Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Elfter Brief

London den 19. Januar 1827

Teure Julie!

R... ist heute nach Harwich abgereist, und wird in 14 Tagen bei Dir sein, Du aber Dich gewiß dann freuen, einen lebendigen Zeugen des Schaltens und Waltens Deines L... mündlich über so manches ausfragen zu können, was doch mit dem besten Willen in Briefen nicht mit jeder Nuance so auszudrücken ist. Ich habe mich unterdessen im Stadtleben wieder eingewohnt. Gestern speiste ich bei Fürst E..., wo uns der ...sche Legations-Sekretär, eine Art aimabler bouffon, und obgleich selbst von sehr ordinärer Abkunft, doch ein Superlativ von Ultra (tel le maître tel le valet) in einem Lachen erhielt. Ich habe oft das Talent der Franzosen bewundert, und auch wohl beneidet, die amüsantesten Erzählungen aus den gewöhnlichsten Begebenheiten zu komponieren, die in anderm Munde sogleich alles Salz verlieren würden. Niemand exzelliert darin mehr, als Herr R..., und liefert zugleich einen Beweis, daß dieses Talent allein Folge der dazu so vortrefflich passenden Sprache, und einer aus dieser wiederum entspringenden Erziehung ist. Denn Herr R... ist ein Deutscher, ich glaube ein Schwabe, aber als zweijähriges Kind nach Frankreich gekommen und daher als Franzose erzogen worden. Die Sprache macht den Menschen mehr, als das Blut, aber das Blut hat freilich früher die Sprache gemacht.

Übrigens muß man auch wieder bekennen, daß, so brillant ein solches liebenswürdiges Geschwätz auch im ersten Augenblick erscheint, es zuletzt doch nur wie eine fusée zerplatzt, und der Erinnerung nichts mehr zurückläßt, so daß der pedantische Deutsche sogar eine Art Unbehaglichkeit darnach fühlt, und bedauert, seine Zeit unnütz verloren zu haben. Wäre dem deutschen Element, das sich seine Sprache gebildet, es auch noch möglich gewesen, ihr jene Leichtigkeit, Rundung, angenehme Zweideutigkeit und zugleich Präzision und Abgeschlossenheit zu geben, welche Eigenschaften auch die französische Dreistigkeit in den gesellschaftlichen Verhältnissen hervorrufen, so müßte des Deutschen Konversation gewiß die befriedigendste von beiden sein, da er nie versäumen würde, dem Angenehmen auch das Nützliche beizufügen. So aber bleibt uns Deutschen gewöhnlich in der Gesellschaft nur die Art Verstand übrig, welche die Franzosen so treffend l'esprit des escaliers nennen, nämlich der, welcher einem erst auf der Treppe eingibt, was man hätte im Salon sagen sollen.

Von dem Feuerwerk des Franzosen ist mir nichts im Gedächtnis zurückgeblieben, als folgende gute Anekdote.

Ein zur Zeit Ludwig XIV. als Autorität geltender diplomatischer Schriftsteller, schließt eine Abhandlung über die großen Vorrechte, die einem fremden Botschafter zustehen, mit folgenden Worten: »Mais dès qu'un ambassadeur est mort, il rentre aussitôt dans la vie privée.«


Den 22sten

Der arme Herzog von York ist nach langem Krankenlager endlich gestorben, und jetzt sehr prächtig in Parade aufgestellt. Ich sah ihn noch im Oktober, und fand in ihm schon damals nur noch den Schatten des rüstig stattlichen Mannes, den ich in früherer Zeit so häufig in Lady L...s und in seinem eignen Hause sah, wo sechs bouteilles Claret, nach Tische getrunken, seine Physiognomie nur unmerklich veränderten. Ich erinnere mich, daß er an einem solchen Abend einst – es war schon nach Mitternacht – einige seiner Gäste, unter denen sich auch der österreichische Gesandte, Graf Meerveldt, der Graf Beroldingen und ich befanden, in sein schönes Waffenkabinett führte. Wir versuchten mehrere türkische Säbel zu schwingen, mochten aber insgesamt keine recht feste Hand mehr haben, und daher geschah es, daß sowohl der Herzog, als Graf Meerveldt, sich an einer indischen Waffe, einer Art geradem Schwert, beide blutig ritzten. Hierauf wünschte der letztere zu wissen, ob sie so gut schneide als ein Damaszener, und unternahm sogleich, eins der auf dem Tisch stehenden Wachslichter mittendurch zu hauen. Das Experiment geriet aber so schlecht, daß beide Lichter samt den Leuchtern auf den Boden fielen und verlöschten. Während wir in der Dunkelheit umhertappten, und die Türe suchten, fing der Adjutant des Herzogs, Obrist C..., kläglich zu stammeln an: »By God Sir, I remember, the sword is poisoned!« ... Man kann sich das angenehme Gefühl der Verwundeten bei dieser Nachricht denken – glücklicherweise zeigte es sich aber bald bei genauerer Untersuchung, daß der Behauptung des Obristen nur Claret, und kein Gift zum Grunde lag.

Der Herzog wird seiner vielen vortrefflichen Eigenschaften wegen sehr bedauert, und das ganze Land trägt tiefe Trauer für ihn, mit Flor am Hute und schwarzen Handschuhen, was die Fabrikanten zur Verzweiflung bringt. Alle Livreen sind schwarz, auch schreibt man nur auf Papier mit breitem schwarzen Rande. Während dem werden aber nichtsdestoweniger die Weihnachtspantomimen auf den Theatern fortgesetzt, und es macht eine sonderbare Wirkung, wenn man Harlequin und Brighella sich in allen Frivolitäten und Possen auf der Bühne herumjagen, und das, wie zu einem Leichenzuge beflorte, rabenschwarze Publikum dabei wütend klatschen und vor Lachen laut jubeln hört.

Eben erhalte ich Deinen Brief von B... Nun wahrlich, so lustig, ich möchte fast sagen, so beißend, hast Du lange nicht geschrieben. Die B...schen Originale scheinen Dich ganz elektrisiert zu haben, und obgleich ich mich darüber freuen sollte, fühle ich doch ein wenig Eifersucht. Du wirst aber schon zu Deinem Original wieder zurückkehren. – Wie Cäsar, sage ich mit Zuversicht: Ich fürchte nicht die Fetten, sondern nur die Magern, und so lange Du also, wie Du mich versicherst, Dein hübsches embonpoint konservierst, bleibe ich ganz ruhig. Bei alle dem hätte ich doch Lust, Dich ein wenig wieder zu necken, wenn ich nicht wüßte, daß Du den Scherz par distance nicht wohl verträgst. Um meiner Laune jedoch in etwas genug zu tun, sende ich Dir einen Auszug aus meinem Journal, ein Seitenstück zu Deiner frühern afrikanischen Reise; denn das magere Tagebuch lebt noch, obwohl es manchmal monatelang keine Nahrung bekommt, und die wenige nicht den mindesten haut-goût enthält. Erwarte also auch weder etwas Lustiges noch Satirisches, sondern nur Ernsthaftes. denn es wird Dir als Strafe auferlegt.

