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Dublin, den 24sten Oktober 1828
Gute teure Freundin!
Wenn man so lange ein halbwildes Leben geführt, kommt einem die Zahmheit der Stadt ganz sonderbar vor! Ich kann mir jetzt beinah das Heimweh der Indianer erklären, von denen selbst die Gebildetesten doch am Ende in ihre Wälder wieder zurücklaufen. Die Freiheit hat einen zu großen Reiz!
Gestern nachmittag verließ ich Cashel, und nahm in meinem Wagen den Bruder des Capt. S... mit. Solange es Tag war, sahen wir gewiß an zwanzig verschiedene Ruinen, fern und nah, liegen. Eine der schönsten steht am Fuß eines isolierten Hügels, Killough Hill, der Garten Irlands, genannt, weil auf ihm, der Sage nach, alle in Irland einheimischen Pflanzen wachsen. Der Grund dieser Fruchtbarkeit ist, daß Killough Hill einst der Sommeraufenthalt der Feenkönigin war, deren Gärten hier prangten. Der überirdisch magnetisierte Boden behält daher noch immer einen Teil seiner wunderbaren Kräfte. Die erwähnte Ruine hat abermals einen jener rätselhaften, schmalen, runden Türme ohne Öffnung, die von fern einem, von allen Neunen allein stehen gebliebenen, ungeheuren Königskegel gleichen. Bei einigen wenigen, sieht man zwar die Öffnung einer Türe, aber nicht unten, sondern in der Mitte. Kein romantischeres Schilderhaus hätte für die Wache des Feenhügels gewählt werden können. Das Wetter war außerordentlich mild und schön, und der Vollmond so lichtstrahlend, daß ich bequem in meinem Wagen lesen konnte. Demohngeachtet verschliefen wir einen guten Teil der Nacht.
In Dublin fand ich einen Brief von Dir vor. Tausend Dank für alles Liebe und Gute, das er für mich enthält. Ängstige Dich aber nicht zu sehr über die Lage Deiner Freundin. Sage ihr, sie solle handeln wie es die Not erfordere, abwenden was möglich sei, unvermeidliches Übel aufschieben, solange sie könne, aber immer ruhig tragen was da sei. Das wenigstens ist meine Philosophie. Deine Zitation aus der Sévigné hat mich sehr amüsiert. Gewiß, diese Briefe sind merkwürdig! Durch viele Bände immer das Nämliche, und an sich ziemlich Leere, mit stets neuen Wendungen unterhaltend, ja oft bezaubernd zu sagen; Hof, Stadt und Land mit gleicher Grazie zu schildern, und eine etwas affektierte Liebe gegen die insignifikanteste Person zum Hauptthema des Ganzen zu wählen, ohne dennoch je dadurch zu ermüden – das waren gewiß Aufgaben, die außer ihr, noch niemand hat lösen können. Sie ist nichts weniger als romantisch, war auch im Leben nicht außerordentlich hervorstechend, aber ohne Zweifel das wohlerzogenste Ideal du ton le plus parfait. Gewiß besaß sie auch »temper«, von der Natur gegeben, und durch Kunst veredelt und erhöht. Kunst ist wenigstens überall sichtbar, und wahrscheinlich waren auch ihre Briefe, von denen sie wußte: daß viele sie mit Begeisterung lasen – wohl ebensosehr für die Gesellschaft als für ihre Tochter berechnet, ja gefeilt, denn die bewunderungswürdige Leichtigkeit ihres Stils verrät eben weit mehr Sorgfalt als das épanchement des Augenblickes gestattet. Das, was am leichtesten aussieht, ist von jeher am schwersten zu erlangen gewesen. Die Schilderung damaliger Sitten tut heutzutage das ihrige für das Interesse der Briefe, ich bezweifle aber, daß ähnliche, jetzt geschrieben, gleichen success haben würden. Man ist zu ernst und geistig dazu geworden. Les jolis riens ne suffissent plus. Das Gemüt auch will erregt, und heftig erregt sein. Wo ein Gigant, wie Lord Byron, auftritt, verschwinden die niedlichen Kleinen.
