Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehnter Brief

Brighton, den 19. Februar 1827

Teure Julie!

To make the best of my time, wie die Engländer praktisch sagen, besuchte ich gestern, ehe ich die Stadt verließ, drei Theater nacheinander. Ein irländischer Bedienter war im ersten Stück die Hauptperson. Als ihn sein Herr engagiert (der eben eine Entführung seiner Schönen beabsichtigt), fragt er ihn vorher, ob er auch entschlossen sei, alles zu tun was er von ihm verlange. »O, alles!« ruft der entzückte O'Higgy, »alles, was Ihr wollt; ich stehle Euch früh eine Kuh, und mache Euch mittags schon beefsteakes davon.« Später meint er: »Zwei Köpfe sind immer besser, wie einer, wäre der zweite auch nur ein Kalbskopf, denn seid Ihr hungrig, könnt Ihr ihn verspeisen.«

Diese Irländer müssen, soweit ich sie bisher aus Komödien und Romanen kennengelernt, ein seltsames Völkchen sein, von einer ganz anders frischen Originalität als die Engländer. Als Bettler begegnet man ihnen manchmal auf den Londner Straßen, und erkennt sie gleich an ihrem, ich möchte sagen, gascognischem Wesen und Dialekt. Sehr drollig und wahr sagt darüber ein moderner Autor: »Der englische Bettler schreit mit schleppendem Tone nur immer dieselben Worte: gebt einem armen Mann einen halben Penny, einem armen Mann einen halben Penny!« Was für ein Redner ist dagegen sein irländischer Kollege! »O Euer Gnaden, gebt uns einen Penny, nur einen kleinen, lieben Penny, Euer Ehrens Herrlichkeit und Gottes Segen für Euer Kind und Kindeskind! Gebt uns den kleinen Penny, und möge Euch der Himmel dafür langes Leben schenken, einen sanften Tod und ein gnädiges Gericht!« Wer kann solchen rührend komischen Bitten widerstehen!

Im andern Theater erfreute uns die Pantomime mit einer Vogel-, und sogar einer Teezeug-Quadrille, bei welcher letztern der Teekessel, Milchtopf und Tasse ein pas de trois exekutierten, während Löffel, Messer und Gabeln als Figuranten um sie her tanzten. Die Vögel der ersten waren à s'y méprendre, und ich rate etwas Ähnliches, etwa von Papageien, die auch noch dazu sprechen könnten, beim S...schen Hoftheater von Mephistopheles arrangieren zu lassen. Es würde der geistreichen relation davon noch etwas mehr Abwechslung geben, und ein Teekessel nebst Zubehör fände sich wohl auch in der Gesellschaft.

Von den indischen jongleurs, die ich auf der dritten Bühne ihre Künste machen sah, wurde diesmal etwas ganz Neues aufgeführt, nämlich das sonstige Kugelspiel mit kurzen brennenden Fackeln statt der Kugeln. Dies gibt ein höchst seltsames Feuerwerk, ein fortwährendes Entwickeln mathematischer brennender Figuren, bald Räder, Schlangen, Dreiecke, Sterne, Blumen etc. wie im Kaleidoskop, ohne daß der unerschütterlichen Sicherheit dieser Leute je etwas mißlänge.