*

Aus meinem Tagebuch

In der Literary Gazette las ich heute einen sehr gründlichen Aufsatz, der meines Erachtens schlagend beweiset, wie vorteilhaft der große Landbesitz einzelner in England auch auf die Kultur des Bodens selbst wirktMißbrauche abgerechnet. A. d. H. , im Vergleich mit der, unter einer gewissen Klasse von Staatstheoretikern so beliebten, möglichsten Verparzellierung des Landbesitzes, wie sie in Frankreich stattfindet. Ich gebe einen freien Auszug:

»Nach der auf offizielle Aktenstücke basierten Berechnung ist in Frankreich dem Ackerbau gewidmet an Land 27 440 Quadrat-Lieues. In England nur 13 396, also noch nicht die Hälfte. Demohngeachtet ist der Ertrag des Bodens an Produkten in England 1/7 mehr. Da nun die Güte des Bodens nicht in der Totalität erheblich verschieden ist, so beweiset dies offenbar, daß man den Ackerbau in England weit besser versteht, und der Grund in dem Reichtum der großen Landbesitzer lieget, die stets bereit sind, Ameliorationen, neuen Versuchen, und dem Fortschritt der Wissenschaft momentane Opfer zu bringen, die ihnen oder andern in der Folge hundertfältig zugute kommen – ein Vorteil, der kleinen Besitzern, die nie zu einem hinlänglichen Betriebs-Kapital kommen können, stets abgeht. Noch merkwürdiger aber wird der fernere Vergleich.

In England und Schottland gibt es 589 384 Landeigentümer und Pächter. Ein Drittel für Irland hinzugerechnet: und jede dieser Familien zu fünf Personen angenommen, erreichen sie in der Gesamtheit noch nicht die Zahl von 4 000 000, also ohngefähr 1/5 der ganzen Bevölkerung Großbritanniens.

In Frankreich dagegen gibt es nicht weniger als 4 833 000 Landeigentümer und Pächter. Diese gleichfalls zu fünf Personen pro Familie angenommen, machen die ungeheure Totalsumme von 24 000 000 aus, also beinahe 4/5 der Nation, die allein mit Ackerbau beschäftigt sind. Was folgt daraus? Daß in England 1/5 der Bevölkerung dasselbe Resultat des Ackerbaues und darüber ergibt, als in Frankreich 4/5; – daß also der Industrie, den Fabriken, Handel etc. in England 4/5, in Frankreich nur 1/5 übrig bleibt.«

Kann es eine bessere Lektion für unsre Nivellierer geben, die mit so viel Pathos behaupten, nur die möglichste Verkleinerung des Landbesitzes bringe die höchste Bevölkerung, und folglich die größte Wohlfahrt eines Staates hervor, und dabei albern genug sind, wie Elstern den in England von allen Unterrichteten verlachten Oppositionsblättern nachzuschreien, daß die großen Gutsbesitzer allein die Ursache der Not der geringeren Klassen wären?

Diese vorübergehende Not trifft aber eigentlich nur die Fabrikarbeiter und liegt in der Natur der Sache, da diese Leute, lebenslang nur an ein und dieselbe Arbeit gewöhnt, plötzlich keine andere übernehmen können noch wollen, wenn eine Stockung im Handel eintritt. Dies ist die notwendige Folge einer so ins Unermeßliche getriebenen Industrie als in England, und das zufällige und vorübergehende Leiden einiger Tausend kann nicht in Betracht kommen gegen das Übergewicht von Macht und Reichtum, welches England zum großen Teil dieser Industrie, – NB. auf einer blühenden und beschützten Landwirtschaft fest gestellt –, mit verdankt. Übrigens sind die Arbeiter, von denen die Rede ist, durch großen Verdienst und gutes Leben so verwöhnt, daß ein solcher schon vom Verhungern spricht, wenn er nicht täglich Fleisch, Weißbrot, Bier und Tee in den größten Portionen zu sich nehmen kann, und ich frage jeden Fremden, der in England als Beobachter ohne Vorurteil reist, ob er nicht weit mehr noch durch die allgemeine Wohlhabenheit und die vielen befriedigten Bedürfnisse der gemeinem Klassen, als durch den oft fürstlichen Reichtum und Luxus einzelner in Verwunderung gesetzt wird? Der Taglöhner in England lebt fast durchgängig besser, als in Deutschland der wohlhabende Bürger, und es ist ein merkwürdiger Fall, der des Zitierens wert ist, daß, während in Manchester und Birmingham Ende vorigen Jahres, nach den öffentlichen Blättern, Tausende verhungerten, Fabriken verbrannt und Militär requiriert wurde, man im Parlament bewies, daß sechs Stunden davon keine Menschen zur Ernte für dreifachen Lohn zu bekommen warenMan wird sich in den bereits publizierten Teilen dieser Schrift einer ähnlichen Stelle erinnern, und vielleicht noch andere finden, die einer Wiederholung gleichen, in einer wirklichen und nicht bloß fingierten, après coup gemachten, Korrespondenz, kommt dergleichen wohl vor, und kann nicht immer, ohne dem Zusammenhange zu schaden, ausgemerzt werden. .

Ein Hauptgrund des hohen Wohlstandes Englands ist aber, alles übrige abgerechnet, wohl vor allem: die außerordentliche Ehrfurcht, welche sowohl die Gesetze selbst, als die Verwaltung für alles Eigentum an den Tag legen, worunter Grundeigentum immer das am gefährlichsten für den Staat zu verletzende bleibt. Dies wird auch von der Nation als ein so heiliges Recht angesehen, daß Operationen, wie Kontinentalmächte sie oft zum Besten ihrer Untertanen willkürlich vornehmen, Theorien, die das Eigentum einer Klasse in Anspruch nehmen, um eine andere besser zu stellen, dort ganz unausführbar sind. Daraus aber entsteht Sicherheit für Vornehme wie Geringe, und dieser folgt Wohlstand.

Später wird man vielleicht auch bei uns einsehen, welchen zweifelhaften Nutzen man dem Staate dadurch gebracht hat, daß man von diesem Prinzipe abging, und das Eigentum der Gutsbesitzer und die Ansprüche der Bauern durch niedergesetzte kostspielige Kommissionen auf eine Art regulieren läßt, die den Ersteren durch Machtspruch einen Teil des ihrigen nimmt, um es den andern zuzuwenden, ohne daß es diesen dennoch zugute kommt, indem beide Teile oft fast so viel, als der ganze Gegenstand wert ist, an die Schiedsrichter bezahlen müssen!

So hat sich aber die gezwungeneGezwungen ist die Regulierung allerdings, weil, wenn nur eine der beiden Parteien darauf anträgt, die andere folgen muß. Da aber der Bauer allein dabei etwas zu erhalten hoffen kann, der Gutsbesitzer in der Regel nur zu geben hat, so versteht es sich von selbst, daß jener immer der anfragende Teil ist. In der spätern Zeit jedoch, wo so viele Gemeinden eingesehen, daß die durch die Regulierung erlangten Vorteile mit den Kosten, welche die Herren Regulierer verzehren, nicht in gehöriger Proportion stünden, haben viele derselben vorgezogen, lieber in den alten Verhältnissen zu bleiben, und wären, wo die Prozedur schon angefangen, auch gern zurückgetreten, aber die Spinne läßt keine Fliege los, die sie einmal in ihrem Netz gefangen.

