Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Den 14ten

Ich besah heute einige neue Gebäude, unter andern die, mit stattlichen Kolonnaden umgebene Börse, deren Größe und Totaleindruck imposant ist; doch nehmen sich die langen, schmalen gewölbten Fenster hinter den Säulen sehr häßlich aus. Die modernen Bedürfnisse harmonieren oft gar zu schlecht mit dem antiken Stil. Das Innere ist ebenfalls grandios, und die Täuschung der Deckenmalerei in der Haupthalle vollkommen. Man schwört, darauf Basreliefs zu sehen, aber doch schlechte.

Auf den Boulevards hat man, wie ich heute erst bemerkte, gute Verbesserungen durch Wegnahme mehrerer Häuser bewerkstelligt, und die Porte St. Denis und St. Martin nehmen sich nun weit besser aus als ehemals. Ludwig der XIV. verdient diese Monumente, schon um seiner Verschönerung der Hauptstadt willen, denn in der Tat, was man in Paris Schönes und Großes sieht, Ludwig der XIV. oder Napoleon gründeten es. Die Alleen hat man glücklicherweise sorgfältig geschont, und nicht, wie in Berlin unter den Linden und auf dem Dönhoffsplatz, die großen Bäume abgehauen, um kleine astlose Krüppel statt ihrer hinzupflanzen. Einen seltsamen Anblick gewähren die vielen dames-blanches und Omnibus, Wagen, die zwanzig bis dreißig Personen halten, die Boulevards fortwährend von einem Ende bis zum andern durchfahren und jeden müden Fußgänger für bestimmte, sehr billige Preise darin aufnehmen. Meldet sich einer, so zieht der hinten sitzende Kondukteur eine Klingel und der Kutscher hält. Eine fliegende Treppe sinkt herab und in wenigen Sekunden geht es wieder vorwärts. Nur drei unglückliche Rosse ziehen diese schweren Wagen, so daß ich, bei der jetzigen Glätte, oft sämtliche Pferde nebeneinander hinstürzen sah. Man sagt, England sei eine Hölle für die Pferde, sollte indes die Metempsychose wahr sein, so bitte ich mir doch jedesmal aus, lieber ein englisches Pferd zu werden als ein französisches. Wie man diese unglücklichen Tiere hier oft behandelt, ist wahrlich empörend! und es wäre zu wünschen, daß die Polizei sie, wie in England, beschützte. Ich erinnere mich, daß ich einst in London eine ähnliche Mißhandlung eines armen Cabriolet-Pferdes durch einen Fiaker mit ansah. »Kommen Sie« sagte der mich begleitende Engländer; »wenn Sie eine Stunde Zeit haben, sollen Sie sofort der Bestrafung dieses Menschen beiwohnen.« Er rief den Mann nun ganz gelassen heran, stieg mit mir ein, und befahl ihm auf's Polizei-Bureau zu fahren. Dort brachte er seine Klage an, daß der Kutscher sein Pferd unnütz gepeinigt und gemißhandelt habe. Ich bezeugte es, und der Kerl war genötigt, sogleich eine ziemlich bedeutende Geldstrafe zu erlegen, worauf er uns noch wieder zurückfahren mußte. Du kannst Dir seinen guten Humor dabei vorstellen.

