Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI

Der Sturm heulte und kreischte; jagte das Schneegestöber vor sich her wie riesige Sturzseen; rundum raste grauschwarzes Gewühl.

Unwillkürlich guckte der Per Hansen nach oben, blinzelte durch einen schmalen Spalt des rechten Auges durchs Gestöber, – er mußt' doch einmal sehen, ob der Mast auch hielt!

Plötzlich gab es in seinem Tauende einen gewaltigen Ruck; er wäre fast vornüber gestürzt, ließ los und kam wieder ins Gleichgewicht.

»Da fuhr mir also der Sam davon!« murmelte er und biß die Zähne zusammen.

Die zwei Fahrzeuge, deren er sich bediente, führten sich nicht nach Wunsch und Absicht; die kamen keineswegs in Schuß bei der stürzenden See. O nein! Die braven Ochsen trotteten und trappelten vielmehr mit dem Wind dahin, verlangsamten ihren Schritt immer mehr – und standen plötzlich wie festgenagelt. Sie schüttelten sich etwas, zogen den dicken Schädel ganz in den kurzen Nacken ein, buckelten sich ein wenig mehr als sonst und ließen das Achterteil möglichst tief hängen.

– – Da standen sie!

»Jetzt habe ich doch noch nie im Leben –!« murmelte der Per Hansen in den Sturm hinein. Der Gedanke durchschoß ihn: »Jage dem einen dein Dolchmesser zwischen die Rippen, zieh ihm die Haut ab, wickle dich hinein und laß dich einschneien, – das ist die einzige Rettung!«

Nein, das bekam er nicht fertig. Der Sören und der Perkel, die hatten ihn und die Seinen hergekarrt, die hatten all das Neuland für ihn umgebrochen; und sollte dereinst der Königshof erstehen, mußten sie auch dabei helfen. – Und Sören hatte so herzensgute Augen, und Perkel hörte so hübsch, wenn man ihn rief.

Er warf sich vom Schlitten und tappte sich zu den Ochsen vor, faßte sie beim Schopf und begann ihnen aus Leibeskräften die Stirn zu reiben. Und zugleich sagte er ihnen ins Ohr:

»Du alter Sören und du Perkel, jetzt zeigt, schockschwerenot, daß ihr wackre Kerle seid!«

Darauf bürstete er ihnen die Seiten schnell und harthändig vom Schnee rein, kraulte sie ein wenig unterm Schwanz und krabbelte selbst wieder auf den Schlitten. Und jetzt schrie er sie aus vollster Lunge an: »Los jetzt mit euch, ihr Trollpack!« und versetzte ihnen eins mit der Peitsche – es war das erstemal überhaupt, daß er ernstlich zuschlug.

Die Ochsen machten erst einen mächtigen Satz, dann noch einen, und dann sausten sie in das Unwetter hinein, auf und davon! Er hatte das Gefühl, als rase er eine Riesenwoge nach der andern herab bei vollbesegeltem Boot; – mehr hielt es nicht aus! – Im nächsten Augenblick mußte es gieren und kentern. Abwärts ging es, immer weiter abwärts!

Hebt sich denn diese See nicht einmal wieder? dachte der Per Hansen.

Nein, was in des Herren Namen war jetzt das! Da war doch etwas geschehen ? Er glaubte ein Krachen zu hören, wie wenn zwei Baumstämme mit großer Gewalt aneinanderstoßen; er meinte eine große schwarze Flocke an Steuerbord vorbeifegen und nach achtern verschwinden zu sehen. Ja, war da nicht noch eine? Und noch eine!

Nein –!

»Ho! Ho!« brüllte er in der Richtung des Sturms. »Halt! halt doch!« Jetzt war er so wütend, daß er sich mit aller Wucht in die Zügel legte. »Verdammte Trollhengste. Halt! Ho!«

Aber die Ochsen bliesen ihm eins, – die Geister des Sturms waren in sie gefahren; sie jagten davon, als seien sie toll geworden; kamen sie an eine Schneewehe, so gab es einen Satz, daß die Flocken von unten ärger stoben als die von oben; der Per Hansen hatte vollauf damit zu tun, sich am Schlitten festzukrallen.

Dieser Höllenritt dauerte lange; wie lange, das wußte er nicht; er selber glaubte, mehrere Tage.

Aber da fingen sie an, ihr Tempo zu mäßigen; immer mehr; jetzt ging es in ein Traben über, und gleich darauf wurde daraus ein gemächliches Schreiten.

Und dann standen sie. Er konnte sie durch den Sturm deutlich keuchen hören.

