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London, den 16. Dezember, 1827
Liebe Julie!
Nachdem ich ein Gedicht in das W...sche Hausstammbuch geschrieben, in welchem es von arabischen Rossen und Timurs Herrlichkeit, Cecil, Elisabeth, und Teherans weißen Schönen etc. wimmelte, verließ ich gestern meine freundlichen Wirte, um nach London zurückzukehren. Noch an demselben Abend meiner Ankunft führte mich L... zu einem sonderbaren Schauspiel.
In einer, eine gute deutsche Meile entlegenen Vorstadt, nahm uns eine Art Scheuer auf, schmutzig, ohne andere Decke als das rohe Dach, durch welches hie und da der Mondschein blickte. In der Mitte befand sich ein, ohngefähr 12 Fuß im Quadrat haltender, mit dichten Holzbrüstungen eingefaßter und gedielter Platz, umgeben von einer Galerie voll gemeinen Volks und gefährlich aussehender Gesichter beiderlei Geschlechts. Eine Hühnersteige führte höher hinauf zu einer zweiten Galerie, für Honoratioren bestimmt, welche pro Sitz mit drei Schillingen bezahlt wurde. Seltsam kontrastierte mit diesem Äußern ein an den Balken des Dachstuhls hängender Kristall- lustre mit 30 dicken Wachskerzen besteckt, und einige fashionables über dem höchst gemeinen Volk, welches letztere übrigens fortwährend Wetten von 20-50 L. St. ausbot und annahm. Der Gegenstand derselben war ein schöner Terrier, der hochberühmte Billy, welcher hundert lebendige Ratzen in 10 Minuten tot zu beißen sich anheischig machte. Noch war die Arena leer – und wir harrten mit bangem, mit schrecklichem Weilen – während auf der untern Galerie große Bierkrüge als Erfrischung von Mund zu Mund gingen, und dichter Zigarrenrauch emporwirbelte. Jetzt endlich! erschien ein starker Mann, einen Sack tragend, der einem Kartoffelsack glich, in der Tat aber die hundert lebendigen Ratzen enthielt, denen er, durch Lösung des Knotens, auf einmal die Freiheit gab, sie über den ganzen Platz hinsäete, und während ihres Herumtummelns schleunigst seinen Rückzug in eine Ecke nahm. Auf ein gegebenes Zeichen stürzte nun Billy herein, und begann mit unglaublicher Wut sein mörderisches Geschäft. Sobald eine Ratze leblos dalag, nahm sie der ihm folgende Knecht Ruprecht wieder auf und steckte sie in den Sack, wobei wohl manche bloß ohnmächtige mit unterlaufen mochte, ja vielleicht gab es alte Praktiker darunter, die sich von Hause aus tot stellten. Kurz, Billy gewann in 9¼ Minuten, nach Ausweis aller gezogenen Uhren, in welcher Zeit sämtliche 100 Leichname und Scheintote sich schon wieder im Sacke befanden.
Dies war der erste Akt. Im zweiten kämpfte Billy von neuem, stets unter großem Beifallsgeschrei des Publikums, mit einem Dachs. Jeder der Kämpfer hatte einen Sekundanten, der ihn beim Schwanze hielt. Es wurde nur ein Biß oder Packen erlaubt, dann beide auseinandergerissen, und gleich wieder zugelassen, wobei Billy indes immer den Vorteil hatte, und des armen Dachses Ohren von Blute trieften. Auch hier mußte Billy in einer gewissen Anzahl Minuten, ich weiß nicht mehr wievielmal, den Dachs festgepackt haben, was er ebenfalls glänzend durchführte, zuletzt aber doch sehr erschöpft abzog.
Das Schauspiel endigte mit bear-baiting, worin der Bär einige Hunde übel zurichtete, und selbst wenig zu leiden schien. Man sah im ganzen, daß den entrepreneurs ihre Tiere zu kostbar waren, um sie ganz ernstlich zu exportieren, daher ich auch schon im Anfang, selbst die Ratzen, als eines verborgenen Künstlertalents verdächtig, angegeben habe.
