtyrer der Stadt, deren Schutzheiliger er ist. Der größte Platz Lecces ist diesem Heiligen geweiht. Wie in Rom die Figuren der Apostel Petrus und Paulus auf den beiden großen Säulen römischer Cäsaren stehen, so hat man dort die Statue des Oronzius auf einer alten höchst merkwürdigen Säule aufgestellt. Sie stammt aus der Stadt Brindisi.

Dort nämlich steht, gegenüber dem Eingange des Hafens, auf einer kleinen Anhöhe, eine antike Marmorsäule unbekannten Ursprungs, auf deren Postament die bekannte Inschrift des Protospatars Lupus zu lesen ist, des rühmlichen Wiederherstellers von Brindisi im neunten Jahrhundert. Neben ihr befindet sich noch die Basis einer zweiten ähnlichen Säule, die bis zum Jahre 1528 aufrecht stand, wo sie niederstürzte und lange Zeit am Boden liegen blieb. Im Jahre 1683 schenkte die Stadt Brindisi der Gemeinde Lecce diese Säule, um das eherne Standbild ihres Heiligen daraufzustellen, was dann geschah. Eine pomphafte und schwülstige Inschrift auf dem Fußgestell sagt, daß der göttliche Oronzius den alten Herkules der Brundisiner besiegt habe:

«Columnam hanc, quam Brundusina civitas suam ab Hercule ostentans originem profano olim ritu in sua erexerat insigna, religioso tandem cultu divo subjecit Orontio, ut lapides illi, qui ferarum domitorem expresserant, novo coelamine voto aereque Lupiensium exculto truculentioris pestilentiae monstri triumphatorem posteris consignarent.»

Auf demselben Platz steht das ehemalige Gebäude des Munizipiums, welches Sedile heißt, eine Halle mit Bogen gotischen Stils und einem reichgeschmückten Portal. Daneben sieht man eine Kapelle, über welcher sich das tönerne Bild des venezianischen Löwen erhebt. Sie gehörte nämlich der Republik Venedig, die in Lecce eine Handelsniederlassung besaß.

Unter allen dreißig Kirchen der Stadt ist die merkwürdigste die alte der Benediktiner, San Nicola e Cataldo. Sie liegt eine kleine Strecke von der Stadt entfernt. Graf Tancred baute sie im Jahre 1180, und dies war der Sohn jenes obengenannten Erbprinzen Siziliens Roger und der schönen Sibylla. Sein erzürnter Großvater hatte ihn und seinen Bruder Wilhelm in Palermo einsperren lassen, aber Tancred war aus seinem Gefängnisse nach Griechenland entwichen, von wo ihn später der König Wilhelm II. zurückrief, um ihn mit der Grafschaft Lecce zu belehnen. Er baute hier die schöne Kirche San Nicola und Cataldo, neun Jahre bevor er von den Normannen zum Könige erwählt wurde. Sie ist das letzte Denkmal des letzten Normannenkönigs überhaupt, und schon deshalb von geschichtlicher Merkwürdigkeit.

Auf zwei Portalen, dem des Einganges und einem andern des Ausganges in den Klosterhof, haben sich die auf den Bau bezüglichen Inschriften erhalten:

Hac In Carne Sita Quia Labitur Irrita Vita
Consule Dives Ita Ne Sit Pro Carne Sopita
Vide Tancredus Comes Eternum Sibi Fedus
Firmat In His Donis Ditans Hec Templa Colonis.

Anno Milleno Centeno Bis Quadrageno
Quo Patuit Mundo Christus Sub Rege Secundo
Guillelmo Magnus Comito Tancredus Et Agnus
Nomine Quem Legit Nicolai Templa Peregit.

Weil das Leben im Fleische sündhaft dahingeht,
Sorge, daß es nicht reich für das schlafende Fleisch.
Siehe, Tankred der Fürst sichert sich ewiges Bündnis,
Da er den Tempel hier für seine Kolonen geweiht
.

Im Jahre 1180, seit Christus der Gewaltige
Und zugleich Lamm der Welt erschien,
Unter der Regierung König Wilhelms II. hat Tankred,
Den er zu seinem Grafen bestimmt,
Den Tempel des Nikolaus vollendet
.