Hätte das Gouvernement bloß die freiwillige Separation erleichtert, dazu aufgefordert, und sie ohne Gewalt zu befördern gesucht, wozu ihr viele wohltätige Mittel zu Gebote standen, so wäre kein System segensreicher gewesen, und die immer allgemeiner werdende Humanität unseres Jahrhunderts würde der Regierung mit Freuden selbst in die Hände gearbeitet haben. Dann wären Gutsherren und Bauern Freunde geblieben, und noch weit inniger durch gegenseitigen Vorteil verbunden worden, statt daß jetzt beide Stände, in unendliche Streitigkeiten verwickelt, künstlich zu Antagonisten und Feinden umgeschaffen werden, von nun an nur die schroffeste, dem Staate höchst schädliche gänzliche Trennung alles Interesses wünschend, und jeder Teil sich, von allem patriarchalischeu Elemente losgerissen, im grassesten Egoismus zu verschanzen sucht. Wie übel aber, wenn ein gleiches Mißbehagen, und ein endlich daraus entstehendes gleiches politisches Interesse einmal so demoralisierte und gemeinschaftlich verarmte Parteien wieder vereinigen sollte!

Es ist sehr zu wünschen, daß man in Sachsen, wo ein ähnliches Bedürfnis laut wird, den gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnissen eine neugeregelte Gestalt zu geben, die Erfahrungen des Nachbarlandes benutzen, keinen gewaltsamen, d. h. keinen ungerechten Weg dazu einschlagen, und vor allem die Ausführung schnell betreiben, nicht einem Heer hungriger Advokaten und verdorbner Ökonomen, in einen monströsen Körper mit weitreichenden Fingern vereinigt, anvertrauen, sondern durch Spezial-Kommission regulieren lassen möge, die aus Abgeordneten der Parteien selbst, mit Zuziehung eines ausgewählten Regierungsbeamten und eines erprobten Juristen zusammengesetzt sind, und von deren Entscheidung kein Appell stattfindet.

, sogenannte ›Regulierung‹ der bäuerlichen Verhältnisse nur an zu vielen Orten gestaltet, obgleich sie früher in gut gemeinter Absicht angeordnet war, und wenn sie, als eine despotische Maßregel, auch schnell und despotisch ausgeführt worden wäre, vielleicht heilsam gewirkt hätte, statt daß sie jetzt, in Formen und nicht abzusehende Schwierigkeiten und Instanzenzüge versunken, gleich einem schädlichen Upas-Baum dem Lande ringsumher methodisch das Mark aussaugt, und alle Verhältnisse um sich her vergiftet.

War die Idee des Gesetzgebers also auch wohlmeinend, so blieb die Maßregel doch immer eine eigenmächtige Handlung der Gewalt, die das Privateigentum angriff, und so konnte auch die fehlerhafte Wurzel, besonders bei so schlechter Wartung der Pflanze, nur meist trügende Früchte bringen.

 

Ich ging jetzt über zu einer Rezension des ›Salvator Rosa‹ von Lady Morgan, in demselben Blatte. Eine Stelle darin ergriff mich tief, et pour cause. Es ist die originelle Schilderung ihres Helden ohngefähr wie folgt.

›Mit einem Durst nach Lob‹, sagt sie, ›welchen kein Beifall befriedigen konnte, vereinigte Salvator eine Schnelle und Beweglichkeit der Wahrnehmung, die ihn stets ungewiß machte, ob er gefiele, selbst wenn er den meisten success hatte. Ein verzogener Mund, ein niedergeschlagenes Auge, ein ennuyierter Blick, eine ungeduldige Miene, das leiseste Lächeln, der Schein einer gehässigen Anspielung konnte augenblicklich die peinlichsten Gefühle in ihm hervorrufen, alle seine Eigenschaften paralysieren, und ihm alle Macht rauben, diese Schwäche zu verbergen.

Verlassen in dieser Epoche von den Großen und Müßigen, die ihn mehr fürchteten als liebten, und seiner Dienste jetzt nicht bedurften, verbarg er sich freiwillig in tiefe Einsamkeit, auch vor denen, die ihm treu geblieben, gleichmäßig fliehend, wer ihn liebte, und wen er verachtete. Seine Schilderung dieser Reise ist erschöpfend für die wilde Einbildungskraft und die eigentümlichen Gefühle, welche das wahre Geheimnis seines Wesens ausmachen, während seine Sehnsucht nach Einsamkeit, seine stets vergebne Reue, den Kampf eines Gemüts malen, das zwischen einer angebornen Liebe zu Natur und Ruhe, und einem künstlichen Ehrgeiz für die Aufmerksamkeit der Welt und dem Glanze des Rufes fortwährend schwankte – kein ungewöhnlicher Kontrast in jenen vielleicht höher begabten Gemütern, die ihre Intelligenz zwar oft über die andern erhebt, welche dieselbe Natur aber durch gesellschaftliche und sympathetische Neigungen wieder zum Niveau dieser andern herabzieht. Diese feine, aber unglückliche Organisation, die ihn so empfänglich für jeden Eindruck machte, guten oder übeln, und die ihm zu Zeiten keinen Schutz mehr weder gegen die Schrecken der Einbildungskraft ließ, noch auch gegen die Betrübnis über wahre Verleumdung und Verfolgung – versenkte ihn zu häufig in Anfälle unbesiegbarer Melancholie, wenn jede Illusion verschwand, und er die Menschen, zu denen er mitgehörte, in aller Nacktheit ihrer angebornen Gebrechlichkeit sah.‹

Ja, diese Schilderung ist aus der Seele gegriffen, und ebenso wahr ist es, daß, mit einer solchen Disposition geboren, man in der umgebenden Welt sich nur wohl fühlen kann, wenn man durch die Verhältnisse sehr – sehr hoch über sie gestellt ist, oder ganz unbemerkt in ihr lebt.

 

So weit wurde ich durch die Gedanken anderer geführt, jetzt will ich für heute das Tagebuch mit einer eignen Betrachtung schließen, deren Gegenstand noch tiefer das Innerste berührt, und eine Frage verhandeln, deren nähere Beleuchtung jeden interessieren muß, wenn er auch ebensowenig wie ich ein Philosoph von Profession ist.

Was ist ›Gewissen‹?