In demselben Local werden einige Monate später auch die Hahnenkämpfe gehalten, wovon ich später eine Beschreibung liefern werde.
Den 21sten
Es gibt ohne Zweifel drei Naturen im Menschen; eine Pflanzennatur, die sich begnügt zu vegetieren, eine tierische, die zerstört, und eine geistige, die schafft. Viele begnügen sich mit der ersteren, die meisten nehmen noch die zweite in Anspruch, und nicht allzuviele die dritte. Ich muß leider gestehen, daß meine hiesige Lebensart mich nur in der erstgenannten Masse verweilen läßt, was mich oft sehr unbefriedigt stimmt, but I can't help it.
Du hast wohl ehemals von dem englischen Roscius gehört? Ein neues Wundermännchen dieser Art ist aufgetreten, und die Reife seines frühzeitigen Talents ist in der Tat höchst auffallend. ›Master Burke‹, so wird der zehnjährige Knabe genannt, spielte im Surrey Theater bei vollem Hause 5-6 sehr verschiedene Rollen mit einer Laune, scheinbaren Bühnenerfahrung, aplomb, Volubilität der Sprache, treuem Gedächtnis, und gelenkiger Gewandtheit seiner kleinen Person, die in Erstaunen setzen. Was mich aber am meisten frappierte, war, daß er in einem Vorspiel seine natürliche Rolle, nämlich die eines Jungen von 10 Jahren, ebenfalls mit so ungemeiner Wahrheit gab, daß diese echte Naivität dargestellter Kindlichkeit, nur Inspiration des Genies, ohnmöglich Resultat der Reflexion bei einem solchen Knaben sein konnte. Er begann die nachfolgenden Charaktere mit der Rolle eines italienischen Musikmeisters, in der er sich zugleich als wahrer Virtuose auf der Violine zeigte, und dies nicht etwa bloß in einigen eingelernten Fertigkeiten, sondern in dem guten Geschmack seines Spiels und einer selten erreichten Fülle und Schönheit des Tones. Man merkte es seinem ganzen Spiele an, daß er zum Musiker geboren sei. Hierauf folgte die Darstellung eines pedantischen Gelehrten, dann eines rohen Schiffskapitäns u.s.w., alle Rollen vorzüglich gut ausgeführt, und besonders ganz vortrefflich und unbefangen im stummen Spiel, woran so viele scheitern. Napoleon war die letzte Rolle, die einzige, die mißlang, und ich möchte sagen, daß gerade dies Mißlingen meinem Beifall die Krone aufsetzte. Es ist ein Kennzeichen des wahren Genius, daß er im Erbärmlichen, Unpassenden, Albernen selbst mit albern erscheint, und die Rolle war die Quintessenz des Abgeschmackten. Im Leben ist es nicht anders. Macht z. B. einen Lessing zur Hofschranze, oder Napoleon zum r... Lieutenant, und Ihr werdet sehen, wie schlecht beide ihre Rollen ausfüllen.
Überhaupt kommt es nur darauf an, daß jeder an seinem Platze stehe, so wird auch jeder etwas Vorzügliches entwickeln. So besteht mein Genie z. B. in einer sozusagen praktisch angewandten Phantasie, die ich stellen kann wie eine Uhr, mit der ich nicht nur mich in jeder wirklichen Lage sogleich zurechtfinden, sondern mit der ich mich auch, sie als Reizmittel gebrauchend, in alle möglichen Abgründe zu werfen vermag, und wenn ich daran erkranke, sie zugleich wieder als Heilmittel, durch ein erfundenes Glück benutzen kann.
