Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Den 25sten
Unglücklicherweise kamen heute zwei mir bekannte Engländer hier an, die sich sogleich zu uns gesellten, was mich um mein liebes Inkognito brachte, denn obgleich ich kein großer Herr bin, finde ich doch eben so viel Vergnügen daran. Als Unbekannter entgeht man immer etwas gêne mehr, und gewinnt etwas mehr Freiheit, man sei auch noch so unbedeutend. Da ich es jedoch diesmal nicht ändern konnte, so richtete ich es wenigstens so ein, daß ich die Hälfte der heutigen tour mit meinem ehrlichen Fabrikanten zu Lande machte, und die drei Engländer vorderhand allein auf dem Boote fahren ließ. Es war dasselbe, welches wir gestern gehabt, und dort auf heute gleich wieder gemietet hatten.
Der Pony, der mir zuteil wurde, hatte den hochklingenden Namen: Ritter von der Schlucht (Knight of the Gap), war aber ein ausgearteter Ritter, den nur Schläge und Sporen in Bewegung setzen konnten. Ehe wir an die große Schlucht kamen, von der er seinen Namen führt, hatten wir von einem Hügel in der Ebene eine sehr schöne Ansicht des Gebürges, in welcher Berge, Wasser und Bäume so glücklich verteilt erschienen, daß die wohltuendste Harmonie daraus entstand. Desto wilder und einförmiger ist die lange Schlucht – im Geschmacke von Wales, doch weniger grandios. An einer Stelle derselben hat sich vor mehreren Jahren ein großes Felsstück losgerissen, und ist, in zwei Hälften geborsten, mitten über den Weg gestürzt. Ein Mann kam auf den Einfall, diese Felsenstücke zu einer Einsiedelei auszuhöhlen, blieb jedoch dieser neuen Wohnung nur drei Monate getreu, weshalb sie jetzt von dem energisch sich ausdrückenden Volke, nach ihm The Madman's Rock (der Narren-Felsen) genannt wird. Ein paar tausend Schritt weiter fanden wir eine alte Frau, kauernd am Wege liegen, deren Anblick alles übertraf, was man der Art in Märchen erfunden. Nie sah ich etwas Abscheuerregenderes! Man erzählte mir, sie sei schon 110 Jahre alt, und habe alle ihre Kinder und Enkel überlebt. Obgleich in intellektueller Hinsicht gänzlich zum Tier geworden, hatte sie doch alle ihre Sinne noch leidlich erhalten. Ihre Gestalt sah aber weder Tier noch Menschen mehr, sondern nur einem wieder ausgegrabenen und von neuem belebten Leichnam ähnlich. Als wir vorbeiritten, stieß sie ein klägliches Gewimmer aus, und schien dann zufrieden, als wir ihr einiges Geld hinwarfen, griff aber nicht darnach, sondern verfiel sogleich wieder in Stumpfsinn und Apathie. Alle Furchen ihres grünen Gesichts waren mit schwarzem Schmutze angefüllt, die Augen schienen zu eitern, die Lippen waren weißlichblau – enfin, Fanfreluche muß ein Engel dagegen gewesen sein.
Bei Brandon Castle, einer bewohnbar gemachten Ruine mit einem hohen Turm und einigen vernachlässigten Parkanlagen, durch deren Wasserpartien uns die Führer (denn die Pferde wurden hier zurückgeschickt) auf dem Rücken hindurchtrugen, stießen wir wieder mit dem Boote zusammen. Es kam à point nommé, grade um die verdeckende Landspitze hergesegelt, als wir das Ufer erreichten, und war, außer den Engländern, noch mit dem besten bugleman von Killarney bemannt. Diese Künstler blasen eine Art Alpenhorn mit viel Geschicklichkeit, und rufen dadurch an manchen Stellen herrliche Echos hervor. Im Verfolg unsers Wegs passierten wir einen Brückenbogen, wo, bei angeschwollenem Wasser, zuweilen Boote verunglückt sind. Unser bugleman erzählte, daß er selbst schon zweimal hier umgeschlagen, und das letztemal beinahe ertrunken sei. Er wollte daher auch heute landen, und die bedenkliche Stelle, den Felsen entlang, klettern; der alte Steuermann gab es aber nicht zu, und meinte, wenn die fremden Herren im Schiff blieben, gezieme es ihm auch, mit zu ersaufen. Es ging aber alles ganz gefahrlos ab.
Schön, und von imposanter Form ist der Felsen, The Eagle's Nest (Adlernest) genannt, wo auch fast immer Adler horsten. Nicht weit davon sieht man Colemans Sprung, zwei weit voneinander aus dem Wasser ragende Felsen, auf denen die Spuren von Füßen, 3-4 Zoll tief, deutlich eingegraben sind. Solche Sprünge und Fußstapfen wiederholen sich fast in allen Gebürgen.
