Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Sechster Brief

London, den 25ten Nov. 1826

Geliebteste!

Es ist mir zuweilen ein wahres Bedürfnis, einen Tag ganz allein zu Haus zuzubringen, und dann großenteils in einer Art von träumerischem Hinbrüten zu durchleben, wo ich so lange Vergangenes und Neues und alle Affekte durchlaufe, bis durch die Mischung so vieles Bunten eine Nebelfarbe sich über alles breitet, und die Dissonanzen des Lebens sich am Ende in eine sanfte, objektlose Rührung auflösen. Recht unterstützt wird man hier in solcher Stimmung durch die, mir sonst sehr unausstehlichen Drehorgeln, die Tag und Nacht in allen Straßen ertönen. Auch sie leiern im wilden Wirbel hundert Melodien untereinander, bis alle Musik sich in ein träumerisches Ohrenklingen verliert.

Amüsanter ist dagegen ein anderes hiesiges Straßenspiel, eine echte National-Komödie, die eine etwas genauere Beleuchtung verdient, und mir auch heute von unter meinen Fenstern heitere Zerstreuung heraufgeschickt hat.

Es ist dies ›Punch‹, der englische, ganz vom italienischen verschiedene Pulcinella, dessen getreue Abbildung ich hier beifüge, wie er eben seine Frau totschlägt, denn er ist der gottloseste Komiker, der mir noch vorgekommen ist, und so complet ohne Gewissen, wie das Holz, aus dem er gemacht ist, und ein wenig auch die Klasse der Nation, welche er repräsentiert.

Punch hat, wie sein Namensvetter, auch etwas von Arrak Zitronen und Zucker in sich, stark, sauer und süß, und dabei von einem Charakter, der dem Rausche, welchen jener herbeiführt, ziemlich gleich ist. Er ist überdies der vollendetste Egoist, den die Erde trägt, et ne doute jamais de rien. Mit dieser unbezwingbaren Lustigkeit und Laune besiegt er auch alles, lacht der Gesetze, der Menschen, und selbst des Teufels, und zeigt in diesem Bilde zum Teil, was der Engländer ist, zum Teil, was er sein möchte, nämlich Eigennutz, Ausdauer, Mut, und wo es sein muß, rücksichtslose Entschlossenheit auf der vaterländischen Seite, unerschütterlichen leichten Sinn und stets fertigen Witz auf der ausländischen – aber erlaube, daß ich, sozusagen mit Punchs eignen Worten, ihn weiter schildere, und aus seiner Biographie noch einige fernere Nachrichten über ihn mitteile.

Als ein Nachkomme Pulcinellas aus Acerra ist er für's erste unbezweifelt ein alter Edelmann, und Harlekin, Clown, der deutsche Kasperle selbst u.s.w. gehören zu seiner nahen Vetterschaft, er jedoch paßt, wegen seiner großen Kühnheit, am besten zum Familien-Chef. Fromm ist er leider nicht, aber als guter Engländer geht er doch ohne Zweifel Sonntags in die Kirche, wenn er auch gleich darauf einen Priester totschlägt, der ihn zu sehr mit Bekehrungsversuchen ennuyiert. Es ist nicht zu leugnen, Punch ist ein wilder Kerl, keine sehr moralische personnage, und nicht umsonst von Holz. Niemand z. B. kann besser boxen, denn fremde Schläge fühlt er nicht, und seine eignen sind unwiderstehlich. Dabei ist er ein wahrer Türke in der geringen Achtung menschlichen Lebens, leidet keinen Widerspruch, und fürchtet selbst den Teufel nicht. Dagegen muß man aber auch in vieler andern Hinsicht seine großen Eigenschaften bewundern. Seine admirable Herzens-Unempfindlichkeit und schon gepriesene, stets gute Laune, sein heroischer Egoismus, seine nicht zu erschütternde Selbstzufriedenheit, sein nie versiegender Witz und die konsommierte Schlauheit, mit der er aus jedem mauvais pas sich zu ziehen, und zuletzt als Sieger über alle Antagonisten zu triumphieren weiß, werfen einen glänzenden lustre über alle die kleinen Freiheiten, die er sich im übrigen mit dem menschlichen Leben herauszunehmen pflegt. Man hat in ihm eine Verschmelzung von Richard III. und Falstaff nicht ganz mit Unrecht gefunden. In seiner Erscheinung vereinigt er auch die krummen Beine und den doppelten Höcker Richards mit der angehenden Beleibtheit Falstaffs, zu welcher noch die italienische lange Nase und die feuersprühenden schwarzen Augen sich gesellen.