Eben las ich in seinen Werken (denn noch ging ich nicht aus). Ich stieß auf die Schilderung einer Szene, wie ich selbst in den letzten Tagen deren so häufig ähnliche erlebt. Wie erhaben fand ich meine Gefühle ausgedrückt! Erlaube mir das Bruchstück Dir in einer poetischen Prosa, so gut ich kann, und so wörtlich als möglich, zu übersetzen.
»Der Himmel wandelt sich! – Welch ein Wechsel! o Nacht – Und Sturm und Finsternis, wohl seid ihr wundermächtig! Doch lieblich Eure Macht – dem Lichte gleich, Das aus dem dunklen Aug' des Weibes bricht. – Weithin Von Gipfel zu Gipfel, die schmetternden Felsen entlang Springt der eilende Donner. Nicht die einsame Wolke allein, Jeder Berg hat eine Zunge gefunden, Und Jura sendet durch den Nebelvorhang Antwort Zurück, dem lauten Zuruf der jubelnden Alpen. Das ist eine Nacht! – o herrliche Nacht! Du wurdest nicht gesandt für Schlummer. Laß auch mich Ein Teilnehmer sein an Deiner wilden, fernhin schallenden Freude Ein Teil vom Sturme – und ein Teil meiner selbst – Wie der See erleuchtet glänzt – gleich dem phosphorischen Meer! Und die vollen Regentropfen – wie sie herabtanzen auf seine Wellen! Und nun wird alles wieder schwarz – und von neuem Hallt der Berge Chorus wieder, in lauter Luft, Als säng' er Triumph über eines jungen Erdbebens Geburt! |
Ist das nicht schön, wahrhaft dichterisch gefühlt! Wie schade, daß wir so gar keine guten Übersetzungen seiner Werke haben. Nur Goethe vielleicht wäre fähig, ihn genügend wiederzugeben – wenn er nicht leichter und lieber, gleich Herrliches selbst schüfe.
Den 25sten
Ich machte gestern dem Lord-Lieutenant meinen Besuch im Phœnixpark, der mich auf heute zu Tische einlud, wo ich eine ziemlich glänzende Gesellschaft antraf. Er ist beliebt in Irland, weil er parteilos verfährt, und die emancipation zu wünschen scheint. Seine Taten als Feldherr sind bekannt, niemand aber repräsentiert auch besser, und ein kunstvoller gemachtes falsches Bein als das seine, sah ich auch noch nie. Der Marquis, obgleich nicht mehr jung, ist noch immer sehr schön gewachsen, und das falsche Bein, wie der Fuß, rivalisieren mit dem echten à s'y méprendre. Nur beim Gehen bemerkt man einige Schwierigkeit. Im ganzen kenne ich wenig Engländer, die eine so gute tournure haben, als der jetzige Lord-Lieutenant Irlands. Wenn er in der Stadt residiert, wird eine ganz strenge Etikette, wie an einem kleinen Hofe aufrecht erhalten, auf dem Lande aber betrachtet er sich als Privatmann. Macht und Ansehen eines Lord-Lieutenants sind ziemlich groß, da er den König repräsentiert, obgleich sie das Ministerium gehörig beschneidet. Er darf unter andern Baronets machen, und es ist schon in früheren Zeiten vorgekommen, daß Gastwirten, und noch weniger Qualifizierten, diese Ehre zuteil geworden ist. Hören seine Funktionen auf, so gibt ihm ihre frühere Ausübung keinen fernern erhöhten Rang. Während der Amtsführung beläuft sich die Besoldung des Lord-Lieutenants auf 50 000 Pfd. St. jährlich, und dem frei gehaltenen Hofstaat, so daß er recht gut seine eigenen Revenuen ökonomisieren kann, was jedoch der jetzige nicht tun soll, dessen Haus ich vortrefflich eingerichtet fand. Er ist auch von einigen interessanten Leuten umgeben, die einen sehr guten Ton mit Genialität verbinden, und der politischen Partei der Mäßigung und Vernunft anzuhängen scheinen. Man kann unter solchen Umständen fast voraussetzen, daß Lord Anglesea sich nicht lange hier halten wird, auch hörte ich Anspielungen darauf. Da er an der schmerzlichen Krankheit des tic douloureux sehr leidet, empfahl ich ihm H... das sich so efficace dagegen gezeigt hat, und übergab seinem Hausarzt das Buch, welches davon handelt. Der Marquis sagte lächelnd: »Urlaub wird man mir wohl nicht verweigern«, indem er seinen konfidentiellen Sekretär bezeichnend dazu anblickte. Dies bestätigte meine eben geäußerte Vermutung; es wäre aber gewiß ein großes Unglück für Irland, das zum erstenmal sich des Segens erfreut, einen Statthalter zu besitzen, der die abgeschmackten Religionshändel mit philosophischem Auge betrachtet.