Ist das nun die Folge einer zufälligen physischen Organisation, oder ein Gewinn aus eigener Kraft durch vielleicht hundert vorhergegangene Generationen? Lebte dieses mein geistiges Individuum schon vorher in miteinander zusammenhängenden Formen und dauert es selbstständig fort, oder verliert es sich nach jeder Blase, die die ewige Gärung des Weltalles aufwirft, wieder im allgemeinen? Ist, wie viele wollen, die Weltgeschichte, oder das, was in der Zeit sich begibt, ebenso wie die Natur, oder das, was im Raume existiert, nach festen Gesetzen und Regeln einer leitenden Hand schon in seinem ganzen Verlauf im voraus bestimmt, und endigt wie ein Drama im sogenannten Sieg des Guten über das Böse, oder bildet die freie geistige Kraft ihre Zukunft sich, in allem unvorherbewußt, nur unter der notwendigen Bedingung ihrer eignen Existenzmöglichkeit selbst aus? That is the question! Soviel indessen scheint mir klar, daß wir bei Annahme der ersten Hypothese, man drehe es wie man wolle, doch nur mehr oder weniger alle miteinander künstliche Puppen sind – nur bei der zweiten Voraussetzung wahrhaft freie Geister bleiben. Ich will es nicht leugnen, es ist etwas in mir, ein unbezwingliches Urgefühl, gleich dem innersten Bewußtsein meiner selbst, das mich zu dem letztern Glauben hinzieht. Es ist dies vielleicht der Teufel! Doch verführt er mich nicht so weit, daß ich nicht mit innigster höchster Liebe einem uns unfaßbaren Gotte unsern geheimnisvollen Ursprung in Demut verdanken will, aber eben weil eine göttliche Befruchtung uns hervorrief, müssen wir von nun an auch selbstständig in Gott fortleben. Höre, was Angelns Silesius, der fromme Katholik, darüber sagt:
›Soll ich mein letztes End', und ersten Anfang finden, So muß ich mich in Gott, und Gott in mir ergründen, Und werden das, was er, ich muß ein Schein im Schein, Ich muß ein Wort im Wort, ein Gott im Gotte sein.‹ |
Eben deshalb ist mir auch jener Lehrsatz unerträglich: daß früher der Mensch höher gestanden und besser gewesen, sich aber nach und nach verschlechtert habe, und nun wieder ebenso nach und nach, durch Sünde und Not sich zur ersten Vollkommenheit wieder durcharbeiten müsse. Wieviel mehr allen Gesetzen der Natur und des Seins angemessen, wie viel mehr einer ewigen, höchsten, über alles waltenden Liebe und Gerechtigkeit entsprechend, ist es anzunehmen, daß die Menschheit (die ich überhaupt als ein wahres Individuum, einen Körper, ansehe), aus dem notwendig unvollkommenern Anfang fort und fort einer stets weiter schreitenden Vervollkommnung, einer höhern geistigen Ausbildung aus eigner Kraft entgegengeht, obgleich der Keim dazu durch die Liebe des Höchsten erschaffend hineingelegt wurde. ›Das goldne Zeitalter der Menschen‹, sagt der Graf St. Simon richtig, ›ist nicht hinter uns, sondern vor uns.‹ Das unsrige könnte man (mehr des Wollens als des Vermögens wegen) das ›mystische‹ nennen. Echte Mystik ist nun freilich selten, aber man muß es doch auch eine sehr vorteilhafte Erfindung der Weltklugen nennen, daß diese der Absurdität selbst ebenfalls einen Mantel von Titular-Mystik umzuhängen verstanden haben. Hinter diesen Vorhang gehört leider das meiste, z. B. eben auch diese ›Erbsünde‹, wie sie unsre modernen Mystiker zu nennen belieben.