Seine Behausung ist ein auf vier Stangen gestellter Kasten mit gehörigen innern Dekorationen, ein Theater, das in wenigen Sekunden am beliebigen Orte aufgeschlagen wird, und dessen über die Stangen herabgelassene Draperie Punchs Seele verbirgt, die seine Puppe handhabt, und ihr die nötigen Worte leiht. Dieses Schauspiel, in dem er täglich, wie gesagt, in der Straße auftritt, variiert daher auch nach dem jedesmaligen Talente dessen, der Punch dem Publikum verdolmetscht, doch ist der Verlauf desselben im wesentlichen sich gleich, und ohngefähr folgender:

Sowie der Vorhang aufrollt, hört man hinter der Szene Punch das französische Liedchen ›Marlborough s'en va-t-en guerre‹ trällern, worauf er selbst tanzend und guter Dinge erscheint, und in drolligen Versen die Zuschauer benachrichtigt, wes Geistes Kind er sei. Er nennt sich einen muntern, lustigen Kerl, der gern Spaß mache, aber nicht viel von andern verstehe, und wenn er ja sanft werde, ihm dies nur vis-à-vis des schönen Geschlechts arriviere. Sein Geld vertue er frank und frei, und seine Absicht sei überhaupt, das ganze Leben hindurch zu lachen, und dabei so fett als möglich zu werden. Mit den Mädchen sei er allerdings ein Versucher und Verführer, auch, so lange er es habe, ein Freund der bonne chère, wenn er nichts habe, aber auch bereit, von Baumrinde zu leben, und stürbe er einmal – nun so sei's eben weiter nichts, als daß es aus sei, und damit habe denn die Komödie von Punch ein Ende. (Dies letzte riecht ohne Zweifel ein wenig nach Atheismus.)

Nach diesem Monolog ruft er in die Szene hinein nach Judy, seiner jungen Frau, welche aber nicht hören will, und statt ihrer endlich nur ihren Hund schickt. Punch streichelt und schmeichelt ihm, wird aber von dem bösen Köter in die Nase gebissen, und so lange daran festgehalten, bis nach einer lächerlichen Balgerei und verschiedenen starken Späßen des nicht allzu diskreten Punch, dieser endlich den Hund abwehrt, und derb abstraft.

Der Hausfreund Scaramutz tritt noch während diesem Lärmen mit einem großen Prügel ein, und setzt sogleich Punch zur Rede, warum er Judy's Lieblingshund geschlagen, der nie jemanden beiße? »Auch ich schlage nie einen Hund«, erwiderte Punch, »aber«, fährt er fort, »was habt ihr selbst denn da in der Hand, lieber Scaramutz?« – »O nichts, als eine Geige, wollt ihr vielleicht ihren Ton probieren? Kommt nur einmal her, und vernehmt das herrliche Instrument.« – »Danke, danke, lieber Scaramutz«, erwidert Punch bescheiden, »ich unterscheide die Töne schon vortrefflich von weitem.« Scaramutz läßt sich jedoch nicht abweisen, und indem er, sich mit Gesang akkompagnierend, herumtanzt und seinen Prügel schwingt, gibt er, bei Punch vorbeikommend, diesem wie von ungefähr einen derben Schlag auf den Kopf. Punch tut als merke er gar nichts davon, fängt aber auch zu tanzen an, und, seinen Vorteil wahrnehmend, reißt er plötzlich Scaramutz den Stock aus der Hand, und gibt ihm gleich zum Anfang einen solchen Schlag damit, daß dem armen Scaramutz der Kopf vor die Füße rollt – denn wo Punch hinschlägt, da wächst kein Gras. »Ha ha«, ruft er lachend, »hast Du die Geige vernommen, mein guter Scaramutz, und was für einen schönen Ton sie hat! So lange du lebst, mein Junge, wirst du keinen schönern mehr vernehmen. – Aber wo bleibt denn meine Judy. Meine süße Judy, warum kommst denn du nicht?«

