Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Briefe eines Verstorbenen

Dritter Teil

Ein fragmentarisches Tagebuch
aus Deutschland, Holland
und England,
geschrieben in den Jahren
1826 und 1827

Vorwort des Herausgebers

Schon seit mehreren Monaten hatte mich mein Verleger um die Übersendung der zwei letzt-ersten Teile der Briefe eines Verstorbenen gemahnt, und doch war es mir fast unmöglich, sein Verlangen zu erfüllen, weil mir in den verworrenen, oft auch nicht vollständigen Manuscripten zu vieles dunkel oder ganz unverständlich blieb.

In dieser Not verfolgte mich unablässig der sonderbare Gedanke: ob es nicht möglich sei, mit dem Verstorbenen noch einmal mündlich zu verkehren, und – so unverständig, ja wahnwitzig manchem das vorkommen mag – diese Unterredung hat dennoch wirklich stattgefunden. Gegen facta gehalten, müssen aber alle Theorien verstummen.

Wie sich so Unerhörtes jedoch höchst wunderbarerweise gestaltet und zugetragen, werde ich hier kürzlich erzählen.

Die unerwartet günstige Beurteilung, welche vom Gipfel des Parnasses, wie belebender Resurrektionstau, auf die Totenblätter gefallen war, hatte meine Sehnsucht nach dem Freunde, um ihm wo möglich so erfreuliche Kunde mitzuteilen, noch mehr als je gesteigert, und ich begann eines Abends schon, mich mit heidnisch-kabbalistischen Beschwörungen zu beschäftigen, als ein ärztlicher Freund mich noch zur rechten Zeit unterrichtete, wie ich weit christlicher und schneller zum Zwecke kommen könne.

Der Leser ahnet wohl schon, auf welchen Weg er mich führte. Ja, er sandte mir jenes außerordentliche Buch, jene neueste Offenbarung: Die Seherin von Prevorst.

Man denke sich, wie in so günstiger, empfänglicher Stimmung jedes letzte Vorurteil des gesunden Menschenverstandes schwinden, wie der überirdische Funke gewaltsam zünden, und gleich einem Blitze mein Inneres erleuchten mußte! ›O ihr edlen Wohltäter der Menschheit‹, rief ich, ebenso triumphierend als gläubig, aus, ›Dank Euch, das Geisterreich ist von Neuem erschlossen, und ist auch die erste Seherin in ihrem Berufe gestorben, warum sollte ihr nicht bald eine zweite folgen? Was einmal da war, kann auch wieder kommen, ja trügt mich die süße Hoffnung nicht, so ist diese Zweite schon gefunden!‹

Dieser Ausruf, geneigter Leser, hatte seinen guten Grund, denn schon seit geraumer Zeit lebte in meiner Nähe ein Mädchen, deren wunderbare Reizbarkeit des Nervensystems in der ganzen Gegend fast zum Sprichwort geworden war. Sie hatte früher als fromme Nonne im B... Kloster zu B... gestanden, und dort seltsame Fata erlebt, wo sie, bei allen echt weiblichen Eigenschaften, zugleich vielfache Gelegenheit gehabt, auch eine wahrhaft männliche Entschlossenheit zu bekunden. Man raunte sich sogar ins Ohr, daß sie im Verlauf gewisser Verfolgungen mehr als einmal vergiftet worden; durch schleunigen Gebrauch der Magenpumpe jedoch immer glücklich wiederhergestellt worden sei. Wegen dieser geheimnisvollen Avantüren hatte man ihr den lugubren Namen des Nonnerich beigelegt, ihr eigentlicher Name war aber Theresel, und ihr Geburtsort Böhmen. Nach Aufhebung des Klosters zog sie sich zu einer mütterlichen Freundin zurück, und lebte jetzt, nach dem Hingange dieser, still für sich, nur den Mysterien eines glühenden Pietismus, und den Werken der ausgedehntesten Menschenliebe rücksichtslos hingegeben.

Dieses hochbegabte Wesen hatte sich so oft im Zustande freiwilliger magnetischer Ekstase befunden, daß durch eine, nach den Regeln der Kunst fortgesetzte, wissenschaftliche Manipulation, die höchsten Resultate unfehlbar erwartet werden durften, und an ihrer Einwilligung war, bei jener bekannten Richtung ihres Naturells, kaum zu zweifeln.

