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IX

Am nächsten Vormittag wurden sie mit Per Hansens Weizen fertig und gönnten sich eine lange Mittagpause. – Als Tönset'n sich jetzt alles genauer besah, hätte es gar nicht solche Eile gehabt; das Wetter war kühl, und die Ähren sahen weder bei ihm noch beim Hans Olsen reifer aus, als sie gestern getan; hielt sich die Witterung, dann dauerte es noch wenigstens eine Woche, bis sie beim nächsten anfangen konnten. Dafür aber werde die Ernte auch ganz einzigartig, – »gerad das Wetter, das der Weizen braucht, um sich gut zu füllen.«

Und Tönset'n war völlig versöhnt mit sich und der ganzen Welt; – er hatte bewiesen, daß er der Lage gewachsen war. Warum nicht, nach Tisch noch ein wenig gemütlich sitzen? Es eilte keineswegs,– nur noch die vier, fünf Arces Hafer; mit denen wurde er bequem bis zum Abend fertig.

Das fand auch der Per Hansen; es saß sich so gut in der Kühle hinter der Hüttenwand, und es ließ sich so lustig mit den Nachbarn dividieren, wie sie sich in der Zukunft einrichten wollten. I, – wo hatte es Eile! – Der Per Hansen hatte den Solumbuben gesagt, er und der Hans Olsen wollten mit den Hafergarben schon allein fertig werden; sie sollten lieber bei sich etwas vornehmen. Aber es war so gemütlich, daß die Buben sich nicht wegrühren wollten, ehe die andern wieder auf den Acker gingen.

Die Sommerbrise kam immer noch frisch und kühl aus Nordwest. – Tönset'n schnupperte in sie hinein und sagte, wenn die sich noch acht Tage so hielte, dann sei es nicht ausgeschlossen, daß sie den Per Hansen doch noch überholten; denn es sei zum Ausreifen das leckerste Wetter. »O ja, hier ist's gerad wie in Kanaans Land!«

Tönset'n fühlte so etwas wie Feiertagsstimmung, als er die Pferde wieder vorspannte. Er mußte einhalten und sich festlich zu dem Nachbarn äußern:

»Ist es nicht trotz allem merkwürdig, daß ich akkurat diesen Flecken Erde auffinden sollte?«

Der Hans Olsen lachte nur gutmütig: »O gewiß, freilich!«

Dieses laue Lob befriedigte Tönset'n aber nicht: »Und was sagst du dazu, Per Hansen?« rief er scherzhaft herausfordernd.

Aber der Per Hansen hörte schon nicht mehr; er beschattete sich mit der Hand die Augen und lugte scharf nach Nordwest; die frohen Gesichtszüge falteten sich, bekamen etwas Gespanntes:

»Das ist doch das wunderlichste –!«

Am Nordwesthimmel waren Wetteranzeichen heraufgekommen, die er nicht zu deuten wußte –.

– Gab es heute noch Sturm?

Er stellte sich neben den gemütlich hockenden Hans Olsen, deutete nach Westen und sagte leise:

»Kannst du mir sagen – verstehst du das dort?«

Da sah auch der Hans Olsen es herankommen, sprang auf und starrte.

»Hast du schon so Seltsames gesehen! Ich meine, wir bekommen Unwetter?«

Tönset'n thronte bereits wieder hoch oben auf seinem Sitz; er wollte gerade starten, als der Per Hansen angelaufen kam.

»Kannst du mir sagen, Syvert, was das dort ist?«

Tönset'n wandte sich um.

Und es war in der Tat ein seltsamer Anblick. Weit hinten im Westen trieben glitzernde Wolkenbänke heran, hoben und senkten sich. Dicht unterm Himmel, Streifen über Streifen. Aber noch nie hatten sie Wolken sich so bewegen sehen; sie wogten wie lange Meereswellen, glitzerten, als träfe kräftiges Sonnenlicht auf große Schneeflocken, und dabei war es in der Wolke selbst dunkel und düster. Doch auch dies Finstere flimmerte.

Die Pferde begannen unruhig zu schnaufen.

Die Wolken zogen unheimlich schnell herauf, bedeckten bald den ganzen West- und Nordwesthimmel.

Eigentlich waren es nicht Wolken; man ahnte den Himmel durch sie hindurch. Es kam herbei wie lange Dünungen, kam flatternd wie ein ungeheures Tuch, glitzernd, daß es in die Augen stach.