Unser Schiff war voll Viktualien zu einem brillanten dîner (Engländer pflegen so etwas nicht leicht zu vergessen), und als wir eine höchst romantisch gelegene cottage unter hohen Kastanien erspähten, beschlossen wir hier zu landen, und Mittag zu machen. Wir würden dort auch ein sehr angenehmes Mahl gehalten haben, wenn es nicht der dandy, durch seine Affektation, Mangel an allem Sinn für die Schönheit der umgebenden Natur, und ungütiger Persiflage des, freilich weniger abgeschliffenen, aber vielleicht doch wertvolleren Irländers, verdorben hätte. Er gab ihm den Spottnamen des Schauspielers Listen (der besonders in dummen Rollen glänzt) und machte den armen Teufel, ohne daß er es merkte, eine so burleske Rolle spielen, daß ich zwar selbst zuweilen wider Willen lachen mußte, aber das Ganze dennoch völlig hors de saison, und von schlechtem Geschmack fand. Es ist aber möglich, daß der Irländer sich nur dumm stellte, und der pfiffigste war, wenigstens sprach er dem Essen und Trinken, während die andern lachten, mit so unermüdlicher Beharrlichkeit zu, daß wenig für jene übrigblieb. Ich kann nicht leugnen, daß ich ihn darin gut unterstützte, besonders fand ich, daß der eben gefangene fette Lachs, an Arbutus-Stöcken über dem Feuer geröstet, ein ganz vortreffliches Nationalgericht sei.
Bei des Mondes Silberschein fuhren wir langsam zurück, während des bugleman's Horn Echo nach Echo aus dem Schlafe rief. Es war eine entzückende Nacht, und von Gedanken zu Gedanken, geriet ich in eine Stimmung, wo ich auch hätte Geister sehen können! Die Menschen neben mir kamen mir bloß wie Puppen vor; nur die Natur, die Milde und Pracht, die mich umgab, erschien mir als wirklich. – Woher, dachte ich, kommt es, daß deinem liebenden Herzen doch die Geselligkeit fehlt, daß die Menschen im allgemeinen dir nur so wenig gelten! Ist deine Seele noch zu klein für die Verhältnisse der geistigen Welt, noch zu nah mit Pflanzen und Tieren verwandt, oder hast du die hiesigen Formen schon in früherem Dasein ausgewachsen, und fühlst dich unbehaglich in dem zu engen Gewande? Wenn dann auf dem stillen See der melancholische Klang des Bugleman-Hornes wieder in leisen Tönen über den Wellen zitterte, und meinen Phantasien, wie durch unsichtbare Geisterstimme, die Worte einer fremden Sprache gab – da war mir's oft wie Goethes Fischer zumute, und als sollte ich jetzt sanft hinabgleiten, um O'Donoghue in seinen Korallengrotten aufzusuchen.
Ehe wir landeten, fand noch eine eigentümliche Zeremonie statt. Die Bootsleute, der junge »Sontag« an ihrer Spitze, welcher mich wegen eines reichlicher von mir erhaltenen Trinkgeldes immer »seinen gentleman« nannte, baten um Erlaubnis, an einer kleinen Insel anlegen, und diese nach mir taufen zu dürfen, welches nur bei Mondenschein stattfinden könne. Ich mußte mich hierauf auf einen vorragenden Felsen stellen, die sechs Bootsmänner auf ihre Ruder gestützt, bildeten einen Zirkel um mich, und der Alte sagte feierlich eine Beschwörungsformel in einer Art Rhythmus her, was in der wilden Umgebung und Nacht ganz schauerlich klang. Dann brach Sontag einen großen Arbutuszweig ab, und erst mir, dann jedem der im Schiff Sitzenden, einen Büschel reichend, den wir an unsre Hüte befestigten, teilte er die übrigen an seine Kameraden aus, und fragte nun ehrerbietig und ernst, welchen Namen die Insel mit O'Donoghues Erlaubnis künftig führen solle? »Julie«, sagte ich mit lauter Stimme, worauf mit donnerndem Hurra dieser Name, obgleich nicht allzu korrekt ausgesprochen, dreimal wiederholt wurde. Nun ergriff ein Dritter, der Poet der Gesellschaft, eine mit Wasser gefüllte Flasche, und hielt eine kurze Anrede in Versen an O'Donoghue, worauf er mit aller Gewalt die Flasche gegen einen aus dem Wasser stehenden Stein warf, daß sie in tausend Atome zerschellte. Zuletzt wurde eine zweite Flasche, aber mit Whiskey gefüllt, auf meine Gesundheit ausgetrunken, und der Insel Julie nochmals ein dreifaches Hurra gebracht. Die Bootsleute hielten diesen fremdklingenden Namen für den meinigen und nannten mich seitdem nicht anders als Master Julie, was ich ganz wehmütig mit anhörte.
