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In jener Nacht holte sich der Hans Olsen den Todesstoß. Er taumelte bei Morgengrauen in seine Hütte und war so erschöpft, daß er sich nicht selber auszuziehen vermochte. – Die Sörine war die ganze Nacht aufgeblieben und hatte sich vor Qual und Besorgnis nicht zu lassen gewußt. Ein paarmal war sie hinausgegangen mit dem Vorsatz, sich zum Per Hansen durchzutrotzen und Hilfe zu holen, hatte aber jedesmal davon abstehen müssen. Sie stellte ein brennendes Licht ins Fenster, schürte das Feuer im Herd und versuchte ihr immer fröhliches Herz an den Gedanken zu gewöhnen, daß jetzt das Unglück hereingebrochen sei.
Kaum hatte sie ihn wieder daheim, so pflegte sie ihn auf jede Weise. Sie ließ ihn eine Schale kochender Milch mit spanischem Pfeffer nach der andern trinken, brachte ihn zu Bett und packte ihn sorglich ein. Aber der Frost schüttelte ihn trotzdem so sehr, daß er bebte und nicht stillzuliegen vermochte!
Im Laufe des Tages stellte sich der Husten ein. Es war ein trockener Husten, der auf den Grund ging und wie gegen Eisen schabte und scharrte. – In der nächsten Nacht phantasierte er zeitweilig, wollte hinaus und nach dem Vieh sehen. Die Sörine hatte einen schweren Stand mit ihm. – Wenn der Husten am schlimmsten über den eisenharten Boden scharrte, kratzte er Rostflecken los, – das stieg dann in den Hals und drohte ihn zu ersticken. –
Es wurde wieder Tag nach einer kummervollen Nacht, und da kam er zu klarem Bewußtsein. Wenn ihm der Husten Ruhe ließ, sprach er gefaßt mit der Frau und gab ihr Ratschläge, wie sie und die Tochter sich mit der Arbeit einrichten müßten. Es sei doch zu bös, daß sie bei solchem Wetter allein alles schaffen sollten. Und als sie hinausgegangen waren, versuchte er sich auf die Beine zu stellen und sich anzuziehen. Aber der Schüttelfrost packte ihn sogleich. –
Zwei volle Tage wütete der Sturm. – Am Vormittag des dritten Tages begann das Schneetreiben sich in sich selber zu verkriechen, vergaß jedoch die Luft hinter sich sauber zu fegen; der Wind ließ nach; aber die Kälte biß noch immer ebenso grimmig.
Sobald der Hans Olsen den Witterungsumschlag bemerkte, bat er die Tochter, die Skier zu nehmen und den Per Hansen zu holen. »Das geht so nicht weiter,« sagte er zur Frau. »Jetzt bist du schon den dritten Tag nicht aus den Kleidern gewesen; mit mir kann es noch lange dauern.« Er wollte noch etwas hinzusetzen, aber der Husten nahm es mit.
Der Per Hansen drehte mit den beiden älteren Buben im Stall Heuwische zur Feuerung, als die Sofie die Nachricht brachte, daß der Vater eine Nacht habe draußen zubringen müssen und jetzt sehr krank sei.
Der Per Hansen kam sofort mit ihr hinüber, trat in die Stube und fragte, wie es stehe. Die Sörine sah müde und kummervoll aus; sie kehrte sich ab: es stehe eben nicht zum allerbesten; ging zum Herde, hielt sich die Schürze vor die Augen und wiederholte: nein, eben nicht zum allerbesten.
Aber Per Hansens Kommen benahm ihr sogleich etwas von der Angst. Ihre alte Zuversicht kam zurück; sie trocknete die Augen und winkte ihn mit sich in die Kammer ans Krankenbett. –
Am Rande der irischen Niederlassung wohnte in einer niedrigen Gamme einsam und allein eine Alte, die bisweilen so seltsam war, daß man sie Crazy-Bridget crazy = verrückt, verdreht. nannte. Den Namen hatte sie schon gehabt, als sie mit ihrem Sohn zusammen aus dem Westen in dieses Settlement gezogen kam und sich auf dem Quart neben dem Sohn ihre Erdhütte aufbaute. Sonst wußte man nur von ihr, daß sie sehr fromm war und meist in einer Sprache sprach, die keiner von den Norwegern je gehört und wohl auch nur wenige von ihren Landsleuten verstanden. Nur selten suchte sie andere auf, aber viele – und besonders die Iren – kamen zu ihr, um sich bei Krankheit Rat und Hilfe zu holen. Sie wußte allerlei altmodische Mittel für Volk und Vieh, gab beides gern und ohne Vergütung. Auch mehrere Norweger hatten sich schon an sie gewandt, obwohl die meisten behaupteten, daß die Alte nur ihren Hokuspokus treibe; doch mußten sie eines einräumen: sie hatte ein ungewöhnliches Geschick mit Kranken umzugehen.
