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Der Per Hansen gab keinen Ton von sich, als er in die Stube kam. Die starke Wärme legte einen Schleier um alle seine Sinne. Auch konnte er die Augen nicht recht aufbekommen, das Licht blendete zu sehr; die Wimpern und Brauen waren von Schnee und Eis zusammengebacken. Aber er war sich doch bewußt, daß es hier drin höchst behaglich war; hier saßen Menschen, und zwar norwegische Menschen – er war dessen ganz gewiß; denn das hatte er an den Windbrettern der Hausecke gesehen. – Geradeswegs aus dem Rachen des Todes war er in etwas Gutes und Warmes und Behagliches geraten. – Außen taute er schneller auf als inwendig. Im Kopf war ihm schwindlig und wirr, er konnte kaum noch auf den Beinen stehen.
»Gebt mir etwas, worauf ich mich setzen kann, guten Leute!« hörte er eine matte Stimme sagen. Jetzt vergingen ihm gewiß bald die Sinne, – er mußte sich sputen.
»Draußen stehen – zwei Ochsen – zwei liebe, brave Ochsen; – wir müssen zusehen, sie sogleich in den Stall zu bringen! – Mit mir ist's nicht so wichtig, – aber die Ochsen –!«
Ein Stuhl stellte sich vor ihm auf; er begriff, daß der für ihn bestimmt sei, faßte ihn und sank darauf hin. – Das war Eis, was da in seinem Zeug krachte, viel Schnee, der auf den Boden fiel.
»Ich selber rapple mich gewiß noch zurecht, – aber die Ochsen – die Ochsen!«
Menschliche Laute erklangen rund um ihn. – Da saßen gewiß viele in der Stube; er konnte die Gesichter nicht unterscheiden, es lag solch ein dicker Nebel davor.
Aber dann war da einer, der erhob sich dicht neben ihm, pflanzte sich gerade vor ihm auf.
Der Per Hansen zuckte zusammen, – die Stimme sollte er doch kennen ?
»Kannst du mir sagen,« kam es, »bist du das hier eigentlich, Per Hansen?«
Da lachte der Per Hansen.
»Wo kommst du her, Syvert ? – Habt ihr den Sam auch gut verwahrt?«
»Siehst du den Buben nicht? Er sitzt ja gerade vor dir? – Nein, daß noch Leben in dir ist!«
Es war freilich nicht so sonderbar, daß sie ihn nicht erkannten, oder er so wenig sah, oder seine Stimme so merkwürdig klang; denn sein Gesicht war von einer Maske von fest zusammengeballtem Schnee bedeckt, die langsam taute; sie verklebte ihm Gesicht und Bart, verband die Mütze mit dem Jackenkragen, und legte ihm ein weißes Laken über den Rücken. Hat es jemals einen Schneekönig in Menschengestalt gegeben, so muß das der Per Hansen gewesen sein, wie er an jenem Abend in Simon Baarstads Hütte trat. –
Well, nach einer Weile verfügte er wieder über alle seine fünf Sinne, und ganz richtig: da saßen sie alle miteinander! Er erkannte die Stube und die Menschen und alles. Und da saß ja auch der Sam, – der Sam, der so schön singen konnte; saß drüben beim Herd neben einer blonden jungen Dirn. Der war dem Herd und ihr doch ungemein nahe gerückt!
Der Per Hansen mußte in seinem Innern lächeln: Du Sam, du Sam!– Ach ja, auch aus dem Sam wurde noch mit der Zeit ein Mensch!
Er ließ sich vom Hans Olsen erzählen, wie sie auf Tod und Leben drauflosgefahren seien. Nicht die entfernteste Ahnung hätten sie gehabt, wie und wo sie fuhren; und zu guter Letzt seien sie, vor mehr als zwei Stunden also, hier angelangt.
Die Uhr war jetzt neun.
Aber jetzt schien es, als höre der Per Hansen nur noch mit halbem Ohre hin, – so als ginge ihn die Fahrt eigentlich nichts mehr an; die lag ja übrigens auch schon hinter ihnen. Nein: drüben beim Herd machte sich die Gurine Baarstad mit einer Pfanne zu schaffen; sie goß viel Milch hinein, und als die zu sieden begann, tat sie Bier dazu.
»Liebe, prächtige Gurine, sei bloß nicht so hurtig mit der Hand!« foppte der Per Hansen.
Ein kräftiger, braunschäumender Trunk wurde daraus. Er bekam eine große Schale voll und leerte sie, ohne abzusetzen.
»Herr im Himmel, wer doch dreizehn Tonnen von deiner segensvollen Flüssigkeit bekommen könnte, Gurina! – Ist da wohl noch ein Tröpflein in der Pfanne?«
Die Schale wurde aufgefüllt und in einem Zuge geleert.