Deine Domänen haben sich also um eine Insel auf den romantischen Seen zu Killarney vermehrt – schade nur, daß die nächste Gesellschaft, die an demselben Flecke landet, sie Dir wieder entziehen wird, denn wahrscheinlich tauft man hier, so oft Paten sich einfinden, da das eigentliche Kind, die Whiskey-Bouteille, immer bei der Hand ist. Einstweilen lege ich indessen diesem Briefe ein Arbutusblatt, vom identischen Zweige, der auf meinem Hute prangte, bei, damit wenigstens etwas von der Insel unbestritten Dein Eigentum bleibe.
Glengarriff, den 26sten
Beste Julie, Dir heute zu schreiben, ist wirklich ein effort, der einer Belohnung wert ist, denn ich bin übermäßig ermüdet, und habe, wie mein Vater Napoleon, beständig Kaffee trinken müssen, um wach bleiben zu können.Der maître d'hôtel, welcher neulich auch über Napoleons Leben Memoiren herausgegeben, hat den Kaiser von dieser Beschuldigung mit Indignation losgesprochen. Diese Memoiren sind gewiß die schmeichelhaftesten für den großen Mann, denn sie beweisen: qu'il est resté héros, même pour son valet de chambre! A. d. H.
Um neun Uhr früh verließ ich Killarney in einem cart (Karren) von der schlechtesten Beschaffenheit, und folgte der neuen Chaussee, die längs des mittlern und obern Sees nach der Bay von Kenmare führt. Diese Straße entwickelt mehr Schönheiten, als man auf den Seen selbst findet, da diese den großen Nachteil haben, an den meisten Stellen nur auf der einen Seite eine malerische Aussicht zu gewähren, auf der andern aber bloß flaches Land darbieten. Hier auf der Straße hingegen, welche am Abhange der Berge durch den Wald führt, bilden sich bei jeder Wendung geschlossenere, und eben deshalb schönere Gemälde. Ich finde überhaupt, daß Aussichten, vom freien Wasserspiegel aus gesehen, immer verlieren, weil ihnen eine Hauptsache, der Vorgrund, fehlt.
Neben einer hübschen Kaskade, und in der reizendsten Wildnis, hat sich, nahe der Straße, ein Kaufmann Garten und Park mit einer ländlichen Villa erbaut. Die Kosten dieser Anlage müssen wenigstens 5-6000 L. St. betragen haben, vielleicht weit mehr, dennoch steht der Grund und Boden nur 99 Jahre der Familie des jetzigen Nutznießers zur Disposition; nach dieser Zeit fällt er, mit allem was darauf erbaut ist und was im vollkommen baulichen Zustande übergeben werden muß, den Grundherren, den Lords von Kenmare wieder zu. Kein Deutscher möchte Lust haben, unter solchen Bedingungen sein Vermögen auf Verschönerungs-Anlagen zu verwenden; in England aber, wo fast aller Grund und Boden entweder der Regierung, der Kirche oder der mächtigen Aristokratie gehört und daher sich nur selten Gelegenheit darbietet, solchen frei zu akquirieren; auf der andern Seite aber auch Industrie, durch ein weises Gouvernement, im richtigen Verhältnis neben dem Ackerbau befördert, den Handels- und Mittelstand ebenfalls reich gemacht hat, – kommen dergleichen Kontrakte alltäglich vor, und verhindern fast alle Nachteile des zu großen Landbesitzes, ohne seinen großen Nutzen für den Staat zu schmälern.
Wir stiegen nun immer steiler heran, und befanden uns bald zwischen den kahlen Höhen, denn Pflanzungen werden hier fast immer nur bis zur Mitte der höheren Berge angetroffen; es ist nicht wie in der Schweiz, wo die üppige Vegetation sich überall fast bis an die Schneeregion erstreckt. Doch den Maßstab der Schweiz überhaupt hier anlegen zu wollen, würde unpassend sein. Beide Länder bieten romantische Schönheiten von ganz verschiedener Art dar, aber beide erwecken Bewunderung und Staunen über die erhabnen Werke der Natur, wenngleich in der Schweiz vieles noch kolossaler erscheint. Der Weg war so gewunden gebaut, daß wir uns nach einer halben Stunde grade wieder, hoch oben, über der erwähnten cottage befanden, die mit ihrem grauen, glatten Strohdach, in solcher Tiefe wie ein Mäuschen aussah, das sich im grünen Grase sonnt – denn die Sonne war endlich nach dem langen Kampf unumschränkte Herrin des Himmels geworden. Acht Meilen von Killarney erreicht man den höchsten Punkt der Straße, wo ein einzelnes Wirtshaus liegt Hier steht man vor der weiten Bergschlucht, die den größten Teil der drei Seen in ihrem Schoße beherbergt, so daß man sie alle mit einem Blick übersieht.