Der viele phantastische Unsinn dieser Pantomimen wirkte wahrscheinlich noch in der Nacht auf mich fort, die ich zwischen London und Brighton verschlief, denn ich hatte auch in meinem Wagen die wunderlichsten Erscheinungen. Zuerst setzte mich der Traum auf meinen schönen Schimmel, dessen ich aber diesmal kaum Herr werden konnte. Er widerstrebte fortwährend meinem Willen, und als ich ihn endlich bezwang, schüttelte er vor Wut so gewaltig mit dem Kopfe, daß dieser mitsamt dem Halse abbrach, und zwanzig Schritt davon hinflog, während ich mit dem Rumpf in einen tiefen Abgrund hinabstürzte. – Dann saß ich auf einer Bank in meinem Park, und sah einem furchtbaren Orkane zu, der bald alle alten Bäume fern und nah entwurzelte, und sie wie Reisigbündel übereinandertürmte. – Zuletzt entzweite ich mich sogar mit Dir, geliebte Julie, und ging aus Verzweiflung unter die Soldaten. Ich vergaß Dich (was nur im Schlafe möglich ist) und fand mich bald in der neuen Sphäre jung und glänzend wieder, voll frischen Muts, und nicht weniger Übermuts. Es war ein Schlachttag – der Kanonendonner rollte prachtvoll, eine herrliche Feldmusik akkompagnierte ihn und begeisterte uns, während wir, mit der Prärogative des Traums, im Kartätschenfeuer ganz ruhig eine Trüffelpastete mit Champagner frühstückten. Da rikoschettierte langsam eine matte Kanonenkugel uns entgegen, und ehe ich noch auf die Seite springen konnte, riß sie meinem auf der Erde sitzenden Nachbarn den Kopf, und mir die beiden Beine ab, daß ich stöhnend in Blut und Graus daniedersank... Als ich aber wieder zur Besinnung kam, da tobte wirklich der Sturm um mich her, und das Meer heulte mir in die Ohren; schon glaubte ich mich auf einer Seefahrt begriffen, der Wagen hielt aber nur vor dem Gasthofe an der Marineparade in Brighton. Morgen träume ich vielleicht die Fortsetzung. Geht's aber in den Phantasien des Lebens selbst nicht beinahe ebenso konfus her? Luftschlösser im Guten und Bösen, nichts als Luftschlösser – einige stehen nur Minuten, andre Jahre, andre Jahrzehnte, aber am Ende fallen sie doch alle ein, und schienen nur Wirklichkeit! Niemand hat mehr Anlage zum Architekten solcher Schlösser als ich. Bei der leisesten Anregung fabriziere ich ebenso schnell einen glänzenden Feenpalast, als eine elende Hütte, Grab oder Kerker. Doch immer bist Du dabei, liebe Julie, entweder das Glück mit mir teilend, die Hütte schmückend, über dem Grabe weinend, oder in Banden tröstend. In diesem Augenblick schwebe ich eben in der Mitte, ohne bestimmte Wohnung, bin dabei auch ebenso ätherischer und munterer Geistesstimmung, aber, ich muß es gestehen, mit schläfrigem Körper, denn es ist 3 Uhr nach Mitternacht. Also küsse ich Dir die Hände zur guten Nacht. Übrigens bitte ich doch im Traumbuch nachzusehen, was jene Geschichte bedeuten mögen . – Du kennst einmal meinen lieben Aberglauben, der mir viel zu wert ist, um mich durch schale raisonnements davon abwendig machen zu lassen – z.b. wenn ein starker Geist über alles die Achseln zuckt, woran er nicht unmittelbar selbst mit der Nase stößt, oder ein salbungsreicher Priester sagt: »Es ist doch merkwürdig inkonsequent, wie mancher Mensch an die Religion (d. h. dann immer Kirche und ihre Satzung) nicht glauben will, und doch in andern Dingen der unvernünftigsten Leichtgläubigkeit Raum gibt!« – »O lieber Herr Pastor«, frage ich dann, »worin bestehen denn diese unvernünftigen Dinge?« – »Nun, der Glaube an Sympathie, z. B. an Träume, an den Einfluß der Sterne.« – »Aber verehrtester Herr Pastor, darin finde ich ganz und gar keine Inkonsequenz! Jeder denkende Mensch muß eingestehen, daß es eine Menge geheimnisvoller Kräfte in der Natur, tellurische und kosmische Einflüsse und Beziehungen gibt, von denen wir selbst bereits schon manche entdeckt, die früher für ›Fabel‹ passierten, andere aber bis jetzt vielleicht nur ahnen, noch nicht erkennen können. Es ist also keineswegs gegen die Vernunft, sich darüber seine Hypothesen zu machen, und mehr oder weniger an diese zu glauben. So bestreite ich auch Ihnen weder Ihre Wunder, noch Ihre Symbole, aber der Vernunft, dem Verstande und Herzen, allen zusammen gleich unfaßbar, bleiben gewisse andere Dinge, die viele von Ihnen lehren, z. B. ein Gott, der leidenschaftlicher und parteilicher ist als der gebrechlichste Mensch; von der ewigen Liebe verhangene, unendliche Martern für zeitliche Sünden, willkürliche Vergebung und Verdammung nach Prädestination u. s. w. Diese Dinge werden nur dann möglich sein, wenn zwei mal zwei fünf geworden ist, und kein Aberglaube reicht an den Wahnsinn dieses Glaubens.«