»Was in aller Welt –!« rief Tönset'n und zog die Zügel so stark an, daß die Pferde die Maschine zu rücken begannen.

Der Ole und der Große-Hans kamen herbeigelaufen.

»Ein Schneesturm kommt!«

Im nächsten Augenblick war die Luft rundum und über ihnen dick; ein ganzes glitzerndes Meer wälzte sich über sie.

Tönset'n konnte die Pferde nicht halten. »So helft mir doch! Wir müssen die Pferde sofort ausspannen!«

Die andern hörten ihn nicht, standen versteinert, mußten das Gesicht vom Winde abkehren.

Die Pferde machten einen Bogen durch den Acker, bis sie den Wind von hinten bekamen; da endlich gelang es Tönset'n, sie zu zügeln, so daß er vom Sitz herunter und sie mit zitternden Händen ausspannen konnte.

Jetzt kam die Kjersti angelaufen; sie hatte sich zum Schutz den Rock über den Kopf geschlagen; gleich hinter ihr die Sörine, – mit den Händen rudernd; und dort sausten die Solumbuben aus der andern Richtung herbei; unten am Bach weideten ein paar Kühe; die setzten die Schwänze steil in die Höhe und flüchteten ins nächste Versteck, – und kaum, daß Tönset'n die Pferde freigelassen hatte, taten diese dasselbe.

Vom Himmel her peitschte und stiemte es. Es prasselte gegen die Kleider, als wurden Kiesel geschleudert. Die Menschen drängten sich ängstlich in einen dichten Knäuel zusammen, hielten sich die Hände schützend vors Gesicht, mußten aber doch auch wieder hinsehen, – sie mußten! Ein wildes Entsetzen trieb sie dazu.

Denn das waren nicht grobe Sandkörner! Sobald sie gefallen, hüpften und sprangen sie mit kurzem knappem Knipsen. – Die Leute starrten mit furchtsamen Augen: Guter Gott, das waren ja lebende Wesen, die über sie herniederregneten! Es fegte mit stürmischer Eile heran, es knipste und hüpfte in großen und kleinen Sprüngen; mit jedem Hupf flimmerte es weiß, blinkte in der Sonne. Blickte man in der Windrichtung vorwärts, bemerkte man nichts als ein tausendfaches geschwindes, weißes Blinken – unaufhörlich; dazwischen leuchtete etwas Braunes.

»Vater!« rief der Große-Hans durch das Unwetter, »das ist Koboldgeziefer – es hat Flügel – schau her!«

Der Bub hielt etwas in der Hand; er sperrte die Flügel des Tieres auseinander und brachte es an. Einen dunkelbraunen Körper von etwa einem Zoll Länge, etwas plump in der Mitte und nach den Enden zugespitzt. Am Vorderende saß auf jeder Seite eine winzige schwarze Perle; und er hatte lange dünne Beine mit dunkelbraunen Ringen. – Die Flügel waren weißglänzend und durchsichtig.

»So wirf doch das Koboldgeschmeiß weg, Kind!« jammerte die Kjersti.

Der Bub ließ los; ein Knips, ein Hupf, ein Glitzern, und das Tier war in den Myriaden und aber Myriaden, die die Luft rings über ihnen erfüllte, verschwunden. Jeder Halm wurde lebendig. Es saß, es hüpfte, es knipste, es fegte, es flog, es prallte, es glitzterte. Unzählige Wesen!

Niemand fand sogleich Worte. Jetzt sprach ein Anderer; der Mensch schwieg furchtsam. –

Hans Olsens langer Körper bückte sich: »Das muß doch wohl die Pest sein?« wunderte er sich in düsterem Ernst.

Da war es, als hätte den Per Hansen etwas gestochen: »Ach Dreck, das geht wohl auch vorüber!«

Tönset'n fand das gotteslästerlich geredet: »O mein,« jammerte er, »jetzt nimmt der Herrgott zurück, was er uns gegeben! Nein, o nein, mein herrlicher Weizen!«

»Du schwätzest wie ein Depp; glaubst du, der Herrgott hat dein Futter nötig?« Der Per Hansen brachte die Worte zwar nur mühsam heraus, aber sie verfehlten nicht ihre gute Wirkung.