Auch in andern Teilen der Stadt sind solche Omnibus im Gange, und die längste course kostet doch nur einige Sous. Es ist höchst amüsant, abends dergleichen Fahrten, auch ohne bestimmten Zweck, zu machen, nur der sonderbaren Karikaturen wegen, die man hier antrifft, und der originellen Konversationen, die man mit anhört. Man glaubt oft einer Vorstellung der Varietés beizuwohnen, und findet Brunets und Odrys Originale getreu hier wieder. Du weißt, wie gern ich auf diese Art beobachtend unter Menschen bin, und überhaupt dazu die Mittelstände am meisten liebe, die auch heutzutage allein noch etwas Eigentümliches haben, und auch die glücklichsten sind, denn wahrlich – die Medaille hat sich ganz und gar umgekehrt. Die Mittelstände, bis zum Handwerker herab, sind jetzt die wirklich begünstigten, durch Sitten und Zeitumstände. Die höheren Klassen finden sich mit ihren Rechten oder Prätentionen zu fortwährender Opposition und Demütigung verdammt. Unterstützt hinlängliches Geld ihre Anforderungen, so geht es noch leidlich, obgleich auch hierin, der Ostentation wegen, der Erbsünde der Reichen, wenn es nicht Geiz ist, ihnen Geld weit weniger reellen Genuß gewähren kann, als es ein paar Stufen tiefer verleiht. – Hält aber den Rang kein Vermögen empor, so ist der so Gestellte ganz gewiß von allen seinen Mitbürgern, den Verbrecher ausgenommen, der Beklagenswerteste, unmittelbar nach dem, welcher wirkliche Hungersnot leidet.

Daher sollte jeder, wie ich schon einmal, glaube ich, gegen Dich äußerte, seine Lage in der Welt genau erwägen, und der Ambition oder Eitelkeit (ich schließe hiervon nur die Ambition des wahren Verdienstes aus, welche sich durch ihr Wirken selbst, und nur durch dies allein belohnt findet) nichts aufopfern, denn keine Epoche der Welt war einer solchen weniger günstig. Wir Vornehmen werden jetzt wirklich wohlfeil zu weiser Enthaltsamkeit und praktischer Philosophie jeder Art hingeführt, und dem Himmel sei Dank dafür!

Mit diesen Gedanken, im Innern der dame-blanche kam ich bei Franconis Theater an, das auch ein Blinder, nur dem Pferdegeruch nachgehend, schon auffinden kann. Was hier getrieben wird, ist allerdings eine abscheuliche Geschmacklosigkeit, und ein Publikum, das nichts andres zu sehen bekäme, müßte am Ende selbst zu halbem Vieh werden. Ich spreche von den ganz sinnlosen Schauspielen, die hier dargestellt werden – die einzelnen equilibristischen Übungen sind dagegen oft recht sehenswert. Besonders erfreute mich der Seilschwinger, ›Diavolo‹ betitelt, der gewiß alle seine Mitbewerber so sehr überflügelt, als Vestris einst seine Kollegen. Eine schönere Gestalt, größere Gewandtheit, Sicherheit und vollendetere Grazie scheinen in dieser Art kaum denkbar. Er ist der fliegende Mercur, der von neuem eine menschliche Form angenommen hat; die Luft scheint sein wahres Element, und das Seil nur ein Luxusartikel, um sich damit, wie mit einer Girlande, zu drapieren. Im wildesten Schwunge sieht man ihn, haushoch, ganz frei und unangebunden auf dem Seile liegen, jetzt dicht vor den Logen mit dem klassischen Anstand einer Antike vorüberschweben, und gleich darauf, wie eine Marionette, mit dem Kopf unten, und den Beinen nach oben, ein entrechat in den Wolken des Theaterhimmels ausführen. Daß er sich wie ein Rad, vor- und rückwärts, mit der Schnelligkeit eines Uhrwerks, umdrehen, unangebunden sich in der Länge des Seils hinlegen, oder nur mit einem Fuß daran hängend umherschwenken kann, versteht sich von selbst. Er verdient seinen Namen durch die Tat. Il Diavolo non puo far meglio.


Den 14ten

Als Zugabe zu meinem gestiegen Briefe habe ich Dir schnell eine dame-blanche, gefüllt mit – Bonbons gekauft, und als nachfolgendes Weihnachtsgeschenk für Mademoiselle H... eine bronze-pendule beigefügt, mit laufendem Springbrunnen am Fuße und einem arbeitenden Telegraphen auf der Spitze. Sage ihr, daß sie den letzten sehr gut gebrauchen möge, um durch seine Hilfe öffentlich Gespräche zu halten, die doch kein Unberufener verstehen könne. An solchen Spielereien ist Paris unerschöpflich, sie sind aber hauptsächlich nur auf die Fremden berechnet, denn die Franzosen kaufen sie selten und finden sie, nicht ganz mit Unrecht, de mauvais goût.