Von nun an sinkt der Weg wieder, durch baumlose aber kühn geformte Berge führend, dem Meere zu. Als ich in Kenmare ankam, konnte ich, denn es war Markt daselbst, kaum das Menschengewühl mit meinem Einspänner durchdringen, besonders der vielen Betrunkenen wegen, die weder ausweichen wollten, noch vielleicht konnten. Der eine fiel, infolge dieser Weigerung, mit dem Kopf so heftig auf das Pflaster, daß er bewußtlos fortgetragen werden mußte, was jedoch, als etwas ganz Gewöhnliches, gar nicht beachtet wurde. Die Hirnschädel der Irländer scheinen überhaupt von einer festern Masse als bei andern Nationen, wahrscheinlich weil sie von Jugend auf an die Schläge des Shillelagh gewöhnt sind. Während ich im Gasthof zu Mittag aß, hatte ich auch wieder von neuem Gelegenheit, mehreren solchen Kämpfen zuzusehen. Erst ballt sich gewöhnlich ein Haufen, schreiend und lärmend, immer dichter zusammen – dann im Nu schwirren hundert Shillelaghs in der Luft, und nun hört man die Püffe, welche größtenteils auf den Kopf appliziert werden, wie entferntes Gewehrfeuer bollern und knacken, bis eine Partei den Sieg errungen hat. Da ich mich hier an der Quelle befand, kaufte ich mir, durch Vermittlung des Wirts, eines der schönsten Exemplare dieser Waffe, noch warm vom Gefecht. Sie ist so hart wie Eisen und um ja den Zweck nicht zu verfehlen, überdies am Ende noch mit Blei ausgegossen.
Der berühmte O'Connell residiert jetzt, ohngefähr 30 Meilen von hier, auf seiner einsamen Veste, in der wüstesten Gegend Irlands. Da ich lange gewünscht habe, ihn kennenzulernen, schickte ich einen Boten, mit der nötigen Nachfrage, von hier an ihn ab, und beschloß, bis die Antwort eintreffen könne, unterdes eine Exkursion nach Glengarriff Bay zu machen, wohin ich mich auch nach dem Essen sogleich aufmachte.
Das Fahren hat nun gänzlich aufgehört, fortan ist nur auf Berg-Ponys, oder zu Fuß, weiterzukommen. Ein solcher Pony trug mein Gepäck, der Führer und ich gingen daneben her, und war einer von uns müde, so mußte das gute Pferdchen ihn ebenfalls tragen. Die Sonne ging bald unter, aber der Mond schien hell. Die Gegend war nicht ohne Interesse, der Weg aber abscheulich, und führte oft durch Sümpfe und reißende Bäche, ohne Brücke noch Steg. Über alle Vorstellung beschwerlich, ward er aber nach sechs bis acht Meilen, wo wir einen hohen Berg fast perpendikulär hinaufklimmen mußten, nur auf loses und spitzes Gerölle tretend, auf welchem man jeden Augenblick halb so weit herabrutschte, als man vorher hinangeklettert war. Noch schlimmer beinah ging es auf der andern Seite hinab, besonders wenn ein vortretender Berg den Mond auslöschte. Ich konnte vor Müdigkeit nicht weiter gehen, und setzte mich daher auf den Pony. Dieses Tier zeigt wahren Menschenverstand. Bergauf half er sich mit der Nase, und den Zähnen selbst, glaube ich, wie mit einem fünften Beine, und bergunter spann er sich, mit unaufhörlichen Drehungen des Körpers, wie eine Spinne herab. Kam er an einen Sumpf, in dem, statt des Steges, nur von Schritt zu Schritt einige Steine hineingeworfen waren, so kroch er mit der Langsamkeit eines Faultiers hindurch, immer erst mit dem Fuße probierend, ob der Stein auch ihn und seine Last zu tragen imstande sei. Die ganze Szene war höchst seltsam. Man sah bei der großen Helle weit um sich her, aber nichts, durchaus nichts als Felsen an Felsen gereiht, von jeder Art und Gestalt, und durch den Mondschein in noch riesenhaftere, abenteuerlichere, scharf sich gegen den Himmel abschneidende Formen gegossen. Kein lebendiges Wesen, und kein Busch war zu entdecken, nur unsre Schatten zogen langsam neben uns hin, kein Laut ertönte, als unsere Stimmen, und zuweilen das ferne Rauschen eines Bergbachs, oder seltner das melancholisch tönende Horn eines Hirten, die in diesen ungemessenen Einöden, welche nur aus Felsen, Moos und Heidekraut bestehen, das frei umherirrende Vieh durch diese Musik zusammenhalten. Einmal nur sahen wir eine solche Kuh, welche, wie die Bergschafe in Wales, die Flüchtigkeit des Wildes angenommen haben, mitten im Wege liegen, aber bei unserer Annäherung, wie ein schwarzer Geist, brausend über die Felsen springen, wo sie bald im Dunkel verschwand.