Das Gewissen hat ohne Zweifel eine doppelte Natur, wie eine doppelte Quelle. Die eine fließt aus unserer höchsten Stärke, die andere aus unserer größten Schwäche, die eine aus dem in uns wohnenden Geist Gottes, die andere aus sinnlicher Furcht. Beide wohl zu unterscheiden, ist für die Ruhe des Menschen nötig, die nur aus möglichstes Klarheit entspringt, denn der Mensch verlangt, wenn er aus dem ursprünglichen, gebieterischen Gefühlsinstinkt herausgetreten ist, alles Bleibende nur durch Anstrengung ›im Schweiße seines Angesichts‹, auch die Erkenntnis. Es ist aber ein Ganzes, aus unzähligen Teilen zusammengesetzt, und nur im vollständigen Gleichgewicht dieser Teile kann er als Mensch, d. h. als hier zugleich geistig und sinnlich erscheinendes Wesen, vollständig glücklich und befriedigt sein. Es ist der gewöhnliche, immer wiederkehrende Fehler, nur eine Seite vorherrschend ausbilden zu wollen, einer das Gebiet der Religion, ein andrer die strenge Vernunft, das Weltkind nur den Verstand und das Sinnliche. Alles zusammen aber in gehöriger Harmonie angewendet, genossen, und sozusagen künstlerisch vereinigt, gibt allein für diese Erde und die Existenz auf ihr, das vollständigste Leben, die echte Wahrheit.

Unter diesem Gesichtspunkt muß auch das, was wir ›Gewissen‹ nennen, betrachtet, und das Wahre vom Unwahren geschieden werden.

Unter dem Wahren verstehe ich die untrügliche Mahnung des göttlichen Geistes in uns, die uns von dem Bösen überhaupt, als dem ganz Einseitigen, Inkonsequenten und Negativen abhält, und dies bedarf keiner weitern Erklärung – das Falsche aber ist dasjenige, welches nur vom Konventionellen, der Gewohnheit, Autorität, auf diesem Grunde erwachsenen Spitzfindigkeiten, und übertriebner Ängstlichkeit, mit einem Wort, aus Furcht entspringt. Feine, leicht erregbare Naturen – in denen das Zerebralsystem dominiert, also Kopf und Phantasie – wenn ich mich so ausdrücken darf, kräftiger als das Herz sind, und der teilende Verstand zu leicht die Innigkeit des vollen Gefühls aufhebt – sind diesem Irrwege am meisten unterworfen. Es ist aber so schwer, diesen subtilen Verzweigungen und geheimnisvollen Wechselwirkungen zu folgen, daß man oft nachher für primäres Glück hält, was doch nur Rückwirkung eines sophistischen Verstandes ist.

Da nun Recht und Unrecht, auf die einzelnen Handlungen im menschlichen Leben angewandt, bei ihren vielfachen Bedingnissen und Verwicklungen offenbar relativ werden muß, so bleibt nichts übrig, als daß ein jeder sich mit Hilfe aller seiner Seelenkräfte recht deutlich mache, redlich ergründe, was er für Recht und Unrecht hält, und was er vernünftigerweise dafür zu halten habe, dann aber ruhig diesen Maßstab anlege, und sich auch um sein sogenanntes ›Gewissen‹, d. h. jene innere Unbehaglichkeit und Ungewißheit bei Kollisionsfällen nicht kümmere, welche nicht ganz ausbleiben kann, da die in der Kindheit und frühesten Jugend erhaltenen Lehren, recht oder unrecht, vernünftig oder abgeschmackt, immer einen unwiderstehlichen Eindruck auf unser Gemüt ausüben werdenEs kann überdem Fälle geben, wo das Gewissen, sozusagen, recht und unrecht zugleich hat, d. h. eine notwendige Handlung vorkommen, die durchaus von einer Seite fehlerhaft sein muß, wo man dann nur das kleinere Übel zu wählen hat, und es wird keinen vernünftigen Moralisten geben, der behaupten darf, daß sie nicht dennoch unter möglichen Umständen unerläßlich sei, denn wenn wir z. B. auf der einen Seite durch eine Notlüge immer unsrer moralischen Würde etwas Bedeutendes vergeben müssen, so könnten wir doch bei ihrer Unterlassung den niederträchtigsten Verrat an Eltern und Freunden begehen. A. d. H. .

Ich will nur einige erläuternde Beispiele anführen: Wer mit einem sanften Gemüt, in Gottesfurcht und Menschenliebe erzogen, Soldat geworden ist, wird schwerlich, wenn er zum erstenmal kaltblütig sich ein Menschenleben zum Ziel nehmen ließ, dies ohne eine merkliche Regung seines Gewissens tun können. Wenigstens ging es mir so. Dennoch ist es seine Pflicht, eine Pflicht, die sich aus höheren, wenngleich weltlichen Gesichtspunkten auch sehr gut rechtfertigen läßt, wenigstens solange die Menschheit noch nicht weiter ist, als jetzt.

Ebenso wird der, welcher die Religion seiner Väter, die ihm täglich gepredigte Lehre seiner Jugend, nach langem Kampf und aus reiner Überzeugung, daß eine andere besser sei, abschwört und diese annimmt, doch gar oft eine leise, nur mühsam zu bezwingende Unruhe darüber empfinden, und es geht damit gerade wie mit der abgeschmacktesten Gespensterfurcht bei solchen, denen man früher den Gespenster glauben eingeprägt! Sie haben ein Gespenstergewissen, das sie nicht loswerden können. Ja noch mehr: bei reizbaren Charakteren wird die bloße Überzeugung, daß andere uns einer Übeltat schuldig halten, hinlänglich sein, uns ganz die Empfindung des bösen Gewissens zu geben, daß sich sogar oft äußerlich in den gewöhnlichen Anzeichen desselben, in Verlegenheit, Erröten und Erblassen anzeigt. Dies mag so weit gehen, daß es endlich zum Wahnsinn führt, und z. B. ein allgemein geglaubter, oder ein wirklicher, aber ganz unschuldig begangener, Totschlag dem Täter alles Lebensglück und Ruhe rauben kann. Ja wir lesen von einem Brahminen, dessen Kaste den Mord der Tiere dem eines Menschen gleichstellt, daß er sich aus Verzweiflung das Leben nahm, weil ein englischer Naturforscher ihm bewies, er habe, als er ein Glas Wasser trank, mehr als Tausende von unsichtbaren Tieren um ihr Dasein gebracht. Il n'y a qu'un pas du sublime au ridicule.

Ugoni erzählt im Leben des äußerst gewissenhaften Passeroni, daß, als dieser einst über die Brücke der porta orientale ging, er einen Lastträger auf dem breiten Steingeländer im tiefen Schlafe liegend fand, wo er unversehens geweckt, leicht hätte in den Strom fallen können. Er ergriff ihn daher beim Arm, und machte den sehr Ermüdeten nur mit Mühe munter, und ihm noch schwerer begreiflich, warum er ihn geweckt habe. Höchst verdrießlich erwiderte der Lastträger seine Bemühung nur mit einem derben Fluche, und ersuchte ihn, sich zum T... zu scheren.