Apropos, noch eins. Es fällt mir eben auf's Herz, daß ich ganz vergessen, Dir für den schönen Neujahrswunsch zu danken, jenen Schwan, der zwischen Rosenhecken dahinschwimmt, und Dir so ähnlich erscheint, ebenso vortreffliche, frische, weiße Toilette gemacht hat, ebenso behaglich und zierlich aussieht. Weißt Du, wie ich den Neujahrswunsch übersetze? Er spricht so zu mir: Julie ist Deine Fortuna, und wird dich einst noch unter Rosen betten, nachdem wir beide uns jedoch vorher noch oft an den Dornen blutig geritzt haben werden. Singt sie endlich ihren Schwanengesang, so soll dieser auch ihren Freund mit zur Ruhe singen.


Den 22sten

Ich komme eben von einem großen Almacks- fancyball zu Hause, wo alles in fremder, phantastischer Tracht, oder in Uniform erscheinen muß, eine mélange, die nicht die schicklichste ist. Du kannst denken, daß mein Freund aus G... in seinem schottischen Prachtanzug nicht fehlte. In der Tat ist dieses costume sehr schön, in hohem Grade reich, pittoresk und männlich. Nur die Schuhe mit den großen Schnallen gefallen mir nicht. Das Schwert hat ganz die Form unserer Studenten-rapières, und außerdem gehört noch dazu ein Dolch, Pistolen und cartouchières, die Waffen mit Edelsteinen besetzt, und eine Adlerfeder, das Zeichen der chieftains, an der bunten Mütze.

Ich führte zwei Damen auf den Ball, die erste, Mrs. C..., eine heitre und kluge, noch recht hübsche Frau von ungefähr 35 Jahren, die die Welt liebt, selbst in ihr beliebt ist, und einen invaliden Mann auf die sorgsamste Weise pflegt – die beste Art Treue. Ihre tournure ist angenehm, ihr Charakter gut, also sehr passend pour en faire une amie dans le monde. Die andere Dame, ihre Busenfreundin, ist eine junge, sehr reizende Witwe, unbedeutender zwar, aber ein liebliches, freundliches Weibchen, die vollkommen zufriedengestellt war, wenn man ihre Zähne mit Perlen, und ihre blauen Augen mit Veilchen verglichen hat.

