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Die Beret merkte deutlich an seinem Wesen, daß er sich jetzt mit einer Sorge trug, an die er sie nicht heranließ. Er hörte nur halb, wenn sie ihn einmal unversehens ansprach. Selbst, wenn er sich dann Mühe gab, natürlich mit ihr zu sprechen, so fühlte sie doch kein Nahsein heraus. Es fehlte die Wärme und die kindliche Freude, die ihn sonst immer beseelte. Und von dem frohen, lichten Geplauder vom Märchen, vom Königshof, von dem König und der Königin hörte sie nichts mehr. In den Nächten wachte er viel, warf sich und schlief unruhig. Was war es nur? – Und was gab es hier draußen denn zu verbergen? –
Und die ganze nächste Woche ging es so weiter.
Am Montagmorgen war er wieder zeitig unterwegs. Sie hatte die Nacht wachgelegen und gefühlt, daß ihm etwas nicht Ruhe ließ; aber schließlich war sie doch darüber eingeschlafen. Als sie die Augen aufschlug, fing es gerade an leise zu dämmern; da war er schon fort. Es fühlte sich an in der Hütte, als sei er schon seit langem gegangen; nirgends der geringste Laut. – Die Beret warf sich die Kleider über und ging hinaus. Dort stand der Pflug, sah sie, und die Ochsen lagen nicht weit davon ab; doch er war nirgends zu sehen. – – Ein unheimliches Gefühl von Verlassenheit beschlich sie, als sei sie von aller Welt Trübsal umgeben. Ja, wo war er jetzt wohl ? Was ging nur vor sich ? Und was quälte ihn so, was wollte er vor ihr verbergen? – – Sie rief einige Male nach ihm; dann stieg eine Angst in ihr auf, daß sie den Namen nicht noch einmal auszusprechen wagte. Der Schall verklang, ohne daß ihn jemand auffing. – – Der Beret war, als habe sie die Öde noch nie so lasten gefühlt.
Inzwischen stellte sich der Per Hansen auf der westlichen Prärie höchst sonderbar an. Er war vor Tagesanbruch aufgestanden, hatte sich draußen einen Spaten gesucht, sich dann aufgemacht; mit einem unnötig großen Bogen war er um Hans Olsens Hütte herumgegangen, hatte sich im Vorbeigehen vorsichtig umgeschaut, ob dort jemand auf sei, und sich dann weiter gesputet. – Er kam an die Stelle, wo sich auf Hans Olsens Land ein schwarzer Pfahl im Grase duckte; hier hielt er nach allen Seiten Ausschau. – Nein, niemand war zu sehen! Jetzt flammten seine Augen, die Lippen preßten sich zusammen, das Gesicht war hart und entschlossen. Er faßte den Pflock fest, zog ihn langsam heraus und legte ihn vorsichtig zur Seite. Er untersuchte das Loch eingehend, ehe er sich daran gab, es zuzuschütten; und als er endlich damit fertig war, hätte man schwerlich erkannt, daß ausgerechnet hier ein Stangenende im Boden gesteckt hatte. Er ging äußerst vorsichtig und bedächtig zu Werke. Erst holte er von weither lockere Erde und füllte das Loch bis fast zum Rande; suchte sich dann einen Graspfropfen und spundete damit zu; und in dem Pfropfen stand das Gras ebenso üppig wie ringsum. Und er nahm sich ungemein in acht, das Gras um das Loch nicht zu zertreten; er wagte kaum, den Fuß aufzusetzen.
Endlich betrachtete er prüfend sein Werk. – – »Wenn die jetzt warten, bis das Gras sich hinter mir wieder aufgerichtet hat, dann müßte es sonderbar zugehen, wenn sie den Hans Olsen um des Pflockes willen verjagen könnten!« Und darauf begab sich der Per Hansen schleunigst dahin, wo er das Eigentumszeichen auf Tönset'ns Land gefunden; hier machte er es ebenso, war nur womöglich noch vorsichtiger. –
Als der Per Hansen – es war noch früher Morgen – heimkam, da kam er nicht von Westen, sondern von Norden. Die Buben saßen am Tisch beim Frühmahl, die Mutter besorgte den Haushalt und ließ das Fenster nicht aus den Augen. Sie sah ihn kommen, sah ihn beim Holzstoß stehenbleiben und einen Spaten wegsetzen, zur Hütte hinübersehen und zaudern. Und da verrichtete sie ihre Hausarbeit weiter, als sei nichts im Wege. Gleich darauf hörte sie seine Schritte draußen längs der Hauswand. Ging er zum Stall ? – Er kam erst nach einer Weile in die Hütte.
Die Beret musterte ihn von der Seite. Ja, da war er also, da war er! Aber im Gesicht war etwas Leuchtendes und glitzernd Hartes. – – Sie wollten heute pflügen, wies er die Buben an; jawohl, pflügen! Heute sollten die Ochsen tüchtig heran! – – Die Stimme klang, wie das Gesicht aussah; – sie klang so stark, sie sprühte geradezu Funken.