Als der Per Hansen sah, wie schlecht es mit dem Nachbar stand, verabredete er mit der Sörine in der Küche, daß er zunächst einmal die Bridget herbitten wolle, – sie dürften kein Mittel unversucht lassen.
Und das tat er. Im Laufe des Tages kam die Alte mit einem Sack auf dem Rücken auf einem Paar indianischen Schneeschuhen angestampft. Sie wärmte sich am Herd, ging dann in die Kammer, sich den Kranken besehen, ließ sich darauf einen Kochtopf geben und öffnete den Sack. Sie nahm vier große Zwiebeln heraus, schnitt sie in den Kessel, und goß aus einer Flasche etwas Übelriechendes dazu, setzte das Ganze übers Feuer und ließ es seine Weile kochen. Dann bereitete sie daraus ein Pflaster und legte es auf Rücken und Brust; zu allererst aber nahm sie aus der Rocktasche ein kleines rostiges Eisenkreuz, über das sie etwas hinmurmelte, und steckte es in das Brustpflaster. Zuletzt schlug sie ein Kreuz über Rücken und Brust. Die ganze Zeit brummelte sie in einer allen unverständlichen Sprache vor sich hin; ob das nun Gebete waren oder Schlimmeres, hätte niemand zu sagen gewußt. – Das Pflaster solle zwölf Stunden liegenbleiben und durch heiße Tücher ständig warm gehalten werden, erklärte sie auf Englisch. Nach einer bestimmten Zeit müßten sie es erneuern. Sie erklärte der Sörine, wie sie es machen solle, und sie müsse eine Tasse Leinsamen und zwei Tassen frischgemolkener Milch dazutun. Das Kreuz müßten sie sorgsam hüten, – sie mache sie dafür haftbar. Nach etlichen weiteren Ratschlägen wünschte sie Gottes Segen, nahm ihren Sack auf den Rücken und trabte wieder davon. – Sörine wie auch der Hans Olsen hatten Zutrauen zu der Alten gefaßt, – man müsse halt alle Mittel zu Rate ziehen. –
Die Arbeit häufte sich an dem Nachmittag für den Per Hansen; schon daheim war viel zu tun, find hier noch mehr. Erst berichtete er daheim der Beret, wie es bei den Nachbarn stehe; er bat sie, sich so einzurichten, daß sie am Abend hinübergehen und dort zur Nacht bleiben könne; denn für ihn werde es spät werden. Dann machte er sich mit den beiden Älteren auf den Weg zur Herde.
Um die Zeit des Nachtessens kam Tönset'n beim Per Hansen vorbei; er kam aus dem östlichen Teil des Settlements von einer Inspektion und wollte nur schnell einmal hineinschauen. Als er erfuhr, daß der Hans Olsen von einem so argen Husten geplagt werde, daß es fraglich schien, ob er ihn überstehe, da wollte er stracks hinüber, um der Sörine zu erklären, wie sie sich zu verhalten habe. Denn gebe es jemanden in dieser Gegend, der sich auf Husten verstehe, dann sei wohl er das. – Tönset'n war heute abend höchst fidel. – Der Per Hansen solle sich nicht ängstigen – wenn es sich um nichts Schlimmeres handele, als solch einen Husten –!
Der Syvert tat die Skier wieder an und humpelte hinüber.
In der Kammer saß der Hans Olsen im Bett, von Kissen gestützt; das Büblein, der Kleine-Hans, spielte am Fußende auf dem Bett; die Sörine und die Sofie waren mit der Stallarbeit fertig und räumten die Küche auf; die Beret sorgte in der Kammer dafür, daß der Hans Olsen sich über der Brust und um die Schultern warm halte.
Als Tönset'n hereinkam, strickte sie und sang einen Choral.
Dem Alten wurde sogleich dabei ungemütlich: War doch wahrhaftig nicht nötig, mit der Begräbnisfeier zu beginnen, ehe sie noch jemanden hatten, den sie in den Sarg packen konnten! – Das behielt er übrigens für sich.
Seit die Beret wieder gesund geworden war, konnte Tönset'n sie nicht mehr so recht besehen. Sie sei so zimperlich geworden; kaum lasse man sich in ihrem Beisein den harmlosesten Spaß entschlüpfen, so strömten bereits die Ermahnungen aus ihrem Munde. Und niemals einen Tropfen Whisky! Mußte doch Maß sein mit allem! Jetzt war er sowohl Küster wie Trustee, Vorsteher, der die äußeren Angelegenheiten einer Gemeinde besorgt. und er mußte einmal ein ernstes Wörtlein mit ihr reden! – Aber sie flößte einem immer eine solche heilige Scheu ein, daß er diese Absicht zwar seit zwei Jahren gehegt, aber noch nicht ausgeführt hatte.