Ich hatte mich im ganzen der Toiletten wie des Aussehens meiner Damen gar nicht zu schämen, aber sie und alle wurden verdunkelt durch die junge Miss F.... die beauty von Brighton, und wirklich eins der schönsten Mädchen, die es gibt, eine kleine Sylphide, die ihren wundervollen Fuß und ihre Grazie aus einem andern Lande eingeschwärzt haben muß. Sie ist dabei erst 16 Jahre alt, und so wild und beweglich als Quecksilber, unermüdlich im Tanzen, wie in Possen. Ich war so glücklich, mich heute sehr bei ihr durch ein unerwartetes Geschenk zu insinuieren. Dieses bestand in einem cornet besonders gut fabrizierter Knallbonbons, mit deren Austeilung sie sich schon auf frühern Bällen unendlich amüsiert hatte, wegen welcher von ihr verübten Exzesse aber, selbige auch streng von den Mamas verpönt worden, und nicht mehr, wie sonst gewöhnlich, beim souper zu haben waren. Ich hatte mich daher weislich schon vorher damit beim Konditor versehen, überreichte sie nun sehr unerwartet, und bezweifle, daß mir Ärmsten eine geschenkte Million noch so viel Vergnügen machen könnte, als ich hier durch das Unbedeutendste erregte. Die Kleine jubelte, und errichtete sogleich ihre Batterien, welche desto bessern Erfolg hatten, da sich der Feind ganz sicher glaubte. Bei jeder Explosion wollte sie sich fast totlachen, und so oft ich ihr heute nahe kam, lächelte sie mich aus ihren Feueraugen immer so hold und freundlich, wie ein kleiner Engel, an. Das arme Kind! diese vollkommene Unschuld, dieser Ausdruck des höchsten Glücks rührten mich tief – denn ach! sie wird ja auch bald, gleich allen andern, enttäuscht werden. –

Viele der übrigen Mädchen waren gleichfalls sehr schön, aber zu viel Dressur dabei; einige strotzten vor Juwelen und Kostbarkeiten, aber keine kam der kleinen F... gleich, deren Anmut in den Augen der häßlichen, egoistischen Männer vollständig sein würde, wenn sie nicht leider auch mit Armut gepaart wäre.


Den 24sten

Bei Mistress F..., einer sehr würdigen und liebenswürdigen Frau, früher, wie man versichert, dem Könige angetraut, jetzt ohne Einfluß in jener Region, aber immer gleich allgemein geliebt und geachtet, d'un excellent ton et sans prétention – hörte ich gestern abend einige interessante Details über Lord Liverpools Katastrophe. Ein Mann, der eine Stunde vorher noch mit Kraft und Weisheit die halbe Welt regierte, wird ein imbécile, weil man einen Aderlaß versäumt! Sein Vorgänger aber (Lord Castlereagh) aus demselben Grunde ein Selbstmörder! – Es ist doch gar etwas zu Gebrechliches um den menschlichen Geist!

Ich fand hier auch die zwei Töchter des berühmten Sher...; beide geistreich und ausgezeichnet hübsch, die älteste bold wie ihr Vater, welches allerdings für eine Dame weniger paßt, die zweite von einer Sanftmut, die zuflüstert: Stille Wasser sind tief!

In diesem Hause sieht man nur beau monde. Sonst gibt es eigentlich von der allerersten, exklusiven Gesellschaft nicht zu viel hier, oder sie leben ganz zurückgezogen, um nicht mit der alltäglichen, die sie ›nobodies‹ nennen und mehr als die Brahminen die Parias, scheuen, in Kollision zu kommen. Ich, dem meine Verhältnisse erlauben, in dieses Heiligtum zu dringen, verschmähe auch die andern nicht. Als Fremder, und noch mehr als Selbständiger, erlaube ich mir ganz harmlos überall mein Vergnügen zu suchen, und es ist nicht immer der erhabenste Ort, wo ich das meiste finde. Ja selbst die Gemeinheit und lächerliche singerie der schnell Reichgewordenen ist zuweilen recht sehr ergötzlich, und hat in England noch einen viel burleskern Charakter als irgendwo anders, weil Reichtum, Haus und Luxus, mit einem Wort, alles sie Umgebende, wirklich ganz dasselbe ist, wie bei den Großen und Hohen, und nur die Personen darin gleichsam wie nackt umhergehen.

Hier trat in meiner Korrespondenz eine lange Pause ein. – Verzeih, ich nahm mein einsames Mittagsmahl ein – eine Schnepfe stand vor mir, und ein mouton qui rêve neben mir. Du errätst wer dies letzte ist. Ärgere Dich nicht über den Platz zur Linken, denn rechts flackert das Feuer, und ich weiß zu gut, wie sehr Du es fürchtest.

