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Hans Olsens zweiter Landquart lag am Oberlauf des Baches und grenzte im Süden an die Solumbuben. Er hatte das ganze Stück umzäunt und hielt dort eine große Herde Jungvieh. Zur Sommerszeit bedurfte sie keiner andern Pflege, als daß ihr ab und zu ein Klumpen Salz hingelegt wurde. Gras war genug vorhanden und Wasser im Bach.
Letztes Jahr hatte er die Rinder hier bis in den Spätherbst hinein gehalten. Dies Jahr hatte er alles entbehrliche Stroh und Heu hingefahren und noch dazugekauft. Im Herbst hatte er aus Stangen und Stroh einen Schuppen errichtet und beabsichtigte, die Herde darin überwintern zu lassen.
Der Winter brach herein, ehe noch der Schuppen fertig war; gleichwohl war es ihm geglückt, das Vieh hier draußen bis in den Februar durchzubringen, und jetzt, so meinte er wie andere auch, sei das schlimmste für dies Jahr überstanden.
Und da stand man erst am Anfang!
Der siebente Februar dämmerte zu einem graukalten Tage herauf. Schneeflocken – groß und zerzaust – kamen aus Westen geflogen. Der Wind wuchs mit dem Tage. Die Flocken fielen dichter, aber kleiner und fester. Um die Mittagszeit waren Himmel und Erde ein einziges Gewühl frosttrockenen Schnees. Der West peitschte sich auf und raste immer grimmiger, blies die Flocken mit solcher Gewalt vor sich her, daß sie an den Wänden der Häuser hängen blieben.
Als am Nachmittag das Wetter immer stärker tobte, mußte der Hans Olsen nach dem Vieh am nördlichen Bachufer sehen. Wäre er nicht so ortskundig gewesen und hätte er nicht verstanden, nach dem Winde Richtung zu nehmen, hätte er sich nimmer hingefunden.
Es sah übel aus bei der Herde. Von der Westwand des Schuppens war die Strohbekleidung großenteils abgeweht. Die Tiere hatten notdürftig Zuflucht in den Stroh- und Heuschobern gefunden. Er sah sofort, daß, falls es ihm nicht gelänge auszubessern und das Vieh unter Dach zu bringen, er morgen erheblich ärmer sein werde.
Das erste, was er tat, war Stroh heranzutragen und zwischen die Stangen zu stopfen, so daß der Schuppen einigen Windschutz bot. Darauf trug er Stroh hinein zur Streu.
Der graue Tag war fast vergangen, bis er das Vieh hineintreiben konnte. Aber es wollte sich nicht treiben lassen. Kaum hatte er ein paar Tiere so weit von dem Schober weg, daß sie das Unwetter zu fühlen bekamen, so machten sie mit gesenkten Köpfen kehrt. So ging das also nicht! Er ließ das Vieh sich lagern und nahm immer nur eines auf einmal, – die größten führte er, die kleinsten aber trug er einfach auf den Armen in den Schuppen. Sie hatten sich mit tiefen Gängen in den Schober hineingewühlt und waren schlecht zu erwischen. Das war schwere Arbeit in dem matschigen Schnee, und der Schweiß lief an ihm in Strömen herunter.
Der späte Abend überraschte ihn, ehe er noch ganz fertig war.
Rundum erhob sich die Nacht voll fegenden Sturmes. Schneegischt trieb sie in gewaltigen Wogen vor sich her, heulte und kreischte dazu.
Er stand in der Schuppentür und war so müde, daß ihm jedes Glied zitterte; er mußte vor dem Anprall des Sturms die Augen schließen. Mechanisch machte er sich auf den Heimweg, – kam ein paar Schritt weit, mußte stehenbleiben und nach Luft schnappen. Da kam ihm in den Sinn, daß er sich bei dieser pechschwarzen Dunkelheit und solchem Gestöber unmöglich heimfinden könne.
Er tastete sich die paar Schritt zurück. Er überlegte nicht viel, aber es stand klar vor ihm, daß er gut dran getan hatte, das Vieh zu bergen. Draußen wären nach dem Unwetter nicht viele mehr am Leben geblieben. Hätten sie jetzt mehr Streu, könnten sie es sogar behaglich haben!
Er hatte noch nicht lange in der Schuppentür gestanden, da fingen leise Schüttelfröste an, ihn zu durchschauern. Er fror nicht eigentlich; nur wollten die Muskeln nicht Ruhe geben; die zogen sich zusammen und lockerten sich wieder, wie Stahlfedern, die plötzlich lebendig geworden sind.
Lege ich mich jetzt zwischen das Vieh, so kann ich die Wärme besser halten, fiel ihm ein. Bald hellt es auf, dann komme ich heim, zur Sörrina und den Kindern. – Sie ist doch hoffentlich vernünftig genug, daß sie nicht die ganze Nacht aufbleibt und auf mich wartet?
Er tastete sich in die dichteste Schar hinein und legte sich mit dem Rücken an einen großen Jungstier; er erkannte ihn, als er ihn beim Kopf faßte, daran, daß ein Horn abgebrochen war. Sein Unterzeug klebte ihm vom Schwitzen am Körper; aber bald machte sich die Wärme vom Ochsen bemerkbar. Vielleicht war alles nicht einmal so schlimm! Jetzt war alles glücklich geborgen, zu Hause alles in Ordnung und überhaupt alles nur gut. – Die Gedanken verschwammen im Nebel.
