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V

An dem Abend trug sich nichts Ungewöhnliches zu. Der Per Hansen war mit den beiden ältesten Buben noch aufs Feld gegangen. Der Pastor ging allein voraus in die Gamme und grüßte bei seinem Eintritt »Gottes Frieden!«, legte den Ornat ab und tat ihn in den Reisesack, nahm einen Stuhl und setzte sich. Und jetzt, ohne Talar, erhielt er sogleich ein anderes, schlicht menschliches Aussehen; er war einsilbig und sah aus wie einer, der soeben etwas Schweres überstanden hat und außerordentlich abgespannt ist.

Auf dem gedeckten Tisch stand ein Licht, auf einem kleinen Wandbrett in der Nähe des Ofens ein zweites. Die Sörine half noch immer. Das Gössel spielte in dem einen Bett mit dem Brüderchen, das gewaschen und zur Nacht angezogen war und jetzt schlafen sollte. Die Sörine plauderte beim Arbeiten mit den Kindern, und die lachten dazu.

Die Beret wusch, über den Herd gebeugt, Holzgerät; sie ließ den Pastor nicht aus den Augen. Und dann tat sie etwas, worüber sie sich nachträglich selber wunderte; sie trocknete sich die Hände, holte eine reine Schale aus dem Schrank neben dem Herd, goß sie voll frischgemolkener Milch und brachte sie dem Pastor:

»Hier hast du etwas, dich während des Wartens zu erfrischen.«

Der Pastor nahm die Schale, ohne aufzusehen, trank sie leer und setzte sie dankend auf den Tisch.

Die Beret war sogleich wegen ihres Tuns schüchtern und unruhig geworden; sie suchte sich ihre Näharbeit hervor – ein Hemd für das Knäblein –, und setzte sich damit abgewandten Gesichts unter das Licht beim Herd.

Der Per Hansen kam jetzt mit den beiden ältesten Söhnen herein, und die Sörine lud die Männer zu Tisch. Alle vier setzten sich und griffen zu. Dem Pastor ging das vorhin Durchlebte immer noch nach, und das Essen wollte nicht munden; er bat um noch eine Tasse Milch und wartete, bis die andern fertig waren. Dann faltete er die Hände auf dem Tisch und fing an zu einem zu beten, den sie nicht sahen.

Er begann so leise, daß der Per Hansen es nicht gleich auffaßte und den Mund schon öffnete, um zu fragen, was der Pastor soeben gesagt habe. Ebenso erging es den andern; der Ole, der noch Leere in sich spürte, langte nach einer weiteren Brotscheibe, und die Sörine kam, um Kaffee nach zuschenken. Aber die Beret fing, über ihre Näharbeit gebeugt, jedes Wort auf; sie tat noch ein paar Stiche, ließ dann die Hände sinken, – und mußte sich umdrehen und ihn ansehen. Das Licht fiel mit rötlichem Schein auf ihn, das Silber seines Bartes erglänzte; das Gesicht glich dem eines guten, lieben Kindes, das müde ist und sich legen will, – die Worte kamen weich und gedämpft. – Er ist doch ein wahrhaft schöner Mann, dachte sie, und lauschte.

Es können im Sommer auf der Prärie finstere Tage kommen; der Regen ist kalt, der Nebel feucht und schwer und dumpf; und dann gegen Abend, gerade wenn der Tag sich die Wolkendecke übers Ohr gezogen hat, schiebt sich plötzlich der Vorhang ein wenig zur Seite; ein großes Fenster tut sich leuchtend auf, klarer und reiner scheint es zu sein denn je; darunter aber und darüber und ringsherum hängt Nacht und Dunkelheit; aber die haben nun alles Grauen verloren. – Das war jetzt die Stimmung in der Hütte.

Der eine und der andere der Erwachsenen faltete unwillkürlich die Hände. – Die kleine Gesellschaft auf dem Bett aber spielte lachend weiter, doch ohne daß es störte. – Dann hörte der Permann den Mann reden, mit dem er vorhin gespielt; das lockte doch gar zu sehr. Er krabbelte in seinem Hemdchen aus dem Bett, kam über den Lehmboden gestapft, legte dem Pastor beide Händchen auf den Schenkel und starrte ihm ins Gesicht. Die es sahen, meinten, das sei unartig und wollten ihm wehren; aber niemand vermochte es: der Per Hansen wollte ihn ermahnen, schwieg aber; die Sörine dachte daran, das Kind fortzuholen, blieb aber sitzen. Ich muß wohl selber gehen! überlegte die Beret, konnte sich aber nicht vom Stuhl rühren. Das Kind war in einen Lichtkreis getreten, in den sich niemand getraute, ihm nachzufolgen. – Ohne sein Gebet zu unterbrechen, nahm der Pastor das Kind aufs Knie, faltete ihm die Händchen und umschloß sie mit den seinen. – Das ist doch zu verkehrt! dachte die Beret und wollte aufstehen. Aber es wollte nicht gehen: der, mit dem der Pastor sprach, war jetzt so nahe.