Unterdes hat Punch Scaramutz' Leiche hinter einem Vorhang verborgen, und Judy, das weibliche Pendant ihres Mannes, mit ebensoviel Buckeln und noch monströserer Nase tritt auf. Eine zärtlich komische Szene erfolgt, nach der Punch nun auch nach seinem Kinde verlangt. Judy geht es zu holen, und Punch ekstasiiert sich während dem in einem zweiten Monolog über sein Glück als Ehemann und Vater. Sobald das kleine Ungeheuer ankommt, können beide vor Freude sich kaum fassen, und verschwenden die zärtlichsten Namen und Liebkosungen an dasselbe. Judy geht jedoch häuslicher Geschäfte wegen, bald wieder ab, und läßt den Säugling in des Vaters Armen, der, etwas ungeschickt, die Amme nachahmen und mit dem Kinde spielen will; dies fängt aber an jämmerlich zu schreien und sich sehr unartig zu gebärden. Punch sucht es erst zu besänftigen, wird aber bald ungeduldig, schlägt es, und da es nun nur immer ärger schreit, und ihm zuletzt gar etwas in den Händen zurückläßt, wird er wütend, und wirft es unter Verwünschungen zum Fenster hinaus, direkt auf die Straße, wo es mitten unter den Zuschauern den Hals bricht. Punch biegt sich weit über die Bühne hinaus, ihm nachzusehen, macht einige Grimassen, schüttelt mit dem Kopf, fängt an zu lachen, und singt tanzend:

Eia popeia, mit dem Kindlein war's aus,
Du schmutziges Ding, pack' dich fort aus dem Haus,
Bald mach' ich ein andres, das wird mir nicht schwer,
Von wo du herkamst, kommen andere noch her.

Indem kehrt Judy zurück und fragt bestürzt nach ihrem darling: »Das Kind ist schlafen gegangen«, erwidert Punch gelassen, doch nach fortgesetzter Inquisition muß er endlich gestehen, daß es ihm während dem Spielen mit ihm von ungefähr aus dem Fenster gefallen sei. Judy gerät außer sich, reißt sich die Haare aus, und überhäuft ihren grausamen Tyrannen mit den schrecklichsten Vorwürfen. Vergebens verspricht er ihr la pace di MarcolfaJeder weiß in Italien, was ›la pace di Marcolfa‹ bedeutet. Das gute Weib des ehrlichen Bertoldo (in dem alten Roman dieses Namens) sagte nämlich zur Königin: wenn sie und ihr Mann sich den Tag über gezankt hätten, machten sie den Abend wieder Friede, und dieser Friede wäre ihr so angenehm, daß sie öfters nur deshalb Zänkereien anfinge. , sie will von nichts hören, sondern läuft unter heftigen Drohungen davon.

Punch hält sich den Bauch vor Lachen, tanzt umher, und schlägt vor Übermut mit dem eignen Kopfe den Takt an den Wänden dazu, indem er singt:

Welch' tolles Lärmen um nichts,
Wegen des kleinen elenden Wichts!
Warte nur, Judy, dich will ich bekehren,
Will dir bald andere Mores lehren. –

Unterdessen ist aber hinter ihm Judy schon mit einem Besenstiel angelangt, und arbeitet sogleich aus allen Kräften auf ihn los.

Er gibt erst sehr gute Worte, verspricht nie wieder ein Kind aus dem Fenster zu werfen, bittet, doch den › Spaß‹ nicht so hoch aufzunehmen – als aber nichts fruchten will, verliert er abermals die Geduld, und endet wie mit Scaramutz, indem er die arme Judy tot schlägt. »Nun«, sagt er ganz freundlich, »unser Streit ist aus, liebe Judy, bist du zufrieden, ich bin's auch. Na, so steh' nur wieder auf, gute Judy. Ach verstell dich nicht, das ist nur so eine von deinen Finten! Wie, Du willst nicht auf? Nun so pack Dich hinunter!« – und damit fliegt sie ihrem Kinde nach auf die Straße.

Er sieht ihr nicht einmal nach, sondern, in sein gewöhnliches schallendes Gelächter ausbrechend, ruft er: »Ein Weib zu verlieren ist ein bonne fortune!« und singt dann:

Wer möchte sich mit einem Weibe plagen,
Wenn er sich Freiheit schaffen kann,
Und sie mit Messer oder Stock erschlagen,
Und über Bord sie werfen kann.