Ehe ich nach dem Phœnixpark fuhr, wohnte ich dem Gottesdienst in der katholischen Kapelle bei. Es ist dies ein schönes Gebäude. Das Innere, ein großer, ovaler Saal mit einer ringsum laufenden Kolonnade ionischer Säulen, einer schönen Kuppel und einem vortrefflichen Hautrelief, in der halben Wölbung der Decke, die sich über dem, am Ende des Saales stehenden Altar befindet. Es stellt des Erlösers Himmelfahrt dar. Vortrefflich ist besonders die Figur und der Ausdruck des Heilands, den man sich so denken muß, wenn auch der Künstler nur aus der Phantasie schuf. Die Katholiken behaupten freilich, wirkliche Portraits von Christus zu besitzen, wie ich auch einmal, in Süddeutschland, eine Sammlung wahrhafter Abbildungen des heiligen Gottes, angekündigt fand.
Der Hauptaltar steht ganz frei, ist von einfach schöner Form und aus weißem Marmor in Italien verfertigt. Die obere Platte und der Sockel sind von dunklerm Marmor. Die vordere Fassade ist in drei Felder geteilt, worauf, im Mittelfelde, das Bild einer Monstranz von Goldbronce, auf den beiden andern, die Basreliefs zweier anbetenden Engel sich befinden. Oben steht, auf der Mitte des Altars, ein prachtvoller Tempel aus kostbaren Steinen und Gold, in dem die wirkliche Monstranz aufbewahrt wird, und neben ihm zwei ebenso prächtige Goldleuchter. An beiden Seiten des Altars stehen außerdem noch zwei guéridons von Bronce, die von Engeln, welche ihre Flügel zusammenschlagen, getragen werden; auf den obern Platten derselben befinden sich die heiligen Oblaten und der Wein. Alle Details sind im besten Geschmack ausgeführt, und die edelste Simplizität überall vorherrschend. Von der Decke hängt an einer schweren silbernen Kette eine antike Lampe von gleichem Metall herab, die fortwährend brennt. Es ist gewiß einer der schönsten katholischen Gebräuche, daß gewisse Kirchen den Gläubigen bei Tag und bei Nacht für das Bedürfnis der Andacht stets offenstehen. In Italien begab ich mich fast nie zur Ruhe, ohne vorher eine solche Kirche besucht und den wunderbaren Effekt betrachtet zu haben, den es hervorbrachte, wenn in der Stille der Nacht die einzelne rötliche Lampe die hohen Gewölbe sparsam und phantastisch erleuchtete. Immer fand ich eine oder die andere betende einsame Gestalt vor einem der Altäre hingeworfen, nur mit ihrem Gott und sich beschäftigt, ohne die mindeste Rücksicht auf das zu nehmen, was um sie her vorging. In einer dieser Kirchen stand das Riesenbild des heiligen Christoph, an den mittelsten Pfeiler gelehnt, und mit dem Kopf an das Gewölbe stoßend; auf seiner Schulter saß das schwere Christuskindlein, und in seiner Hand hielt er als Wanderstab, einen ausgewachsenen Baumstamm, mit frischen grünen Ästen, der monatlich erneuert wurde. Das Licht der hochhängenden Lampe umgab das Kindlein wie mit einer Glorie und warf, wie segnend, einzelne Strahlen herab auf den frommen Riesen.