Passeroni, höchst betrübt, die allerdings schuldige Ursache dieses Zorns zu sein, ergriff eine Handvoll Münzen, und gab sie dem Erzürnten, um auf des Gebers Gesundheit zu trinken. Darauf ging er ganz vergnügt weiter, war aber noch nicht am Ende der langen Brücke angekommen, als ihm aufs Herz fiel, daß diese Gabe vielleicht noch schlimmere Folgen haben könnte, als das frühere Aufwecken, indem sie leicht den armen Mann zu der Sünde verleiten könnte, sich zu betrinken. Ängstlich eilte er daher sogleich wieder zurück, fand den Mann noch glücklich an derselben Stelle, wo er sich wieder in die vorige Lage zurecht gelegt hatte, und bat ihn verlegen, von dem ihm geschenkten Gelde doch so viel wieder herauszugeben, als er nicht notwendig zu seinen dringendsten Bedürfnissen gebrauche. Da nun der Zorn des sich gefoppt glaubenden Mannes ärger als je aufloderte, so ergriff er einen andern Ausweg. »Hier mein Freund«, sagte er, »da Ihr nichts herausgeben wollt, so nehmt noch diesen Scudo, und verspreche mir heilig, daß wenn Ihr das andere Geld vertrinken solltet, Ihr für diesen Scudo dazu essen wollt.«

Nach diesem ihm von Seiten des facchino gern erteilten Versprechens, war Passeroni endlich in seinem Gewissen beruhigt, und ging nun wohlgemut nach Hause.

Wir müssen also, ich wiederhole es, um weder unglücklich, noch lächerlich zu werden, noch einem schwankenden Rohre zu gleichen, auch das Gewissen wie alle andere Eigenschaften der Seele, ausbilden, d.h. in ihrer Reinheit bewahren und zugleich in feste Schranken zurückweisen, denn alles, selbst das Edelste artet sonst aus. Für das Allgemeine bleibt aber immer die beste Richtschnur das einfache, und ebenso jedem verständliche Christuswort:

›Tue andern (und auch dir selbst) nichts, was
Du nicht willst, daß andere Dir tun.‹

So lange wir alle jedoch noch keine Christen sind, und ich möchte fast sagen, sein können, muß es dennoch Ausnahmen erdulden, wie zum Beispiel den Fall des angeführten Soldaten, oder die ebensowenig praktisch zu verwerfenden Ehrengesetze für gewisse Stände, und dann bleibt freilich kein anderer Ausweg, als, wo man selbst die Ausnahme machen muß, auch dem andern, sich ihm gleichfalls zum Opfer bringend, dasselbe zu gestatten. Damit rettet man notdürftig die Liebe, wenigstens diejenige Gerechtigkeit, welche das ius talionis genannt wird.

Der aber hat ein glückliches, ein genußreiches Leben, dem es Natur und Umgebung leicht machten, im gewohnten Geleise stets bleiben zu können, von Anfang an gut zu sein, und liebend und sittlich! Der erste Fehler schon macht es schlimm, denn wie unser philosophischer Dichter so wahr sagt:

›Das eben ist der Fluch des Bösen,
Daß es fortwährend immer Böses muß gebähren!‹

Und immer ist die Wiedergeburt auf dieser Welt auch nicht zu erlangen – ja es mag wohl die höchste Wohltat der ewigen Liebe sein, daß sie den Tod geschaffen, damit er die verworren gewordene Schrift wieder auslösche und der verirrten Seele von neuem das weiße Blatt zum glücklicheren Versuche darbiete. Wer aber hier schon das Heilige darauf geschrieben, dem wird wohl eine weitere seligere Aufgabe werden! Die liebende Gerechtigkeit straft nicht wie der schwache Mensch, aber sie kann nur da belohnen, wo Lohn verdient, wo er als nötige Folge des Vergangenen errungen wird. Darum vergrabt Euer Pfund nicht. Amen!


Den 24sten

Es ist wieder recht kalt geworden, und der Kamin ›wo Tag und Nacht die Kohle brennt‹ leider unzulänglich eine warme Stube hervorzubringen, wie sie unsre zwar häßlichen, aber mir doch heute sehr zweckmäßig vorkommenden Öfen gewähren.

Um das Blut in Umlauf zu bringen, reite ich desto fleißiger aus, und besah heute bei der Rückkunft, eines der vielen hier aufgestellten Cosmoramas, die allerdings ›eine ganz angenehme Reise auf dem Zimmer‹, wie man es in B... nennt, gewähren. So gab mir das Innere der Kathedrale von Reims nebst der Darstellung der Krönung Carl des X. gewiß hier einen bequemern Anblick derselben, als er in dem Gedränge der Kirche selbst stattgefunden haben mag. Aber welches geschmacklose costume vom König bis zum letzten Hofmanne! Neues und Altes auf widrige Art gemischt. Wenn man einmal solche Komödien gibt, sollte man sie doch wenigstens ebenso hübsch wie bei Franconi einzurichten suchen.

Die Ruinen von Palmyra breiteten sich daneben ganz schauerlich in der grenzenlosen Sandwüste aus, welche in der Glühhitze, am fernen Horizont, langsam eine caravane durchzieht.

Am täuschendsten war der Brand von Edinburgh. Es brannte wirklich. Man sah bald die Flammen stärker hervorlodern, bald Wolken schwarzen Rauchs emporsteigen, und immer änderte sich der Anblick der ganzen Landschaft im Verhältnis dieser verschiednen Beleuchtung, wie es die reelle Feuersbrunst nicht anders mit sich bringen würde. Wahrscheinlich befand sich die Küche des Besitzers hinter dem Bilde, und dasselbe Feuer, welches die Phantasie des gläubigen Zuschauers erhitzte, machte zugleich die Schöpsenkeule gar, die er mit dem entrée-Gelde bezahlt hatte.


Den 28sten

Ich habe seit einigen Tagen zu sehr bloß vegetiert, um Dir viel schreiben zu können. Diesen Morgen war ich indes nicht wenig verwundert, R..., den ich fast schon bei Dir angelangt glaubte, wieder in meine Stube treten zu sehen. Er hat auf dem halben Wege bis Hamburg halben Schiffbruch gelitten, und vom Sturme zurückgetrieben im Eise bei Harwich eine ganze Nacht in Lebensgefahr geschwebt, ist aber auch hierdurch so in Schrecken gesetzt, daß er vom Meere sein Lebtage nichts mehr wissen will. Ich sende ihn also in dieser gefährlichen Schiffahrtszeit über Calais, und schreibe es Dir nun, damit du Dich seinetwegen nicht beunruhigst. Von den mitgenommenen Sachen für Dich hat er leider einiges eingebüßt.

Hyde Park bot diesen Morgen ein mir neues Schauspiel dar. Der große See war zugefroren und wimmelte von einer unermeßlichen bunten Menge Schlittschuhfahrer und anderer, die das hier so seltene Eisvergnügen mit wahrer Kinderfreude genossen. Vor einigen Jahren fand bei gleicher Kälte hier eine sonderbare Wette statt. Der berüchtigte Hunt handelt hauptsächlich mit Stiefelwichse, und ein großer fourgon mit dergleichen angefüllt, und mit vier eleganten Pferden bespannt, die sein Herr Sohn gewöhnlich ›four-in hand‹ leitet, durchfährt den ganzen Tag die Straßen der Stadt, um diesen Handel zu besorgen. Besagter junger Hunt wettete nun, um 100 L. St., daß er mit der beschriebenen equipage im Galopp quer über den See in Hyde Park fahren wolle, und gewann die Wette glänzend. Eine Karikatur hat sie verewigt, und der Wichse wie billig, dreifachen Absatz verschafft.