Im zweiten Akt sehen wir Punch in einem Rendezvous mit seiner Maitresse Polly begriffen, der er nicht auf die anständigste Weise die Cour macht, und dabei versichert, daß sie nur alle seine Sorgen verscheuchen könne, und wenn er auch sämtliche Weiber des weisen Salomos hätte, er sie ihr zuliebe doch alle tot schlagen würde. Ein Hofmann und Freund seiner Polly macht ihm darauf noch eine Visite, den er diesmal nicht umbringt, sondern nur zum besten hat, sich dann langweilt, und erklärt, das schöne Wetter zu einem Spazierritt benutzen zu wollen. Ein wilder Hengst wird vorgeführt, mit dem er eine Zeitlang lächerlich umhercaracolliert, zuletzt aber durch entsetzliches Bocken des unbezähmbaren Tieres abgeworfen wird. Er schreit um Hilfe, und sein glücklicherweise eben vorbeigehender Freund, der Doktor, läuft schnell herbei. Punch liegt da wie halb tot, und jammert entsetzlich. Der Doktor sucht ihn zu beruhigen, fühlt an seinen Puls und fragt: »Wo seid Ihr denn eigentlich beschädigt, hier?« – »Nein, tiefer.« – »An der Brust?« – »Nein, tiefer.« – »Ist Euer Bein gebrochen?« – »Nein, höher.« – »Wo denn?« In dem Augenblick gibt aber Punch dem armen Doktor einen schallenden Schlag auf eine gewisse Partie, springt lachend auf und singt tanzend:

Hier ist der Fleck, wo ich verwundet,
Und jetzt durch Sympathie gesundet;
Ich fiel ja nur ins grüne Gras,
Glaubt Esel Ihr, ich sei von Glas?

Der wütende Doktor ist, ohne ein Wort weiter zu erwidern, weggelaufen, kommt gleich darauf mit seinem großen Stocke mit goldnem Knopfe wieder, und indem er ausruft: »Hier, lieber Punch, bringe ich Euch heilsame Medizin, wie sie für Euch allein paßt«, läßt er besagten Stock noch nachdrücklicher als Judy, wie einen Dreschflegel auf Punchs Schultern arbeiten.

»O weh«, schreit dieser, »tausend Dank, ich bin ja schon gesund, ich vertrage überhaupt gar keine Medizin, sie gibt mir immer gleich Kopf- und Hüftenweh...« – »Ach, das ist nur, weil ihr noch eine zu geringe Dosis davon zu Euch genommen habt«, unterbricht ihn der Doktor, »nehmt immer noch eine kleine Gabe, und es wird Euch gewiß besser werden.«

PUNCH: »Ja, so sprecht ihr Doktoren immer, aber versucht es doch einmal selbst.«

DOKTOR: »Wir Doktoren nehmen nie unsere eigene Medizin. Doch Ihr braucht jedenfalls noch einige Dosen.«

Punch scheint besiegt, fällt entkräftet hin, und bittet um Gnade; als sich aber der leichtgläubige Doktor zu ihm herabbeugt, stürzt ihm Punch mit Blitzesschnelle in die Arme, ringt mit ihm und entreißt ihm endlich den Stock, mit dem er dann wie gewöhnlich verfährt.

»Jetzt«, ruft er, »werdet Ihr doch auch ein wenig von eurer schönen Medizin versuchen müssen, wertester Doktor, nur ein ganz klein wenig, geehrtester Freund. So... und so...«

»O Gott, sie bringt mich um...« schreit der Doktor.

»Nicht der Rede wert, es ist einmal so gebräuchlich. Doktoren sterben immer, wenn sie von ihrer eignen Medizin genießen. Nur lustig, hier, noch eine, und die letzte Pille.« Er stößt ihm den Stock mit der Spitze in den Magen. »Fühlt Ihr die Wirkung dieser wohltätigen Pille in Eurem Innern?«

Der Doktor fällt tot hin.

Punch lachend: »Nun, guter Freund, kuriert Euch selbst, wenn ihr könnt!«

(Geht singend und tanzend ab.)

Nach mehreren Avanturen, die fast alle einen solchen tragischen Ausgang nehmen, wird endlich die Gerechtigkeit wach, und dem Punch ein Constabler zugesendet, um ihn zu arretieren. Dieser findet ihn, wie immer, in der besten Laune, und eben beschäftigt, sich mit Hilfe einer großen Rindviehglocke, wie er sagt, ›Musik‹ zu machen (eigentlich ein sehr naives Geständnis der Musikkapazität der Nation). Der Dialog ist kurz und bündig.

CONSTABLER: Mr. Punch, laßt einmal Musik und Singen ein wenig beiseite, denn ich komme Euch aus dem letzten Loche singen zu lassen.«

PUNCH: »Wer Teufel, Kerl, seid Ihr?«

CONSTABLER: »Kennt Ihr mich nicht?«

PUNCH: »Nicht im geringsten, und fühle auch gar kein Bedürfnis, Euch kennenzulernen.