Vor einigen Jahren befand ich mich einmal in einer geistreichen Gesellschaft, die jedoch an Zahl gering, nur aus einer Dame und zwei Herren bestand. Man stritt auch über die Erbsünde. Die Dame und ich erklärten uns dagegen, die zwei Herren dafür, wiewohl mehr vielleicht um eines geistigen Feuerwerks ihrer Gedanken willen, als aus Überzeugung. »Ja«, sagten die Gegner endlich, »die Erbsünde ist gewiß eine Wahrheit, gleich der neuen Charta der Franzosen, es war der Drang des Wissens, der sich Bahn machte. Mit seiner Befriedigung kam das Unheil in die Welt, das aber freilich auch nötig war zu unserer Läuterung, zum eignen Verdienste, dem einzig verdienstlichen.« – »Auf diese Weise«, erwiderte ich, mich zu meiner Mitstreiterin wendend, »können wir es uns gefallen lassen, denn es ist mit andern Worten unsre Meinung, ein Lernen; der nötige Übergang aus Unvollkommnem zu Besserem durch eigne Erfahrung und Erkenntnis.« – »Allerdings«, fiel die Dame ein, »nur sollen Sie es dann nicht Erbsünde nennen.« – »Gnädige Frau«, erwiderte einer der Antagonisten, »über den Namen wollen wir nicht streiten, wenn es Ihnen recht ist, nennen wir es fortan Erbadel.«
Nach allen diesen Grübeleien habe ich heute erfahren, daß die frivolsten Weltleute auch über sich selbst nachdenken. Ein Österreicher von Stande, der sich seit einiger Zeit hier aufhält, erteilte mir folgenden Rat praktischer Philosophie, den ich seiner Originalität wegen wörtlich hersetzen muß.
»Nix is halt dümmer«, sagte er, »als sich um de Zukunft gräme! Schaun's, als i hierher kam, war's grade Sommer, und die season schon vorbei. Nu hätt' en andrer sich gegrämt, grad in so schlechter Zeit herkommen zu sein! aber i dacht, 's wird sich schon hinziehen, und richtig, 's hat sich bis zum November hingezogen! Unterdessen hat mich der Esterhazy ufs Land genommen, wo i mich gar herrlich amüsiert hab, und nu is noch a Monat schlecht, dann wird's wieder full, die Bälle und die routs gehn an, und i kann's nie mehr besser wünschen! Wär' i nu nich a rechter Narr gewesen, mi zu gräme ohne Not? Hab i ni recht? Man muß in der Welt grad wie ne H... leben und nimmer zuviel an die Zukunft denken.«
Ich kann annehmen, daß dieser praktische Mann und ich sehr verschiedene Naturen sind, so wie mancher Philosoph vom Fache meine Grübeleien ohngefähr ebenso mitleidig betrachten wird, als ich die des Österreichers; und doch kommt das Resultat am Ende, wie es scheint, leider bei allen auf eins heraus! ungewiß bleibt bloß, welcher der größte Tor unter ihnen ist? Wahrscheinlich der, welcher sich für den Gescheitesten hält.
Den 28sten
Ich habe die unangenehme Nachricht erhalten, daß nahe bei Helgoland das Schiff, mit dem ich Dir die gekauften Sämereien und Blumen schickte, untergegangen ist, und nur wenig der Equipage gerettet wurde. Freund L... verliert auch einen großen Teil seiner Effekten dabei. Es ist das einzige Schiff, was dieses Jahr in jenen Gewässern verloren ging, und hat ohnbezweifelt sein Mißgeschick dem Frevel zu verdanken, an einem Freitag abgefahren zu sein. Du lachst, aber mit diesem Tage hat es eine besondere Bewandtnis, und ich scheue ihn auch, da er in dem unerklärlichen verkörperten Bilde, das sich meine Phantasie von den Wochentagen unwillkürlich geschaffen hat, der einzige von rabenschwarzer Farbe ist. Vielleicht interessiert es Dich, bei dieser Gelegenheit die Farbe der andern, als ein mystisches Rätsel zu erfahren. Der Sonntag ist gelb, Montag blau, Dienstag braun, Mittwoch und Sonnabend ziegelrot, Donnerstag aschgrau. Dabei haben alle diese Tagindividuen einen seltsamen und gewissermaßen geistigen Körper, d. h. durchsichtig ohne bestimmte Form und Grenzen.