Wenn ich den hiesigen katholischen Gottes dienst mit dem englisch-protestantischen vergleiche, muß ich dem ersteren unbedingt den Vorzug geben. Mögen gleich einige Zeremonien zu viel, und selbst an's Burleske streifend sein; z. B. das Umherwerfen der Räucherfässer, das fortwährende Anlegen anderer Kleidungsstücke etc., so hat dieser Kultus doch eine Art antiker Größe, welche imponiert und befriedigt. Die Musik war vortrefflich, sehr gute Sänger, und diese, was den Effekt ungemein vermehrte, unsichtbar. Einige Protestanten nennen das zwar eine Bestechung der Sinne, ich kann aber nicht einsehen, warum das ohrenzerreißende Geschrei einer unmusikalischen lutherischen Gemeinde frömmer sein soll, als die Anhörung guter Musik, von Leuten ausgeführt, die sie auszuführen gelernt habenDurch die Einführung der neuen Agende im Königreich Preußen ist z. B. zur Verbesserung, ich möchte fast sagen, Vermenschlichung, der Musik in den Kirchen, sehr viel getan worden, und der Einfluß auf die Gemeinden überall auch sehr wohltätig gewesen. A. d. H. . Auch die Betrachtung des Inhalts der Predigt war hier ganz zum Vorteil des katholischen Kultus. Während die englisch-protestantische Gemeinde in Tuam, als ich zugegen war, nur von Wundern, Schweinen und bösen Geistern unterhalten wurde, war hier die Lehre nur rein moralisch und praktisch. Der Redner sprach hauptsächlich vom Neid, und sagte, unter anderm sehr treffend: »Wollt Ihr wissen, ob Ihr von diesem, der Menschenliebe so nachteiligen, und das Individuum selbst so erniedrigenden Laster ganz frei seid, so prüft Euch nur genau, ob Ihr nie, bei der sich immer steigernden Prosperität eines andern, ein unbehagliches Gefühl in Euch entdeckt, oder ob Ihr nie, bei der Nachricht, daß einem Glücklichen etwas mißlang, wie bei diesem oder jenem Unfall anderer, eine leise Befriedigung gefühlt? Dies ist eine ernste Frage, und wenige werden sie sich ohne Nutzen vorlegen.« –
Die Art, wie jeder hier für sich still in seinem Gebetbuch liest, während die herrliche Musik den Geist erhebt und vom irdisch Alltäglichen abzieht, scheint mir auch dem lauten Herleiern und Ablesen der Gebete in jener Kirche weit vorzuziehen. Während dieser Zeit stiller Andacht merkt man nur wenig auf die Zeremonien, Kleiderwechselungen und Räucherungen der Priester am Altar, die einem fast wie eine häusliche Toilette vorkommen, um die man sich nicht weiter bekümmert. Aber selbst diese letztere kleine Schattenseite mitgenommen, sieht man in der katholischen Kirche doch immer etwas Ganzes, durch Alter und Konsequenz Ehrwürdiges – in der englisch-protestantischen dagegen nur unzusammenhängendes Stückwerk. Beide mit der deutschen Kirche (aber diese nur im Sinne unsrer Krug und Paulus) könnten auf drei Individuen verglichen werden, die sich an einem prächtigen Ort befanden, der manchen Genuß, manchen wertvollen Unterricht darbot, aber von Gottes Sonne und seiner herrlichen freien Natur durch eine hohe Mauer geschieden war. Der Erste der drei war mit dem Glanz der Juwelen und des Kerzenlichts zufrieden, und sah nie sehnsüchtig nach den wenigen Spalten der Mauer, die eine Ahnung des Tageslichts hineinließen. Die andern Beiden aber wurden unruhig; sie fühlten, es gäbe noch etwas Besseres und Schöneres außerhalb und entschlossen sich endlich, die hohe Mauer, es koste was es wolle, zu übersteigen. Wohlversehen auf lange mit allem was sie nötig zu haben glaubten, begannen sie die große Unternehmung. Viele