Da kam ihm etwas in den Sinn, und er fragte: Hätten sie ihn eigentlich an sich vorbeifahren sehen?
Vorbeifahren?! – »Jetzt schwätzest du wirr, Per Hansen,« sagte Tönset'n und blickte ihn bekümmert an; wie absonderlich doch der Per Hansen heute abend redete!
Nein, im Ernst! Sie sollten nur den Schlitten vom Sam einmal bei Tage untersuchen; er habe den Sam ja beinahe in den Grund gesegelt, als er an ihnen vorüberfegte! »Kannst du mir sagen, sahst du mich nicht?«
Well, der Sam war im Zweifel. Er habe zwar einmal etwas vorbeiflimmern sehen, etwas wie einen schwarzen Wisch, gleich nachdem das Unwetter losgebrochen sei. Er habe einen mächtigen Stoß am Schlitten gespürt und gemeint, er sei an einen Stein gefahren. »Bist etwa du das gewesen?«
»He he, – akkurat meine flinken Ochsen, die an deinen Schindmähren vorbeiflitzten!«
Wo in aller Welt habe er sich denn aber in der Zwischenzeit aufgehalten, fragten alle drei Mann wie aus einem Munde.
Ja, danach könnten sie freilich fragen! Der Per Hansen bekam seine Schelmenaugen, faßte die Schale und untersuchte, ob nicht noch ein paar Tropfen an ihr klebten. »Ich machte halt einen kleinen Umweg nach Norden, zu den Indians bei Flandreau, um mich nach einer passenden Frau für den Henry umzuschauen, – ich meinte halt, so viel könne ich für das arme Bürschlein immer noch tun; sein Bruder hilft sich, scheint's, selber; – kannst du mir sagen, du Sam: friert dich sehr?«
Der Sam wurde rot, rückte mit dem Stuhl vom Herd und der Dirn weg.
Jetzt kam eine große Schüssel Brei auf den Tisch für alle und eine gehörige Schale heiße Milch für den Per Hansen. Er aß aus Leibeskräften und fand, er werde doch nimmer satt.
Und hinterher wurde noch lange gemütlich geschwätzt über alles, was geschehen war und noch geschehen werde. Oh, hier lag eine vielversprechende Zukunft vor Leuten, die vorwärts wollten!
Endlich kamen sie in die Kojen: die Wirte in ihre Betten, für die Wegfahrenden war auf dem Fußboden eine dichte Schicht Heu gelegt, die mit vielerlei Kleidern und Tüchern zu guten Lagerstätten ausgestaltet worden war. Und drei von ihnen schliefen sogleich den Schlaf des Gerechten. Nur der Per Hansen brachte es nicht zustande. Seine Sinne waren in dicke Schichten von Müdigkeit gehüllt; aber ihn floh der Schlaf. Leise Zuckungen überliefen seinen Körper, – unaufhörlich – wie das leichte Gekräusel auf spiegelblankem Meer. Es war warm in der Stube, die Decke so lastend; er mußte sie abwerfen; aber innerlich fror er.
Und ein Bild hielt seine Vorstellung hartnäckig gefangen: eine Gamme irgendwo im Westen, umtobt vom Unwetter, eine Gamme, um die der Wind pfiff, – er hörte deutlich das Sausen des Windes um die Ecken –. Die Gamme lag weit, weit im Dunkel. Ein Weib mit einem traurigen Antlitz, das immer noch so unglaublich schön war, schritt dort mit einem Kinde auf dem Arm auf und ab. Im Halbschlaf konnte er deutlich sehen, wie sie das Kind trug. Es war sorgsam gewickelt, und der Wickel war rot mit schwarzen Kanten. Er wälzte sich hin und her; denn das Weib schritt unaufhörlich auf und ab. – Ihn dünkte, er müsse sie ansprechen, – sie bitten, zu Bett zu gehen, damit er endlich Ruhe finde.
Herr Gott im Himmel, seufzte der Per Hansen, die Beret kann sich doch wohl heute nacht nicht um mich ängstigen ? – Das ist dumm von der Beret, sehr dumm, – so oft, wie ich ihr erzählt habe, daß es in der ganzen Welt nicht bessere Leute gibt als diese Trönder!
Aber das Zucken im Körper hörte nicht auf, das Bild ließ seine Vorstellung nicht los. – Es war wohl kalt heute nacht in der Gamme, – wenn bloß die Buben Holz genug hereingeholt hatten, bevor das Unwetter heraufgekommen war! – Sie wanderte jetzt hoffentlich nicht mehr herum, denn dann wurde ihr schlotternd kalt.
Er kehrte sich um, aber nicht ab von dem Bilde.