Doch um auf den Freitag zurückzukommen, so erzählte mir der hiesige amerikanische Legations-Secretair, neulich folgendes davon.
»Der Aberglaube, daß Freitag ein übler Tag sei«, sagte er, »bleibt bis zu dieser Stunde bei allen unsern Seeleuten mehr oder weniger eingewurzelt. Ein aufgeklärter Handelsmann in Connecticut hatte vor einigen Jahren den Wunsch, das Seinige beizutragen, um einen Eindruck zu schwächen, der oft sehr unbequem wirkt. Er veranlaßte daher, daß ein neues Schiff für ihn an einem Freitag zu bauen angefangen wurde. An einem Freitag ließ er es vom Stapel laufen, gab ihm den Namen Freitag, und auf seinen Befehl begann die erste Reise gleichfalls an einem Freitag. Unglücklicherweise für den Erfolg dieses so wohlgemeinten Experiments, hat man von Schiff und Mannschaft nie wieder das mindeste gehört.«
Gestern erhielt ich Deinen Brief.
Daß Dein Edelstein, wie Du ihn liebreich nennst, von vielen in der Welt nicht nur übersehen, sondern oft sogar gern in die Erde getreten werden möchte, kömmt sehr natürlich daher, weil er im Grunde nur an wenig Stellen geschliffen wurde, und strahlt nicht durch Zufall gerade eine solche dem Vorübergehenden entgegen, so wird er, comme de raison, den gemeinen Kieseln gleich geachtet, und wo eine hervorragende Spitze verwundet, womöglich eingetreten. Nur hie und da schätzt ihn jedoch ein Kenner, und der Besitzer – der überschätzt ihn.
Die Schilderung der englischen Familie M... in B... hat mich lachen gemacht, und die Originale zu diesen Portraits sind in der großen Welt hier sehr häufig, ja die tournure der Damen im allgemeinen, und mit seltnen Ausnahmen, ist ebenso schlecht als die, welche Du in B... gesehen – aber lange beseßner und unangemeßner Reichtum, alte historische Namen und strenge Zurückhaltung geben doch dieser aristokratischen Gesellschaft etwas Imposantes, namentlich für einen norddeutschen Edelmann, der so wenig ist!
Die kleinen Unglücksfälle, welche Du mir meldest, nimm nicht zu Herzen. Was sind sie anders als unbedeutende Wölkchen, so lange die Sonne des Geistes klar in unserm innern Himmel scheint! Übrigens solltest Du mehr Zerstreuung aufsuchen. Geh auch zu W..., zu H..., zu L... Man muß die Leute nicht bloß sehen, wenn man ihrer bedarf, sie glauben sonst nicht, daß man sie liebt und schätzt, sondern nur, daß man sie braucht; und doch wäre es gut, wenn eben diese drei uns ins Herz sehen könnten. Sie würden uns mehr lieben lernen als durch Worte und Visiten. Den Park betreffend hast Du, fürchte ich, wie ein grausamer Tyrann, erhabne Greise mit kaltem Blute gemordet. Dreihundertjährige Linden fielen also, wie unwillkürliche Märtyrer, einer hellern Aussicht zum Opfer? Das ist allerdings zeitgemäß – von nun an gebe ich Dir jedoch die Instruktion, nur zu pflanzen, und zwar so viel Du willst, aber nichts, was da ist, wegzunehmen. Später werde ich ja selbst kommen, und die Spreu vom Weizen sondern.
Den 31sten
Don Miguel von Portugal ist hier angekommen, und ich ward ihm heute früh vorgestellt. Nur das Corps Diplomatique und einige wenige Fremde waren zugegen. Der junge Prinz ist nicht übel, sieht sogar Napoleon ähnlich, war aber etwas embarrassierter in seinem Benehmen. Er trug sieben Sterne und gleichfalls sieben große Ordensbänder über dem Rock. Seine Gesichtsfarbe glich der Olive seines Vaterlandes, und der Ausdruck seiner Physiognomie war mehr melancholisch als heiter.