Der Per Hansen krabbelte vom Schlitten und bekam mit vieler Mühe den einen der Heusäcke auf. Er riß ein Büschel heraus, arbeitete sich zu den Ochsen durch und machte sich daran, sie mit dem Heuwisch abzureiben.

Das Unwetter tobte jetzt so fürchterlich, daß er das Gesicht abkehren mußte; der Schnee bohrte sich tief in die Haut. Er rieb aus aller Kraft, erst den Sören, dann den Perkel; und als ihm die Arme müde wurden, kroch er zum Heusack zurück, schleppte ihn vor und hielt ihn den beiden vor die Mäuler. – Er hielt, während sie fraßen, den Sack, bis er vor Kälte und vor Schnee, der sich wie Nägel in seine Kleidung hineintrieb, erstarrt zu sein vermeinte.

»Eilt euch jetzt, eilt euch, ihr Trollkerle! – Gottlob, daß sich noch Leben in euch regt!« flüsterte er ihnen in die Ohren.

Endlich fand er sich wieder zum Schlitten zurück, löste mit klammen Fingern die steife Persenning los und wickelte sich darin ein; den Heusack schüttete er aus und wand ihn sich um den Kopf. – Und dann verdeutlichte er ihnen mit ein paar aufmunternden Kraftworten, jetzt müßten sie vorwärts, – immer vorwärts, vorwärts.

Jetzt aber hatten sie sich etwas anderes ausgedacht: sie sausten nicht davon, sondern sie begaben sich daran, gemächlich mit dem Winde weiterzutrotten – etwa mit der Geschwindigkeit, mit der sie an einem warmen Sommertage vor dem Pfluge herschritten. Er wetterte und schimpfte, er gab ihnen Schmeichelworte, er zog ihnen mit der Peitsche tüchtig eins über – alles mit dem gleichen Erfolg: die Ochsen stampften und trampften mit ihm und dem Schlitten durch das Unwetter, als sei alles herrlich und in Ordnung.

Pechrabenschwarz war es rundum; das Schneegestöber war zwar nicht mehr ganz so dicht; um so schlimmer war jetzt die Kälte; – die stach so böse in den Rücken; und der Wind hatte zugenommen, dessen war er sicher; denn er konnte sich kaum noch auf dem Schlitten festhalten.

Er sah in die Finsternis hinein: Das ist jetzt also deine letzte Fahrt!

Es war ihm leid darum. – Der Herrgott hätte wirklich noch eine Weile auf ihn warten sollen, damit er noch erlebte, wie sich hier draußen alles entwickeln und wie sich der Permann arten werde. – Seltsam, daß der Herrgott der Beret so übel wollte? Daß er ein kränkliches Weib in all dem Ungemach allein hier im Westen sitzenlassen konnte, – und jetzt gingen auch noch die Ochsen mit drauf! – Eine sonderbare Ordnung, wahrhaftig!

Er fühlte, daß ihn fror; – fror; er wickelte sich die Zügel um den Schenkel und beklopfte sich alle Glieder. Das half wohl an den Händen, aber im Rücken wurde es um so schlimmer, – der Wind ging durch und durch.

Er mußte doch jetzt schon weit, weit an den Tröndern vorbei sein ? Die Ochsen hielten gewiß erst einmal an der atlantischen Küste! – Ihn fror, daß ihm die Zähne klapperten.

Aber dann war es plötzlich, als sei es gar nicht mehr so kalt, es zog nicht mehr so schlimm durch ihn durch; er fühlte sich wohlig und müde, ach, so schlafensmüde.

Da riß er sich gewaltig zusammen, biß sich heftig in die Zunge, – er wußte doch wahrlich, was das zu bedeuten habe!

Nein! Das durfte nicht geschehen! Sonst blieb die Beret mit den vier Kindern allein!

Er rutschte vom Schlitten und begann neben den Ochsen herzustampfen; die Zügel wickelte er sich um den Arm.

Er war ärgerlich auf den Herrgott: Es war nicht recht von dem, ihn jetzt von der Beret fortzunehmen, – was der sich wohl eigentlich dabei dachte? ... Und die Beret war der beste Mensch der Welt. – Hieß das etwa ›für die Seinen sorgen‹?

»Beret, Beret,« gurgelte es in ihm, »jetzt fahre ich dahin!« –

Das Unwetter fauchte. Die Kälte nahm zu. Er ging durch etwas endlos Schwarzes, das rasend geworden, bis in ewige Zeit weiter rasen würde ...