Den Abend werde ich wieder bei Graf F... zubringen, der zu den Brahminen gehört. Habe ich Dir ihn schon beschrieben? Er ist keine unbedeutende Person. Die französische Liebenswürdigkeit mit englischer Solidität vereinigend, spricht er auch beide Sprachen fast gleich geläufig. Obgleich nicht mehr jung, ist er doch immer noch ein schöner Mann, und sein Äußeres wird durch einen sehr edlen Anstand gehoben. Einfach und zuvorkommend, heiter ohne Bosheit, gefällt und befriedigt seine Unterhaltung, auch wenn sie in dem Augenblick nicht brillant ist. Seine Frau, Lady K..., ist weder schön noch häßlich. Sie hat Geist, l'usage du grand monde, et quelquefois de la politesse. Dazu kein geringes Talent zur Musik, und 10 000 L. St. Revenuen. Mit alledem brauche ich nicht erst hinzuzufügen, daß dies Haus angenehm ist.


Den 25sten

Auf den hiesigen Bällen herrscht eine vorteilhafte Sitte für die Herren, nämlich nach vollendetem Tanze ihre Tänzerin an den Arm zu nehmen, und mit ihr bis zum nächsten herumzuwandeln. Dabei hat mancher Zeit seine Timidität zu besiegen, und es fehlte nichts als unsre großen Lokale und einsam bleibenden Stuben dazu, um es noch anmutiger zu machen! Hier geht es denn nicht, weiter auszudehnen, als die Treppe hinab nach dem Eßsaal, und wieder herauf, aber auch das Gedränge gewährt große Heimlichkeit, denn keiner gibt auf den andern acht. – Da man mich von allen Seiten quält zu tanzen (ein Deutscher, der nicht walzt, scheint ihnen unbegreiflich), ich aber nicht mag, so habe ich vorgegeben, ein Gelübde binde mich, und zugleich erraten lassen, daß es ein zärtliches sei. Dieses Vorgeben können nun die Damen schwer mit der Überzeugung zusammenreimen, daß ich doch nur hier sei, um eine Frau zu suchen, wie sie sich steif und fest einbilden. Es geht bei alledem nicht ohne einige Huldigung ab, um das tägliche Einerlei zu würzen, aber Gottlob ist nichts hier vorhanden, was mich im geringsten aus meiner Ruhe bringen könnte, ein sehr behaglicher Zustand! Viel schlimmer ist es einem armen Engländer gegangen, der sich heute, aus unglücklicher Liebe, von der jetée ins Meer geworfen hat, und gestern noch, wie von der Tarantel gestochen, tanzte. Dem Ärmsten mag es dabei zumute gewesen sein, wie den dindons, die man in Paris Ballett tanzen läßt, indem man sie auf einen metallnen Boden stellt, unter dem Feuer angemacht wird. Die Zuschauer, die ihre verzweifelten Sprünge sehen, glauben sie wären sehr lustig, während die armen Geschöpfe langsam verbrennen.

Mehrmals habe ich mich beklagt, daß Brighton keine Vegetation hat, aber die Sonnenuntergänge im Meer, und die sie begleitenden Wolkenbilder habe ich fast nirgends so mannigfaltig gesehen.

So hatte es heute den ganzen Tag geregnet, und als es sich abends aufklärte, baute sich am Horizont ein dunkles Gebürge über dem Wasserspiegel auf, das nach und nach immer festere Konsistenz gewann. Als nun die Sonne den höchsten peak desselben erreichte und die schwarzen Massen, wie mit Rissen flammenden Goldes durchbrach, glaubte ich den Vesuv wieder zu sehen, von Lava überströmt.