Den 1sten Jänner 1828
Meinen besten Wunsch zum heutigen Tage, und den herzlichsten Kuß zum Anfang desselben. Vielleicht ist dies das gute Jahr, welches wir, wie die Juden den rechten Messias, schon so lange vergebens erwarten. Die Eröffnung desselben ward wenigstens von mir sehr heiter verlebt. Wir hatten den gestrigen Tag bei Sir L... M.... der fünf bis sechs sehr hübsche Weiber und Mädchen eingeladen hatte, zugebracht, und gegen Mitternacht dem neuen Jahr einen Toast zugetrunken. L... und ich führten dabei die deutsche Mode ein, die Damen zu küssen, was sie sich auch, nach dem erforderlichen Sträuben, recht gern gefallen ließen.
Heute speiste ich dagegen ein hannovrisches Reh (hier gibt es keine) beim Grafen Münster auf dem Lande, dem man zum Weihnachtsgeschenk einen blunderbuss (Cacafoco im Italienischen) in das große Fenster der Wohnstube abgeschossen hat, gerade während die Gräfin den Kindern den heiligen Christ bescherte. Das Schrot war durch die Spiegelscheiben, wie durch Pappe, in hundert kleinen Löchern eingedrungen, ohne auch nur eine Scheibe zu zerschmettern. Glücklicherweise war die Christbescherung so entfernt vom Fenster, daß die Schrote nicht so weit reichten. Man begreift nicht, wer der Urheber einer solchen Infamie sein kann!
Die Anwesenheit Don Miguels macht London lebhaft. Eine soirée beim Herzog von Clarence fand diesen Abend statt, und morgen wird ein großer Ball bei Lady K... sein. Der Prinz scheint allgemein zu gefallen, und zeigt jetzt, nachdem er mehr hier zu Hause ist, etwas recht Gemessenes und Vornehmes in seiner tournure, wiewohl es so aussieht, als ruhe im Hintergrunde seiner großen Affabilität doch mehr als eine arrière-pensée. Die Etikette ist übrigens für die Portugiesen so streng, daß unser guter Marquis P... jeden Morgen, wenn er den Prinzen zuerst ansichtig wird, auf seine Knie niederfallen muß.
Den 3ten
Das gestrige Fest beim Fürsten E... übergehe ich, um Dir von der heutigen Pantomime zu erzählen, die Don Miguel ebenfalls mit seiner Gegenwart beehrte. Es ging ihm dabei noch schlimmer, wie dem seligen Kurfürsten von Hessen in Berlin, der bei dem Eröffnungs-Chor der Oper, welcher die Amazonen-Königin leben ließ, aufstand, um sich zu bedanken.
Das hiesige Volk nämlich, dem Don Miguel als ein tyrannischer Ultra geschildert worden war, und das nun in dem gefürchteten Ungeheuer einen ganz artigen und hübschen jungen Mann sieht, ist vom Abscheu zur Liebe übergegangen, und empfängt überall den Prinzen mit Enthusiasmus. So auch heute im Theater. Don Miguel stand sogleich mit seiner portugiesischen und englischen suite, auf, und dankte verbindlichst. Kurz darauf rollte der Vorhang empor, und ein neues unbändiges Klatschen zollte der schönen Dekoration Beifall. Abermals erhob sich Don Miguel, und dankte verbindlichst. Verwundert und überrascht rief dennoch gutmütig das Publikum, den Irrtum übersehend, von neuem ›Vivat‹. Nun aber erschien der Lieblingspossenreißer auf dem Theater, und zwar als großer Orang-Utan mit Mazureks-Gelenkigkeit. Stärker als je ertönte der Enthusiasmus des Beifalls, und abermals erhob sich Don Miguel, und dankte verbindlichst. Diesmal aber wurde das Kompliment nur durch lautes Lachen erwidert, und einer seiner englischen Begleiter, Lord M... C..., ergriff ohne Umstände den Infanten beim Arme, um ihn wieder auf seinen Sitz zurückzuziehen. Gewiß aber blieben Don Miguel und der Lieblingsakteur lange im Geiste des Publikums wider Willen identifiziert.