Um mit den Theatern zu endigen, besuchte ich heute drei auf einmal. Zuerst im Théâtre Français zwei Akte aus der neueren, höchst elenden Tragödie, ›Isabelle de Bavière‹. Auch diesmal fand ich meine früheren Eindrücke bestätigt, und nicht allein die Schauspieler (Joanny ausgenommen, der die Rolle Carl des VI. nicht schlecht spielt, wenn er gleich Talma nicht verglichen werden kann) waren die Mittelmäßigkeit selbst, sondern auch costumes, Dekorationen und aller übrige Apparat unter dem letzten Boulevards-Theater. Das Pariser Volk wurde unter andern durch sieben Männer und zwei Weiber, die Pairs von Frankreich aber durch drei oder vier Statisten, in wahre Lumpen gehüllt und mit goldpapiernen Kronen auf den Köpfen, wie in der Puppen-Komödie, repräsentiert. Der Saal war leer, und die Kälte kaum auszuhalten. Ich fuhr also schnell nach dem Ambigu Comique, wo ich ein hübsches neues Haus fand, mit sehr frischen Dekorationen. Man gab zum Zwischenspiele eine Art Ballett, welches die deutsche Landwehr gar nicht übel parodierte, und also wenigstens nicht langweilig war. Es wunderte mich übrigens, daß es den Franzosen nicht mit der Landwehr und den Preußischen Hörnern geht, wie den Burgundern mit den Alpenhörnern der Schweizer, deren Ton sie sich nicht gern zurückrufen ließen, denn, wie die Chronik sagt, ›à Granson les avoient trop ouïs!‹

Das italienische Theater beschloß meinen Abend. Hier findet man das gewählteste Publikum, es ist die Modebühne. Der Saal ist sehr artig dekoriert, die Erleuchtung brillant und der Gesang entspricht der Erwartung. Sonderbar bleibt es aber doch, daß selbst ein, ganz aus Italienern bestehendes, Personal im Auslande nie so singt, nie das köstliche Ganze darstellt, wie es in Italien der Fall ist. Ihr Feuer scheint in der fremden Region zu erkalten, ihre Laune zu vertrocknen, da sie wissen, daß sie zwar beklatscht werden, aber mit dem Publikum nicht mehr eine Familie ausmachen, der Buffo wie der erste Sänger doch nur halb verstanden, und wohl auch musikalisch nur halb empfunden werden. In Italien ist die Oper Natur, und ich möchte sagen notwendiges Bedürfnis, in Deutschland, England und Frankreich nur Kunstgenuß und Zeitvertreib.

Madame Malibran García (man gab ›Cenerentola‹) erreicht in dieser Rolle, meines Erachtens, die Sontag nicht; sie hat aber einen ihr eignes genre, das immer mehr anzieht, je länger man es hört, und ich zweifle nicht, daß auch sie Rollen hat, in denen ihr die Palme vor allen andern gebühren würde. Sie hat einen Amerikaner geheiratet, und auch ihr Gesangstil kam mir ganz amerikanisch vor, d. h. frei, kühn und republikanisch, während die Pasta, wie ein Aristokrat, oder gar ein Autokrat, despotisch mit sich fortreißt, und die Sontag schmelzend und mezza voce, wie im himmlischen Reiche, flötet. Der Tenor Bordogni hatte die schwere Aufgabe ohne Stimme zu singen, und er tat unter diesen Umständen was er vermochte; Zuchelli war, wie immer, vortrefflich, und Santini sein würdiger Rival. Spiel und Gesang hatten überhaupt, fast durchgängig, Leben, Kraft und Grazie, mehr als auf andern ausländisch-italienischen Bühnen.

Als ich in mein Hotel zurückkam, wurde ich mit einer der Pariser Annehmlichkeiten überrascht, die doch einer solchen Stadt wahrhaft zur Schande gereichen. Ich glaubte, obgleich mein Hotel ein angesehenes ist und im belebtesten Stadtteile liegt, in eine Kloake geraten zu sein, denn man hatte eben das Ausräumen gewisser Fundgruben begonnen, mit welcher Operation die Häuser hier zweimal des Jahres verpestet werden.