Nachdem ich diesem festlichen Nachtlager der Himmelskönigin bis auf seinen letzten Moment beigewohnt, irrte ich noch bis zur völligen Dunkelheit in den kahlen Dünen umher, wie ein Schatten über Berg und Tal auf meinem schnellen Rosse dahingleitend, das auch seine Phantasien haben mochte, die es zu immer größerer Eile antrieben, ohne Zweifel die lockende Vorstellung – von Hafer und Heu.


Den 14ten MärzDie relation der vorhergehenden Tage ist unterdrückt worden. A. d. H.

Diese ewigen Bälle, concerts, dinners und Promenaden kann ich für mich, eben nicht langweilig, aber wohl zeittötend nennen. Überdem hat sich ein armer Sterbender unter mir einquartiert, und macht mich durch sein Stöhnen und Jammern, das durch den dünnen Boden allnächtlich zu mir heraufdringt, und dessen Kontrast so grell mit diesem Orte der Frivolität und Zerstreuung absticht, zu melancholisch. Helfen kann ich ihm nicht, also werde ich morgen nach London zurückkehren.

Deine beiden Briefe habe ich erhalten, und bedaure herzlich, zu vernehmen, daß Dir für Dein Bad bis jetzt noch Koch und Doktor fehlen. Du mußt allerdings alles tun, um diese beiden wichtigen Chemiker, die von der Natur bestimmt sind, sich gegenseitig in die Hände zu arbeiten, sobald als möglich von bester Qualität zu erlangen.

Du weißt, daß ein berühmter französischer Arzt, wenn er in ein Haus zum erstenmal gerufen wurde, stets damit anfing, in die Küche zu gehen und den Koch zu umarmen, um ihm für die neue Kundschaft zu danken.

Als Ludwig der Vierzehnte immer kränklicher wurde, und, seinen eigenen Ärzten mißtrauend, unsern Äskulap konsultierte, machte dieser dem ersten homme de boucher Vorstellungen, dem Könige doch wenigere und einfachere Speisen bereiten zu lassen. »Allons donc, Monsieur«, erwiderte der heroische Küchling, den Arzt à son tour umarmend, »mon métier est de faire manger le Roi – le votre de le purger. Faisons chacun le nôtre!«

Ehe ich Brighton verließ, mußte ich noch einer musikalischen soirée beiwohnen, eine der härtesten Prüfungen, denen Fremde in England ausgesetzt sind. Jede Mutter, die eine erwachsene Tochter besitzt, für welche sie schweres Geld an den Musikmeister hat zahlen müssen, will auch die Satisfaktion genießen, dies junge Talent bewundern zu lassen. Das quäkt und trommelt nun rechts und links, daß einem weh und weichlich zumute wird, und, selbst wenn eine Engländerin singen kann, so hat sie doch fast nie weder Methode noch Stimme. Die Herren sind weit angenehmere Dilettanten, denn bei ihrem Gesang hat man wenigstens das Vergnügen einer possierlichen farce. Der Matador unter allen solchen hiesigen Gesellschafts-Sängern ist ein gewisser Kapitän H... Dieser Mann hat keine andere Stimme als die eines heisern Bullenbeißers, keine andere Idee vom Singen als ein Bauer in der Kirche, und nicht mehr Gehör als ein Maulwurf.

So ausgestattet, schien er doch keinen größern Genuß zu kennen, als sich hören zu lassen, und der berühmte David tritt timider auf als er. Das Originellste war jedoch die Art seines Vortrags. Sobald er sich ans Klavier gesetzt hatte, schlug er mit dem Zeigefinger nur einen Ton auf dem Instrumente an, mit welchem, seiner Meinung nach, die Arie anfangen sollte, und intonierte dann wie ein Gewitter, jedesmal aber ein oder zwei Töne tiefer als der angeschlagene Ton, worauf er ohne Rast noch Pause, und ohne alles weitere accompagnement, die ganze Arie mit den seltsamsten Gesichtsverdrehungen durcharbeitete. Man muß so etwas selbst gesehen haben, um es für möglich zu halten, und das in einer Gesellschaft von wenigstens 50 Personen. Dabei wählte er gewöhnlich italienische Texte, obwohl ihm die Kenntnis dieser Sprache gänzlich abging, und brüllte daher oft mit seiner Stentorstimme Worte heraus, welche alle Damen zum Weglaufen gezwungen haben müßten, wenn sie ihre Bedeutung verstanden hätten.