Gefahr, vieles Ungemach mußten sie ausstehen, – doch endlich erreichten sie glücklich die Höhe. Hier gewahrten sie nun zwar der Sonne glänzendes Gestirn, aber Wolken verbargen es oft, und auch das schöne Grün der Wiesen unter ihnen ward oft unterbrochen durch Unkraut und stachlichtes Gebüsch, wo wilde gefahrvolle Tiere lauschend umherschlichen. Doch nichts konnte den Zweiten der drei entmutigen, noch von seinem Vornehmen abschrecken; die innere Geistesstimme besiegte alle Furcht und jeden Zweifel. Wohlgemut ließ er sich hinab, in die neue Welt, und da er, um ganz ungehindert zu sein, alles Mitgenommene zurückgelassen hatte, verschwand er, leichten Fußes, bald in den heiligen Hain. Aber der Dritte – der sitzt noch immer auf der Mauer, zwischen Himmel und Erde, von der mitgebrachten Nahrung zehrend, und sich an dem mitgebrachten Flitter weidend, von dem er sich nicht losreißen kann, obgleich die Strahlen der Sonne, die jetzt ungehindert auf den falschen Tand fallen, ihn schon weit unscheinlicher gemacht. Wie das Tier der Fabel schwankt er zwischen den zwei Heubündeln, ohne zu wissen, welchem er sich gänzlich zuwenden soll. Zurück kann er nicht mehr, vorwärts fehlt ihm der Mut, oben aber erhalten ihn die Fleischtöpfe KanaansBrauche ich Dir zu erklären, was ich mit den Fleischtöpfen Kanaans meine? – Die so einträglich gemachte Christuslehre, welche hier gewiß noch besser nährt, als weiland die Fleischtöpfe Ägyptens. – so lange sie dauern werden.
Den 27sten
Wenn ich nicht Allotria treiben will, d. h. von Dingen reden, die meiner Reise und dem hiesigen Aufenthalt nichts angehen, so macht das Leben in der Welt meine Briefe recht leer. Ich könnte ein Schema in Steindruck dazu anfertigen lassen, mit einigen Ausfüllungen ad libitum, ohngefähr so: »Spät aufgestanden, und verdrießlich. Visiten gegangen, geritten oder gefahren. Diniert bei Lord, oder Mr ..., gut oder schlecht. Konversation: Gemeinplätze. Abends eine langweilige Gesellschaft, rout, Ball oder gar Dilettanten-Konzert. NB.: Die Ohren tun mir noch davon weh!« In London könnte man ein für allemal noch hinzusetzen: »Die foule erdrückte mich bald, und die Hitze war ärger wie auf der obersten Bank im russischen Dampfbad. Körperliche Anstrengung war am heutigen Tage = 5 Grad, (eine Fuchsjagd zu 20 gerechnet) geistige Ausbeute = 0. Resultat: Diem perdidi.«
Hier ist es nun nicht ganz so arg; man wird in dieser Jahrzeit nicht stärker fatiguiert, als in einer deutschen großen Stadt, aber immer noch zuviel eingeladen, ohne daß man es füglich ausschlagen kann. Denn wohl mag ich mit dem englischen Dichter ausrufen: »Wie verschieden sind die Gefühle der Gäste in jener Welt, die man die große und heitere nennt! von allen die melancholischeste und langweiligste, wenn man ihre Heiterkeit nicht teilt.«
Den 28sten
Eben komme ich von einem etwas kleinstädtischen, aber nicht weniger prätentiösen dîner, vom Lande zurück. Einiges war komisch, aber das wenige Lachen muß nur immer mit so viel Langerweile erkauft werden! Das Fest fand bei zwei sehr häßlichen und magern, aber wie man sagt, sehr reichen Missis statt. Ist dies der Fall, so müssen sie zugleich sehr geizig sein, denn die Mahlzeit war eine wahre Mystifikation für einen Gourmet, und Haus und Park ebenso mesquin. Mein guter Stern brachte mich indes bei Tische neben Lord P..., einem berühmten politischen Charakter, der seine Partei auf der edlen und guten Seite genommen hat, und stets der Sache der emancipation