Ich verlor also keinen Augenblick, und schrieb sogleich an meinen Freund, den Doktor Ypsilon, einen sehr gebildeten und gemütlichen Mann, der auch, wo es Experimente betrifft, keiner unpassenden Gewissenhaftigkeit Raum gibt, und bat ihn dringend um seine beste Hilfe, das große Resultat hervorzubringen, welches ich beabsichtigte.

Doktor Ypsilon war auch, wie ich erwartet, für mein Projekt sofort Feuer und Flamme. »Verlassen Sie sich auf mich«, erwiderte er, »und sollte ich selbst darüber den Kopf und Theresel das Leben verlieren, so muß sie doch bon gré mal gré den höchsten Grad des Hellsehens erreichen, und hinter der großen Seherin in keiner ihrer wunderbaren Fakultäten zurückbleiben.«

In der Tat segnete der Himmel unsern guten Vorsatz auf das sichtlichste. Der Erfolg übertraf noch die kühnsten Wünsche, denn ehe sechs Wochen vergingen, sah Theresel schon oben und unten, rechts und links, geistig und körperlich, durch sich und andere hindurch, und Geister aller Taillen und Farben gingen bei ihr aus und ein, wie in einer Schenke. Man muß zwar gestehen, es waren nicht immer die geistreichsten. Wir hatten sogar in diesem Punkt Unglück, aber ein sonderbares Vorurteil dieser Erde ist es auch, zu glauben: daß alle Geister Geist haben müßten – gewiß ebenso wenig, als alle Menschen menschlich sind. Gibt es doch sogar dumme Teufel, warum sollte es nicht auch dumme Geister geben!

Dem sei nun wie ihm wolle, kurz, der von mir so lang ersehnte Zeitpunkt war da, der Zweck aller Mühe erreicht, und bei der ersten besonders aufgeregten Stimmung der Prophetin, legte ich ihr meinen Wunsch auf den – Magen, das inbrünstige Wollen aller meiner verschiedenen Seelen und Geister: den verstorbenen Busenfreund noch einmal zu sehen.

Sie besann sich eine Weile, und sagte dann: »Was verlangst du Lieber! wisse, L... kann nicht anders als zu Pferde erscheinen.« »Comment«, rief ich erstaunt, »à cheval wie Napoleon?« »Nicht anders, mein Freund, so wollen es die unwandelbaren Gesetze des Zwischenreichs, denn L..., erinnere Dich, hatte unter vielen andern Fehlern auch den, ein viel zu leidenschaftlicher Reiter zu sein, und wie bei meiner Seelen-Freundin von Prevorst alte Ballvortänzer auch jetzt noch tanzend umherhüpfen müssen, so darf auch L... bei mir nur reitend eingelassen werden. Seine Erscheinung wird fürchterlich sein, ich sage es Dir vorher, waffne Dich mit Mut, doch Du hast es gewollt, ich rief ihn, und höre... da kömmt er schon!« Obgleich bereits passabel an den Umgang mit der andern Welt gewöhnt, durchrieselte doch ein kleiner Schauer mein Gebein, als ich jetzt – ›Tap... Tap... Tap...‹ vor der Türe erschallen hörte, und gleich dem Comthur in ›Don Juan‹ eine dämmernde, furchtbare Gestalt, mit dem Haupte schrecklich nickend, langsam ins Zimmer ritt.

