Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Siebenunddreißigster Brief

Cashel, den 10ten Oktober 1828

Geliebte Gute!

Der Rock of Cashel mit seiner berühmten, herrlichen Ruine ist einer der größten »lions«»Lions« ist ein Modeausdruck, und bedeutet das Erste, Berühmteste, oder das, was grade im Augenblick am meisten en vogue ist. Das entgegenstehende, gemeinere, heißt »tiger«. So nennt man z. B. die jungen dandies in ihren Cabriolets in der Hauptstadt »lions«, die kleinen Jungen aber, welche hinten aufstehen, »tigers«. Auch Stutzer der geringeren Sozietät werden mit dem letzten Namen bezeichnet. von Irland, und war mir nebst der Abtei von Holycross, von Walter Scott selbst, als das Sehenswerteste in Irland empfohlen worden. Es ist ein ganz frei stehender Felsen, mitten in der Ebne. Seltsam genug sieht man von dem Kamme einer der fernen Berge ein Stück, von derselben Größe als der Felsen, wie ausgerissen – der Legende nach: ein Biß, den der Teufel tat, aus Ärger über eine Seele, die ihm beim Transport nach der Hölle entwischte. Als er hierauf über die Gegend von Cashel flog, spuckte er dort das abgerissene Stück wieder aus. Später erbaute darauf MacCarnell, König und Erzbischof von Cashel sein Schloß mit einer Kapelle, welche beide noch merkwürdig wohlerhalten sind. Mit ihnen vereinigte sich die Kirche und Abtei, welche im 12ten Sec., glaube ich, von Domhnall O'Brien hinzugefügt wurde. Das Ganze bildet die prachtvollste Ruine, in der besonders alle Details der altsächsischen Baukunst mit großem Interesse studiert werden können. Dies ist seit einigen Monaten, durch die Bemühungen des Schwiegersohnes des jetzigen Erzbischofs, Dr. Cotton, noch sehr erleichtert worden, indem dieser erst MacCarnells Kapelle völlig von Schutt, Schmutz und spätern Übertünchungen hat reinigen, und überhaupt, nicht ohne Kosten, die ganze Ruine besuchbarer hat machen lassen. Nichts kann fremdartiger, ich möchte sagen, barbarisch-eleganter sein, als diese barocken, phantastischen, oft aber meisterhaft ausgeführten Zierate. Viele der im Schutt und unter dem Boden aufgefundenen Sarkophage und Monumente, bieten interessante Rätsel dar. Man möchte glauben, daß die furchtbaren Fratzen, den indischen Göttern gleich, einem früheren Götzendienst angehört haben müßten, wenn man nicht wüßte, daß nur sehr langsam und schwer das Heidentum dem Christentum wich, und noch weicht! So besitze ich selbst eine Klingel, die einer meiner Vorfahren aus den Gefängnissen der Inquisition entführte, und auf der die heilige Maria, statt Engeln, von Affen umgeben ist, deren einige die Violine spielen, während andere sich dazu mit Burzelbäumen in den Wolken überschlagen.

Ich besah alles sehr gründlich, und war noch auf der höchsten accessiblen Turmspitze, als die Sonne über dem Teufelsbisse unterging. Der Erzbischof hatte die Güte gehabt, mir seinen Bibliothekar zu schicken, um mir die Ruine zu zeigen. Von diesem erfuhr ich, daß der berühmte, oft zitierte, in irischer Sprache geschriebene Psalter, der in jedem guide des voyageurs als stehende Merkwürdigkeit Cashels aufgeführt wird, eine bloße Fabel sei, wenigstens hier nie existiert habe. Dies interessierte mich jedoch wenig, aber wahrhaft erschreckt ward ich, als ich hörte, daß die Katholiken mit der Idee umgingen, die Kirche wiederherzustellen und neu auszubauen, wenn sie das Grundstück zu akquirieren imstande wären. Der Himmel beschütze doch vor diesen Frommen die heilige Ruine!

Auf dem freien Platze vor der Kirche ruht St. Patricks mutilierte uralte Statue, auf einem Piedestal von Granit. Neben diesem sah man sonst den Krönungssessel, der angeblich aus Portugal hierher gebracht, dann zur Krönung des schottischen Königs Fergus nach Scone gesendet wurde, von wo ihn zuletzt Edward I. nach Westminster entführte. Dort befindet er sich noch jetzt.