treu geblieben ist. Es freute mich sehr ihn mit den von mir selbst an Ort und Stelle gefaßten Ansichten so übereinstimmend zu finden. Eine seiner Äußerungen aber frappierte mich ihrer Naivität wegen. Ich bemerkte gegen ihn, daß, nach allem was ich sähe, selbst die emancipation hier nicht viel helfen könne, denn das eigentliche Übel bestehe darin, daß der meiste Grund und Boden und alle Reichtümer des Landes einem Adel gehörten, dessen Hauptinteresse ihn immer zwingen würde in England zu leben, hauptsächlich aber in den Summen läge, welche die armen katholischen Irländer jährlich der protestantischen Geistlichkeit opfern müßten. Solange dies nicht geändert würde, könnte auch kein fester und blühender Zustand der Dinge eintreten. »Ja«, erwiderte er, »das zu ändern ist unmöglich; ohne diese Reichtümer würde die englische Geistlichkeit ihr ganzes Ansehen verlieren.« – »Wie könnte das geschehen«, sagte ich lachend, »ist es denkbar, daß Tugend, milde Lehre und frommer Eifer im Amte, auch bei einem nur mäßigen Einkommen, den vornehmsten Priester nicht ehrwürdiger machen sollten, als ein übertriebener weltlicher Luxus, oder sollten wirklich 20 000 Pfd. St. Revenuen unumgänglich nötig sein: to make a Bishop or Archbishop appear decently in society?« (einen Bischof oder Erzbischof dezent in Gesellschaft zu produzieren). »My dear Sir«, antwortete Lord Plun..., »such a thing may exist, and maintain itself abroad – but will never do in Old England, where above all, money, and much money is required and necessary, to obtain respectability and consideration.« (So etwas könnte vielleicht auf dem Kontinent existieren und sich erhalten, aber nimmer in England, wo über alles, Geld, und viel Geld nötig ist, Respektabilität und Hochachtung zu erlangen.) Die Aristokratie kam bei dieser Bemerkung zwar nicht in consideration, aber wahr ist es, daß auch sie, ohne Geld, bald nichts mehr sein würde, obgleich sie jetzt, mit nicht geringem Dünkel, in England die adlige Geburt hoch über bloßen Reichtum gestellt hat.
Lady M..., die auch zugegen war, unterhielt wie gewöhnlich die Gesellschaft mit vielem Witz, nachher erzählte sie mir eine spaßhafte Anekdote von den Wirtinnen selbst. Nur die eine derselben, sagte sie, (ich weiß nicht mehr recht ob die größere oder kleinere) besitzt das große Vermögen, die andre kaum ein Dritteil davon; um aber womöglich beides an den Mann zu bringen, begaben sich die Schwestern vor vielen Jahren schon nach London. Einem fremden Ambassadeur wurde die gute Partie, vielleicht im geheimen Auftrag der Damen selbst, vorgeschlagen, und, wie Fama sagt, soll er seinen Antrag ohne Zaudern gemacht haben. Er wurde mit Verwunderung, aber höchst erfreut angenommen, denn er hatte ganz unerwartet, die Ärmere gewählt und sich schon mehreremal mündlich von ihren Reizen völlig besiegt erklärt. Dies hatte jedoch seinen Grund nur in einem ihm gemachten irrigen Bericht, und ganz kurz vor Torschluß ward ihm erst die Wahrheit kund. Entrüstet über das gefährliche quid pro quo, schrieb er sogleich den Damen, daß er sich in seinen Gefühlen geirrt, und nach reiflicher Überlegung überzeugt sei, daß nicht die Große, wie er früher geglaubt, sondern nur die Kleine, sein Glück machen könne, um deren Hand er daher hiermit ergebenst bitte. Nach langem Kampf siegte der weibliche Stolz über den konventionellen, und beide deprezierten die hohe Allianz. Seitdem gehen sie nun zwar noch jeden Winter nach London, geben zu essen