CONSTABLER: »Oho, Ihr müßt aber. Ich bin der Constabler.«

PUNCH: »Und wer, mit Verlaub. hat zu Euch geschickt, um Euch holen zu lassen?«

CONSTABLER: »Ich bin geschickt, um Euch holen zu lassen?«

PUNCH: »Allons, ich brauche Euch ganz und gar nicht; ich kann meine Geschäfte allein verrichten, ich danke Euch vielmals, aber ich brauche keinen Constabler.«

CONSTABLER: »Ja, aber zufällig braucht der Constabler Euch.«

PUNCH: »Den Teufel auch, und für was denn, wenn ich bitten darf?«

CONSTABLER: »O, bloß um Euch hängen zu lassen. – Ihr habt Scaramutz totgeschlagen, euer Weib und Kind, den Doktor...«

PUNCH: »Was Henker geht Euch das an? Bleibt Ihr noch viel länger hier, so werde ich's mit Euch ebenso machen.«

CONSTABLER: »Macht keine dummen Späße. Ihr habt Mord begangen, und hier ist der Verhaftsbefehl.«

PUNCH: »Und ich habe auch einen Befehl für Euch, den ich Euch gleich notifizieren will. (Punch ergreift die bisher hinter sich gehaltene Glocke, und schlägt dem Constabler damit dermaßen auf das occipitium, daß er wie seine Vorgänger leblos umsinkt, worauf Punch mit einer Kapriole davonspringt, indem man ihn noch hinter der Szene jodeln hört:

Der Krug geht zu Wasser
So lang bis er bricht,
Ein lustiger Prasser
Bekümmert sich nicht.

Der Gerichtsbeamte, welcher nach dem Tode des Constabler gesendet wird, Punch zu verhaften, hat dasselbe Schicksal, wie jener, bis endlich der Henker in eigner Person Punch aufpaßt, welcher in seiner lustigen Unbefangenheit, ohne ihn zu sehen, selbst an ihn anrennt. Zum erstenmal scheint er bei dieser rencontre betroffen, gibt sehr klein zu, und schmeichelt Herrn Cetsch nach Kräften, nennt ihn seinen alten Freund, und erkundigt sich auch sehr angelegentlich nach dem Befinden seiner lieben Gemahlin, Mistriss Cetsch.

Der Henker aber macht ihm schnell begreiflich, daß jetzt alle Freundschaft ein Ende haben müsse, und hält ihm vor, welch' ein schlechter Mann er sei, so viel Menschen und selbst sein Weib und Kind getötet zu haben,

»Was die letzteren betrifft, so waren sie mein Eigentum«, verteidigt sich Punch, »und jedem muß es überlassen bleiben, wie er dies am besten zu nutzen glaubt.« – »Und warum tötetet Ihr den armen Doktor, der Euch zu Hilfe kam?« – »Nur in Selbstverteidigung, wertester Herr Cetsch, denn er wollte mich auch umbringen.« – »Wieso?« – »Er offerierte mir von seiner Medizin.«

Doch alle Ausflüchte helfen nichts. Drei bis vier Knechte springen hervor, und binden Punch, den Cetsch ins Gefängnis abführt.

Wir sehen ihn im nächsten Auftritt im Hintergrunde der Bühne aus einem eisernen Gitter den Kopf vorstrecken, und sich die lange Nase an den Eisenstangen reiben. Er ist sehr entrüstet und verdrießlich, singt sich aber doch nach seiner Manier ein Liedchen, um die Zeit zu vertreiben. Mr. Cetsch tritt auf, und schlägt mit seinen Gehilfen vor dem Gefängnisse einen Galgen auf. Punch wird kläglich, fühlt aber statt der Reue, doch nur eine Anwandelung großer Liebe und Sehnsucht nach seiner Polly; er ermannt sich indes bald wieder, und macht sogar verschiedene bonmots über den hübschen Galgen, den er mit einem Baume vergleicht, den man wahrscheinlich zum bessern Prospekt für ihn hierhergepflanzt habe. »Wie schön wird er erst werden«, ruft er aus, »wenn er Blätter und Früchte bekommt!« Einige Männer bringen jetzt einen Sarg, den sie an den Fuß des Galgens hinstellen.