Der Stall war noch nicht in Gebrauch; vorläufig diente er als Gerätschaftshaus, als Tischlerwerkstätte und als Stabbur. Die Beret hatte dort alle Kleidungsstücke hängen. Heute ging sie hin, um zu sehen, ob etwas zu flicken sei. Und da fand sie die Pfahlenden, – der Per Hansen hatte sie unter den Kleidern versteckt. – – Die Pflöcke waren zum Schutz vor der Bodenfeuchtigkeit gebrannt, und außerdem waren sie so von der Erdschicht gefärbt, daß sie sie kaum gesehen, hätten nicht die geschnitzten Buchstaben geschimmert. Sie glaubte erst, es läge am Boden ein großer Wurm und sah erstaunt näher zu. Sie hob die Pfahlenden auf, drehte sie untersuchend hin und her. Da standen Zahlen und Buchstaben, und immer mehr Buchstaben, die sich zusammenfügten und zu einem Namen wurden; – ›Joe Gill‹ sagte der eine Pfahl, ›O'Hara‹ der andere. – – Wunderliche Namen, dachte sie. Ob wohl Menschen so hießen? Gewiß waren es Indianer? Die Pfähle waren zugespitzt; hatten wohl im Erdboden gesteckt, denn es klebte noch immer Erdkrume an ihnen. – – Wo hatte er die wohl gefunden ? – Sie legte sie wieder zurück, suchte sich ein paar ausbesserungsbedürftige Kleider, ging in die Hütte und machte sich ans Ausbessern.
Aber die Pflöcke wollten ihr nicht aus den Gedanken. – – Diese Zahlen? – Zahlen und Buchstaben? Das mußte doch eine Landzuweisung bedeuten? – Und dazu Namen? – – Und im Boden hatten sie gesteckt? – – Ihr fiel ein, daß er sie erst kürzlich versteckt haben könne; denn erst in der letzten Woche hatte sie die Kleider dorthin gehängt. – Hatte er sie heute morgen mitgebracht? – – Sie tat die Arbeit zur Seite, ging hinaus, um die Pflöcke noch einmal zu untersuchen. – Gewiß! Die hatten im Boden gesteckt, und zwar bis zu dem Rand!
Sie saß wieder beim Flicken; die Bewegungen der Hand verlangsamten sich. – – Damit also hatte er sich geplagt und gewollt, daß sie davon fernbleibe? – – Heute hatte er so laut gesprochen und hatte so tatkräftig ausgeschaut. – Da war er wohl heute morgen mit den Pfählen gekommen – – ?
Die Gedanken spannen langsam zusammen. Je länger sie spannen, desto weniger gefiel ihr das Gespinst. Ihr wurde so bange, daß die Hand zitterte und sie aufhören mußte zu nähen.
Mittags wollte sie ihn nach allem fragen; und damit beruhigte sie sich vorläufig.
Und dann kam er heim, noch immer mit dem Starken, Lichten, das Funken sprühte; und das, womit sie sich trug, war so überaus häßlich, daß sie es unmöglich vorbringen konnte. – – Und jetzt war er auch wieder fröhlich – gewissermaßen; und er war doch wenigstens da!
Nach dem Abendessen hörte sie ihn im Stall herumkramen, wieder herauskommen und über den Hof gehen. Sie sah durchs Fenster. Da stand er am Hauklotz und zerhackte ein schwarzes Pfahlende, gebrannt und spitz, das im Erdboden gesteckt hatte! Die Stücke zersplitterte er zu Spänen! – Dann nahm er ein zweites und verfuhr mit ihm ebenso. – – Jetzt kniete er hin und las sorgsam Span auf Span zusammen und, – nein, o nein! – jetzt kam er damit in die Stube!
Die Beret stand verängstigt im Winkel beim Herd. Er sah sie, blickte zur Seite und geradeaus, kam heran, nahm die Ringe heraus und legte die Späne hinein.
»Willst du denn jetzt ein Feuer anmachen?«
»Nur ein wenig Holzabfall verbrennen, der beim Hauklotz lag.«
Sie wollte um den Herd herum und ihn aufhalten. Die Knie versagten ihr den Dienst. Sie wollte ihn etwas fragen, notwendig fragen, und konnte nicht, – die Worte verkrochen sich.
Nein, sie brachte es nicht fertig; denn, was sie argwöhnte, war so häßlich, so unsäglich abscheulich: Herre Gott, vergriff er sich etwa an anderer Leut Landmarken! – – – Schlimmer konnte sich ein Mensch an einem andern kaum versündigen, hatte sie daheim oft gehört. –
Ihr Entsetzen war größer noch als heute morgen, da sie seinen Namen gerufen und nicht Antwort erhalten hatte.
In der Nacht schlief der Per Hansen ungestört; aber jetzt quälte die Beret sich mit etwas, das ihr alle Ruhe nahm.