Ein Dutzend Pastillen habe ich bereits verbrannt, kann aber immer noch keine gründliche Reaktion erregen.


Den 24sten

Schon früh saß ich heute im Cabriolet, um eine weitere tournée als gewöhnlich, und alten Bekannten einen Besuch zu machen. Ich dirigierte den Kutscher zuerst nach Notre-Dame und bedauerte unterwegs, als ich auf der Pont Neuf ankam, daß man der Statue Heinrich des IV. diese Stellen angewiesen hat, wo sie so unzweckmäßig auf die kahle Basis des Obelisken gesetzt ist, welchen Napoleon früher projektiert hatte, und für den der Platz gewiß mit großer Sagazität ausgesucht war, während jetzt, dicht unter den weiten und hohen Häusermassen, welche den Hintergrund der kleinen Statue umgeben und sich in einem kolossalen Dreieck gegen sie schließen, das bäumende Pferd von weitem nur den Effekt eines hüpfenden Insekts macht. Indem ich noch bei mir diese Betrachtungen verfolgte, und was aus Paris geworden wäre, wenn Napoleon fortregiert, rief der Cabriolet-Führer plötzlich: »Voilà, la morgue.« Ich ließ halten, (car j'aime les émotions lugubres) und betrat das bisher noch nie gesehene Leichenhaus, wo, wie Du weißt, alle unbekannte Totgefundene ausgestellt werden. Hinter einem hölzernen Gitter erblickt man einen kleinen reinlichen Saal, mit acht schwarz angestrichnen hölzernen Bahren in Reihe und Glied gestellt, das Kopfende der Wand zugekehrt, das untere gegen die Zuschauer gerichtet. Die Toten werden nackt daraufgelegt, und die Kleider und Effekten derselben hinter ihnen an der weißen Wand aufgehangen, so daß jeder leicht daraus das ihm Angehörige erkennen mag. Nur ein alter Mann, mit einer echt nationellen Franzosen-Physiognomie, Ringen in den Ohren und am Finger, lag ganz freundlich und lächelnd mit offnen Augen da, täuschend einer Wachsfigur ähnlich, und mit einer Miene, als hätte er eben seinem Nachbar noch eine Prise anbieten wollen, wie ihn der Tod übereilt. Seine Kleider waren gut – superbes, wie ein zerlumpter Kerl neben mir sagte, der sie mit sehnsüchtigen Blicken betrachtete. Am Körper war keine gewaltsame Verletzung zu sehen, so daß den Alten wahrscheinlich der Schlag in einem entfernten Teile der Stadt, seinen Verwandten noch unbewußt, getroffen hatte, denn Elend schien hier nicht stattgefunden zu haben. Einer der Wächter erzählte mir ein sonderbares Faktum, nämlich, daß im Winter die sich Ersäufenden, welches in Paris jetzt die fashionable Methode ist, sich ums Leben zu bringen, um zwei Drittel seltener sind, als im Sommer. Der Grund kann doch, so lächerlich es klingen mag, kein andrer sein, als weil im Winter das Wasser zu kalt ist (denn zugefroren ist die Seine nur sehr selten). Aber wie die Kleinigkeiten und alltäglichen Dinge die großen Begebenheiten im Leben weit mehr regieren, als man glaubt, so scheinen sie auch noch im Tode ihre Macht auszuüben, und die Verzweiflung selbst bleibt noch douillet, und von Sinnlichkeit befangen.

Du erinnerst Dich der drei Portale von Notre-Dame mit den eichenen Pforten, die mit herrlichen Bronze-Blumen und Arabesken verziert sind, und wie die ganze in ihren Details interessante façade, einen originellen Anblick gewähren; aber, gleich dem ehemaligen Tempel zu Jerusalem, wird auch Notre-Dame durch Buden und Verkäufer entstellt, die sich bis ins Innere der Kirche eingenistet haben. Dieses Innere, das dem Äußeren überhaupt so wenig entspricht, ist durch einen neuen Anstrich noch unbedeutender geworden.