Es schien wirklich, als habe mein Freund, zur Strafe für seine einstige Eitelkeit: immer die schönsten Pferde haben zu wollen, jetzt das magere Tier der Apokalypse besteigen müssen, ein fahles Ungeheuer, dessen Nüstern stahlblaue Dämpfe von sich stießen, und dessen Augen wie Feuerräder im Kopfe rollten. Daß es übrigens bei seinen ungeheuren Dimensionen, die gewiß dem trojanischen Pferde nichts nachgaben, dennoch in unsrer kleinen Stube Platz fand, war gewiß ein so offenbares Wunder, daß es auch dem Ungläubigsten jeden Gedanken an mögliche Täuschung der Sinne benehmen mußte. »O teurer Freund!« rief ich zitternd, noch ganz außer mir vor Schrecken und Freude, »bist Du es wirklich? Ja, jetzt erkenne ich schon wieder die alten lieben Züge, und, bei allen Geistern des Zwischenreichs, wirklich besser konserviert, als ich erwartete. Wieviel, o Freund, habe ich mit Dir zu reden, wieviel zu melden, wieviel zu erfahren, doch vor allem höre jetzt das: Was von Dir auf Erden allein zurückblieb – Deine posthumen, harmlosen Briefe – sie haben mehr Gnade daselbst gefunden, als Du je im Traume gehofft, und dürfte ich mich etwas orientalisch ausdrücken, was besser zu Deiner exotischen Erscheinung paßt, so würde ich sagen: daß aus dem unansehnlichen Feuerstein der edelste Stahl einen helleuchtenden Rubin geschlagen, daß die Sonne das Stückchen Glas durch ihre Strahlenkraft einen Augenblick zum Brennspiegel erhoben hat – mit einem Wort, um plan zu sprechen...«: Hier ergriff ich ein schon in der Tasche bereitgehaltenes Papier, und las, wie auf der Tribüne der französischen Deputiertenkammer, den Rest meiner Rede, und die Nr. 59 der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik, dem erstaunten Geiste vorO Eitelkeit! .

Dieser (ein sanft aschgrauer, also nach den Regeln der Uniformierung des Zwischenreichs, schon beinahe halbseliger) war bei der ersten Nennung des salomonischen Namens etwas erblaßt, dann schnell errötet, und hörte hierauf, ohne ein Wort zu sprechen, dem Anschein nach tief in sich versunken, andächtig zu.

Als ich geendet, entschwebte seinen Lippen ein behaglicher Seufzer, und lächelnd lispelte er (ganz wie im Leben): »Auf Erden wollte mir das Glück nie wohl, Heil aber sollte mir dennoch von daher, hier im Zwischenreich widerfahren! Wandelte ich noch irdisch umher, mir würde sein, wie einem Türken, der, in der Menge verborgen, plötzlich einen Gesandten des Sultans auf sich zukommen sieht, um ihn mit dem Ehrenpelz zu bekleiden, und zum Pascha einiger Roßschweife zu ernennen. Lächle nicht über die scheinbare Eitelkeit dieses Vergleichs, mein guter Hermann; denn es steht mir ja wohl an, stolz zu sein auf Jupiters Lob, und es ist sogar Pflicht, meine eigne Bescheidenheit hier gefangen zu nehmen – denn wäre es nicht anmaßend, mich selbst richtiger schätzen zu wollen als Er?

Ist es mir aber vergönnt, nun auch dem Gehörten einige demutsvolle Worte zu entgegnen, so muß ich vor allem mein Staunen ausdrücken, wie der achtzigjährige Greis so jugendlich frisch noch in jeden mutwilligen Scherz des Weltkindes, in jede Kinderfreude an der Natur so teilnehmend freundlich einzugehen vermag, und wie hoch er dabei dennoch in seiner Dichter-Glorie oben über uns schwebt, und alle Zustände der Menschen, wie einer der Herzen und Nieren prüft, erkennt und schildert, ohne nötig zu haben, sie selbst zu teilen, noch sie aus eigner Erfahrung sich zu abstrahieren. Nicht richtiger hat Rhadamanth, als ich in der Unterwelt ankam, mir im Herzen gelesen, und selbst wenn mit wohlwollender Feinheit der gütige Meister andeutet, wie manche heterogene Aufsätze in jenem wunderlichen Buche wohl auch von fremder Hand sein könnten, so hat er auch darin im Wesentlichen Recht, denn zeigte es sich auch am Ende, daß Herausgeber und Autor nur eine Person wären, und ein und derselbe das Ganze geschrieben (was jedoch nur mystisch möglich sein könnte, da ich tot bin, und Du noch lebst) so wissen wir doch, daß es auch in demselben Individuo verschiedene Naturen geben könne, und daß, wenn die Linke nicht wissen soll, was die Rechte tut, auch manchmal die Linke tut, wovon die Rechte nichts wissen will.