Heute abend jedoch begriff er nur, daß es mit dem Hans Olsen bedenklich stand, und da vergaß er darüber alles andere. Er ging gleich ans Bett und sagte mit einer Stimme, die froh und zuversichtlich klingen sollte: »Ich wundere mich über dich, Hans Olsen! Kannst du mir sagen, wozu du großer langer Kerl um diese Tageszeit noch nicht aufgestanden bist? – Und dabei ist die herrlichste Rodelbahn von deinem Hüttendach geradeswegs bis hinunter zu mir!«
Das Gesicht des Kranken erhellte sich, als er Tönset'n sah, – aus dem rotgelben, mit Eiszapfen behängten Bart wehte es ihn wie frisch Wetter an, – ein seelenvergnügtes Lächeln saß dahinter. »Gut, daß du kommst, du Syvert!« sagte er.
Das gefiel Tönset'n; er nahm sich schmunzelnd einen Stuhl und setzte sich neben das Bett.
Tönset'n hatte ja heute etwas erlebt: Als die Kjersti in der Frühe habe Feuer machen wollen, da sei der Herd so dicht gewesen wie eine Heringstonne, und es habe nichts wie Qualm und Rauch gegeben. Da habe sie ihn geweckt; und als er in die Kleider gekommen sei, und sich endlich hinaus- und hinaufgegraben habe, da sei die ganze Gamme eingeschneit gewesen: eine ebene Schneedecke habe sich vom Indi-Hügel bis zum. Bach gesenkt. Und der Schornstein vollgestopft mit Schnee! Well, sie hätten ihn schließlich freibekommen und ihren Morgenkaffee kochen können. Es sei doch auch rein zu toll mit dem Schnee bei ihnen unten am Bach. Er habe gestern mühsam eine Treppe durch den Schnee zum Stall hinauf geschaufelt; die sei gestern gut festgestampft worden und heute noch besser gewesen. Und da sei es halt so vertrackt zugegangen, daß der Kjersti, als sie einen Kübel Wasser hinauftrug, gerade auf der obersten Stufe die Füße weg glitten. Sie habe noch geschwind den Kübel hingesetzt, sei dann aber selber unaufhaltsam bergab gerutscht, bis sie mitten in der Stube landete. ›Kannst du mir sagen, Kjersti,‹ habe er sie da gefragt, als er gemerkt, daß sie nicht zu Schaden gekommen war, ›kannst du mir sagen, worauf du da angerodelt kommst?‹ Und dann hatte ihn das Lachen gepackt. Er habe zwar versucht, es zu stoppen, als er bemerkte, wie übel sie es aufnahm, aber es sei halt nicht zu bändigen gewesen; er habe gelacht, bis die Kjersti ihn geheißen, sich wegzuscheren! – Well, das habe er denn auch getan. Er habe auf Skiern den östlichen Teil des Settlements befahren und nachgesehen, wie die Leute durchhielten. Dabei sei er zum Johannes Mörstad und der Jossie gekommen – die Jossie erwarte nämlich jetzt ihr Fünftes, ja, und es könne jeden Tag eintreffen, und er, Tönset'n, fühle das Bedürfnis, sich darüber auf dem laufenden zu halten. Er habe sich dort festgeschwätzt, von dem Geschehnis mit der Kjersti erzählt, und da sei ihm wieder das Lachen gekommen. Er habe gelacht, bis die andern mitlachen mußten. Der Johannes sei schließlich so aufgeräumt gewesen, daß er eine Flasche geholt hätte, die er eigentlich zu der bevorstehenden freudigen Begebenheit habe aufheben wollen, und Tönset'n ein paar Schnäpse eingeschenkt habe, – mochten auch mehr gewesen sein, wenn man's mit der Wahrheit akkurat genau nehmen wolle.
Das mit der Kjersti, und wie er ins Settlement gemußt, um den Frieden des Hauses herzustellen, erzählte er dem Nachbar getrost; – über die Schnäpse glitt er mehr hinweg. Aber lachen mußte er wieder, daß es ihn rüttelte.
Es lag etwas Ansteckendes in Tönset'ns guter Stimmung; sie vermochte auch den Hans Olsen halbwegs mitzulocken; dann bekam er einen Hustenanfall, und es fiel ihm ein, sich zu erkundigen, ob sich denn die Kjersti bei der Rodelpartie nichts getan habe.
»Nein, Kind, nicht das geringste,« japste Tönset'n und trocknete sich die Tränen,– »abgesehen von ein paar Schrammen hier und dort, – aber das gibt sich schon, wo hierzulande alles so gut wächst! – – Ja, ja, morgen komme ich mit der Kjersti herauf, – werden das aus deiner Brust schon herauskochen, – die Kjersti ist nämlich ungemein geschickt beim Kurieren von solchem Husten, will ich dir sagen!« –