Man genierte sich übrigens gar nicht, ihn auszulachen (was nicht zu tun auch beinahe unmöglich war); ich habe aber nie bemerkt, daß dies seiner Ekstase und glücklichen Selbstzufriedenheit im geringsten Eintrag getan hätte. Ja, einmal losgelassen, war es sogar schwer, ihn wieder zu zähmen, und vom Piano wegzubringen, um andern, weniger belustigenden Talenten Platz zu machen.

In diesem letzten concert sah ich außerdem noch zwei merkwürdige Personen anderer Art, ein schon bejahrtes Paar, das un beau matin – schwarz geworden war, aber schwarz, sage ich, wie Tinte. Es ist sonderbar, daß ein schwarz gewordener Weißer fast Grauen erregt, während dies bei einem Neger gar nicht stattfindet. Noch sonderbarer ist der Grund dieses Schwarzwerdens. Man hat nämlich eine neue, wie man behauptet, spezifische Medizin gegen die Epilepsie und Krämpfe erfunden, deren Hauptbestandteil ein Präparat von Zink und Silber. Setzt man sich jedoch während dem Gebrauch derselben im geringsten dem Sonnenlichte aus, so wird man schwarz, und zwar für immer.

Dieses Unglück war denn auch den armen Leuten begegnet, die ich erwähnt, und hier heißt es freilich mehr als je: Le remède est pire que le mal!


London den 17ten

Ich bin wieder in Albemarle Street angelangt, und machte gestern früh, nach der langen Abwesenheit nicht weniger als 22 Visiten, wohnte dann einem club-dinner beiIm Eßsaal der clubs, wo nur nach der Karte gegessen wird, hängt immer eine Tafel, wo sich jeder aufschreiben kann, der wünscht an einem Extra- dinner, für welches ein fixierter Preis bezahlt wird, und was man ›house-dinner‹ nennt, in Gesellschaft teilzunehmen, wozu er dann zugleich dein Tag bestimmt. Sobald 12 Personen aufgeschrieben sind, wird die Subscription geschlossen.

Diese dinner finden in einem besondern Lokal statt, sind sehr recherchiert und geben eine angenehme Gelegenheit, nähere Bekanntschaften zu machen.

, später einem Ball bei der früher schon erwähnten Napoleonistin, und schloß den Tag auf einer soirée bei Mistress Hope, einer sehr fashionablen und hübschen Frau, die sich unter ihren antiken meubles bei weitem weniger eckig als diese und ihr ›Anastasius‹ ausnimmt.

Heute aber besuchte ich, in another quarter, zwei Chinesinnen, die auch ein Haus machen, und ein sehr originelles noch dazu, wo man die entrée jedoch bezahlen muß.

Schon von der Treppe an ist alles wie in China selbst eingerichtet, und man kann sich, wenn man endlich eintritt und unter der Papierlampenillumination die Damen mit ihren nur 5 Zoll langen, weit vorgestreckten Füßen ruhen sieht, wirklich die Illusion machen, schon in Canton zu sein. Die Damen prätendieren eine vornehme Abkunft, welches ihre kleinen Füße beweisen sollen, da die geringem Klassen dergleichen nicht führen – denn wie sollten sie sonst arbeiten können, da die Kleinfüßigen, so wenig Zentripedalkraft haben, daß sie ohne Stock kaum von einer Ottomane zur andern humpeln können.

