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IV

Nach dem Gottesdienst unterhielten sich die Besucher auf der Hofreite in einzelnen Gruppen leise über den Pastor, vor allem aber voller Mitgefühl über die traurige Begebenheit während der Taufhandlung.

Niemand von den Hausbewohnern ließ sich sehen. Die Leute standen herum und schienen nicht Lust zu haben, sich heimzubegeben.

Eine Anzahl Frauen, die beim Aufräumen nach dem Gottesdienst helfen wollten, waren in der Stube geblieben, unter ihnen Sörine; das Knäblein trug sie noch immer auf dem Arm. Die Frauen waren augenscheinlich ratlos, sprachen leise und gedämpft miteinander und machten sich nicht an ihr Vorhaben.

Der Pastor hatte sich an den Tisch gesetzt, die Hände gefaltet und den Kopf darauf gelegt. So saß er eine Weile. Dann merkte er, daß außer ihm Menschen in der Stube waren; da stand er auf und trat zu den Frauen.

»Ich denke,« riet er milde, »ihr geht jetzt heim; nur die von euch, die diesem Hause am nächsten steht, bleibe hier, um zu helfen; bedarf es größerer Hilfe, schicken wir noch nach einigen von euch. – Laß mich jetzt das prächtige Büblein ein wenig nehmen,« wandte er sich zur Sörine. »Wenn ihr andern aber künftig recht oft herkämet, so glaube ich, wäre das vortrefflich; aber immer nur jede allein. Und fragt sie auch nicht, wie es ihr geht; nehmt es als gegeben, daß alles ist, wie es sein soll. – Das Übel ist wohl nicht schlimmer, als daß es sich mit der Zeit wieder ausgleicht, – davon bin ich fest überzeugt.«

Der Pastor ging mit dem Büblein zu denen vor der Tür, redete ihnen freundlich zu, jeder möge jetzt zu sich heimgehen und sich tagsüber stille verhalten, – denn es sei mit dem Worte Gottes, wie mit der Saat: sie muß im Boden ungestört liegen, soll sie sprießen und Frucht tragen; und legt sich zuviel darüber, vermag sie nicht, sich zum Licht durchzuarbeiten.

»Wir besprechen uns bloß, wie wir eine Kirchengemeinde bilden, siehst du!« Der Mann sah den Pastor erstaunt an, – denn dabei war doch wohl nichts Verkehrtes!

»Auch dazu haben wir später noch einmal Zeit, sollst du sehen.« Der Pastor erhob die Stimme: »Jetzt bitte ich euch hübsch, guten Leute, daß ein jeder heimgeht und still überdenkt, was er gehört hat!«

Der Pastor wandte sich einer andern Gruppe zu, und der Mann aus Sogn mußte sich bescheiden, meinte jedoch, das sei einmal ein seltsamer Pastor, der für eine so wichtige Frage nicht Zeit habe.

Die Leute zerstreuten sich, bald war niemand mehr da. Der Tag begann sich zu neigen. –

Der Pastor erging sich noch lange vor der Hütte; er war noch immer im Ornat; das Büblein tappelte neben ihm her, hielt sich an einer Falte des Talars fest und fand das Spielen mit dem Fremden gar zu kurzweilig.

Dem Pastor schien es plötzlich, als höre er in der neuen Stallgamme Menschenstimmen, – Kinderwimmern ließ sich vernehmen; er nahm das Knäblein auf den Arm, ging hin, schob die Tür auf und trat ein. Die Gamme war fensterlos; es war darin so schummerig, daß er, der aus dem starken Abendlicht hineinsah, die einzelnen Gegenstände nur mit Mühe unterschied. Er empfand jedoch sogleich die Anwesenheit von Menschen, ging weiter hinein und schaute sich um.

Auf einem Heuhaufen saßen sie – der Per Hansen und die Beret; sie hatte ihm das Gesicht zugekehrt, er den einen Arm unter ihren Kopf gelegt, mit dem andern hielt er sie am Gürtel umfaßt; das Gössel lehnte an des Vaters Schulter und hatte ihm die Hände um den Hals geschlungen.