In der Fortsetzung meiner Promenade stieg ich auch einen Augenblick beim Pantheon aus. Es ist schade, daß die Lage und Umgebung dieses Tempels so sehr unvorteilhaft sind. Auch im Innern erschien er mir immer fast zu einfach und zierlos, was zu diesem Stil nicht paßt, und der neue plafond von Girodet ist ohne Theater-Lorgnette kaum zu entdecken. Die Öffnung der Kuppel ist zu klein und hoch, um irgend etwas von dem Gemälde deutlich auffassen zu können. An einem Pfeiler sah ich ein detachiertes Stück Teppich hängen, und erfuhr auf Nachfrage, es sei dies eine Arbeit der unglücklichen Marie Antoinette, und von Madame der Kirche geschenkt worden. Über dem Steinaltar stand: ›Autel Privilégié‹ – d. h. Ablaß erteilend! die Ideen-Assoziation, welche dieser Anblick hervorbrachte, rief mir die nahe Menagerie ins Gedächtnis, und ich fuhr nach dem Jardin des Plantes, wo es den Tieren zu kalt geworden war, daher ich auch alle, lebende und tote, verschlossen fand und nur einen großen Eisbären besuchen konnte. Dieser kehrte, als ich kam, ohne sich stören zu lassen, wie ein Tagelöhner, mit großer Geduld und Ruhe seinen Zwinger mit den Vordertatzen, deren er sich als eines Besens bediente, brachte dann das Stroh und den trocknen Schnee in seine Höhle, um ein weiches Lager daraus zu bereiten, worauf er sich zuletzt auch, behaglich murrend, langsam ausstreckte. Auch sein Nachbar Martin, der Landbär, welcher einst eine Schildwache fraß, befindet sich noch wohl, war aber heute nicht visible. Auf dem Rückweg besuchte ich noch eine dritte Kirche, St. Eustache, die im Innern grandioser erscheint als Notre-Dame und Pantheon, auch durch einige bunte Fenster und Gemälde belebt wird. Von den letztern war sogar, zu irgendeinem Feste, eine Art Ausstellung in der Kirche veranstaltet, die jedoch den Kunstsinn nicht sonderlich ansprach. Angenehmer war die schöne Musik, bei der mehrere Posaunen ergreifend wirkten. Warum wendet man ein so erhabnes Instrument nicht weit öfter bei unserer Kirchenmusik an?

Als ich über die Place des Victoires fuhr, schickte ich einen Stoßseufzer gen Himmel, über die Nichtigkeit des Ruhms und seiner Monumente. Auf diesem Platz stand, wie Du Dich noch erinnern wirst, einst Desaix's Statue, die er wahrlich um Frankreich verdient hatte. Jetzt ist sie weggeworfen, und ein römisch gepanzerter Ludwig der XIV., mit der Allongen-Perücke auf dem Haupte, dessen Roß einem großen hölzernen Steckenpferd ähnlich sieht, hat seine Stelle eingenommen. Mit Mühe tröstete ich mich über die traurigen moralischen Betrachtungen, die dieser Anblick bei mir erweckte, durch sinnlichere Eindrücke im Salon des Frères Provençaux, vermöge guter Trüffeln und der Lektüre eines weniger guten Mode-Romans. Ja ich bedurfte einer ganzen bouteille Champagner, um endlich mit Salomo ausrufen zu können: ›Alles ist eitel!‹ und dann hinzuzusetzen: ›Drum genießt den Augenblick, ohne zuviel darüber nachzudenken!‹ In dieser guten Stimmung durchstrich ich hierauf zum letztenmal das Palais Royal, wo so viel bunte colifichets, und neue Erfindungen mir aus den hellerleuchteten Buden entgegenglänzten, daß ich am kristallnen Nachthimmel den Vollmond, der, ganz klein und eidottergelb, an einer der Feueressen gegenüber zu hängen schien, beinahe auch für eine ganz neu erfundene Spielsache angesehen, und mich gar nicht sehr gewundert haben würde, wenn der Mondmann, oder Mademoiselle Garnerin daraus hervorgestiegen, und im Innern von Verys Feueresse verschwunden wären. Da aber alles beim alten blieb, so ließ ich mir wenigstens von dem, die dunkeln Öllampen sehr überstrahlenden, Gestirn nach den Varietés leuchten, pour finir ma digestion en riant. Dieser Zweck gelang auch vollkommen, denn das kleine Theater hat zwar Potier, aber mit ihm nicht allen seinen Lachreiz verloren. Gewonnen hat es dagegen (für die Augen wenigstens) eine allerliebste kleine Schauspielerin, Mademoiselle Valerie, und ein viel besseres und frischeres Äußere als sonst. Zu den glücklichen Neuerungen gehört es, daß der Vorhang nicht wie gewöhnlich, nur eine gemalte Draperie, sondern von wirklich in Falten drapierten, dunkelblauem Zeuge ist, was sich zu dem cramoisi, Weiß und Gold des Saales, sehr gut ausnimmt. Er wird nun auch nicht mehr so unbeholfen und steif in die Höhe gerollt, wie die andern, sondern zieht sich graziös, beim Beginn des Spiels, von beiden Seiten zurück. Die größeren Bühnen sollten dies nachahmen.