Ich bin sonst ein leidenschaftlicher Liebhaber von einem kleinen Weiberfuße, aber diese waren mir doch zu klein, und nackt abscheulich anzusehen, da ihre Kleinheit durch gewaltsames Unterbiegen der Zehen in der Kindheit erlangt wird, die nun in die Sohle mit einwachsen, eine Mode, die beinahe ebenso unvernünftig ist, als unsre Schnürbrüste, obgleich sie der Gesundheit doch noch weniger schaden mag.

Ich kaufte den chinesischen Prinzessinnen ein Paar neue Schuhe ab, die sie vorher vor meinen Augen anprobieren mußten, und sende sie Dir mit diesem Briefe, so wie mehrere andere Chinesiana, schöne seidene Tapeten, Gemälde, worunter ein Portrait des Kaisers und Kaiserin etc. Die guten Geschöpfe verkaufen alles was man verlangt, und scheinen, ihrer Vornehmheit unbeschadet, ein förmliches Warenlager mitgebracht zu haben, denn kaum ist etwas abgegangen, so wird es schon wieder ersetzt. Obgleich bereits lange in London, haben sie doch noch kein Wort englisch erlernen können; ihre eigne Sprache erschien mir als sehr schleppend und schwerfällig, und ihre Gesichtszüge waren für europäischen Geschmack mehr als häßlich.


Den 18ten

Die italienische Oper hat nun auch begonnen, mit der französischen Komödie, das einzige Schauspiel du bel air. Da alles nur in Toilette dort erscheinen darf, selbst im Parterre, so ist der Anblick glänzend, die Oper selbst aber war schlecht, Orchester wie Sänger, das Ballett ebenfalls. Die Beleuchtung in diesem Theater ist auch schon darauf eingerichtet, um mehr gesehen zu werden, als selbst zu sehen, denn vor jeder Loge hängt ein Kronleuchter herab, der sehr unangenehm blendet, und die Schauspieler verdunkelt. Die Oper dauert bis nach 1 Uhr, so daß man hinlänglich Zeit hat, sie zu besuchen, ohne sich andere Gesellschaften dadurch zu verschlagen, denn nun hat der trouble schon begonnen, man kommt selten vor 3 oder 4 Uhr zu Hause, und wer sich recht repandieren will, was jedoch die exclusives nicht tun, einen Fremden aber amüsiert, der kann bequem ein Dutzend Einladungen für jeden Abend erlangen.

Vor zwei Uhr nachmittags wird dafür auch die große Welt nicht lebendig. Zwischen 4 und 6 sind die Stunden des Parks, wo sich die Damen in ihren eleganten Equipagen und Morgenanzügen zu Tausenden langsam umherfahren lassen, die Herren aber auf ihren schönen Pferden dazwischen umhervoltigieren, von Blume zu Blume flatternd, und so viele Grazie etalierend, als ihnen der liebe Gott verliehen hat. Zu Pferde nehmen sich aber fast alle Engländer gut aus, und reiten dabei viel besser und naturgemäßer als alle unsere Stallmeister, die, sich sehr viel darauf wissen, wenn sie auf einem Pferde, das künstlich dahin gebracht wurde in jeder Gangart an Schnelligkeit zu verlieren, wie die Klammer auf einer Wäschleine sitzen.

Auf der weiten Rasenfläche des Parks wimmelt es ebenfalls von Reitern, die sich dort in schnelleren Bewegungen, als auf dem Corso, durchkreuzen, und mit vielen Damen gemischt sind, die ihre Pferde ebenso gewandt und sicher führen als die Männer.

Aber eben wird mir selbst Miss Sally vorgeführt, und scharrt schon ungeduldig das Macadamsche Pflaster. Der Brief ist ohnehin lang genug, also tausend Grüße an alles, was sich meiner erinnern will, und das freundlichste Lebewohl für Dich.

Dein Freund L.


 << zurück weiter >>