Er ging und ging. – –

Er wurde nicht müde, schien ihm, – keineswegs müde. – Wohin gelangte er wohl zu guter Letzt, wenn er immer so weiter ging? – Ein Name tauchte aus dem Unwetter auf, leuchtete vor seinen Augen: Rocky Mountains. – Sonderbar! – Wie er so durch die Schneewehen humpelte, teilte sich der Name vor ihm in Stücke: Rocky – ocky – – Moun – tains! – Rocky – ocky – – Moun – tains! Nein, das stimmte ja aber gar nicht; die Rocky Mountains lagen nicht in dieser Richtung; – war er drauf und dran, vollständig verrückt zu werden? – Jetzt widerstand er vielleicht nicht mehr sehr lange, er fühlte es: es wäre so süß – so unsäglich süß – sich in diese Wehe hineinzulegen – und nicht mehr aufzustehen! – Nur einen Augenblick würde es dauern; denn jetzt war er so herrlich satt und müde.

Aber da weckte ihn ein Gedanke zum Bewußtsein, ließ ihn hellwach und behutsam werden: Der Sam? – wenn die jetzt von dem armen Sam weggefahren waren? – Der Sam war ein wackerer Bursch, – aus dem wurde mit der Zeit noch ein Mann, – gute Singstimme und alles. – Guter Gott, war das nun auch seine Schuld, daß der Sam heute nacht das Leben einbüßte? – Hätte er, der Per, an jenem Abend geschwiegen, dann säßen der Sam und der Henry jetzt sicher und warm in Ost-Minnesota! Und doch: die mußten sich mit ihren Rössern eigentlich durchhelfen können, wenn das Wetter nicht schlimmer wurde als jetzt? – Wenn sie doch nur nicht von dem Bürschlein wegfuhren!

Der Per Hansen fiel und stand wieder auf, fiel und stand wieder auf; die Zügel hatte er gut um den Arm geschlungen; die Ochsen zogen ihn mit; er mußte auf und weiterstapfen, – jetzt war er nicht einmal mehr imstande, den Fäustling abzustreifen und die Zügelschlinge am Arm aufzuknüpfen. – Rocky – ocky – – Moun – tains, Rocky – ocky – – Moun – tains! – Die pazifische Küste lag ja wohl gleich hinter diesen Bergen, – da gab es keinen Winter, – nein, keinen Winter; und da fischten sie sowohl Heilbutt wie Seeulk. – Nein, keinen Winter ... könnte er sich bloß über die Rocky – ocky – Mount – ains! schleppen! – – – Aber das war ja die verkehrte Richtung!

Die Ochsen trotteten mit dem Winde, zerrten den Per Hansen jedesmal am Arm hoch, wenn er stolperte und nicht mehr Lust hatte, sich zu erheben; er mußte auf und ihnen nach. – – –

Nein, was war jetzt das? Die Ochsen standen, der Per Hansen stand, – stand!

Seine erste Eingebung war, sich in den Schnee sinken zu lassen, jetzt, wo er endlich Ruhe hätte haben können. Aber etwas in ihm erhob sich und gebot ihm, stehenzubleiben. Er schleppte sich zum Perkel vor, legte dem den Arm über den Rücken und stützte sich gegen dessen Schenkel.

Was für eine Absonderlichkeit war denn das nun wieder? Wollte es Tag werden? – – – Zwischen den beiden Ochsenköpfen sah er ein gelbes Auge durch das Schneegestöber blinken! – Gewiß, das war doch ein Auge?

– Jetzt sehe ich den Totenfisch, Totenfisch oder Totenvogel: Vorzeichen des bevorstehenden Todes im norwegischen Volksglauben. jetzt ist es also soweit! –

Da setzte Sören plötzlich zu einem mächtigen Brüllen an; es war noch nicht verklungen, als Perkel ein gleiches tat, gewissermaßen, um den Antrag des Kameraden nachdrücklich zu unterstützen; der Perkel gab sich solche Mühe bei dem Brüllen, daß er geradezu schlank in der Taille wurde. Aber dabei kam der Per Hansen doch zu klarerem Bewußtsein; er tappte sich so weit vor, daß er an Perkels Kopf kam, – und stand plötzlich vor einer Wand!

Hier waren die Windbretter der Ecke!

Den Per Hansen rüttelte es, daß er sich kaum auf den Beinen hielt. Das Auge, das er da vor sich sah, war der Lichtschein aus einem kleinen Fenster jenseits der Hausecke, der durch das Schneegestöber fiel. – Nein, o nein, war er denn bis nach Filmore County gefahren? –

Er tappte sich um die Ecke herum, fand eine Tür, öffnete ohne weiteres und trat ein.


 << zurück weiter >>