Nein, er wollte nicht schlafen; – er tat es wohl auch nicht. Er schwebte nur in einer wunderlichen Schlaftrunkenheit, die so wohltuend war nach der wüsten Arbeit. – An seinem Rücken atmete es gleichmäßig und ruhig, – auf und ab ging es, auf und ab, wie die kleinen Wellen an einem Sommertage. – Hätte er vor der Brust nur auch ein Kalb liegen gehabt! Unwillkürlich streckte er die Arme aus, bekam ein Tier zu fassen und erhob sich gerade so weit, daß er es an sich heranziehen konnte. War wohl zu hart mit dem armen Tierlein umgegangen? Er streichelte es und redete ihm freundlich zu. Jetzt hatte er es so gut, wie es bei solchem Wetter nur anging! – Der Hans Olsen kauerte sich zusammen.
Der kalte Luftzug blies und zog unaufhörlich. Es war eine entsetzliche Nacht! Das schlimmste war die Kälte. Durch jeden Spalt stäubte der Schnee; er wurde vom Wind aufgehäufelt, wieder eingeebnet, dann wieder zusammengekehrt, – in endlosem Spiel. –
Der Hans Olsen zuckte zusammen; es hatte ihn etwas in Arm und Bein gestochen. – Waren das nicht überhaupt zwei? Und die gebrauchten beide Hände! Der eine arbeitete sich von den Beinen zum Kopf, der andere von den Ellenbogen auf die Schulterblätter zu. Gerade als die beiden sich getroffen hatten, gab es in ihm jenen Ruck. Er hob sich mit gewaltsamer Anstrengung auf die Knie. Die Schneedecke glitt ab; kalt stiemte es ihm ins Gesicht.
Das war doch merkwürdig! Hatte er die Füße verloren? – Und wo waren die Hände geblieben? – Er stellte sich auf, wollte zur Tür und nach dem Wetter schauen, stolperte aber über Humpel unter dem Schnee. Die Humpel sprangen auf und rannten davon; und jedesmal fuhr ihm kalter Frostrauch ins Gesicht.
Er konnte das nicht verstehen ? Er war doch nicht betrunken ? Aber die Füße wollten ihn nicht tragen! Die eine Hand schien ganz verschwunden zu sein.
So, hier war wenigstens die Wand! Er lehnte sich fest gegen sie.
Die Hand mußte doch abgefroren sein ? – Er hatte den Fäustling von der andern abgestreift, faßte um Finger, die er nicht fühlte, beugte sie und sah, daß sie gebeugt wurden, fühlte aber nichts. Da hieß es unverzüglich etwas tun! Und er ließ sich auf den Boden fallen und fing an, sich mit Schnee zu reiben, – hauchte dazwischen auf die Hand und rieb weiter. Er merkte, jetzt fror er zutiefst in seinen Eingeweiden; aber jetzt war nicht die Zeit, das zu beachten.
– Ja ja, murmelte er, jetzt ist es mit der hier so gut, wie es angeht, jetzt müssen wir sogleich die Füße vornehmen, – gelingt es mir nicht, die heut nacht aufzutauen, dann bin ich für Lebenszeit ein Krüppel! –
Besonnen, wie er alles tat, versuchte er die Stiefel auszuziehen, brachte es aber nicht zuwege. Da trennte er sich mit dem Taschenmesser erst den einen, dann den andern ab und setzte sie gegen die Wand. Die Socken verursachten ihm keine Mühe, die steckte er sich vor die Brust.
Jetzt stand er auf und begann die Wand entlang zu laufen; er stolperte oft, ließ aber nicht nach. Nach einer Weile setzte er sich und rieb die Füße von neuem. – Er rieb lange, – stand auf und lief wieder, – lief in großen Sätzen, hockte sich hin und begann von vorne. Die Gedanken arbeiteten die ganze Zeit über träge, schienen an einem weit entfernten Ort zu verweilen. – Es ist gewiß das klügste, daß ich es vermeide, allzustark zu reiben, – ich habe oft genug selber gesehen, wie leicht sich die Haut von einem erfrorenen Glied ablöst. – Wer jetzt doch bloß kalt Wasser hätte!
Er zog die Strümpfe wieder an und suchte sich die Stiefel. In der einen Ecke hatte er zwei Sparren mit Draht zusammengebunden; er tappte hin, wickelte den Draht ab und schnürte ihn sich um die Stiefelschäfte.
Jetzt stampfte er längs der Wände auf und ab, – schlug die Arme über Kreuz zusammen, sprang auch dazwischen.
Das Stechen hatte zwar nachgelassen, – alles war wohl besser geworden, – übrigens war er keiner Sache mehr sicher. – Das Denken war nicht in ihm; es stand gleichsam außerhalb und glotzte ihn durch das Gestöber an.
– Es ist klar, sagte es weit hinten im Finstern, daß es mit dir vorbei ist, wenn du heute nacht hier bleibst. Den Zaun vom Henry findest du, – du weißt, wo der vom Per Hansen abbiegt, – dann folgst du dem bis dorthin, wo dein eigener beginnt; der führt geradewegs auf deine Stallwand. – Ob du dich hier oder da draußen für immer hinlegst, macht keinen Unterschied. – »Ja, ja,« murmelte er müde. »Das könnt' schon stimmen!«
Er zwängte sich zum Schuppen hinaus und kroch im Sturm davon.