Am Fuße des Rocks of Cashel stehen die ebenfalls sehr sehenswerten Ruinen von Hore Abbey, die, wie man sagt, früher durch einen unterirdischen Gang mit dem Schloß zusammenhing. Man bewundert hier vorzüglich die schönen Proportionen und vollendeten Zierate eines großen Fensters, das die Kapelle beleuchtet.


Den 11ten

Einer der gentlemen, die ich gestern kennengelernt, Capt. S..., ein Mann von angesehener Familie und verbindlichem Benehmen, bot mir seine Pferde an, um die Ruinen der Abtei von Athassel und des reichen Earl of Landaff Park und Schloß zu besehen. Die vortrefflichen hunters brachten uns bald an Ort und Stelle, die Gegenstände blieben aber unter meiner Erwartung. Die Abtei ist zwar an sich eine schöne und weitläuftige Ruine, aber ihre Lage, in einem Sumpfe mitten im bebauten Felde, ohne Baum und Strauch, zu unvorteilhaft, um einen malerischen Effekt machen zu können. Der Park des Lords ist ebenfalls, zwar von außerordentlichem Umfang, nämlich 2800 acres groß, aber ohne irgend etwas Ausgezeichnetes. Der Baumwuchs ist nicht der beste, Wasser fehlt so gut wie ganz, und das modern gotische, lichtblau angestrichene Schloß schien mir abscheulich. Der Besitzer selbst ist ein, noch im siebzigsten Jahre schöner, und interessanter Mann, der das in Irland so große Verdienst hat, oft in seinem Eigentum zu residieren. Wir fanden ihn, der in der Welt durch ein in der Fremde poliertes Betragen zu glänzen weiß, hier als echten Landmann, in Wasserstiefeln und waterproof-Mantel, im Regen stehen, und seine Arbeiter anweisen, was mir wohl gefiel, und du errätst leicht warum. –