»Nun, was soll das vorstellen?« fragt Punch, »aha, das ist ohne Zweifel der Korb, um die Früchte hineinzutun.«

Cetsch kehrt währenddem zurück, und indem er Punch grüßt und die Tür aufschließt, sagt er höflich es sei nun alles bereit, Punch könne kommen, wenn es ihm beliebe. Man kann denken, daß dieser nicht sehr empressiert ist, der Einladung zu folgen. Nach mehrerem Hin- und Herreden ruft Cetsch endlich ungeduldig: »Es hilft nun weiter nichts, Ihr müßt heraus und gehangen werden.«

PUNCH: »Oh, Ihr werdet nicht so grausam sein?«

CETSCH: »Warum wart Ihr so grausam, Weib und Kind umzubringen?«

PUNCH: »Aber ist das ein Grund, daß Ihr auch grausam sein, und mich auch umbringen müßt?«Welches vortreffliche Argument gegen die Todesstrafe!

Cetsch bedient sich keiner weitern Gründe, als der des Stärkeren, und zieht Punch bei den Haaren heraus, der um Gnade fleht, und Besserung verspricht.

»Nun, lieber Punch« sagt Cetsch kaltblütig, »habt bloß die Güte, Euern Kopf in diese Schlinge zu stecken, und alles wird schnell zu Ende sein.« Punch stellt sich ungeschickt an, und kommt immer auf die unrechte Weise in die Schlinge. »Mein Gott, wie ungeschickt Ihr seid«, ruft Cetsch, »so müßt Ihr den Kopf hineinstecken« (es ihm vormachend). »So, und zuziehen«, schreit Punch, der den unvorsichtigen Henker schnell festhält, mit aller Gewalt zuschnürt, und mit großer Eile selbst am Galgen aufhängt, worauf er sich hinter die Mauer versteckt.

Zwei Leute kommen, den Toten abzunehmen, legen ihn, in der Meinung, es sei der Delinquent, in den Sarg, und tragen ihn fort, während Punch ins Fäustchen lacht und lustig forttanzt.

Doch der schwerste Kampf steht ihm noch bevor, denn der Teufel selbst in propria persona kommt nun, um ihn zu holen. Vergebens macht ihm Punch die scharfsinnige Bemerkung: er sei doch ein sehr dummer Teufel, seinen besten Freund auf Erden von dort wegholen zu wollen; der Teufel nimmt keine raison an, und streckt seine langen Krallen greulich nach ihm aus. Er scheint schon im Begriff, augenblicklich mit ihm abzufahren, wie mit weiland Faust, aber Punch läßt sich nicht so leicht verblüffen! Herzhaft ergreift er seinen mörderischen Prügel und wehrt sich, selbst gegen den Teufel, seiner Haut. Ein fürchterlicher Kampf beginnt, und – wer hätte es für möglich gehalten! Punch, mehrmals seinem Ende nahe, bleibt endlich glücklich Sieger, spießt den schwarzen Teufel auf seinen Stock, hält ihn hoch in die Höhe, und mit ihm jauchzend herumwirbelnd, singt er herzlicher lachend als je:

Vivat, Punch, aus ist die Not,
Juchhe! der Teufel ist tot.

Ich überlasse Dir alle philosophischen Betrachtungen, deren sich nicht wenige an Punchs Lebenslauf anknüpfen lassen; interessant möchte besonders die Untersuchung sein, wie dieses sich täglich wiederholende, beliebte Volksschauspiel seit so vielen Jahren auf die Moralität des gemeinen Mannes hier eingewirkt haben mag?Dies erinnert mich an die alte Anekdote, wo jemand auf dem St. Markusplatz zu Venedig Pulcinella auf ähnliche Art agieren sah, als ein Pfäfflein daherkam, um eine extemporierte Abendpredigt zu halten. Es wollte sich aber nur ein sehr geringer Zirkel um ihn versammeln, weil alles dem Possenreißer seine Aufmerksamkeit schenkte. »Ah, birbanti!« schrie endlich der entrüstete Prediger mit Stentorstimme, indem er sein kleines Kruzifix hoch emporhielt, »lasciate quel c..., venite qua, ecco il vero Pulcinella!«  –

Zum Schluß skizziere ich am Rand für die tragische Gerechtigkeit noch ein zweites Portrait Punchs, wie er im Gefängnis sitzt, und der Galgen eben für ihn herbeigebracht wird.

In meinem nächsten Briefe aber erhältst Du alle verlangte Details über B..., welchen frommen Mann ich heute über den interessanten Sünder Punch vergessen habe. Adieu für heute.