Das nächste vernünftige Wort kam vom Henry Solum; der sagte zum Bruder: »Es ist das beste, du holst die Pferde wieder heran; dann machen wir heute hier alles fertig; – es ist ungewiß, was morgen noch übrig ist.«

Der Per Hansen nickte dem Henry zu; dann ging er an den Hafer, wo die Verwüstung bereits eingesetzt hatte und es über das ganze Stück durcheinander knipste und glitzerte. Er begann zu schreien und zu hujen, nahm die Mütze und schwenkte sie in das Unwetter hinein. Aber das, was dort sein Wesen trieb, erachtete das Menschengeschrei als ein Nichts. Die braunen Körper flogen auf weißen Flügeln, und die Haferähren beugten sich unter der Last der braunen Körper.

Der Per Hansen stand daneben und mußte mit ansehen, wie sein Hafer vernichtet wurde, und eine trockne, zehrende Wut erfaßte ihn.

»Lauf heim nach der Langen Marie, du Ola, sie liegt über der Stalltür; auch der Pulverbeutel ist da – eil dich!«

Der Bub sprang heim und kam mit der Büchse zurück, der Vater nahm sie, setzte eine Knallpatrone auf und stemmte den Fuß gut auf den Boden, – er besann sich wenigstens darauf, daß die Büchse böse zurückschlug, wenn sie lange geladen gelegen.

Aber da kam der Hans Olsen herzu: »Das solltest du nicht tun, Per Hansen, – hat der Herrgott es über uns geschickt. –«

Der andre schaute ihn bloß groß an, kehrte sich dann geradeswegs dem Unwetter zu; warf das Gewehr an die Backe, zielte auf das Wolkenmeer, das herangesegelt kam und brannte ab; das Gewehr knallte gewaltig in das Ungeziefer hinein.

Die Wirkung war eigentümlich. Anfänglich schien der Schuß nicht das geringste ausgerichtet zu haben, das Ungeziefer flog ihnen mit fast unverminderter Stärke um die Ohren; dann aber ging eine leise Dünung durch die Wolkenschicht; sie wellte sich etwas von der Erde auf und segelte weiter; aber es sprang noch immer genug auf dem Acker herum.

»Ich glaube fast, du erschrecktest sie ein wenig?« wunderte sich der Henry.

»Es sieht beinahe so aus,« warf der Per Hansen hin. »Laß uns jetzt bloß schnell die Pferde vorspannen!« –

Sie wurden noch rechtzeitig mit dem Hafer fertig. Darauf eilte jeder heim. Wie war es bei ihm mit dem Korn bestellt? War da noch etwas geblieben? Konnte morgen mit dem Mähen begonnen werden, selbst wenn das Getreide noch nicht ausgereift war? – 0 nein, dann wurde daraus nicht mehr verkäufliche Ware, so grün, wie das Korn noch war!

Die beiden Buben des Per Hansen gingen mit dem Hans Olsen; sie sollten Nachricht heimbringen, ob dort morgen angefangen werden könne; denn bei dem war das Korn am weitesten.

Dem Per Hansen war wunderlich zumut auf dem Heimweg. Er hatte das Seine geborgen, und das war sehr merkwürdig; er hatte es geborgen, weil er so zeitig gesät, und weil sein Gelände höher lag als das der andern. – Einen großen Wurf hatte er getan; aber es war ihm leid darum wegen der Nachbarn; die Armen – die hatten sich geplagt so gut wie er! – Und dann nagte noch etwas an ihm; er hatte es den ganzen Nachmittag gespürt, während er band. Immer wieder hatte er gespäht, ob er nicht jemanden vor der Gamme zu sehen bekäme, – aber vergeblich. Die Arbeit hatte ihm wenig Zeit zum Nachdenken gelassen, und dann hatte das Teufelsgeziefer so arg gehaust. Aber jetzt auf dem Heimweg begann es von neuem zu nagen. – O ja, sie bleibt halt lieber drin, dachte er; und darin hat sie übrigens auch recht.

Er kam zur Gamme; sie lag im Halbdunkel, und ringsum war nichts Lebendiges, als was da herumknipste und flimmerte. Die Gamme war wie eine in einen Strom hinausgeschobene Schanze, und der Strom umspülte sie schäumend. Jetzt am Abend hatten alle diese winzigen Segel ein noch übernatürlicheres Aussehen; die Abendsonne fiel auf sie, der Glanz schimmerte rot, violett, bläulich, je nachdem das Licht auf sie fiel.