Auf dem Rückweg teilte mir Capt. S... mehrere interessante Details über die wirklich himmelschreiende Unterdrückung mit, unter der die Katholiken hier seufzen, ein Zustand, welcher, die örtlichen Verhältnisse gehörig in Betracht gezogen, härter ist als die Sklaverei, welche die Türken über die Griechen verhängen. Die Katholiken dürfen z. B. ihre Gotteshäuser nicht Kirchen, sondern nur Kapellen nennen, keine Glocken darin haben – an sich unbedeutende, aber in der Meinung entehrende Dinge. Kein Katholik kann bekanntlich im Parlament sitzen, noch General in der Armee, noch Minister des Königs, Richter usw. werdenDies ist nun bekanntlich erstritten worden. A. d. H. . Ihre Priester dürfen keine Ehe einsegnen, wo ein Teil protestantisch ist, und ihre Titel werden vom Gesetz nicht anerkannt. Das Schlimmste aber ist, daß die Katholiken den protestantischen Klerus ungeheuer bezahlen, den ihrigen aber, von dem der Staat keine Notiz nimmt, noch außerdem unterhalten müssen, ein Hauptgrund der bodenlosen Armut des Volks. Wie unverträglich muß dies schon in einem Lande wie Irland erscheinen, wo mehr als Zweidrittel der Einwohner im allgemeinen der katholischen Religion mit dem größten Eifer zugetan sind. Im Süden ist das Verhältnis jedoch noch viel ungleicher. In der Grafschaft Tipperary befinden sich ohngefähr 400 000 Katholiken und nur 10 000 Protestanten. Demohngeachtet kostet den Einwohnern die protestantische Geistlichkeit jährlich folgende Summen: 1) Der Erzbischof 25 000 L. St.; 2) der dean 4000; 3) für ohngefähr fünfzig parishes (Pfarren) im Durchschnitt jede 1500 L. St., welche Ausgaben fast alle den Katholiken allein zur Last fallen. Die meisten dieser Pfründner leben gar nicht einmal in Irland, sondern stellen arme Teufel mit 40-50L. St. jährlich hier an (die berühmten vicars) die ihre Geschäfte verrichten; eine Sache, die bald abgetan ist, da es hier Gemeinden gibt, die nicht mehr als zehn Mitglieder zählen, ja in einer parish gar kein Protestant vorhanden ist – auch keine Kirche, sondern nur eine alte Ruine, wo jährlich die farce einer Predigt für leere Wände abgespielt wird, und wobei ein gemieteter Katholik den Küsterdienst versieht! Währenddem tritt der Geistliche jahraus jahrein das Londner und Pariser Pflaster, und führt ein so ungeistliches Leben als möglich. So las ich z. B. noch neulich in einer englischen Zeitung selbst, daß ein englischer Geistlicher in Boulogne, eine große Summe im Spiel verloren, darauf Händel bekommen, und seinen Gegner im Duell erschossen habe, weshalb er genötigt gewesen sei, den Ort schnell zu verlassen, um sich auf seine Pfründe zurückzuziehen. Selbst die höheren Geistlichen, die wenigstens zum Teil auf ihren Bischofs- und Erzbischofs-Sitzen gegenwärtig sein müssen, lassen nichts von dem Sündengeld (denn man muß es unter solchen Umständen wohl so nennen) wieder unter die armen Leute kommen, da sie größtenteils nach Kräften sparen, um ihre Familien zu bereichern. Zu diesem Ende ist sogar eine Art Betrug in der englischen Kirche gesetzlich geworden (ebenso wie der Verkauf der Stellen durch die im Besitz des Verleihungsrechts sich befindenden Adeligen, der öfters ganz öffentlich stattfindet, denn umsonst vergeben werden die Pfründe nur im politischen oder Familien-Interesse). Es ist nämlich gestattet, daß diejenigen, welche Kirchengüter benützen, im voraus, und ehe der Termin zur neuen Verpachtung derselben eintritt, sich ein für allemal mit einem Pauschquantum von den Inhabern bis dahin abfinden lassen dürfen, was natürlich, wenn der Geistliche bald darauf stirbt, seinen Nachfolger um das ihm Gebührende bringt. Kann man sich wundern, daß solche Institutionen schon mehrmals das unglückliche Volk zur Verzweiflung und Empörung brachten! jedesmal indessen sind ihre Ketten nur schärfer angezogen und blutiger ins Fleisch schneidend geworden. Wo man ein schönes Gut und fruchtbares Land sieht und sich nach dem Besitzer erkundigt, heißt es gewöhnlich, this is forfeited land (verwirktes Eigentum), immer einst den Katholiken, jetzt den Protestanten zugehörig. O'Connell sagte mir, daß, noch vor nicht gar langer Zeit, ein Gesetz in Gültigkeit war, des Inhalts: daß kein Katholik in Irland Landeigentum haben dürfe, und könne ein Protestant bei einem Gerichtshofe beweisen, daß dies dennoch irgendwo der Fall sei, so habe ihm der Richter dieses Eigentum zuzusprechen. Das einzige Mittel blieben nun Scheinkäufe; demohngeachtet wurden, nach O'Connells Versicherung, Millionen an Wert auf diese Weise in die Hände der Protestanten gebracht. Ist es nicht merkwürdig, daß Protestanten, die von den Katholiken, eben wegen ihrer Habsucht und Intoleranz in einer barbarischen Zeit, abfielen, jetzt in der aufgeklärtesten, in demselben Fehler beharren und dadurch verhältnismäßig eine größere Schuld auf sich laden, als sie früher tragen mußten! Wird denn, möchte man fragen, dieses ReligionsungeheuerDaß hier nur von falscher und After-Religion die Rede sein kann, versteht sich wohl von selbst. A. d. H. (Geburt der Despotie und Heuchelei) welches von der Welt so lange mit Blut und Tränen gefüttert werden mußte, nie von erleuchteteren Generationen vernichtet werden? Wahrscheinlich wird man dann auf die jetzigen Zeiten mit eben dem Mitleid blicken, als wir auf das Dunkel des Mittelalters.