Den 1sten Dezember

Es wird Dir noch gegenwärtig sein, was ich Dir vor einiger Zeit über die Art des Grundverkaufs oder vielmehr Verpachtung desselben schrieb. Da der Eigentümer also nur auf 99 Jahre Besitz im besten Falle rechnen kann, baut er auch so leicht als möglich, und dies hat zur Folge, daß man öfters in den Londner Häusern seines Lebens nicht sicher ist. So fiel denn auch diese Nacht, ganz nahe von mir in St. James Street ein gar nicht altes Gebäude plötzlich wie ein Kartenhaus ein, und nahm auch die Hälfte des andern noch mit sich, wobei mehrere Menschen gefährlich beschädigt worden sein sollen, aber doch größtenteils noch Zeit zur Rettung fanden, da drohende Vorzeichen sie avertierten. Bei der Schnelligkeit, mit der man hier aufbaut, wird ohne Zweifel das Gebäude in vier Wochen wieder stehen, wenngleich ebenso unsicher wie vorher.

Vor einigen Tagen wohnte ich der interessanten Eröffnung des Parlaments durch den König in Person bei, eine Zeremonie, welche seit mehreren Jahren nicht mehr stattgefunden hat.

In dem Saale des Oberhauses waren in der Mitte die Pairs versammelt, ihre roten Mäntel nur nachlässig über die gewöhnliche Morgenkleidung geworfen. An der vordersten Wand stand der Thron des Königs, auf gradins links saßen viele Damen im Schmuck, rechts das diplomatische Corps und die Fremden, dem Throne gegenüber sah man eine Barriere und hinter dieser die Mitglieder des Unterhauses in der bürgerlichen Kleidung unsrer Tage. Das Haus außerhalb und die Treppen waren mit Dienern und Herolden im costume des vierzehnten Jahrhunderts bedeckt.

Um 2 Uhr verkündeten Kanonensalven den Anzug des Königs im großen Staate. Viele prachtvolle Wagen und Pferde bildeten den Zug, von dem ich schon eine Abbildung in mein Erinnerungsbuch aufgenommenMein Freund führte eine eigentümliche Idee aus, die seinen Hinterlassenen noch jetzt ein wehmütiges Vergnügen gewährt. Er hatte nämlich viele große Foliobände mit Zeichnungen, Kupfern, Autographien, mitunter auch kleinen Broschüren angefüllt, aber nicht wie gewöhnlich alles durcheinander, sondern nur dasjenige, was er selbst erlebt und gesehen, in derselben Ordnung, wie er es gesehen, darin aufgenommen, und jede Abbildung mit einer Note begleitet, deren Totalität zugleich einen kurzen, folgerechten Abriß seines Treibens auf dieser Welt gibt, also einen wahren Lebensatlas, wie er ihn auch manchmal selbst nannte. A. d. H. und zum Kontrast einen Triumphzug Cäsars daneben plaziert habe. Man fragt sich unwillkürlich bei dem Anblick dieser Bilder, ob die Menschen wohl seitdem wirklich weitergekommen sind? Im Kunstsinn scheint es kaum, besonders wenn man nach den beiden hervorstechendsten und den höchsten Sitz einnehmenden Personen der respektiven Zeremonien urteilt. Ich meine den königlichen Leibkutscher und Cäsar.

Gegen halb 3 Uhr erschien der König, allein von allen in völliger Toilette, und zwar von Kopf bis zum Fuß in den alten Königsornat gekleidet, mit der Krone auf dem Haupt und den Szepter in der Hand. Er sah blaß und geschwollen aus, und mußte lange auf seinem Throne sitzen, ehe er genug zu Atem kommen konnte, um seine Rede abzulesen. Währenddem warf er einigen der begünstigten Damen freundliche Blicke und herablassende Grüße zu. Lord Liverpool stand mit dem Reichsschwerte und der Rede in der Hand ihm zur Seite, auf der andern der Herzog von Wellington. Alle drei sahen aber so elend, aschgrau und abgelebt aus, daß mir nie menschliche Größe geringer an Wert erschien, ja die tragische Seite aller Komödien, die wir hier unten spielen, fiel mir fast schwer auf's Herz! Doch erregte es auch ein lebhaftes Gefühl des Komischen in mir zu sehen, wie hier der mächtigste Monarch der Erde als Hauptakteur vor einem in seiner Meinung so tief unter ihm stehenden Publikum auftreten mußte! In der Tat erinnerte die ganze Szene des Ein- und Ausgangs, wie das costume des Königs, frappant an die Art, wie hier die historischen Theaterstücke aufgeführt zu werden pflegen, und es fehlte bloß der obligate flourish (Tusch der Trompeten) der das Kommen und Gehen eines Shakespear'schen Königs stets begleitet, um die Täuschung vollkommen zu machen.