Eine Stunde vor Glengarriff Bay wird die Landschaft ebenso üppig und parkähnlich, als sie vorher kahl und wild ist. Hier ragen die Felsen in den allerwunderlichsten Formen, aus hesperischen Gebüschen von Arbutus, portugiesischem Lorbeer und andern lieblichen, süß duftenden Sträuchern hervor. Manche dieser Felsen erheben sich, gleich Palästen glatt wie Marmor, ohne Fugen und Unebenheit, andere bilden spitze Pyramiden, oder lange fortlaufende Mauern. In dem Talgrunde glänzten einzelne Lichter, und ein leiser Wind bewegte die Kronen hoher Eichen, Eschen und Birken, mit schönem holly untermischt, dessen hochrote Beeren selbst im Mondlicht sichtbar wurden. Die prächtige Bay aber schimmerte, von den zitternden Mondesstrahlen durchwebt, schon in der Nähe, und ich glaubte mich wirklich im Paradiese, als ich kurz darauf ihre Ufer erreichte, und mich an der Tür des freundlichsten Gasthauses glücklich angelangt fand. So heiter dieses aber auch aussah – in ihm war dennoch Trauer! Wirt und Wirtin, sehr anständige Leute, kamen mir in tiefes Schwarz gekleidet, entgegen. Die Schwester der Frau, so erzählten sie mir, auf meine Frage, das schönste Mädchen in Kerry, nur 18 Jahre alt, und bisher das Bild der Gesundheit, war erst gestern an einem Gehirnfieber, oder vielmehr an der Unwissenheit des Dorfarztes, verschieden – in der achttägigen Krankheit aber, wie die arme Frau weinend hinzusetzte, zu 40 Jahren gealtert, so daß niemand den Leichnam des blühenden Mädchens mehr erkennen wolle, diese holden Züge, welche noch vor so kurzer Zeit der Stolz ihrer Eltern und die Bewunderung aller jungen Männer der Umgegend waren.
Sie ruht neben meiner Schlafstube, gute Julie, nur durch eine Bretterwand von mir geschieden. Vier Schritte von ihr steht der Tisch, an dem ich Dir schreibe. Das ist die Welt! Leben und Tod, Freude und Kummer reichen sich überall die Hand.
Kenmare, den 27sten
Um 6 Uhr war ich munter, und um 7 Uhr in dem herrlichen Park des C..l W..., Bruder des Lords B..., welcher Familie die ganze Umgegend der Bayen von Bantry und Glengarriff, vielleicht des schönsten Punktes in ganz Irland, gehört. Der Umfang dieser Besitzungen ist fürstlich, wiewohl in pekuniärer Hinsicht nicht so bedeutend; da der größte Teil des Terrains aus Felsen und unbebautem Gebürge besteht, das seine Renten nur in romantischen Schönheiten und prachtvollen Aussichten bezahlt. Mr. W...s Park ist gewiß eine der gelungensten Schöpfungen dieser Art, und hat des Besitzers Ausdauer und gutem Geschmack allein sein Dasein zu verdanken. Freilich konnte er auch nirgends einen dankbareren Erdfleck für sein Wirken auffinden, aber selten geschieht es, daß Kunst und Natur sich so vollständig die Hand bieten. Es sei genug, zu sagen, daß die erste sich nur durch die vollständigste Harmonie bemerklich macht, übrigens in der Natur ganz aufgegangen zu sein scheint: – daher kein Baum noch Busch mehr wie absichtlich hingepflanzt sich zeigt; die Aussichten nur nach und nach, mit weiser Ökonomie benutzt, sich wie notwendig darbieten; jeder Weg so geführt ist, daß er gar keine andre Richtung, ohne Zwang, nehmen zu können scheint; der herrlichste Effekt von Wald und Pflanzungen durch geschickte Behandlung, durch Kontrastieren der Massen, durch Abhauen einiger, Lichten anderer, Aufputzen, oder Niedrighalten der Äste, erlangt worden ist – so daß der Blick bald tief in das Walddunkel hinein, bald unter, bald über den Zweigen hingezogen, und jede mögliche Varietät im Gebiet des Schönen hervorgebracht wird, ohne doch irgendwo diese Schönheit nackt vorzulegen, sondern immer verschleiert genug, um der Einbildungskraft ihren nötigen Spielraum zu lassen; – denn ein vollkommner Park, oder mit andern Worten: eine durch Kunst idealisierte Gegend soll gleich einem guten Buche, wenigstens ebensoviel neue Gedanken und Gefühle erwecken, als es ausspricht.