Sie ist vielleicht zu den Nachbarinnen gegangen ? dachte er, kam an die Tür und drückte die Klinke herunter. – Nein, das ist sie wohl doch nicht; man kann ja die Tür von außen nicht zuschließen. – Er stand und schnappte nach Luft, als er jetzt an seine eigene Tür klopfte.

Er klopfte stark; als er rief, wollte die Stimme ihm nicht aus der Kehle.

Er vermeinte ein Geräusch zu vernehmen, fühlte sich erleichtert: Nun, gottlob! –

Er wartete. Doch die Tür öffnete sich nicht. Und er hörte auch nichts mehr.

Womit kann sie bloß beschäftigt sein, – hört sie mich nicht? – Und was in aller Welt mag sie vor die Tür gesetzt haben? –

Er begann vorwärts zu schieben.

»So mach doch die Tür auf, – was ist denn nur?«

Das Ohr fing einen deutlichen Laut auf; es begann ihm vor den Ohren zu sausen. – Aber dann riß er sich zusammen, legte sich mit ganzer Wucht gegen die Tür, stemmte sich, bis ihm rot vor den Augen wurde; die Tür gab nach, der Spalt erweiterte sich – schließlich konnte er durchschlüpfen.

»Beret!« schrie er durch den Raum. – »Beret!«

Keine Antwort kam, – niemand zu sehen! Aber jetzt hörte er jenes Geräusch wieder deutlich.

»Beret!« rief er. Eine wahnwitzige Angst gellte aus seinem Ruf.

Da war es wieder! Kam es aus dem Bett! Von der Tür her? – Es hörte sich an wie Zirpen oder leises Wimmern.

Er sprang zu den Betten, riß die Decken herunter – alles war leer. – Aber dort bei der Tür –?

Er taumelte zur Lade und riß den Deckel hoch. Was er sah, ließ sein Blut erstarren. – Dort kauerte die Frau; das eine Kind hatte sie im Arm, das Gössel lag zusammengerollt am andern Ende der Lade, – das Wimmern kam von ihm.

Der Per Hansen wußte nicht, was er tat, er sah weder, noch hörte er. Erst hob er das Gössel heraus und setzte es aufs Bett, dann nahm er vorsichtig das Jüngste und legte es auf das andere Bett. Und dann hob er die Frau heraus, knallte den Deckel zu und setzte sie oben darauf.

»Beret, – aber Beret –!«

Der Anblick ihres Gesichts raubte ihm beinahe die Fassung. Er sah, es war vom Weinen geschwollen; aber das war es nicht allein, – denn das Gesicht, das war ein fremdes Gesicht, hinter dem sich ihr eigenes versteckt hatte.

Er sah sie flehend an; sie saß auf der Lade, blickte ihm ins Gesicht und flüsterte heiser:

»So hat dich also der Böse doch noch nicht geholt?« Dann kam ein Laut, der einem Lachen glich. »Er hat heut hier herum übel gehaust ... du mußt die Lade sogleich wieder vor die Tür setzen; die kann er nicht bewältigen, siehst du ... wir müssen alle zusammen hineinkriechen!«

»Beret!« rief sie der Per Hansen, und seine ganze Seele lag in dem Ruf. Mehr vermochte er nicht. Er sank vor ihr zusammen, umfaßte ihre Knie, klammerte sich an sie, als wäre er es, der des Halts bedürfe.

Es schien sie zu rühren; sie nahm ihn beim Kopf und liebkoste ihn.

»Weine du nur – weine sehr um deiner Sünde willen! Denn das habe ich jedwede Nacht getan – nicht, als ob es hülfe– denn du begreifst doch wohl, daß hier niemand ist, der unser Weinen beachtet? – Hier ist es zu schlüpfrig und zu glatt. – Aber versuche es immer! –«

»Ach du, – du meine Gold-Beret!«

Da wurde sie noch zärtlicher, streichelte ihn behutsam, nahm seinen Kopf an ihre Brust, sprach leise:

»Du darfst dich nicht so fürchten, liebster Mann – denn schau – es ist stets am schlimmsten, gerad bevor es sich zum Bessern wendet!«

Der Per Hansen sah ihr tief in die Augen, dann kam ein gurgelnder Laut – er sank zusammen und wußte nichts mehr von sich. –

Draußen knipste und flog es, knallte mit kurzen Knacksen, flimmerte im letzten Abendleuchten. Die Brise war abgeflaut, die Luft war leichter geworden.

Die Widde, die Riesin, dehnte sich in ihrer grenzenlosen Macht. –


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