»Gottes Friede sei mit euch!« sagte der Pastor ruhig, als er sie erblickte. »Jetzt sind alle gegangen, und jetzt, Mutter Holm, würde ich mich herzlich freuen, wenn du uns eine schöne Tasse Kaffee brühtest, falls welcher im Hause ist; ich äße gern bei euch zu Abend!«

Beim Laut der Stimme zuckte die Beret zusammen; sie richtete sich auf, strich sich das Haar aus dem Gesicht, sah sich um, voller Staunen; und sie schämte sich, wie ein zart empfindender Mensch, der unversehens andere trifft und sich nicht genug bekleidet fühlt.

»Nein, weshalb sitzen wir bloß hier?« seufzte sie, beugte sich vor und bedeckte die Augen.

»Jetzt will ich aber zu essen haben!« rief das Knäblein und strampelte sich los, kaum daß er die Stimme der Mutter erkannt.

Sie drückte das Kind an sich, vergrub das Gesicht an seinem Halse und küßte es leidenschaftlich.

»Nein Beret, so mäßige dich doch!« ermahnte der Mann; »hüte dich!«

Da warf sie den Kopf in den Nacken, das blasse Gesicht war heiß: »Darf ich nicht einmal mit meinem Kinde zärtlich tun?« Der Pastor kam näher und legte ihr die Hand auf den Kopf: »Ganz recht, Mutter Holm! Hab du ihn nur lieb; – aber vergiß darüber nicht, dem Vater im Himmel für diese köstliche Gabe zu danken! In dem Kinde steckt ein ausnehmend prächtiger Mann, ihr werdet sicherlich viel Freude an ihm erleben.«

Die Beret hatte das Liebkosen gelassen und, über das Kind gebeugt, den Worten des Pastors gelauscht. Jetzt stand sie rasch auf, klopfte sich die Heufasern ab, und wieder hatte der Pastor den Eindruck, als schäme sie sich. Wortlos nahm sie an jede Hand eines der Kinder und ging schnell hinaus.

Der Per Hansen blieb auf dem Heuhaufen sitzen, den Kopf hatte er in die Hand gestützt; Haar und Bart waren struppig und stark angegraut, eines Mächtigen Griffel hatte tiefe Furchen in das Gesicht geschrieben, die ganze Gestalt war aufs grausamste mitgenommen, wie ein Laubbaum, gegen den eine Unwetternacht gewütet hat.

Der Pastor setzte sich mit seiner ganzen Seelsorgermilde zu ihm, um ihn sich aussprechen zu lassen.

»Erzähl mir jetzt alles, – zweie vermögen zu tragen, was einer allein zu heben nicht imstande ist. Erzähle von Anfang an.«

Der Per Hansen starrte ins Heu, sprach leise und abgerissen: »Ich verstehe es selber nicht, siehst du, – ich sehe nur all das Elend, das uns befallen hat. – Bald werde ich sie wohl fortschaffen müssen!« Er seufzte schwer und schwieg.

Der Pastor glaubte allen Kummer der Menschheit vor sich zu sehen und klagen zu hören; und es war so kalt in dem halbdämmerigen Raum. »Du hast gewiß recht – dein Kreuz lastet schwer auf dir!«

Eine lange Pause entstand. »Sie ist doch aber noch nicht ganz gestört?«

»Halb oder ganz, – das macht kaum einen Unterschied, – hat erst die Geige einen Sprung, so ist es aus mit ihr.«

»Das ist wohl richtig.«

Der Per Hansen stierte vor sich hin und fuhr fort: »Ich bin mir übrigens keiner andern Sünde gegen sie bewußt, als daß unser ältester Knabe vor unserer Trauung zur Welt kam; aber an der haben wir nun alle beide teil. Dann nahm ich sie mit her, und daran wird es wohl liegen. – Über das erste grämt sie sich nicht, wie ich glaube, – aber über das andere; und es fällt mir schwer, darin etwas Sündhaftes zu sehen.«

»Ich könnte das aber doch verstehen,« sagte der Pastor sanft.