Das Wohnhaus, durch einzelne Bäume und Gruppen malerisch unterbrochen, und nicht eher sichtbar, als bis man eine ihm gegenüberliegende Anhöhe erreicht, wo es auf einmal aus den Waldmassen, mit Efeu, wildem Wein und Rosen überrankt, hervorbricht – ist ebenfalls von dem Besitzer nach eignen Plänen erbaut. Es ist weniger im gotischen, als in einem altertümlich-pittoresken, eigentümlichen Stile aufgeführt, den ein feiner Takt sich ganz der Gegend gemäß ausdachte. Auch die Ausführung ist vortrefflich, denn es ahmt wahres Altertum täuschend nach. Die Zierate sind so sparsam und passend angebracht, das Ganze so wohnlich und zweckmäßig gehalten, und dem, scheinbar ältesten Teile, das Ansehn von Vernachlässigung und Unbewohntheit so gut gegeben, daß ich wenigstens vollkommen der Absicht des Erbauers entsprach, indem ich die Gebäude für jetzt erst wieder bewohnbar gemachte, und soweit als es unsere Gewohnheiten verlangen, modernisierte Überreste einer alten Abtei ansah. Die Rückseite des Wohnhauses nehmen Pflanzenhäuser, und ein höchst nett gehaltner, umschlossener Blumengarten ein, die beide mit den Zimmern zusammenhängen, so daß man fortwährend unter Blumen, tropischen Gewächsen und reifenden Früchten lebt, ohne deshalb das Haus verlassen zu dürfen. Auch das Klima ist das günstigste, was man sich für Vegetation wünschen kann; feucht, und so warm, daß nicht nur, wie in England, Azalien, Rhododendron und alle Sorten Immergrün, sondern selbst Kamelien, in einer vorteilhaften Lage, hier im Freien durchgewintert werden können. Daturen, Granaten, Magnolien, Lyriodendron etc. erreichen die größte Schönheit, und die letztern drei werden nie bedeckt. Die Gegend bietet große Ferne, außerordentliche Varietät, und dennoch ein am Horizont von Bergkolossen wohlgeschlossenes Ganze dar. Die Bays von Bantry und Glengarriff zeigen ein Meer im Kleinen, dessen Küsten, sich durch- und übereinanderschiebend, die Leere des großen Ozeans nie erblicken lassen; landeinwärts aber scheint das wogende Gebürge fast ohne Ende. Die kleinere Bay von Glengarriff, welche sich vor dem Wohnhause ausbreitet, hat neun Meilen, die andere fünfzig im Umfang. Unter den dem Parke gerade gegenüberliegenden Bergen ragt wieder ein Zuckerhut hervor, und an seinem Fuß erstreckt sich ein schmales Vorgebürge bis mitten in die Bay, wo ein verlassenes fort malerisch seine Spitze bezeichnet. Der Park selbst nimmt die ganze eine Seite der Bay ein, und begrenzt an seinem schmalen Ende die von Bantry, wo das Schloß des Lord B... am jenseitigen Ufer den Hauptaussichtspunkt bildet. Nur zur Hälfte vollendet und bepflanzt, ist die ganze Anlage überhaupt erst seit 40 Jahren aus dem Nichts hervorgerufen worden. Ein solches Wirken verdient auch seine Kronen, und der würdige Mann, der mit nur geringen Mitteln, aber großem Talent, und gleich größerer Ausdauer, es schuf, sollte den irländischen Grundbesitzern, die ihre Schätze im Ausland vergeuden, als ein hoch zu ehrendes Muster aufgestellt werden! Auch hörte ich mit wahrer Genugtuung, daß, auf seinen und Lord B...s Domänen, Parteihaß unbekannt ist. Beide sind Protestanten, alle ihre Untertanen, oder tenants, Katholiken; demohngeachtet ist die freiwillig anerkannte Autorität der Herren über sie grenzenlos, ja, Mr. W... lebt wie ein Patriarch unter ihnen, wie ich von den gemeinen Leuten selbst erfuhr, und schlichtet alle ihre Streitigkeiten, ohne daß Rechtsverdrehern ein Heller in diesen abgeschiedenen Bergen zugewendet zu werden braucht.
