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VI

Als die fremde Frau aus dem Wagen stieg und der Beret ins Gesicht sah, war es, als werde ein Vorhang vor all das Entsetzliche gezogen, das sie erlebt. Sie trat in die Gamme, und da war alles, wie es sein sollte. Wärme lag darin von Menschen, die hier lange gewohnt. Sie sah sich um und erfaßte die Stube mit einem Blick. Ja, hier gab es Tische und Bänke; im Ofen brannte ein Feuer; es duftete angenehm aus einem kochenden Kessel; an einer Leine hing Wäsche, – und zwei hergerichtete Betten standen da. Ja, hier wohnten Menschen in einem Heim. Das tat so wohl! – Sie wurde an eins der Betten geführt, sank darauf hin; eine behutsame Hand machte sich mit ihr zu schaffen und faßte so angenehm und leicht, nahm einen mit lauem Wasser genetzten Lappen und trocknete ihr damit das Gesicht. Ach, wie gut das tat! – – Sie hatte wohl mit der Frau ein wenig geredet? – Doch, sie hatte ihr erzählt, daß sie einen Sarg brauche; hatte ihr Bescheid gegeben, wo sie den Stein suchen solle, hatte auch daran gedacht, sie zu bitten, ein Tuch mitzunehmen; es wurde vielleicht kühl heute nacht, und der Rock, in dem er lag, war schon so abgetragen und dünn.

Die Stubenwärme und die Traulichkeit von Menschennähe hüllte sie ein wie eine weiche Decke; sie schlief sofort ein, schlief fest und ruhig.

Bis etwa drei Uhr morgens. Da begannen ihre Sinne zu erwachen, und allmählich ging ihr auf, wo sie sich befand – in einer fremden Stube, wo eine Lampe mit mattem Schimmer brannte. Sie waren gestern abend hergekommen, das Büblein hatten sie nicht mit sich gebracht. – Daß ich mich auch so vergessen kann! dachte sie. Jetzt muß ich mich freilich beeilen, ehe der Jakob kommt und es weitergeht.

Die Frau setzte sich auf, knöpfte sich das Kleid zu und schlüpfte leise vom Lager. – Sie sah sich zögernd einen Augenblick in der Stube um, beugte sich über das Bett, hob das Kind auf, das dort lag, nahm den Überrock und wickelte es vorsichtig hinein. Leise verließ sie die Gamme, schloß die Tür nicht hinter sich, um nicht Lärm zu machen. – Dort stand ihr Wagen, – wenn der Jakob sie jetzt bloß nicht entdeckte! – Sie glitt wie ein Schatten um die Hütte und weg vom Wagen: das Kind preßte sie vorsichtig an sich.

Die Beret erwachte davon, daß eine Stimme sie aus weiter Ferne rief; sie rief mehrere Male hintereinander und laut. – Darf ich mich nicht eine Weile ungestört ausruhen? Ich bin letzte Nacht doch so spät erst ins Bett gekommen, dachte sie. Ich kann kaum erst eingeschlafen sein? – Aber die Stimme rief so laut, daß sie sich aufsetzen mußte, und jetzt kam ihr alles ins Gedächtnis zurück: die Fremden, die gestern abend gekommen waren, und die Mutter, der es so elend ging. Sie wandte sich nach ihr um.

»Kannst du mir sagen –?!«

Sie warf sich aus dem Bett, stierte auf das andere; aber die Frau blieb verschwunden; daß das Kind auch fort war, bemerkte sie nicht. – Sie fühlte es kalt durch die Stube wehen und bemerkte die offene Tür; sie lief hin. – Es fühlte sich an, als sei jemand soeben hinausgegangen; stand die Fremde vielleicht draußen an der Wand ? Sie trat hinaus, wagte nicht zu rufen; – sie lauschte, brachte schließlich einen leisen Ruf hervor; – nein, niemand antwortete; sie lief um die Gamme herum, rief wieder und stürzte dann hinein und weckte den Mann:

»Sie ist fort, – wir müssen sie gleich suchen gehen!«

Der Per Hansen fuhr in die Kleider.

Frühe Dämmerung flutete draußen über die Prärie; leichter Nebel zog längs des Baches; tiefe Kühle entströmte dem Zwielicht.

Der Per Hansen sprang auf den Wagen und spähte nach allen Richtungen. – Was war das dort? Sie konnte doch wohl nicht dorthin gegangen sein? – Über die Indikuppe wanderte ein Mensch! Er sprang hinunter, rief die Beret an und zeigte; dann rannten sie beide den Hügel hinauf.

Droben irrte die fremde Frau umher. Sie schien sich über sein Kommen nicht zu wundern.

Der Per Hansen betrachtete sie forschend: Was in aller Welt trug sie denn da in den Rock gewickelt?

Seine Augen weiteten sich; er schrie auf vor Entsetzen, sprang hinzu, umfaßte die Frau und riß das Kind an sich.

Das Gössel erwachte und fing an zu maunzen. Es begriff gar nicht: es war so kalt und der Vater so eigen; aber es wollte weiterschlafen und kroch tief in seine Jacke hinein. Jetzt wurde es wacher; schlug da nicht immerfort eine geballte Hand an die Wand? Aber behaglich war's, und schlafen wollte es, mochte die Hand pochen, soviel sie wollte! – Aber jetzt kam die Mutter, und alles wurde nur noch sonderbarer. Die Mutter nahm es in die Arme und drückte es fast zu Tode; es schrie und kroch so tief hinein, als es irgend anging; und auch da war eine Faust, die an eine Wand klopfte! – Nein, das Gössel konnte durchaus nicht begreifen, was heute nacht vor sich ging.

Die Beret trug das Kind heim; es war ihr teurer, als da sie es zur Welt brachte. – Ja, heute nacht war der Herrgott zugegen gewesen und hatte ein großes Unglück verhindert!

Die fremde Frau suchte jetzt im Grase. – Sie wollten ihr also nicht helfen? Das Kind hatte er ihr abgenommen, – das war nicht so sonderbar; der Mann hatte kein gutes Gesicht! – Aber sie mußte jetzt vor allem suchen, bevor der Jakob dazukam! – Merkwürdig, daß ich den Stein nicht finden kann! Ich weiß, hier war es, – was ist bloß aus ihm geworden? Ungefähr hier müßte er liegen.

Der Per Hansen sprach sie an, und sie fand seine Stimme so häßlich:

»Komm jetzt! – Heute fahren der Hans Olsen und ich auf die Suche nach deinem Kinde.« Er faßte sie beim Arm und zog sie mit sich.

Das war freilich wieder freundlich von ihm, daß auch er nach ihrem Büblein suchen wollte!

Sie folgte willig, saß still dabei, während die andern Frühstück aßen; – aß auch selbst, wenn sie sie darum baten. – Sie sah zu, wie sie den Sarg zusammenfügten; und als eine schöne Frau mit einem lieben Gesicht ihn innen mit einem weißen Laken auskleidete, da wurde sie froh; mit dieser Frau hätte sie sich gern noch besprochen; aber es war so leidig, Fremde zu bemühen! –

Sie fuhren nach Osten, – der Mann und die Frau, und mit ihnen der Hans Olsen und der Per Hansen. Vier lange Tage suchten sie die östliche Prärie ab; aber sie kamen mit dem leeren Sarg zurück. Das Grab hatten sie nicht finden können.


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