Den 6ten
Wir schweben in fortwährenden Festen. Gestern gab die schöne Marquise das ihrige, heute die gefeierte Fürstin L..., welches bis nach 6 Uhr früh dauerte. Von Morgen bis Abend bemüht man sich unablässig, den Prinzen zu amüsieren, und es ist wohl angenehm, eine so bevorrechtete Person zu sein, die zu unterhalten und ihr zu gefallen die Höchsten wie die Niedrigsten, die Klügsten wie die Dümmsten, ihr möglichstes tun.
Mitten unter diesem trouble erhielt ich wieder einen Brief von Dir durch L..., und freute mich, der darin enthaltenen hunderttausendsten Versicherung Deiner Liebe, eine Versicherung, die ich vor der ersten Million gewiß nicht zu hören müde werde, und nach dieser Million sogar noch ausrufen werde: L'appétit vient en mangeant! So geht es auch mit den hiesigen Festen, d. h., die Welt wird ihrer nicht müde. Während sie immer mehr ihren Horizont sich mit Gewittern überziehen sieht, tanzen und dinieren unsre Diplomaten dem drohenden Sturm mit Lachen und Scherzen entgegen, und Großes und Erhabnes mischt sich fortwährend mit Gemeinem und Alltäglichem, wie in Shakespeares lebenswahren Tragödien.
Meine Stimmung ist durch alles das günstig gereizt, wohl und kräftig. Meine männliche Seele (denn ich habe, außer der Deinigen, die mir gehört, auch noch eine eigne weibliche) ist jetzt du jour, und dann fühle ich mich immer selbstständiger, freier und weniger empfänglich für Äußeres. Dies ist sehr passend für den hiesigen Aufenthalt, denn die Engländer sind wie ihre Flintkiesel, kalt, eckig, und mit schneidenden Kanten versehen, aber dem Stahl gelingt es deshalb am leichtesten, belebende Funken aus ihnen zu schlagen, die Helle geben, durch wohltätigen Antagonismus.
In der Regel bin ich indessen zu träge, oder besser gesagt, zu wenig durch sie erregt, um als Stahl auf die mich umgebenden Individuen agieren zu mögen und zu können; ihrem Stolz aber habe ich wenigstens immer noch größeren entgegengesetzt, und manche dadurch erweicht, die andern entfernt. Eins und das andere war mir recht, denn der Kraniologe sagt ganz wahr über mich, daß mir ein wesentlich schaffenwollender Geist zugeteilt sei, und solche lieben allerdings nur, was wahlverwandt mit ihnen wirket, oder was unter ihnen stehend, ein brauchbares Instrument für sie wird, um ihre eignen Melodien darauf zu spielen. Den übrigen stehen sie entgegen oder fern.
Den 11ten
Die letzte soirée für Don Miguel fand heute endlich beim holländischen Ambassadeur statt, an welchen Umstand man allerhand interessante historische Reminiszenzen knüpfen könnte, denn Portugal wie Holland, beides kleine Länder nur, waren doch einst Weltmächte. Eins ging den Weg der Freiheit, das andere den der Sklaverei, und beide wurden dennoch gleich unbedeutend, und ihr inneres Glück scheint auch nicht sehr verschieden zu sein. Doch ich will diese Betrachtung verlassen, und dafür lieber mit ein paar Worten die Liebenswürdigkeit der Ambassadrice rühmen, deren französischer leichter Sinn noch nichts von den schwermütigen Narrheiten der englischen fashion angenommen hat. Ihr Haus ist zugleich eins von den wenigen, das man uneingeladen abends der Kontinentalsitte gemäß besuchen, und eine Konversation daselbst finden kann. Als Madame de F... noch unverheiratet in Tournay lebte, wohnte im Befreiungskriege mein teurer Chef, der alte Großherzog von W... in ihrer Eltern Hause und pflegte die reizende Tochter scherzend den ›liebsten seiner Adjutanten‹ zu nennen. Ich habe also, da ich denselben Posten bekleidete, eine Art Kameradschaft geltend zu machen, eine Ehre, die ich mir um so weniger nehmen lassen mag, da auch ihr Gemahl ein sehr angenehmer Mann ist, der sich durch Geist und Güte gleich sehr auszeichnet.