Daß ich wünschen mußte, einen so braven Mann kennenzulernen, magst Du voraussetzen. Es war daher eine wahre Gunst des Schicksals, daß ich ihm, seine Arbeiter inspizierend, im Parke begegnete. Unser Gespräch nahm bald eine interessante, für mich höchst lehrreiche Wendung. Eine Einladung, mit ihm und seiner Familie zu frühstücken, schlug ich nicht ab, und fand in seiner Gemahlin eine flüchtige Bekannte aus dem Londner trouble. Sie nahm das unerwartete Wiedersehen herzlich auf und präsentierte mir zwei Töchter von 18 und 17 Jahren, die noch nicht brought out waren, denn wie ich Dir schon neulich schrieb, während man in England die Pferde (sans comparaison) zu früh ausbringt, nämlich im zweiten Jahr schon Wette laufen läßt, müssen die armen Mädchen fast alt werden, ehe man ihnen das Gängelband löst, um sie in die böse Welt zu lancieren.
Die Familie erschöpfte alle Artigkeit und Freundschaft an mir, und da mich die Damen so leidenschaftlich für schöne Natur eingenommen sahen, baten sie mich dringend, einige Tage hier zu bleiben, um so manche Merkwürdigkeit, namentlich den berühmten Wasserfall und Aussicht von Hungryhill, mit ihnen zu besuchen. Es war mir unmöglich, jetzt mich länger aufzuhalten, da ich mich bei H. O'Connell angesagt, gewiß aber werde ich auf meiner Weiterreise nach Cork von einer so lieben Einladung Gebrauch machen, denn solche Gesellschaft gehört nicht zu denen, die ich scheue.
Ich begnügte mich also, vorderhand, mit der ganzen Familie eine lange Spazierfahrt zu machen, erst der Bay entlang, um eine Generalansicht des Parks und Schlosses zu gewinnen, dann nach einem Waldrevier, in der Direktion meines Rückwegs gelegen, wo Lord B... eine shooting lodge (Jagdhaus) besitzt. Dies ist eine Gegend wie für einen Roman erfunden! Was die abgeschiedenste Einsamkeit, die schönste Vegetation, das frischeste Wiesengrün, von Bergen und Felsen umschlossen, Täler, an deren Seiten sich zuweilen 1000 Fuß hohe, steile Wände erheben, dick bewaldete Schluchten, ein über Felsenblöcke rauschender Fluß mit malerischen Brücken von Ästen und Stämmen, sonndurchglänzte Haine, in denen die kühlen Wellen tausende von Waldblumen mit ihrer stets klaren Flut erfrischen, zutraulich gewöhntes Wild, horstende Adler, und buntgefiederte Singvögel – alles durch die süßeste Heimlichkeit dem Dichterherzen lieb gemacht – was solche Elemente bieten mögen, ist hier in reichem Maße vereint, um mit einer gleichgestimmten Seele alle Glückseligkeit genießen zu können, der diese Erde fähig ist. Mit wehmütigem Schmerz verließ ich diese reizende Phantasie unsrer lieben Mutter Erde, und riß mich nur mit Mühe los, als wir am ländlichen Tore ankamen, wo Führer und Pony schon meiner harrten. So wie ich Abschied von den neuen Freunden genommen, und dem lieblichen Tale den Rücken gekehrt, umzog sich auch der Himmel, und nahm, bei dem Eintritte in das schauerliche Steinreich, das ich Dir gestern beschrieb, die Farbe an, die zu meiner Stimmung, wie zur Umgebung, am besten paßte. Ich wünschte, noch des langsamen Reitens vom vorigen Tage her überdrüssig, zu gehen, als ich aber, der Nässe wegen, meine hohen Überschuhe verlangte, fand es sich, daß der Führer einen derselben verloren, ein häusliches Unglück, das wichtig genug für mich war, um es hier zu erwähnen, denn, wie man zu sagen pflegt: »Ohne Bacchus friert Venus«, so wird auch eine romantische Gegend weit besser mit trockenen Füßen als mit nassen genossen. Ich beschloß daher den Mann zurückzuschicken, um, wo möglich, wenigstens für die nächsten Tage, meiner trauernden Galosche ihre so lange treue Gefährtin wiederzuschaffen, für heute aber den ganzen Weg, durch dick und dünn, zu Fuß zurückzulegen.