Du, mein treuer Herausgeber, gehst ebenfalls nicht leer aus, und es wird Dir zum Verdienst angerechnet, daß Du ›offen aber nicht aufrichtig‹ bekanntest, wie gewisse besondere Umstände Dich nötigten, das Ende zum Anfang zu machen, während Du dadurch doch nur ein heilsames clair-obscur über das Ganze breiten, und ihm, wie der Richter sagt, einen epischen Anstrich geben wolltest. So erscheinst Du denn, neben dem glücklichen Autor, auch als gewandter Editor, vor Reich und Zwischenreich, uns beiden aber wird schließlich Absolution erteilt, wenn wir auch wirklich gewagt haben sollten, hie und da Dichtung (bescheidner, Fiktion) mit Wahrheit zu vermischen.«

Der Verstorbene (wie man sieht, mit ziemlicher Redseligkeit begabt) machte Miene noch länger fortfahren zu wollen, als eine dröhnend schallende Glocke ertönte, und ihm plötzliches Stillschweigen auflegte. Es war, wie wir bald merkten, ein warnendes Zeichen für ihn: sein stündliches Strafpensum abzureisen, welches diesmal in dreimal drei Volten, in neun verschiedenen Gangarten, rund um die Stube bestand. Es war schrecklich anzusehen, wie der ungeheure, uns mehr als spanisch vorkommende Tritt des höllischen Gaules ihm fast den Atem zu benehmen schien. Noch mehr schauderten wir aber, als jetzt der, gleich einem Kometen in elliptischen Bahnen kreisende Schweif des Untiers, vor unsern Augen mehrere schöne Porzellantassen (alles echte altsächsische) von einer Konsole herabkehrte, die in Scherben auf dem Boden zertrümmerten, ohne dennoch das mindeste Klirren vernehmen zu lassen – denn die Prevorst'schen Geister haben nicht nur die Fähigkeit, immaterielle Klänge hervorzubringen, die materiell gehört werden, sondern auch solche, die ihnen unangenehm oder nicht anständig scheinen, unhörbar zu machen, ein Vorrecht der Zwischenregionen, welches verschiedene Bequemlichkeiten darbieten muß.

Als mein Freund endlich wieder still hielt, und sich keuchend den Schweiß von der Stirne trocknete, benutzte ich den günstigen Augenblick schnell, um von neuem also zu sprechen: »Die guten Nachrichten, die ich Dir zu bringen habe, sind noch nicht zu Ende. Vernimm, daß auch eine andere gewichtige Stimme in Deutschlands kritischen Gauen zu Deinem Preise erschallte, und den eigenen Glanz Dir als wohltuende Folie unterlegte – und manche andere wertvolle Namen sind demselben Beispiel gefolgt. Ein Freimütiger darunter, der Dich wahrlich nicht übel kennt, obgleich er Dich sichtlich mit einer andern Person verwechselt, hat sogar ausgemittelt, daß Du bei aller Liberalität, doch gerade noch genug Adelstolz besäßest (gestehe, verehrtester Zwischengeist, er hat nicht ganz Unrecht), und dabei uns zugleich seine Theorie vom Adel mitgeteilt, nämlich daß dieser sein und nicht scheinen solle. Viel verlangt in der Tat! denn, wäre nur gesagt, der Adel solle nicht bloß scheinen, sondern auch sein, so wäre dies zwar immer noch, in Sandomir wenigstens, unmöglich, jedoch denkbar – aber Sein ohne allen Schein, sozusagen, eine unsichtbare Existenz, ein Licht ohne Flamme – voilà qui est difficile!, O Gott! da entfuhr mir wieder eine französische Floskel, die, wie ich selbst fühle, zarten deutschen Ohren doch so empfindlich sein muß! Pardon, es soll nicht mehr geschehen.Übrigens hätte jener, gewiß von mir herzlich verehrte, deutsche Purist doch gewiß am Ende seiner Kritik sich weit richtiger ausgedrückt, wenn er sich herabgelassen hätte, statt dem hier unpassenden, harten, auch nicht ganz deutschen Wort: Skandal, das englische › scandal‹ zu gebrauchen.

Noch schmeichelhafter ist die, in seiner reichen Bildergalerie ausgesprochene Anerkenntnis jenes liebenswürdigen deutschen Humoristen, der, wenn er dem Auge eine Träne entlockt, während sie herabfällt, die Lippen schon wieder zwingt, sie mit Lächeln aufzufangen.