Nachmittags besuchte mich der katholische dean, ein höchst liebenswürdiger Mann, der lange auf dem Kontinent gelebt, und Kaplan des vorigen Papstes gewesen ist. Seine ebenso freie als aufgeklärte Sprache setzte mich in Verwunderung, weil wir immer zu denken pflegen: ein Katholik müsse auch ein Abergläubiger sein. Er sagte mir unter anderm: »Glauben Sie mir, dieses Land ist dem Unglück geweiht. Hier gibt es fast keine Christen mehr, Katholiken und Protestanten haben nur eine und dieselbe Religion – die des Hasses!«

Einige Zeit später brachte mir Capt. S... die letzte Zeitung, worin bereits mein Besuch in der beschriebenen Versammlung, und die von mir dort gesagten Worte nebst den übrigen Reden, mit aller der in England üblichen Charlatanerie, drei oder vier Seiten füllten. Um Dir eine échantillon von diesem Genre zu geben, und zugleich mit meiner eignen Beredtsamkeit gegen Dich ein wenig zu prunken, übersetze ich den Anfang des mich betreffenden Artikels, wo ich in eben dem Ton angepriesen werde, wie ein Wurm-Doktor seinen Pillen oder ein Roßkamm seinen Pferden nie besessene Eigenschaften andichtet. Höre:

»Sobald man die Ankunft des ... erfahren hatte, begab sich der Präsident mit einer Deputation auf des ... Zimmer, um denselben einzuladen, unser Fest mit seiner Gegenwart zu beehren etc. Bald darauf trat der ... ins Zimmer. Sein Ansehen ist befehlend und graziös (commanding and graceful). Er trug einen Schnurrbart, und obgleich von sehr blasser Farbe, ist doch sein Gesicht außerordentlich gefällig und ausdrucksvoll (exceedingly pleasing and expressive). Er nahm seinen Platz am obern Ende der Tafel, und sich gegen die Gesellschaft verneigend, sprach er deutlich, und mit allem gehörigen Pathos (with proper emphasis) aber etwas fremdem Akzent, folgende Worte: › Gentlemen! Obgleich krank und sehr ermüdet, fühle ich mich doch zu sehr durch Ihre gütige Einladung geschmeichelt, um sie nicht mit Dank anzunehmen, und Ihnen persönlich auszudrücken, welchen lebhaften Anteil ich an Ihrem Bestreben für das Wohl Ihres Vaterlandes nehme. Möge Gott diesen schönen und reichbegabten Teil der Erde segnen, der jedem gefühlvollen Fremden so vielfachen Genuß darbietet, in dem ich aber besonders, mit tiefer Dankbarkeit, die Güte und Gastfreundschaft anerkennen muß, die mir überall zuteil ward. Möge der Himmel, sage ich, dieses schwergeprüfte Land segnen, wie jeden echten Irländer, er sei Katholik oder Protestant, der, fern von Parteigeist, nur das Wohlsein seines Vaterlandes wünscht – ein Wohlsein, das nur erreichbar sein kann, durch Friede, Duldung und bürgerliche wie religiöse Freiheit (civil and religious liberty, das große Stichwort der association). Gentlemen! Füllen Sie Ihre Gläser, und erlauben Sie mir, Ihnen einen toast zu geben. Es lebe der König, und ›Erin go Bragh!‹ (Dies ist das altirische Motto, welches auch auf der Medaille des Liberator-Ordens steht, und bedeutet: Heil Erin!)

Der Präsident: › Gentlemen! Teilen Sie meine Gefühle, und empfangen Sie den Ausdruck des folgenden von mir. Möge unser erlauchter Gast (illustrious guest), auf dessen Wohl wir jetzt unsre Gläser füllen, sollte er je zu uns zurückkehren, uns im Genuß gleicher Gesetze und gleicher Privilegien finden, und im Besitz jenes Landfriedens im Innern, den zu erlangen wir allein uns vereint haben. Dreimal Drei.‹

Der ... ›Ich wiederhole Ihnen meinen Dank für die Ehre, die Sie mir eben durch das Trinken meiner Gesundheit erzeigt haben. Nichts könnte mich glücklicher machen, als selbst noch einmal Augenzeuge von der Erfüllung aller Ihrer und meiner Wünsche, in diesem Lande sein zu können, das ich wie mein eignes Vaterland liebe, und nur mit innigem Bedauern verlasse etc.«

Nun liebe Julie, wie rezensierst Du mich – kann ich nicht Gemeinplätze, so gut wie ein anderer, aneinanderreihen, wenn es sein muß? Der Wahrheit bin ich übrigens in nichts zu nahe getreten. Was aber kein Gemeinplatz ist, wenn er sich auch am Ende jedes meiner Briefe wiederholt, ist die Versicherung meiner zärtlichsten Liebe für Dich, mit der ich jetzt bin und ewig sein werde

Dein Freund L...


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