In meinem Hause ist es jetzt sehr musikalisch geworden, indem Miss A..., eine neu engagierte Sängerin der großen Oper, darin eingezogen ist. Bei den dünnen Wänden höre ich sie alle Morgen gratis. Da sie hübsch sein soll, werde ich auch suchen, sie zu sehen, was vielleicht nicht ganz so gratis abgehen wird, um so mehr, da auch Madame Vestris sie häufig besucht. Damit meine ich jedoch nichts Arges, gute Julie, sondern nur, daß man in England nichts ohne ein gutes Trinkgeld zu sehen bekommt.

Übrigens bin ich schon seit einigen Tagen nicht recht wohl, die Stadtluft bekommt mir nicht, und zwingt mich zu einem régime wie es Deine chanson beschreibt, denn ich nehme wirklich nicht viel mehr täglich zu mir,

›qu'un bouillon
d'un rognon
de Papillon‹.


C... Hall den 2ten Februar

Lord D..., dessen Gemahlin ich in London kennen gelernt, hatte mich eingeladen, ihn einige Tage auf seinem Landgute zu besuchen, was ich um so lieber annahm, da C... Hall der Ort ist, von dem Repton in seinem Werke sagt, daß er an der Verschönerung desselben gemeinschaftlich mit dem Besitzer, gegen 40 Jahre gearbeitet habe. In der Tat macht es auch beiden die größte Ehre, wiewohl nach allem was ich selbst erfuhr und sah, es mir scheint, daß der vortreffliche Geschmack der Eigentümer höchst wahrscheinlich den größten Teil des Verdienstes dabei hat, und manchmal sogar in Kontradiction mit Repton, der namentlich alte Bäume nicht immer genug schonte. Dennoch hat eine ehrenwerte Dankbarkeit dem, um die Kunst der Landschaftsgärtnerei so verdienten, Manne, in dem hiesigen Park einen Ruhesitz erbaut, der nach ihm benannt ist, und eine wundervolle Aussicht darbietet. Da sein Sohn, der bei uns war, Lady D..., welche mir in der Parkomanie fast gleich kommt, viel von M... erzählt hatte, so fanden wir dadurch einen sehr anziehenden Berührungspunkt und spazierten schon in den ersten Stunden fleißig in den noch mehr geschmackvollen als prächtigen, Blumengärten umher, die auch einige graziöse Marmorstatuen von Canova schmücken.

Den Herrn des Hauses, der an Podagra leidet, bekam ich erst zu sehen, als ich zu Tisch herunter kam, wo ich eine große Gesellschaft, und auch Lord M... antraf, der eben die Kriegsschiffe auf der Themse hier in der Nähe besichtigt hatte.

Lord D... lag in der Mitte des Salons auf einem Sofa, mit einem schottischen Mantel zugedeckt, und setzte mich durch seine Anrede etwas in Verlegenheit.

»Sie erkennen mich nicht«, sagte er, »und doch haben wir uns schon vor 30 Jahren gar oft gesehen.«

Da ich nun in jener Zeit noch im Flügelkleide umherschwebte, so mußte ich um nähere Erläuterung bitten, war aber gar nicht erfreut, mein Alter (denn Du weißt, daß ich noch prätendiere, nicht älter als dreißig Jahr auszusehen) so genau vor der ganzen Gesellschaft deklinieren zu hören. Übrigens mußte ich Lord D...s Gedächtnis bewundern, denn er erinnerte sich aus jener Zeit, wo er mit dem Herzoge von Portland bei meinen Eltern auf dem Lande gewesen war, so sehr jeder Kleinigkeit, daß er selbst mir das Andenken schon längst vergeßner Dinge von neuem auffrischte. Welche Originale es damals gab, und wie lustig man in jener Zeit alle Arten von amusements aufgriff, bestätigte mir seine Erzählung auf ganz unterhaltende Weise.

So erwähnte er unter andern eines Barons, der so fest an Geistererscheinungen als an das Evangelium glaubte, und dabei Cagliostro für eine Art zweiten Messias hielt. Als er eines Tages auf einem unserm Schlosse nahen See allein Schlittschuh lief, verkleidete sich eine ganze Gesellschaft mit Bettüchern und andern, aus der Theatergarderobe entnommenen Utensilien, und produzierte dem erschrockenen Illuminaten am hellen lichten Tage eine Geistererscheinung in Masse auf dem Eise. In Todesangst fiel er, so unbequem dies in Schlittschuhen sein mochte, auf die Knie, und betete mit einer Volubilität der Zunge, die den alten Lord noch heute lachen machte, ›abra cadabra‹ und Vorschriften aus Fausts Höllenzwang abwechselnd mit dem tremulierenden Gesang einiger geistlicher Lieder vermischt. Währenddem glitschte indes einer der Geister, der, vermöge einer Stange unter dem Bettuche, sich bald groß bald klein machte, unglücklicherweise aus, und rutschte, entblößt von aller Verkleidung, dem betenden Baron vor die Knie. Dieser aber war zu starkgläubig, um daß selbst ein solches Ereignis ihm aus dem Traume hätte helfen können. Sein Entsetzen wurde im Gegenteil dadurch dermaßen vergrößert, daß er aufsprang, zwar wegen der im Schreck vergeßnen Fußbekleidung wieder hinfiel, sich aber schnell von neuem aufraffte, und dann mit noch nie bei ihm gesehener Geschicklichkeit, unter dem lauten Jubel der Gesellschaft, wie der Wind auf seinen Schlittschuhen entschwand.

Selbst das spätere Eingeständnis der Posse konnte ihn nie überzeugen, daß man ihn bloß zum besten gehabt – und keine Macht der Erde hätte ihn vermocht, während seines fernern Aufenthaltes in M... dem Schauersee wieder zu nahen.

Du weißt, ich kann das Reflektieren nicht lassen, das mich manchmal bei der lustigsten Veranlassung mit Schwermut überfällt. So ging es mir auch jetzt, als mir Lord D... so das Bild vergangener Zeit heraufbeschwor, die Liebenswürdigkeit meines Großvaters lobte, den Mutwillen meiner Mutter schilderte, und welch ein wildes Kind ich gewesen sei. Hélas ils sont passés ces jours de fête. Der Liebenswürdige modert längst im Grabe, die Mutwillige ist alt und nicht mehr mutwillig, und auch der wilde Knabe mehr als zahm geworden, ja selbst von den Tagen nun nicht allzuentfernt mehr, von denen es heißt: Sie gefallen mir nicht –. Der junge tolle Engländer aber der den Geist auf dem Eise spielte, lag wie ein Greis vor mir, von der Gicht geplagt, unbehilflich auf seinen Sofa ausgestreckt, und erzählte, oft von Seufzern die der Schmerz erpreßte unterbrochen, von den lustigen Streichen seiner Jugend, während der arme Tor, den er damals als ›Geist‹ so sehr erschreckte, längst schon selbst ein Geist geworden ist, und ihm gewiß keinen gelingen Schreck einflößen würde, wenn es ihm einfiele, die Visite nachträglich noch zu erwidern.