»Aber soll denn ein Mensch sich nicht an das heranwagen, worin er die Zukunft sieht, bloß weil die Frau wenig Lust dazu verspürt?« Es hörte sich an, als öffne er mit dieser Frage die Tür zu einer jahrelangen Qual seines Herzens; das ausdrucksvolle Gesicht hatte sich dem Pastor zugewandt und bettelte um ein Ja.

»Gewiß soll er das, mein guter Mann!« sagte der Pastor eifrig. »Und doch müssen sie sich darüber einigen.«

»Einigen! Ja! Das redst du so daher! – Wenn nun aber die ganze Uneinigkeit nur darin bestand, daß sie dazu riet, alles um ein Jahr hinauszuschieben? – Selbst nachdem wir hergekommen, hat sie nicht viel dazu geäußert. – Und jetzt gib mir offenen Bescheid,« kam es leise und furchtsam. »Gesetzt den Fall, daß Mann und Frau zu einer Einigkeit nicht kommen können, was soll er dann tun?«

Der Pastor fühlte, wie diese Frage nach einer lindernden und erlösenden Antwort lechzte.

»Der Mann soll Vater und Mutter verlassen und zu seinem Weibe halten, und die beiden sollen ein Fleisch sein, – damit hast du das Gebot des Herrn. Gilt aber das Gebot für den Mann, dann besteht es auch für das Weib zu Recht. – Zwischen euch beiden hat doch aber keine eigentliche Uneinigkeit bestanden?«

Der Per Hansen schüttelte den Kopf; er fand die Worte nur mühsam,: »Ich frage mich bisweilen, ob es außer uns noch zwei Menschen gibt, die so aneinander hängen wie wir, – das hat es nicht besser gemacht; es bleibt immer gleich unmöglich, das Meer vom Erdboden zu heben, ob es im Sturme wogt oder bei Windstille ruht! In dieser nordnorwegischen Redensart birgt sich die Erinnerung an Thors Zug in die Unterwelt, als er auszog, um Freia von den Riesen zu befreien. Unter den Aufgaben, die ihm der Tursonkönig stellt, ist die, eine Katze vom Erdboden zu heben, was Thor nicht gelingt, weil die Katze das Meer ist. Und jetzt will ich von dir, dem Pastor, der die Schrift verstehen gelernt hat, wissen: was soll der Mann tun?« Der Per Hansen umklammerte den Arm des andern.

»Er soll sich vor Gott dem Herrn demütigen, sein Kreuz auf sich nehmen und es in Geduld tragen!« sagte der Pastor mit starker Überzeugung.

»Hm – hm!« lachte Per Hansen bitter; »das ist zu magere Kost für mich, um das Leben damit fristen zu können, – die behalte du nur für dich! Ich frage als ein ungelehrter Mann und bedarf einer Antwort, die ich zu begreifen vermag: tat ich recht oder unrecht, als ich sie herführte? Und was hätte ich sonst tun sollen, derweile ich keinen andern Ausweg vor mir sah?«

»Du handeltest damals gewißlich recht, mein guter Mann, wenn du mir die Wahrheit berichtet hast; ein Mann soll dorthin ziehen, wohin ihm der Sinn steht, wenn der Herr es ihm nicht verbietet. – Damals handeltest du recht; aber seither hast du begonnen, dich in eine große Sünde zu verstricken, glaube ich; du murrst wie einst jene Männer Israels, weil der Herr dich auf Wegen führt, die dir nicht zusagen, – und du nicht dein Kreuz in Demut auf dich nehmen willst.«

»Nein, wahrhaftig,« des Per Hansen Stimme klang hart, »da haben wir hier doch anderes zu tun!« Er schwieg eine Weile; der Pastor überlegte, wie er ihn zurechtsetzen könne; aber als der Per Hansen dann fortfuhr, da war er es, der dem Pastor unwillkürlich eine Lehre erteilte:

»Ich habe oft erfahren, daß es leicht ist, über Dinge zu reden, die man nicht selber durchlebt hat! Oft dachte ich: jetzt kann ich nicht weiter. Kannst du ermessen, was es heißen will, in ständiger Furcht zu schweben, daß die Mutter die Kinder umbringt, und daß es dann obendrein noch deine Schuld ist, daß sie so wurde?«

Der Pastor fand endlich Worte, und sie klangen warm und milde. »Nein, dem Herrn sei Dank, daß er mich davon verschonte!« Er legte Per Hansen den Arm um die Schulter. »Erzähl mir, wie es soweit kommen konnte!«

Per Hansen zauderte, er stand vor einem steilen Berg und konnte ihn nicht erklimmen; er stand auf, trat in die Tür und sah in den Abend hinaus. Der Pastor folgte ihm.

»Es läßt sich über so etwas herzlich wenig reden,« sagte der Per Hansen nach einer Weile. »Es hat ihr niemals in Amerika gefallen. Und jetzt weiß ich, daß es Menschen gibt, die nicht auswandern sollten, – denn sie vermögen sich nicht über das zu freuen, was erst entstehen soll, – daran liegt es, siehst du! – Und dennoch: sie hat es mir nie vorgeworfen. – Es ging übrigens auch leidlich, bis unser letztes Büblein erwartet wurde, – der, den du heute getauft hast. Da bekam sie es damit, daß sie sterben müsse; aber ich verstand das damals nicht, – sie hat nie die Gewohnheit gehabt, Vorwürfe zu machen. Sie hatte damals Entsetzliches auszustehen, und keiner von uns glaubte, daß sie mit dem Leben davonkäme, ebensowenig das Knäblein – und deshalb mußten wir ihn auch gleich taufen. In der unsinnigen Freude, weil alles glücklich überstanden war, verfiel ich darauf, ihm jenen Namen zu geben; – da geriet plötzlich alles miteinander ins Wanken!«

»Jenen Namen?«

» Ja, den zweiten Namen, – das war auch verkehrt von mir, das sehe ich jetzt ein.«

»Nein, aber Mann! – Solch ein schöner Name!«

Der Per Hansen stierte ihn an: »Ist das dein Ernst?«

»Freilich! – Es ist der schönste Name, den ich wohl je einem Kinde verliehen habe, – ›Peder Sieg‹ – das singt ja geradezu frei und hell in alle Welt hinaus!«

»Kannst du mir sagen –, ist das denn wirklich ein Menschenname? Und war es nicht überheblich von mir?« Der Per Hansen wagte noch nicht, sich seiner Freude hinzugeben.

»Mein lieber Mann, auch damit hast du dich gequält?«

»Gequält? Laß uns nicht mehr davon reden! – Und du meinst, der Name sei allright?«

»Ja,« sagte der Pastor mit überzeugender Stärke, »das Ungewöhnliche daran ist nur, daß der Zufall dich eine schönere Form für ihn hat finden lassen, als ich bisher gehört.«

Der Per Hansen kam dicht heran, um das Gesicht des Pastors in dem dunkelnden Abend besser erforschen zu können: »Nein, ist das wirklich wahr? – Das mußt du ihr sogleich erzählen!«

»Das werde ich bestimmt; – sie mag den Namen also nicht ?«

»Nein! Schau – sie meint, der Gottseibeiuns hätte ihn mir eingegeben, um uns nur noch mehr in seine Macht zu bekommen; aber das wurde erst offenbar, als alles für sie aus den Fugen ging. Sie erträgt es nicht, den Namen zu hören, – deshalb bekam sie auch heute nachmittag den Anfall, – ich hatte ihn vorausgeahnt.«

»Aber, ist das möglich! – Wie lange leidet sie schon an diesen Anfällen?«

»Seit der Heuschreckenpest; – sie hat sich freilich immer mit einem schweren Sinn plagen müssen, ja, und auch an Furchtsamkeit gelitten! Kannst du begreifen, daß ein Mensch sich so sehr ängstigen kann, bloß weil das Land so eben ist?«