Die Kirche hat ihresgleichen nicht im ganzen Lande, mit alleiniger Ausnahme der berühmten Franziskanerkirche Santa Catarina zu San Pietro in Galatina, und diese wurde erst zwei Jahrhunderte später erbaut. Sie ist geradezu eins der herrlichsten und eigenartigsten Denkmäler der normannischen Kunstepoche, und vielleicht dasjenige, welches den vollkommensten Eindruck klassischer Einfachheit und Symmetrie macht. In ihr, so sagt Heinrich Wilhelm Schulz, hat sich jener in diesen Gegenden seit den Zeiten des griechischen Altertums heimische feine Sinn und Geschmack am glänzendsten offenbart.

San Cataldo ist ein dreischiffiger Pfeilerbau von nur mäßigen Raumverhältnissen, mit einer kleinen Kuppel über der Kreuzung, ruhend auf Spitzbogen. Das Mittelschiff ist erhöht und hat ein Tonnengewölbe. Die Pfeiler haben Halbsäulen mit korinthisierenden Kapitälen; in gotischer Weise setzen sie sich zum Deckengewölbe fort. Die rohe und grelle Malerei, mit welcher im 17. Jahrhundert das ganze Innere der Kirche überzogen worden ist, hat auch die Pfeiler nicht verschont; später hat man diese Gemälde meist mit Tünche zugedeckt.

Überhaupt hat das Bauwerk, im Innern wie an den Außenflächen, im Lauf der Zeit manche gewaltsame Veränderung erlitten. Das Ganze jedoch, mit den schönsten Teilen der dekorativen Bildnerei in Stein, gibt noch immer den Eindruck der ursprünglichen Schöpfung wieder. Das Material besteht aus Quadern eines gelblichen Kalksteins, von der saubersten Zusammenfügung. Die Außenseiten sind durch Wandpfeiler gegliedert, zwischen denen sich halbgotische Bogen spannen.

Den herrlichsten Schmuck dieser Kirche bildet die Verzierung der beiden glücklicherweise noch vollkommen erhaltenen Portale. Der Stein, aus dem diese Ornamente gemeißelt sind, hat eine goldgelbe Farbe angenommen, welche an die der Tempel Siziliens und Griechenlands erinnert, und die Zierlichkeit und Feinheit, die Durchsichtigkeit der in ihm dargestellten arabesken Formen ist so überraschend, daß diese selbst wie aus Wachs gebildet erscheinen und die Leichtigkeit und Anmut von Malereien oder Stickereien haben.

Das Hauptportal ist ein Bogen mit doppeltem Umfassungsgurt von der reichsten Blätterdekoration. Eine gradlinige Türe führt in die Kirche; auf dem Architrav über ihr steht die erste Inschrift Tancreds, und über dieser sieht man ein ausgemeißeltes Gesims, welches zwischen Blättern sechs Frauenköpfe enthält, deren symbolische Bedeutung unklar ist.

Ein zweites ähnliches, mit nicht minderer Kunst behandeltes Portal führt in den Klosterhof; es enthält die andre der bemerkten Inschriften. Die Türe ist von zwei kleinen Säulen eingefaßt, welche ehemals auf Löwen ruhten. Der Klosterhof selbst ist erneuert worden und zeigt nichts mehr von seinem ursprünglichen Stil.

Das Kloster gehörte den Benediktinern; am Ende des 15. Jahrhunderts kam es an die Olivetaner. Seit der napoleonischen Umwälzung Süditaliens ist es eingegangen.

An Grabdenkmälern findet sich nichts Nennenswertes in dieser Kirche, außer dem Mausoleum des Dichters Ascanio Grandi.

Man wird kaum irren, wenn man behauptet, daß die in jenem Tempel Sant Nikolaus' zu solcher Vollendung gebrachte Dekoration in Stein die wesentliche Schule und das ideale Vorbild gewesen ist, wonach sich der bildnerische Geschmack in Lecce geformt hat. Denn in allen späteren Epochen kam dasselbe Prinzip in Anwendung, bis es sich in den Zeiten des Verfalls durch Überladung zugrunde richtete. Um so mehr ist es zu beklagen, daß die Bauwerke der ältern Periode in Lecce bis auf wenige Reste untergegangen sind.