Den 16ten

Sonst waren die ›Anas‹ Mode, jetzt sind es die ›Amas‹, et le change est pour le mieux, denn die ersten erinnerten unwillkürlich an Esel, die zweiten dagegen an Liebe, obgleich mit den ersten große Männer gemeint waren, und die zweiten nur der Wissenschaft- und Kunst-Liebe angehören. Durch die gewöhnlich darin herrschende ägyptische Finsternis aber gewähren sie doch auch Amor zuweilen einigen Spielraum.

Ich widmete diesen ›Amas‹ den heutigen ganzen Morgen, und fing mit dem ›Ama‹ der Geographie, dem Georama an. Hier sieht man sich auf einmal in der Mitte der Erdkugel, wohin Herr Dr. Nürnberger mit seinem projektierten Schacht noch nicht gelangt ist, wo sich aber sogleich die andere Hypothese eines Lichtmeers im Innern der Erde bestätigte, denn es ist hier so licht, daß die ganze Erdkruste davon transparent wird, und man von innen heraus sogar die politischen Ländergrenzen deutlich erkennen kann. Unglücklicherweise hat man den Nordpol über sich, durch den heute ein so verzweifelt kalter Luftzug hereindrang, daß der kleine eiserne Ofen, unten im Südpol, durchaus mit seiner Wärme nicht durchdringen konnte. Dies schwächte meine Neugierde sehr, weshalb ich Dir auch nur sagen kann, daß kein Globus die Geographie so anschaulich macht, als das Georama, und es zu wünschen wäre, daß alle Lancasterschen Schulen künftig ebenfalls in einem solchen Bauche der Erde angelegt würden, wo man sich bei größerer Gesellschaft, auch mutuellement besser wärmen könnte. Die Seen erscheinen hier, wie in der Wirklichkeit, sehr hübsch blau und durchsichtig, die feuerspeienden Berge wie kleine glühende Punkte, und den schwarzen Bergketten folgt man bequem mit den Augen. Als etwas Seltsames fiel es mir auf, daß die großen transparenten Seen in China, zugleich die Umrisse wahrhaft chinesischer Fratzen darstellten, ganz ihren grotesken Götter-Bildern ähnlich. Unter andern erschien der größte, ohne allen effort der Einbildungskraft, als das leibhaftigste Bild eines fliegenden Drachen, wie deren so häufig auf den chinesischen Vasen und auf dem Brustlatz der Mandarine abgebildet sind. Auf diese neue Entdeckung tue ich mir etwas zugute, und wer weiß ob sich daraus nicht ein neues Licht über die chinesische Mythologie verbreitet. Worüber ich mich dagegen sehr entrüstet fühlte, war, daß die neuen (nun schon alten) Entdeckungen am Nordpol, in Afrika und dem Himalaja-Gebürge noch nicht einmal angegeben waren. Es schien überhaupt die ganze Sache etwas en décadence zu sein, denn, anstatt daß man sonst in Paris zu allen Vorstellungen dieser Art durch hübsche Weiber, die am bureau sitzen, anzulocken sucht, nahm hier eine furchtbare Person, die den ›Lépreux d'Aosta‹ glich, die Geldspenden ein.