und zu trinken, überbieten das Pariser Modejournal in ihren Toiletten, sprechen viel von Landgütern und Bankobligationen, wozu die eine Klavier hämmert, die andre ohne Stimme singt – sind aber dennoch bis jetzt ledig geblieben. Überhaupt ist es sonderbar, daß man nirgends, auch nur die Hälfte so viel alter Jungfern antrifft, als in England, und sehr häufig sind sie reich. Die übertriebene Eitelkeit auf ihr Geld, die damit nie Größe und Rang genug zu erlangen glaubt, oder die überspannt romanhafte Erziehung der Mädchen, welche durchaus und allein um ihrer selbst Willen geliebt werden wollen (woran z. B. eine Französin sich gar nicht kehrt, weil sie ganz richtig meint: dies werde schon in der Ehe kommen, wenn überhaupt Stoff dazu da wäre; sei aber dies nicht der Fall, würde es doch nicht bleiben, selbst wenn es der Zukünftige jetzt zu fühlen glaube) – sind die Hauptgründe dieser Erscheinung. Die Engländer halten übrigens, als wahre Türken, ihre Mädchen und Weiber so beschränkt in intellektueller Hinsicht als möglich, weil sie glauben, sich dadurch mehr ihren eigentümlichen Besitz zu verschaffen, und dies gelingt ihnen auch in der Regel vollkommen. Ein Fremder dient den Engländerinnen wohl zur Unterhaltung und Spielsache, aber flößt ihnen dabei immer auch einige Furcht und Scheu ein. Höchst selten werden sie ihm dasselbe Vertrauen als einem Landsmann schenken. Für einen halben Atheisten oder krassen Baals-Anbeter halten sie nun schon einmal jeden Ausländer ganz gewiß – zuweilen amüsiert sie daher auch das Bekehrungsgeschäft. Von den Lond'ner Exklusiven spreche ich hier nicht – diese geben dasselbe Resultat, als wenn man alle Farben zusammenreibt – wo nämlich zuletzt gar keine mehr übrig bleibt.
Den 29sten
Das schöne Wetter lockte mich hinaus ins Freie. Ich ritt den ganzen Tag umher, und sah ein paar merkwürdige Schlösser, Malahide und Howth Castle. Beide haben eine seltne Eigenschaft. Sie sind nämlich seit 900 Jahren immer im Besitz derselben Familien geblieben, was sich, so viel ich weiß, kein einziger Wohnsitz des englischen hohen Adels rühmen kann. Malahide ist auch noch historisch merkwürdig; denn es gehört den Talbots, und selbst des berühmten Feldherrn Rüstung, mit einem Partisanen-Stoß in der Brust, wird noch hier aufbewahrt. Die eine Hälfte des Schlosses ist uralt, die andere von Cromwell zerstört, und nachher im Stil des alten wieder neu aufgebaut worden. In dem ersten Teile zeigte man mir 500 Jahre alte Stühle, ja sogar ein Zimmer, in dem die schwarz-eichne, reiche boiserie, geschnitzte Decke und Boden 700 Jahre zählten. Der neue Schloßteil enthält mehrere interessante Gemälde. Ein Portrait der Herzogin von Portsmouth war so lieblich, daß ich Carl II. noch im Grabe darum beneidet haben würde, sie einst zur Herzogin erheben zu dürfen, wenn ich mich nicht noch zur rechten Zeit der Predigt des katholischen Geistlichen erinnert hätte. Eine alte Abbildung der Maria Stuart, obgleich in reiferem Alter dargestellt, bestätigte mir dennoch die Ähnlichkeit des, in der Grafschaft Wicklow gesehenen, Bildes dieser unglücklichen und schönen Königin, und mit Interesse betrachtete ich eine Szene am Hofe zu Madrid, mit den Portraits des Königs, gravitätisch im roten Scharlachrock dasitzend; Carls I. als Kronprinzen, der ziemlich légèrement ein Menuett mit der Infantin tanzt, und des verführerischen Buckingham, der, prächtig gekleidet, eine hübsche Hofdame sehr angelegentlich zu unterhalten scheint.