Es fing sanft an zu regnen, ein Berg nach dem andern verschleierte sich, und ich wanderte melancholisch, sehnsüchtig nach dem verlornen Paradies, den Regionen zu, wo die Erde, gleich einem Gerippe, nur ihre Knochen erblicken läßt. Unterdessen ward der Regen immer stärker, und einzelne Windstöße verkündeten bald ein ernstliches Unwetter. Ich hatte den hohen Berg zu erklimmen, der inmitten der ersten Wegehälfte von hier aus liegt, und schon kamen mit Ströme Wassers entgegen, die gleich kleinen Kaskaden, in allen Bergfurchen herabschossen. Da ich den Luxus so badeartiger Durchnässung im Freien selten genieße, so wadete ich, mit wahrem Wohlbehagen, in dem flüssigen Element umher, mich gewissermaßen in das Seelenvergnügen einer Ente versetzend. Der Beweglichkeit meiner Phantasie ist, wie Du weißt, nichts der Art unmöglich; wie aber das Wetter immer finsterer und wilder ward, nahm auch meine Stimmung allmählich immer einen unheimlicheren, ja ich möchte fast sagen, höhnischen, modern-diabolischen Charakter an. Der Aberglaube der Berge umfing mich, ich konnte ihm nicht länger widerstehen, dachte fortan nur an Rübezahl, den böhmischen Jäger, die fairies und den Bösen, an Beschwörungsformeln und Erscheinungen, so daß mir immer gespenstiger zumut ward, und ich mich zuletzt lautdenkend ausrufen hörte: »Warum sollte mir der Teufel nicht ebensogut als andern ehrlichen Leuten erscheinen können?« Mit diesen Worten war ich auf der höchsten Spitze des steilen Berges angekommen. Das Unwetter hatte jetzt seinen höchsten Grad erreicht, der Sturm heulte fürchterlich, Wasser goß in Fluten vom Himmel, und der tiefe Felsenkessel, unter mir, erschien, wie hinter schwarzen Vorhängen nur augenblicklich auftauchend, dann wieder verschwindend in den rollenden Nebeln und der einbrechenden Dämmerung. Da fiel mir jene Beschwörungsformel ein, nach welcher, wenn man sich dreimal laut lachend in einer Kirche um Mitternacht selbst gerufen, eine Erscheinung verheißen wird, die niemand auszuhalten imstande sein soll. Was in einer Kirche um Mitternacht stattfindet, dachte ich, mag hier im Aufruhr der Elemente, in der schauerlichen Felsschlucht, bei eintretender Nacht auch geschehen können; – und so, mich fest gegen den Sturm stemmend, den Regenschirm, den ich bisher nur als Stock gebraucht, wie einen Mantel über den Kopf ziehend, und starr in den tiefen Bergkessel hinabschauend, rief ich, von Gespensterschauern ergriffen, der Vorschrift gemäß, mit fremder laut schrillender Stimme meinen vollen Namen:Jeder braucht hier nur seinen eigenen Namen, wenn er den Versuch zu machen wünscht, einzuschalten. A. d. H.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dann wie verwundert: Wer ruft mich?
– Dumpfes halbersticktes Gelächter. –
Lauter meinen Namen von neuem:
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Erschüttert: Wer ruft mich?
– Wildes Lachen. –
Mit donnernder Stimme meinen Namen zum drittenmal:
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Voll Grausen: Wer ruft mich?
– Augenblickliche Stille – dann ein leises, doch helles und triumphierendes Lachen, welches das Echo spottend wiederholt.
Soweit hatte ich die Komödie allein gespielt – aber jedesmal, wenn ich selbst: Wer ruft mich? rief – schien es, als wenn von außen her schwache Blitze den Kessel unter mir durchzuckten, was ich mir nur durch die Windstöße erklären konnte, die der seidnen Decke des Regenschirms, welche ich des Sturms wegen nahe am Gesicht festhalten mußte, eine zitternde Bewegung gaben, und so eine blitzähnliche Wirkung auf das Auge hervorbrachten. Als aber das letzte Lachen kaum verschollen war – schlug sich plötzlich das Dach des Regenschirms um, was mich selbst beinahe umwarf, und ganz der Empfindung glich, als ergriffe mich von hinten eine übermächtige Riesenfaust – es war freilich, ohne Zweifel, nur ein jählinger Windstoß – ich drehte mich indes nach dem ersten Schreck doch langsam um... und sah... nichts, in der Tat! – Aber wie? regt sich dort nicht etwas um die Ecke? – beim Himmel das ist... mein Erstaunen war wahrlich nicht gering, als ich jetzt in der Entfernung von zwanzig Schritten, soweit als ich notdürftig in Dunkelheit und Regen noch unterscheiden konnte, eine vom Kopf bis zum Fuß schwarz verhüllte Gestalt, mit einer Scharlachmütze auf dem Kopfe, nachlässig, und – ich täuschte mich nicht – hinkend, auf mich zukommen sah...
Nun liebe Julie, est-ce le diable ou moi, qui écrira le reste? – oder glaubst Du wohl gar, ich amüsiere mich, Dir ein Märchen zu erzählen? Point du tout – Dichtung und Wahrheit ist meine Devise. Aber meinen Brief wenigstens hier zu schließen, ist billig. Ich darf hoffen, daß der nächste nicht ganz ohne Ungeduld erwartet wird. Also bis dahin – adieu.
Ganz Dein L...
* * *
Ende des ersten Teils