›O Welt, o Welt!‹wie Napoleon sagteDiesen Ausruf muß ich erklären. Als Napoleon nach der défaite bei Aspern, in dieser sehr bedenklichen Lage auf gebrechlichem Kahne nach der Insel Lobau mit wenigen Begleitern zurückschiffte, befand sich der damals noch sehr junge General Tschernyschew bei ihm. Nach dessen Erzählung saß der Kaiser tief in sich versunken, redete mit niemand, und brach nur zuweilen in die halblaut gesprochenen Worte aus: »O monde, o monde!« Er mochte wohl hinzudenken: tu m'échappes – wie es einige Jahre später wirklich eintraf. A. d. H. .


Den 3ten abends

Lord D... besitzt eine sehr reiche Gemäldegalerie, worunter eine berühmte Venus von Titian, der ›Tod des Regulus‹ von Salvator Rosa, ein großes, mehrmals in Kupfer gestochenes Gemälde von Rubens, und ein herrlicher Guido die vorzüglichsten sind. Auf den beiden letzten Bildern spielt zwar eben kein angenehmer Gegenstand, nämlich ein toter Kopf die Hauptrolle, auf dem einen der des Cyrus, auf dem andern des Johannes, aber die ›Herodias‹ Guidos ist wieder eine jener vom Genie eingehauchten, poetischen, himmlische Schönheit mit der lieblichsten Weiblichkeit und dem tiefsten tragischen Ausdruck vereinenden, Figuren, die einen so unauslöschlichen Eindruck zurücklassen und in der Wirklichkeit nur höchst selten angetroffen werden. Es gibt eine Dame Deiner Bekanntschaft, welche diesem Ideal entspricht, die Gräfin A... in B.... Sie war, als ich sie kannteund ist es noch A. d. H. , die schönste und reichbegabteste Frau, die ich je gesehen habe. Das größte Ebenmaß, das vollkommenste Gleichgewicht herrschte in ihrem Äußern und Innern, so daß die heterogensten Dinge ihr gleichwohl anstanden. Majestätisch wie eine Königin, wenn sie repräsentierte, von der leichtesten und anmutigsten Weltbildung, wenn sie ihren Salon hielt, von der naivsten, rührendsten Güte und Heiterkeit im vertrauten Familienkreise – in jeder Erscheinung aber noch bedeutender gemacht durch einen nie ganz verwischten Zug gedankenvoller Schwermut, verschwistert mit jener echt weiblichen Zartheit, die einem Weibe in der Männer Augen den höchsten unwiderstehlichsten Reiz verleiht. Ihre Ähnlichkeit mit dem Guidoschen Bild war auffallend. Als herrlicher Kontrast mit der Hauptfigur dienen in diesem Gemälde zwei, ebenfalls sehr hübsche, Hofdamen im Gefolge der Herodias. Sie sind vollendete Hofdamen, die für nichts weiter mehr Sinn zu haben scheinen, als ihren Hof und ihren Dienst, und ihre Schönheit erhält eben durch den unbedeutenden Charakter derselben einen gewissen, mehr sinnlichen Reiz, der uns bequemer anspricht, und von dem tiefern erschütternden Seeleneindruck nach und nach erholen läßt. Die eine lauscht mit Aufmerksamkeit und nichtssagendem Lächeln auf die Blicke ihrer Herrin, ob sie vielleicht etwas befehle, die andere betrachtet so gleichmütig den blassen Kopf des Märtyrers auf der Schüssel, als sei es ein Pudding.

Ich muß Dir doch ein für allemal la vie de château in England, – d. h. nur den täglichen Cannevas, auf welchem nachher das Speziellere von jedem nach Belieben brodiert wird, – beschreiben, da diese Organisation sich überall gleich bleibt, und ich sie auch von dem, was ich ehemals hier sah, in nichts verändert finde. Dieses Leben bietet ohne allen Zweifel die angenehmste Seite der englischen Sitten dar, denn es herrscht dabei große Freiheit, und eine Verbannung der meisten lästigen Zeremonien, die bei uns noch Wirt und Gäste ermüden. Demohngeachtet findet man nicht weniger Luxus als in der Stadt, was (wie ich Dir schon meldete) durch den Gebrauch erleichtert wird, nur eine kurze Zeit lang, und immer nur eingeladene Gäste bei sich zu sehen.

Die Ostentation, welche allerdings solcher Gewohnheit zum Grunde liegt, kann man aber, schon um der bessern Bewirtung willen, gern verzeihen.

Man weiset, um Raum zu menagieren, Fremden gewöhnlich nichts weiter als eine geräumige Schlafstube im zweiten Stock, selten mehrere Zimmer an, und Engländer betreten diese Wohnung auch kaum anders als zum Schlafen und zur zweimaligen Toilette, welche selbst ohne Gesellschaft und im strengsten Häuslichen, immer de rigueur ist, denn alle Mahlzeiten werden gemeinschaftlich eingenommen, und wer etwas zu schreiben hat, macht es gewöhnlich in der Bibliothek ab. Dort gibt man sich auch rendez-vous, um die allgemeinen, wie die einzelnen Partien (worin jeder ganz ungeniert ist) abzureden. Oft hat man sogar hier Gelegenheit, mit den jungen Damen, die immer sehr literarisch gesinnt sind, stundenlang ganz ungestört zu plaudern, Manche Heirat, oder Entführung der schon Verheirateten, spinnt sich dort zwischen dem corpus iuris auf der einen, und Boufflers Werken auf der andern Seite an, während der Moderoman als Bindungsmittel, aufgeschlagen in der Mitte liegt.

Um 10 oder 11 Uhr ist die Stunde des Frühstücks, bei dem man im größten négligé erscheinen darf. Es ist immer von derselben Art des Dir schon einmal im Gasthof geschilderten, nur natürlich in Privathäusern noch reicher und vollständiger versehen, und die Damen machen sehr anmutig die honneurs desselben. Kommt man später, wo diese schon weg sind, so besorgt ein Kammerdiener das Nötige, der in guten Häusern wohl bis um 1 Uhr und noch länger acht hat, daß auch der letzte Nachzügler nicht leer ausgehe. Daß dabei ein halb Dutzend Zeitungen auf dem Tisch liegen muß, in denen jeder liest, wie es ihm gefällt, versteht sich von selbst.

Die Herren gehen nun entweder auf die Jagd oder andern Geschäften nach, der Wirt desgleichen, ohne sich im Geringsten weiter um die Gäste zu bekümmern, (eine wahre Wohltat!) und erst eine halbe Stunde vor Tisch, findet man sich abends in eleganter Toilette im Salon wieder zusammen.

Wie es bei Tafel hergeht, habe ich Dir auch schon einmal beschrieben, und nur einer seltsamen Sitte nicht erwähnt, die ich, obgleich skabrös, der Vollständigkeit wegen nicht übergehen darf, und welcher man nach der Entfernung der Damen, auf eine höchst ungenierte Weise und immediat neben dem Tische ihren Lauf läßt; ein Überbleibsel der Barbarei, welches unsern Begriffen von Schicklichkeit höchst widerstrebend ist.