Howth Castle, der Familie St. Lawrence gehörig, und von Lord Howth bewohnt, (der kein absentee ist, sondern wohltätig seine Einkünfte im Lande verzehrt) ist mehr im Laufe der Zeiten modernisiert worden, und zwar nicht glücklich, da ein griechisches Portal sich sonderbar zu den kleinen gotischen Fenstern und hohen Zinnen in trèfle-Form ausnimmt. Auch hier wird das Schwert und die Rüstung eines berühmten Vorfahren, mit abenteuerlichem Namen, aufbewahrt. Er hieß Sir Armoricus Tristram, und lieferte, Anno 1000, den Dänen eine Schlacht in dieser Gegend, in der er, glaube ich, auch sein Leben verlor. Die altertümlichen Ställe waren voll herrlicher Jagdpferde, und Lord Howths Hunde (hounds) werden ebensosehr gerühmt.
Bei meiner Zurückkunft ging ich ins Theater, wo der englische Franconi – Ducrow – die Equilibristerei veredelt, indem er auf bewunderungswürdige Weise bewegliche Statuen darstellt. Dies ist ein wahrer Kunstgenuß, und den sogenannten Tableaux weit vorzuziehen. Du siehst, wenn der Vorhang aufgeht, in der Mitte der Bühne ein unbewegliches Standbild, auf einem hohen Postamente, stehen. Dies ist Ducrow, und kaum begreiflich, wie Trikot so dicht überall anliegen und so täuschend Marmor, hie und da von einer bläulichen Ader unterbrochen, darstellen kann. Ich glaube auch, daß er größtenteils auf der bloßen Haut gemalt war und nur da, wo unsere Sitten keine Nacktheit erlauben, mit Trikot sich geholfen hatte. Überdem erschien er zuerst als ruhender Herkules, wo das Löwenfell ihm alle Verlegenheit ersparte. Mit großer Kunst und Präzision ging dann der Mime, allmählig seine Stellung verlassend, in eine andere über, von Gradation zu Gradation, zu immer erhöhter Kraftäußerung fortschreitend, in den Hauptmomenten aber, (wo die berühmtesten Statuen darzustellen waren) plötzlich von neuem, wie zu leblosem Marmor sich versteinernd. Helm, Schwert und Schild, das ihm jetzt gereicht wurde, verwandelte ihn im Augenblick in den zornigen Achilleus, Ajax und andere griechische und trojanische Helden. Dann kam der Schleifer, der Diskus-Werfer u. s. w. an die Reihe, immer gleich gelungen und wahr. Er schloß mit den verschiedenen Stellungen des Fechters; zuletzt der meisterhaften Darstellung des Sterbenden. Dieser Mann müßte ein vortreffliches Modell für Maler und Bildhauer abgeben, da er tadellos gewachsen ist, und jede Stellung mit solcher Leichtigkeit annehmen kann. Auch fiel mir ein, wie sehr das nichtssagende Tanzen veredelt werden könnte, wenn man, statt des unsinnigen Hüpfens und Springens, etwas dem eben Beschriebenen ähnliches, einführte. Es tat mir fast weh, später denselben Künstler (denn diesen Namen verdient er durchaus) in der Reitbahn, als chinesischen Zauberer neun Pferde auf einmal reiten, als russischen Courier zwölf auf einmal fahren, und sich endlich, mit einem Pony, der als alte Frau angezogen war, zu Bette legen zu sehen.
Was das letztere allein betrifft, werde ich übrigens jetzt seinem Beispiele folgen, und sage Dir daher gute Nacht, zugleich valet für einige Tage, da morgen früh dieser Brief mit der Post abgeht.
Dein treuster L...