Das Diorama, eine halbe Stunde weiter auf den Boulevards, gibt eine Ansicht des Gotthards und Venedigs. Die erstere Gegend, auf der italienischen Seite des Gebürges, die ich in natura gesehen, war schön und täuschend abgebildet, da aber keine Veränderungen der Beleuchtung dabei stattfinden, wie bei dem, (weit vorzüglicheren) Diorama in London, so gibt der Anblick weniger Abwechslung und Genuß. Venedig war schlecht gemalt und von so gelbem Lichte beschienen, als wenn es, aus gerechtem Ärger über die Franzosen, die einst seine politische Existenz zerstörten, und es dann nicht einmal behielten – die jaunisse bekommen hätte.

Beim Neorama sieht man sich in die Mitte der Peterskirche versetzt, – die Täuschung ist aber nur sehr mittelmäßig und die Menge der natürlich unbeweglichen Figuren, bei so viel Prätention zu vollkommner Nachahmung, störend. Nur Schlafende oder Tote sollte man zur Staffage eines solchen Bildes benutzen. Das Fest des heiligen Petrus wird dargestellt. Papst, Kardinäle, Gefolge und die päpstliche Garde en Haye füllen die Kirche, und sind dabei so schlecht gemalt, daß seine Heiligkeit der Papst wie ein vor der alten Jupiter-Statue Petris hingeworfener Schlafrock aussahen.

Mit Übergehung der bekannten Panoramas und Kosmoramas, bringe ich Dich endlich in das Uranorama, im neuen Passage Viviene. Das ist eine sehr ingeniöse Maschine, um den Lauf der Planeten unsers Sonnen-Systems anschaulich zu machen. Ich mag nicht leugnen, daß ich nie vorher eine so klare Idee vom Grunde der Jahreszeiten, der Mondwechsel u. s. w. hatte, als nach einer Stunde, die ich hier verbrachte. Mündlich werde ich Dich näher davon unterrichten, ja, wenn Du 1200 Franken daran wenden willst, kannst Du eine Kopie der ganzen Maschine im kleinen erhalten, die in keiner ansehnlichen Bibliothek fehlen sollte.

Ich hatte also heute früh mit dem Mittelpunkt der Erde angefangen, dann die verschiedenen Herrlichkeiten ihrer Oberfläche bewundert und nach einem flüchtigen Besuch auf sämtlichen Planeten, in der Sonne aufgehört. Es fehlte nichts als ein letztes ›Ama‹, das mir den siebenten Himmel und die Huris gezeigt, so wäre meine Reise ganz vollständig gewesen, und ich hätte mehr in diesem Vormittag gesehen, als der ägyptische Derwisch in den fünf Sekunden, die er mit dem Kopf im Wassereimer zubrachte.

Es ist also wohl das beste, hiermit auch den Vorhang vor meinem fernern Tun und Lassen herabzuziehen. Wenn er sich wieder vor Dir auftut, wird es nur sein, um daß ich Dir selbst daraus entgegentrete – denn schneller wie Briefe eile ich morgen der Heimat wieder zu. Erst, wenn ich dort die Seelenkräfte von neuem mir erfrischt, will ich die alten Pläne vollführen – einen Winter unter Granadas Orangen- und Oleanderblüten verträumen, eine Zeit unter Afrikas Palmen wandeln, und die alternden Wunder Ägyptens zuletzt vom Gipfel seiner Pyramiden betrachten. Bis dahin keinen Brief mehr.

Dein treuester Freund L...


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Ende


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