Mir fiel dies besonders heute auf, wo ein alter Admiral, der wahrscheinlich wegen der Anwesenheit des Lord Melvilles in seine Staatsuniform gekleidet war, wohl eine halbe Viertelstunde zu diesem Experiment gebrauchte, während wir so lange, wie aus einer Dachtraufe, die letzten Spuren eines schon längst vorübergegangenen Gewitterregens zu hören glaubten.

England ist das wahre Land der Kontraste. Du haut et du bas auf jedem Schritt. So servieren, bei allem übrigen Luxus, doch in den besten Häusern (wenigstens auf dem Lande) auch Kutscher und Reitknechte oft mit bei der Tafel, wobei sie nicht immer vom Pferdegeruch ganz frei sind, und beim zweiten Frühstück, dem luncheon, das ein paar Stunden nach dem ersten stattfindet, und in der Regel nur von den Damen benutzt wird (die bei Tisch gern la petite bouche machen und sich daher beim luncheon vorher ganz ordentlich satt essen) erhält man keine Servietten, ein gebrauchtes Tischtuch, und oft gar nicht sehr appetitliche Überreste des vorigen Tages.

Dies als Parenthese. Ich kehre jetzt zur ›Tagesordnung‹ zurück. Haben also die Herren endlich hinlänglich getrunken, und den übrigen Bedürfnissen in patriarchalischer Sitteneinfalt genügt, so suchen sie Tee, Kaffee, und das weibliche Geschlecht wieder auf, und bleiben nun noch einige Stunden zusammen, ohne sich deshalb doch sehr zu vereinigen. Heute z. B., als ich zur Beobachtung aufblickte, fand ich die Gesellschaft folgendermaßen verteilt. Der kranke Herr des Hauses lag auf dem Sofa und war ein wenig eingeschlummert; fünf andere Herren und Damen lasen eifrig in sehr verschiedenen Werken und Aktenstücken; (zu dieser Zahl gehörte auch ich, mit einem cahier Parkansichten vor mir) ein andrer spielte schon seit einer Viertelstunde mit einem geduldigen Hunde; zwei alte Parlamentsglieder stritten sich heftig über die corn-bill, und der Rest der Gesellschaft befand sich im dunkeln Nebenzimmer, wo ein hübsches Mädchen Klavier spielte, und eine andere ehrenzerreißende, schmachtende Balladen dazu sang, worüber die liebenswürdige Hausfrau selbst mit mir herzlich lachen mußte.

Ich kann hier nicht umhin zu bemerken, daß Lord und Lady D... zu den aufgeklärtesten, anspruchlosesten und deshalb angenehmsten hiesigen Vornehmen gehören. Er ist von der mäßigen Opposition, die das wahre Gute des Landes und nur dieses will, ein wahrer, von allem Egoismus freier Patriot, der schönste Titel, den ein gebildeter Mensch tragen kann. Sie ist die Güte, Herzlichkeit und Anspruchslosigkeit selbst.

Nach Mitternacht, und nachdem vorher noch gewöhnlich ein leichtes souper, aus Früchten und kalten Speisen bestehend, serviert worden ist, wobei sich jeder selbst bedient, retiriert man sich. Zu diesem Behufe stehen auf einem Seitentische eine Quantität kleiner Handleuchter parat, von denen sich jeder den seinigen anzündet, und damit selbst hinaufleuchtet, denn der größte Teil der Dienerschaft, welcher früher aufstehen muß, ist darum billigerweise schon längst zur Ruhe. Das ewige Sitzen der Bedienten im Vorzimmer ist hier nicht Mode, und außer den bestimmten Zeiten, wo man ihrer Hilfe gewärtig ist, sieht man sie wenig, und bedient sich selbst.

Für die Nacht erwartete mich heute auf meiner Stube ein vortreffliches altes chinesisches Himmelbett, groß genug, um als Sultan mit sechs Weibern in seinem weiten Raume schlafen zu können, aber allein fror ich bei der großen Kälte darin wie ein Eiszapfen, ehe die eigene Wärme durchdrang, denn der entfernte Kamin gab keine.


Den 5ten

Unter uns gesagt, so angenehm, so ungeniert es auch in einem fremden Hause sein mag, für mich ist es immer noch sehr geniert, zu unwohnlich, vor allem zu abhängig, um mich Überstolzen und Bequemen recht à mon aise darin zu befinden. Dies letztere fühle ich mich daher nur in den eigenen vier Pfählen vollkommen, nächstdem im Reisewagen oder im Gasthofe. Dieser Geschmack mag nicht der beste sein, indessen es ist einmal der meine! Da nun so viele Menschen eigentlich gar keinen haben, so bin ich immer noch auch mit einem minder guten, ganz zufrieden.

Ich werde also die Tage der Einladung nicht ganz ausschöpfen, sondern morgen mein großes Bett einem andern und vielleicht korpulenten Sterblichen offenlassen, um dem Badeort Brighton zuzueilen, welcher dermalen sehr fashionable ist.

Vorher habe ich indes noch mit Lord D...s gefälligem Sohne die ganzen hiesigen Anlagen beritten, die weniger auffallend durch Züge außerordentlicher Schönheit sind, als siegreich die schwere Probe bestehen, nirgends etwas Tadelnswertes zu zeigen. Einige Aussichten aus Waldschluchten auf die entfernte Themse, den Hafen von Gravesend und seine emporstrebenden Masten, sind dem ohngeachtet sehr grandios, nichts aber geht über die unvergleichliche Kunst, mit der, innerhalb des Parks, die Linien der Waldränder, in meisterhafter Nachahmung der Natur, gezogen sind. Zum Studium würde ich in vieler Hinsicht Cobham Hall mehr als irgend einen andern der beschriebenen Parks empfehlen, obgleich er an Umfang und kostspieligen Anlagen und Bauten vielen nicht gleichkommt, und sozusagen einen mehr modesten, dem Naturfreund aber, besonders auf die Länge, nur desto werteren Charakter hat, auch durch Berg und Tal und geschlossenen Wald mehr Mannigfaltigkeit darbietet.

Von Lady D... nahm ich soeben in ihrer eigenen Stube Abschied, ein kleines Heiligtum, das ich mit allerliebster Unordnung und Überfülle meubliert fand, die Wände voll kleiner Spiegelkonsolen mit gewählten Kuriositäten besetzt, und prächtige Kamelien, einzeln in Körben auf dem Boden verteilt, so daß sie wie daraus hervorgewachsen erscheinen.

Erlaube, liebe Julie, daß ich unter diesen Blumen von Dir hier ebenfalls Abschied nehme, und Dich bitte, diesem Brief eine ebenso lange Antwort zu gönnen, damit es nicht Deinem Gewissen zuletzt vorkommen möge, als liebte ich Dich (wenigstens schriftlich) weit mehr als Du mich.

Dein Herzensfreund L.


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