Übrigens las Georg IV. ohngeachtet seiner Schwäche mit vielem Anstande und schönem Organ, aber auch mit königlicher nonchalance, die nicht viel darnach fragt, ob die Majestät sich verspricht, oder ein Wort nicht gleich dechiffrieren kann, die banale Rede ab. Man sah indes deutlich, daß der Monarch erfreut war, als die corvée ihr Ende erreicht hatte. so daß der Abgang auch etwas rüstiger vonstatten ging als der Einzug.

Seit meinem letzten Briefe war ich zweimal im Theater, was man wegen der späten Eßstunden nie besuchen kann, wenn man irgendwo eingeladen ist.

Ich fand Mozarts ›Figaro‹ im Drury Lane angekündigt, und freute mich, die süßen, vaterländischen Töne wieder zu hören, ward aber nicht wenig von der unerhörten Behandlung überrascht, die des unsterblichen Komponisten meisterhaftes Werk hier erfahren mußte. Du wirst es mir gewiß kaum glauben wollen, daß weder der Graf, noch die Gräfin, noch Figaro sangen, sondern diese Rollen von bloßen Schauspielern gegeben, und die Hauptarien derselben, mit einiger Veränderung der Worte, von den übrigen Sängern vorgetragen wurden, wozu der Gärtner noch eingelegte englische Volkslieder zum besten gab, die sich zu Mozarts Musik ohngefähr wie ein Pechpflaster auf dem Gesichte der Venus ausnahmen. Die ganze Oper war überdies von einem Herrn Bischoff (was ich auch auf der affiche bemerkt sah, und zuerst gar nicht verstand) › arrangiert‹, d.h. englischen Ohren durch die abgeschmackten Abänderungen gerechter gemacht. Die englische National-Musik, deren plumpe Melodien man keinen Augenblick verkennen kann, hat, für mich wenigstens, etwas ganz ausnehmend Widriges – einen Ausdruck brutaler Gefühle in Schmerz und Lust, der sich von rostbeef, plum-pudding und Porter ressentiert. Du kannst Dir also denken, welchen angenehmen Effekt diese Verschmelzung mit den lieblichen Kompositionen Mozarts hervorbringen mußte.

Je n'y pouvais tenir, der arme Mozart kam mir vor wie ein Märtyrer auf dem Kreuze, und ich selbst litt nicht weniger dabei.

Dieses Unwesen ist umso bedauernswürdiger, da es im ganzen hier keineswegs an vielen verdienstlichen Sängern und Sängerinnen fehlt, und mit einer vernünftigeren Behandlung sehr gute Vorstellungen gegeben werden könnten. Nur bedürfte es freilich, wenn das Theater in Ordnung wäre, noch eines zweiten Orpheus, um auch das englische Publikum zu zähmen.

Weit besser war die Vorstellung in Covent Garden, wo Charles Kemble, einer der ersten englischen Schauspieler, die Rolle Karls II. vortrefflich gab. Kemble ist ein Mann von der besten Erziehung, der immer in sehr guter Gesellschaft gelebt hat, und war daher auch imstande, den Monarchen königlich darzustellen, d.h. hier nur, ganz mit aller der aisance, welche gewöhnlich den von jeher Hochstehenden eigen ist. Er weiß dem Leichtsinne Karls II. eine liebenswürdige Seite zu geben, ohne doch je, selbst im größten abandon, den schwer nachzuahmenden Typus angeborener höchster Würde zu verlieren. Dabei war das costume wie aus dem Rahmen alter Gemälde geschnitten, bis auf die größten Kleinigkeiten, was von allen andern Mitspielern ebenso genau beobachtet wurde, weshalb Kemble, auch als Regisseur, sehr zu loben ist.

Ich muß jedoch sagen, daß in dem nächsten Stücke, wo Friedrich der Große die Hauptrolle spielte, nicht dieselbe Genauigkeit und Kenntnis fremden Kostüms herrschte, und sowohl der König als seine suite ihre Garderobe von der Harlekinspantomime geborgt zu haben schienen. Zieten unter andern meldete sich in einer hohen Grenadiermütze, und Seydlitz erschien mit langen Locken à la Murat und ebensoviel Orden, als jener königliche Komödiant trug, die damals doch keineswegs in solcher Profusion Mode und schon ein bloßer Gegenstand der Toilette geworden waren, wie es jetzt der Fall ist.


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