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Die Beret hatte jetzt die Gewohnheit, von der Hüttenschwelle über die Prärie zu spähen; sie suchte sich einen Punkt am Horizont und ließ die Blicke wandern, bis sie die ganze Rundung umkreist hatten. Aber es blieb das gleiche, immer –: Lebendiges gab es nicht. Ein Zauberring lief um den Himmelskreis und am Himmel hinauf. In den Ring drang Leben nicht ein; es war damit, wie mit der Kette um den Garten des Königshofs im Märchen; der Garten konnte nicht Frucht tragen, solange die Kette um ihn lag. – Wie konnten da Menschen hierher gelangen? – O nein, den Ring durchbrachen nur solche, die ins Verderben gelockt worden waren! –
Menschen hatten hier nie gehaust, Menschen kamen niemals her; denn Menschen konnten in dieser offenen, allen Winden preisgegebenen Unendlichkeit keine Heimat finden. – Nur gerade sie waren herverzaubert und -gebannt worden! – – So ging es den Menschen: sie wurden verlockt und waren sich dessen nicht bewußt, kamen in die Wirrnis hinaus, ohne es selber zu spüren, – nur andere sahen es. – – Etliche wurden gerettet und gelangten zurück und waren dann anders wie Menschen sonst, – – etliche kamen niemals wieder. – – O nein, etliche kamen niemals wieder!
Wie hoffnungslose Traurigkeit konnten solche Vorstellungen sie befallen. Sie sah den Ring, und obwohl er so ferne ab lag, war es, als wolle er sie erwürgen.
Sie wurde wortkarg und machte sich sehr viel Gedanken. – –
Und dann geschah das Unglaubliche: es kamen andere in den Zauberring hinein.
Es war um die Abendzeit. Der Ole war auf dem Pony an den westlichen Sumpf geritten; auf dem Heimweg wurde er im Osten einen großen, weißen Fleck gewahr, der sich im Abenddunst bewegte. Der war nicht weit ab, und er kroch immer näher. Der Bub war so erstaunt, daß er sein Herz pochen hörte; er mußte durchaus in Erfahrung bringen, was das war. Der Pony trabte schnell, ein kleiner Umweg nach Osten machte wohl nichts. Und so ritt er auf den Fleck zu. – Als er sich überzeugt hatte, daß hier Westfahrer kamen, – das bewiesen ihm die Wagen, – machte er schnurstracks kehrt und galoppierte, daß der Pony mit dem Bauch fast die Erde streifte. Er unterrichtete im Vorüberreiten Tönset'n, brachte dem Hans Olsen die Nachricht, jagte heim und rief, jetzt sollten sie alle herauskommen und sehen, – und zwar sofort!
Nein, aber das war doch merkwürdig! Da kamen doch zwei Pferde vor einem Wagen? – Und der Wagen hatte genau so ein Dach wie einstmals ihr eigner. – – Und er karrte sich langsam aus dem östlichen Abenddunst heraus und steuerte auf Sonnenuntergang zu? – – Ach ja, es waren noch andere auf Irrspur geraten!
Der Wagen hielt Kurs auf Tönset'ns Hütte, langte an und hielt. Die Begebenheit war so ungewöhnlich, daß die Bewohner der kleinen Neusiedlung alle gute Sitte vergaßen und sich unverzüglich zu Tönset'n begaben. Selbst die Beret band sich eine reine Schürze vor, nahm das Gössel bei der Hand und ging hinüber. Die gesamte Siedlung, jung und alt, war bei ihrer Ankunft versammelt, alle außer dem Per Hansen. Er kam zuletzt, in der Hand trug er eine Holzstange.
Der Zug bestand aus vier Männern; sie kamen aus Jowa. –
Nein, sie wollten hier nicht bleiben, wollten siebzig Meilen weiter nach Südwest; hier herum war alles Land aufgeteilt, hätten sie gehört. – – Tönset'n und die Solumbuben schwätzten mit ihnen, der Hans Olsen und die Frauen und die Kinder standen im Kreis um sie herum und hörten andächtig zu; der Per Hansen aber war ganz Auge und Ohr, er durchforschte mit seinen Blicken die vier von der Fußsohle bis zum Scheitel – der Griff um die Stange lockerte sich; sagten sie nicht, sie wollten siebzig Meilen weiter ? Der Per Hansen wurde ungeduldig; er faßte Tönset'n so fest beim Arm, daß der den Kopf drehte, – aber nur für einen Augenblick.
»Was für Leut sind das?«
»Deutsche, – halt mich nicht auf!«
»Du mußt sie bitten, nicht zu bleiben. – Wir brauchen Norweger, siehst du!«
»Sei still, ich werd' hier schon alleine fertig!«
Tönset'n hatte jetzt nicht Zeit zu einem Schwatz mit dem Per Hansen!
Da kamen eines schönen Abends vier fremde Männer, wollten nachtsüber rasten und am nächsten Morgen weiter; sie hatten sie nie zuvor gesehen, sahen sie vielleicht niemals wieder, und dennoch war das die größte Begebenheit seit ihrer Ankunft – das fühlten sie alle. – – Die wollten also noch siebzig Meilen weiter ins Abendrot hinein, die Burschen, – ganze siebzig Meilen! Dann war diese Stätte hier also nicht mehr der alleräußerste Rand des Lebens! – – Menschen kamen, jawohl; Menschen, die einen Wohnsitz begründen wollten! Eine Mauer von Leben zwischen ihnen und dem Unsagbaren dort draußen! – – –
Ehe die Deutschen weiterwanderten, kamen sie noch zum Per Hansen hinüber, um sich seine Hütte zu besehen. Tönset'n habe ihnen erzählt, hier sei ein Mann, der habe sich Stube und Stall unter dem gleichen Dach errichtet, und dieses Bauwerk schien ihnen einer Besichtigung wert. Und so erhielt der Per Hansen Gelegenheit, ihnen für 2,25 Dollar Kartoffeln und Gemüse zu verkaufen. Und das war der erste Ertrag, der in dem Settlement am Spring Creek verkauft wurde. – – Tönset'n gefiel das nicht so recht; das hätte er selber tun können; aber wer kommt auch gleich auf so etwas? Er war hinterher, der Per Hansen, das mußte man ihm lassen.