Mittags hatte ich beim Grafen M... ein deutsches dinner eingenommen, der uns immer von Zeit zu Zeit wilde Hannovraner auftischt. Heute war es ein herrlicher Eber mit jener königlichen sauce, von der Erfindung Georg IV., von der im ›Almanach des gourmands‹ steht: ›qu'avec une telle sauce on mangerait son père‹. Außer dieser Delikatesse wurde eine gute Anekdote von W. Scott zum besten gegeben. Dieser begegnete auf der Straße einem irländischen Bettler, der ihn um einen Sixpence (halben Schilling) bat. Sir Walter konnte keinen finden, und gab ihm endlich einen ganzen Schilling, indem er scherzend sagte: »Aber merkt Euch nun, daß Ihr mir einen Sixpence schuldig seid.« – »O gewiß!« rief der Bettler, »und möge Gott Euch so lange leben lassen, bis ich ihn wieder bezahle.«
Ehe ich zu Bette ging, hielt ich noch eine Nachlese Deiner letzten Briefe. Meine Ansicht der Rolle des ›Macbeth‹ hast Du sehr wohl verstanden, und sprichst Dich in wenig Worten meisterhaft darüber aus, so wie über die Leistung der dortigen Schauspieler. Es ist wohl sonderbar, aber wahr, daß beinahe überall die Bühne gegen sonst degeneriert. Gewiß liegt es auch in der überegoistischen, mehr mechanischen als poetischen Zeit.
Ebenso wahr ist Deine Bemerkung über die B... höhere Gesellschaft, und daß der Witz, ja selbst das Wissen, welches dort sich brüstet, nichts von dem gutmütig Anschmiegenden habe, das beiden eigentlich den wahren gesellschaftlichen Reiz allein verleihen kann. Der warme Pulsschlag des Herzens fehlt jenem vertrockneten Boden, die Leute können nicht davor, und wenn sie Phantasie heimsucht, erscheint sie ihnen wie dem seligen Hoffmann, auch immer nur als schauerlicher Gliedermann und als Gespenst. Dein Freund, dem es oft nicht besser geht, wurde leider auch im Sande geboren, aber der Duft des Erzes, glaub' ich, aus den Schächten, der flammende Hauch der Gnome von da unten her, die dunkle Waldeseinsamkeit der Tannen oben, und das Geflüster der Dryaden aus ihren in dichten festons herabhängenden Zweigen, haben seine Wiege umgeben und dem armen Kleinen einige fremdartige, wohltätige Elemente verliehen.
Die par-force-Teilnehmer der neuen Parforcejagd haben mich herzlich lachen gemacht. Sie sind das beste Gegenstück zu den freiwilligen Landwehrmännern. Da ich indes selbst ein aufrichtig Freiwilliger der letzteren bin, weil ich unsern König von Herzen liebe, und ihm dienen zu können nicht bloß Pflicht, sondern ein Genuß für mich ist, so werde ich mir, wieder zu Haus angekommen, auch sehr gern une douce violence zur Parforcejagd antun lassen, da ich den elegantesten und liebenswürdigsten Prinzen, welcher der Hauptunternehmer derselben ist, ebenso innig verehre und ihm zugetan bin. Die bei uns fast vergessene Feldreiterei wird dadurch gewiß wieder aufblühen, und England lehrt mich täglich, daß die Wirkung solcher mit Gefahren und Strapazen verbundenen Sitten, auf die Jugend, und man kann wirklich sagen, Nationalbildung sehr vorteilhaft einwirkt.