»Mit der Heuschreckenplage setzte es also ein?«

»Ja, Freund! Ich kam eines Abends von der Arbeit heim und fand einen verwirrten Menschen vor! Sie war überzeugt, der Gottseibeiuns selber habe die Pest geschickt, – und damit hatte sie wohl auch recht; und damals kam es auch über sie, daß sie ihre Mutter vor sich sah, und die war damals doch schon tot!«

»Was sagst du?«

»Ja, Freund, – willst du glauben, daß sie um den Tod der Mutter wußte, ein halbes Jahr, bevor der Brief eintraf?« Das durchlebte Entsetzen drohte ihn zu ersticken.

»Sie hat doch wohl nicht einen Verstorbenen gesehen? Dann müßte sie ja ernstlich geistesgestört sein?«

»Beim wahrhaftigen Gott – sie sprach mit der toten Mutter und sah sie vor sich: eines Nachts im ersten Heuschreckensommer erlebte ich es. Ich hatte gerade die Ernte eingebracht; da wachte ich des Nachts dadurch auf, daß jemand laut sprach. Und da stand sie mitten in der Stube und plauderte mit der Mutter, gerad als sitze die neben ihr. – Das Knäblein trug sie auf den Armen!« – Der Per Hansen schluchzte. – »Es geht nicht an, Mutter, sagte sie; das Knäblein kann mit dem Namen, zu dem Satan den Per verlockt, nicht zu dir kommen! – Genau diese Worte gebrauchte sie. Ich fuhr aus dem Bett und steckte Licht an. Da wußte ich, wie es stand, – bis dahin hatte ich es nicht glauben wollen! – Pastor,« schluchzte der Per Hansen, »weißt du, was die Redensart besagen will: man fühlt, wie einem die Haut den Rücken hinaufkriecht?«

»Wollte sie damals Hand an das Kind legen?«

»Nein!« Der Per Hansen schüttelte den Kopf. »Aber sie hatte die Vorstellung, daß die Mutter ihn zu sich nehmen wolle, – das andere kam späterhin.« – Der Per Hansen faßte sich. – »Es sind jetzt zwei Jahre her, da kamen eines Abends die Heuschrecken in solchen Scharen, daß der Himmel bedeckt war. Wäre nicht die Sörrina, die Nachbarin, zufälligerweise in der Stube gewesen, so ist es ungewiß, was geschehen wäre, – aber die hielt das Kind fest.«

»Ihr armen Menschen!«

»Ja, weiß Gott! – Und so ging es vor sich: Als die Pest wie besessen gegen das Haus peitschte, fiel ihr die Wäsche vom Knäblein ein, die sie draußen auf der Bleiche liegen hatte. Sie lief hinaus, sie zu holen, und wie sie sie aufnimmt, sind nur noch die Zotteln davon übrig. Da befiel sie der Wahnsinn, siehst du. Sie stürzte ins Haus und schrie: Jetzt hat der Böse deine Wäsche geholt, – da ist's das beste, daß er dich gleich selber kriegt – denn vorher gibt er doch nicht Ruhe! Ja, das rief sie. Und würgte das Kind!« Der Per Hansen stöhnte. »Was sie sich dabei dachte, ist nicht gut zu sagen. – – Aber, ja, das vergaß ich ja zu erzählen: in der Nacht vorher war die Mutter in der Hütte gewesen; da hatte die Beret so deutlich mit ihr gesprochen, wie ich jetzt mit dir; sie hatte sich angekleidet und der Mutter von allem erzählt, – ja, willst du glauben, daß sie ihr Kaffee kochen wollte? Wir haben's doch nicht so ärmlich, sagte sie.«

»Und wie ging es später?« fragte der Pastor gepreßt.