Damit Dir aber nichts Wünschenswertes fehle, ward Dir auch von den Pharisäern einiger obskure Tadel. Ja, eine arme Seele ist sogar auferstanden, um den Verstorbenen hienieden mit einem schwülstigen Mischmasch anzugreifen, der jedoch bei Freund und Feind nichts als den lebhaftesten Wunsch erregt hat, jene Verschollene möge doch lieber ruhig schlafen geblieben sein, statt das Publikum von neuem gähnen zu machen. Noch mehr. Selbst mit dem großen Unbekannten brachte man Dich in einige entfernte Berührung, indem manche, – die überhaupt heutzutage gar nicht mehr begreifen können, wie ein Minister wohl etwas ohne seine Räte, ein General ohne seinen Generalstab, ein Monarch ohne sein Ministerium, allein hervorbringen könne – auch Dein Büchlein, gleich jenes Erhabnen unsterblichen Romanen, einer ganzen compagnie größerer und kleinerer Autoren beiderlei Geschlechts zugeschrieben, und sich, hie und da gereizt, (denn Wahrheit tut weh) schmählig in Unschuldige, oder gar in die bloße Luft verbissen. So haben sich denn, lieber Toter, auf die glücklichste Weise für Dich, Licht und Schatten aus den verschiedensten Regionen vereinigt, um...«

»Mon cher«, unterbrach mich hier Theresel, und ergriff verdrießlich meinen Arm, »vergiß nicht, que tous les genres sont bons hors le genre ennuyeux, der einzige Umstand, in welchem ich mit meiner Freundin von Prevorst nicht harmoniere. Es ist genug für diesmal: Ihr müßt uns jetzt alle verlassen, denn die Zeit naht heran, wo der Geist vom Rosse steigen wird, um die Nacht bis zum Hahnenschrei mit mir zuzubringen. Ihr wißt, wie die unmittelbare Atmosphäre der Erwählten seine Seligkeit um Jahrhunderte beschleunigen kann, und es liegt mir ob, dies Werk christlicher Liebe keinen Augenblick länger zu verschieben, so entsetzlich ich auch dadurch geschwächt werde – aber was ist mein elender Körper gegen eine so hohe Bestimmung, gegen eine so heilbringende Einwirkung auf das Geisterreich!«

Ehrfurchtsvoll traten wir Lebenden zurück. Mein Freund lächelte, fast so sarkastisch, als sei er noch ein schwarzer Geist, sagte, indem er seine Hand küssend mir zuwinkte: »Au revoir mon ami« und verschwand, eben als ich die Türklinke ergriff, hinter Theresels Bettvorhängen. Sein Roß aber wirbelte, als der angenehmste Duft von essence de bouquet, im Kamine empor.

Auf die Straße gekommen, sah ich, noch in halber Betäubung, nach meiner Uhr, o horror! in der ganzen Stadt hatte es 5 Uhr geschlagen, als ich in das Haus der Seherin eintrat, jetzt war es drei. Die Zeit also war seitdem, man schaudert, statt vorwärts – rückwärts gegangen! Brauche ich noch zu sagen, daß ich nach dieser ersten entrevue, nicht nur meinen Freund öfters sah, und jede von ihm gewünschte Auskunft erhielt, sondern daß ich auch überhaupt an dem Geisterverkehr ebensoviel Vergnügen zu finden anfing, als mein Gehilfe, Doktor Ypsilon? Tag für Tag mußte Freund und Feind uns erscheinen, für ein Billiges erlösten wir manchen armen Schlucker, der seit Jahrhunderten als Geist herumlief, weil es ihm an vier Groschen fehlte, um eine gute Tat zu tun, und wollte ich hier erzählen, welche Aufschlüsse uns da geworden, welche Rätsel uns gelöst, welche überraschende Aufklärungen wir über die Geschichte erhalten, was uns Moses und die Propheten, die ›Eiserne Maske‹, Sebastian von Portugal, der falsche Waldemar, Cagliostro und der Graf von St. Germain vertraut – wir endeten kaum. Es ist wahr, Theresel, die uns oft vergebens um Mitleid anflehte, hielt es nicht aus. – Sie ruht nun auf dem Kirchhof, wie ihre große Vorläuferin, und starb – man muß es gestehen – einen elenden Tod. Aber wohl dem, der für das allgemeine Beste sich opfert, oder auch geopfert wird. Für die Überbleibenden ist wenigstens Beides Eins.