Von den Denkmälern aus der Zeit der Brienne scheint Santa Croce das bedeutendste gewesen zu sein. Diese Kirche war im Jahre 1353 von jenem Walter von Brienne gegründet worden, welcher als Herzog von Athen und Herr von Florenz in der Geschichte eine flüchtige Berühmtheit erlangt hat. Im Jahre 1549 fand ihr Umbau und der des Klosters statt, und dieser dauerte (nach der Angabe De Simones in seinem neuesten Werk «Lecce und seine Monumente») 146 Jahre. Im Jahre 1807 wurde das großartige neue Kloster der Cölestiner aufgehoben, und später machte man es zum Sitz der Intendantur und des Präfekten. Die Fassade dieses Gebäudes wurde erst am Anfange unseres Jahrhunderts vollendet. Sie ist das Barockeste, was Lecce aufzuweisen hat; gleichwohl bringt die Überfülle der Dekoration einen Eindruck von Pracht und Reichtum hervor, den man der armseligen Nüchternheit modernster Bauten vorziehen muß.

Beim Umbau der alten Kirche gingen leider manche historische Denkmäler zugrunde, so das marmorne Grabmal der berühmten Gräfin von Lecce und Königin Neapels, Maria von Enghien, der Gemahlin des Königs Ladislaus. Das gleiche Schicksal der Zerstörung haben auch die Grabmäler der Normannengrafen erfahren.

Unter andern Kirchen der Stadt ist auch die von San Domenico bemerkenswert; in ihr befindet sich das Grabmal des Humanisten Galateus, welcher der Stolz Lecces ist. Ihr gegenüber steht das schöne Gebäude des Hospitals, ein Prachtbau des 16. Jahrhunderts, ausgeführt nach den Plänen des Giovan Giacomo dell' Acaya.

Von hier gelangt man zu der Porta Rugge, so genannt von einem unweit Lecce liegenden Ort, der alten messapischen Stadt Rudiae, wo der Dichter Ennius geboren war. Dies vor wenigen Jahren erneuerte Tor ist mit Figuren geschmückt, welche die mythischen Heroen des Landes vorstellen, Malennius, Daunus und Idomeneus. Nach der Sage soll nämlich Malennius Lecce gegründet haben und sein Sohn Daunus König Apuliens gewesen sein, welches im Altertum auch den Namen Daunia führte.

Ich will es rühmen, daß die Bürgerschaft Lecces mit Pietät die geschichtlichen Erinnerungen ihrer Stadt festhält; das zeigen die Namen der Straßen; denn obwohl es auch hier solche gibt, welche nach Victor Emanuel, Garibaldi und andern Hauptcharakteren der Gegenwart benannt worden sind, so bietet doch die Liste der Straßennamen, wie sie De Simone in seiner bemerkten Beschreibung Lecces zusammenstellt, gleichsam den Auszug der Geschichte dieser Stadt dar, von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Solche bis in die Mythenzeit hinaufreichende Namengebung ist freilich nur eine Spielerei gelehrter Antiquare. Der gewöhnliche und unstudierte Bürger Lecces hat ein mythographisches und historisches Lexikon nötig, um den Sinn der ganz unpopulären Namen seiner Vaterstadt zu verstehen. Jedoch sie erwecken wenigstens bei denen, die etwas von der Sagengeschichte dieses Landes wissen, immerhin Vorstellungen lokalgeschichtlicher Natur.

Es gibt also in Lecce Plätze und Straßen mit den fabelhaften Namen Malennius, Daunus und Idomeneus. Eine Straße ist von «Messapischen Gräbern» genannt, welche man daselbst entdeckt hat. Die römischen Zeiten sind durch Ennius, Augustus, Hadrian, Marcus Aurelius, Antonius, Verus und Lucius Epulo vertreten. Das Mittelalter prangt mit zahlreichen Namen von Königen und Feudalgeschlechtern, wie Graf Gaufried, Boemund, König Tancred, Manfred (welchem sein Vater Friedrich II. die Grafschaft Lecce und das Fürstentum Tarent verliehen hatte); Gräfin Albiria, Walter von Brienne, der Duca d' Atene, Raimondello Orsini, die Königin Maria, Ferdinand von Aragon usw. Endlich sind auch die in Wissenschaften und Künsten berühmten Leccesen nicht vergessen worden, wie Antonio Galateo, Ascanio Grandi, Acaya, der Chronist Antonello Coniger, der Geschichtschreiber Ammirati, der Syndikus Marangio und viele andere.

Der Bürger von Lecce kann also in seiner schönen Stadt mit antiquarischem Stolz umhergehen und die Chronik seiner Vorfahren von Malennius abwärts an den Straßenecken ablesen.


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