»Ja, schau, ich mußte halt einen Ausweg finden.« Der Per Hansen trocknete sich die Augen. »Und so überredete ich sie denn dazu, der Sörrina das Kind für die Sommermonate zu überlassen.«

»Und sie willigte wirklich ein?«

»Anfänglich wollte sie nichts davon hören; dann aber gab sie sich zufrieden, – und jetzt weiß ich nicht: tat ich recht, oder tat ich unrecht; – es tat ihr gewiß unsäglich weh, daß der Bub wegkam, – ich habe gesehen, wie sie nach ihm suchte, um ihn zu besorgen, und dann war er nicht da. Ja, eines Nachts, als die Pest gekommen war, – ich war halt nicht imstande, jede Nacht zu wachen, – stand sie auf und schlich sich drüben bei den Nachbarn ein; da hat sie das Kind holen wollen. – Ob sie dabei etwas Verkehrtes vorhatte, wird niemand von uns sagen können. Sie erzählte damals der Sörrina und dem Hans Olsen, es seien Fremde von weither heute nacht zu Gast, die müßten das Knäblein sehen, und dabei stehe nichts zu ändern – ja, das sagte sie!«

»Wahrlich, der Herr hat dir Schweres aufgebürdet! Aber die Stunde seines Erbarmens kommt! – Doch erzähle mir jetzt: wie steht es mit ihr in den Zwischenzeiten?«

»Oh, sie kann hin und wieder völlig gesund sein, – monatelang sogar; dann käme einer, der sie nicht genau kennt, kaum darauf, daß etwas mit ihr nicht in Ordnung ist; sie tut ihre Arbeit ungefähr so wie andere. Im tiefen Winter, weißt du, wenn dauernd das Unwetter herrscht und wir lange Zeit keine anderen Menschen sehen, dann kommen die Anfälle, so daß für sie alles gleichsam nicht mehr vorhanden ist; – aber dem schenke ich nicht sonderlich Beachtung; denn so geht es so manchen andern auch, will ich dir sagen!«

»Und was beabsichtigst du für diesen Sommer?«

»Diesen Sommer?« Der Per Hansen hob ein von Entsetzen gepeinigtes Gesicht. »Kommt das Teufelsgezücht auch diesen Sommer über uns; dann weiß ich mir keinen Rat!«

Der Pastor klopfte ihm herzlich auf die Schultern. »Glaube mir, der Herr ist den Seinen immer nahe. Deine Stärke soll sein wie die Zahl deiner Tage. – Laß dir aber von mir einen Rat geben: sei jetzt eine Zeitlang viel um sie: sei wie in jenen süßen Tagen eures ersten Zusammenlebens! Lehre sie verstehen, daß es schön ist und lohnend, Mensch zu sein. Das Büblein aber darfst du ihr unter keinen Umständen nehmen, – überwache sie lieber, so gut du es kannst. – Und heute nacht will ich bei euch rasten; richte es so ein, daß ich morgen eine Weile mit ihr allein bin.« Der Pastor sah nachdenklich vor sich hin. »Vielleicht läßt mich der Herr mit einem glücklichen Wort Klarheit in ihr verdunkeltes Gemüt bringen; denn seine Worte sind lebendiges Leben, und sie vermögen Berge zu versetzen. – Und wenn ich in vierzehn Tagen wiederkomme, gehst du mit ihr zum Abendmahl.«

Der Pastor strich dem schluchzenden Mann leise über den Rücken; der fühlte, wie Segen sich über ihn senkte und vieles löste, was sich in ihm verkrampft hatte. Er hätte noch viel sagen mögen, aber er gewann es nicht über sich.

Sie schwiegen lange miteinander.

»Jetzt wollen wir hier aber nicht länger in der Finsternis von Traurigem reden,« sagte der Pastor schließlich. »Jetzt bedarf unser Leib der Erquickung.«

Sie schritten durch den stillen Prärieabend zur Wohnhütte hinüber, – der Per Hansen so fröhlich gestimmt, daß er dem Pastor leicht seine ganze Ernte versprochen hätte, obwohl doch alles so sehr gut stand! Und alles zusammengerechnet, hatte er hundert Acres eingesät.


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