Doch auch wir brachten ein Opfer, und bezahlten unsere Schuld. Denn da wir bei jedem Experiment von neuem in der Zeit rückwärts schritten, so hatten wir am Ende nicht bloß, wie die Weltumsegler, einen ganzen Tag, sondern wohl mehr als Jahre verloren, ja oft wollte es uns dünken, es seien soviel Jahrhunderte.Sollte man vielleicht diese Details ebenso unglaublich und läppisch finden, so würde uns solches Urteil sehr schmeicheln, denn bekanntlich sind diese Eigenschaften eben die sichersten Zeichen der Wahrheit und Authentizität. S. hierüber das Nähere in der überzeugenden Einleitung zur ›Seherin von Prevorst‹.


Postscriptum

Ehe ich von dem geneigten Leser ganz Abschied nehme, muß ich denselben noch demütigst, im Namen meines Verlegers, um Verzeihung bitten, einmal wegen der unerhörten Menge Druckfehler, welche gleich Mücken, nach Sonnenuntergang, in den früheren Teilen dieses Werkes wimmeln, und hoffentlich in den jetzt vorliegenden nicht wieder aufleben werden; zweitens wegen der höchst seltsamen Kupfer, die ihnen (auch als Specimina von Stein-Druckfehlern) beigefügt wurden. Man kennt jene hundert Abbildungen, die in ganz unmerklichen Abweichungen, so daß zwei Blätter sich immer vollkommen zu gleichen scheinen, dennoch gradatim den ungeheuern Sprung, von einem ausgespannten Frosch bis zum Apoll von Belvedere zurücklegen. Man kann wohl kaum annehmen, daß die grotesken Figuren im Buche des Verstorbenen, in der erwähnten Galerie weiter hinauf, als höchstens am Ende des ersten Dutzends der Gradation, einrangiert werden könnten. Da aber die Kunst, besonders für angenehme Kleinigkeiten, jetzt auf allen Gassen sich feilbietet, und daher Besseres nur gewollt zu werden braucht, um es sogleich zu finden, so habe ich den Herrn F. G. Franckh im Verdacht, irgend etwas Geheimes, vielleicht etwas Mystisches, oder eine mordante Satire dabei in petto gehabt zu haben – vielleicht gar einen gefährlichen Umtrieb! in diesem Falle aber wasche ich meine Hände in Unschuld!

Von den zuerst erwähnten Druckfehlern sind schon die gröbsten namhaft gemacht, leider aber bei der ersten schnellen Durchsicht kaum die Hälfte derselben bemerkt worden. Wir erwähnen hier nur noch, als besonders sinnentstellend, daß unter einer Menge Noten des Verfassers: ›Anmerkung des Herausgebers‹ steht, und zuweilen umgekehrt. Die möchte den Unachtsamen fast glauben machen, beide seien nur eine Person, wogegen ich jedoch auf's ernstlichste protestieren muß, da ich keineswegs gesonnen bin, mich so schnell zu den Verstorbenen zu zählen, und auch hoffe, daß, wenigstens die Pluralität der Leser, mir noch das liebe Leben, ›die süße Gewohnheit des Daseins‹ einige Zeit lang gönnen wird.

Die folgenden Briefe selbst betreffend, will ich endlich noch bemerken, daß, obgleich sie aus den Jahren '26, '27 und '28 sind, und daher veraltet dünken möchten, der geneigte Leser dennoch viel Anklänge mit dem Neuesten darin finden wird, und man auch Rücksicht darauf genommen hat, nur dasjenige von ältern Nachrichten bestehen zu lassen, was noch jetzt ebenso wahr als gültig bleibt, hingegen alles zu streichen, was sein Interesse für den Augenblick schon verlor.

S... den 1. März 1831.

(Die in vorstehendem Postscriptum ausgesprochenen Rügen der Druckfehler haben in dieser neuen Auflage durch möglichst sorgfältige Korrektur ihre Erledigung gefunden.)


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