Die Worte fielen leise wie milder Regen an einem Sommerabend. Der Pastor hatte mit dem andern viel zu bereden, und es war, als widerspreche der andere und wolle nicht tun, worum er gebeten wurde; da sprach der Pastor um so inniger, aber ohne die Stimme zu erheben – nur, daß er sich nicht zufrieden gab.

– Endlich kam er auf das Knäblein auf seinem Schoß zu sprechen, den er heute mit dem Kreuze gesegnet. Und es war so wunderlich, ihm dabei zuzuhören. Es war schwer zu sagen, ob er mit dem Buben sprach oder mit dem anderen: es hörte sich so an, als spreche er zu allen beiden. Und er legte dem Kinde die Hand auf den Scheitel; die Augen schlossen sich, während die Worte strömten:

»Hebe ihn auf,« sagte der Pastor, »wie du es einst in alter Zeit getan! Hebe ihn auf und heilige ihn zu einem wahrhaften Nazaräer! Laß ihn seinen schönen Namen wahr machen und zu einem Siege werden für sich und sein Volk. Und lasse deinen holden Frieden über dieser Hütte ruhen, amen!«

Der Pastor blieb mit geschlossenen Augen sitzen, die Hand auf dem Kopf des Kleinen; die andern schwiegen weiter. Die Beret zitterte, fühlte den Hals beengt und mußte husten. Sie warf einen Blick auf die Näharbeit in ihrem Schoß. Das habe ich gewiß verkehrt genäht, dachte sie, sah noch einmal genauer hin, erhob sich, holte die Schere und trennte auf. Der Pastor fing an, mit dem Kleinen zu spielen, und beide waren sogleich eitel Fröhlichkeit. – Den Großen hatte er nichts mehr zu sagen, und sie meinten auch, sie sollten ihn nicht stören. –

Am nächsten Morgen beim Frühmahl war der Pastor jedoch wieder munter und gesprächig und nahm von dem Gebotenen, daß es eine Freude war zuzusehen. Dabei unterrichtete er sich eingehend über die örtlichen Verhältnisse und bewies ein solches Verständnis für die Landwirtschaft, daß der Per Hansen fragen mußte, ob er denn Farmer gewesen sei.

Er vergaß jedoch nicht, worum ihn der Pastor gestern abend gebeten hatte, ging nach dem Essen hinaus und nahm die Buben mit.

Die Beret wurde sogleich unruhig, sie suchte sich eilig ihre Näharbeit vor und setzte sich mit ihr hin. – Der Pastor konnte an ihr nichts anderes Ungewöhnliches entdecken, als daß ihre Züge so merkwürdig kindlich waren; das lag wohl vor allem daran, daß die Augen einem stets scheu auswichen, und auch in ihrem ganzen, schüchternen Wesen. Es gelang ihm nicht, sie zum Plaudern zu bewegen.

Er stand auf und trat auf sie zu: »Und jetzt, Mrs. Holm, habe ich ein Begehren: In zwei Wochen vom nächsten Sonntag gerechnet, komme ich wieder und halte in deinem Hause Abendmahlsgottesdienst!«

Die Mitteilung setzte sie so sehr in Erstaunen, daß sie sich vergaß und ihm gerade ins Gesicht blickte –:

»Hier in der Gamme?«

»Gewiß, hier bei dir in der Gamme. – Glaubst du nicht, daß du Segen verspüren wirst, wenn du deine Sünde vor den Herrn bringen kannst?« fragte er freundlich.

»Hier ? – Das geht doch wohl nicht an; hier ist's zu unsauber und schmutzig, und – und gar zu –.« Sie unterbrach sich jäh, wurde brennend rot und schlug die Augen nieder.

»Hier wohnt viel Sünde,« nahm der Pastor das Wort, »dessen bin ich gewiß, aber der Herr wird das Haus für uns heiligen. – Und jetzt bitte ich dich, daß du, bevor ich gehe, mit mir überlegst, wie wir es schön für ihn herrichten.« Der Pastor sah sich in der Stube um. »Den Tisch müssen wir hinausstellen, dann wird mehr Platz; – die Lade könnten wir vielleicht zum Altartisch nehmen. Wenn jetzt dein Mann noch einen Knieschemel dazu beschaffen wollte, wäre das schön. Wir könnten über Lade und Schemel eine Decke legen. Wir wollen auch die Nachbarin hinzuziehen!« Der Pastor bestimmte über alles, als sei das Ganze abgemacht und lege er die Verantwortung für die richtige Ausführung in ihre Hände.

Sie beobachtete ihn mit brennenden Wangen: »Das ist die Lade vom Vater, – und es ist eine schöne Lade!«

Der Pastor sagte nichts dazu, gab ihr die Hand, bedankte sich für die freundliche Aufnahme und ging. – Draußen sah er den Per Hansen kommen, und er ging ihm aus dem Weg; große Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn.

Als die Beret sich gleich darauf daran machte, das Knäblein anzuziehen, kam es ihr in den Sinn, daß sie heute gewiß singen müsse – gewiß, sie müsse singen! Worte und Melodie kamen geflogen; sie fing sie auf und stimmte an; es war der Taufchoral von gestern; die Beret sang alle vier Verse. – Mit dem Kinde jedoch ging sie so behutsam um, als wage sie nicht, es anzurühren. –


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