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London, den 12ten Dez. 1826
Liebste Freundin!
Es ist nicht uninteressant, den hiesigen Auktionen beizuwohnen, zuvörderst wegen der Menge höchst seltener und kostbarer Dinge, die bei einem so regen Leben und ewigem Sinken und Fallen der Fortünen hier täglich vorkommen, und oft sehr billig erstanden werden, dann aber auch wegen der, schon in einem andern Briefe erwähnten Genialität der Auktionatoren, die ihre Reden mit mehr Witz gratis verbrämen, als sie bei uns für schweres Geld zu geben Lust haben wurden.
Diesen Morgen sah ich auf diese Art das indische Kabinett eines banquerotte gewordenen Nabobs verkaufen, welches bewunderungswürdige Kunstwerke enthielt. »Der Besitzer dieser Schätze«, sagte der Redner, »hat sich viel Mühe um nichts gegeben, nichts mehr für ihn, heißt das, aber noch viel für Sie, meine Herren. Er hatte ohne Zweifel einst mehr Geld als Verstand, jetzt ebenso gewiß mehr Verstand als Geld.« – »Modesty and merit«, bemerkte er später, »gehen nur insofern miteinander, als sie beide mit einem ›m‹ anfangen«, und in solchem Tone und Wortspielen fuhr er lange fort. »Was macht die Armen leben«, schloß er zuletzt, »gibt ihnen Gesundheit und Nahrung und Komfort? Großmut tut es wenig, Eitelkeit fast allein – nämlich nicht die der Armen, arme Teufel! sondern die der Reichen. Deployieren Sie also diese lobenswerte Eitelkeit, meine Herren, und kaufen Sie, was ihr fröhnen mag, Sie verdienen so, auch gegen ihren Willen, Gottes Lohn daran.«
Jawohl, dachte ich, daran hast Du ganz Recht, alter Spaßmacher; denn so schön hat unser guter Gott die Welt wirklich eingerichtet, daß immer wieder Gutes aus dem Übeln entstehen muß, und das Böse am Ende nur da ist, damit das Gute es besiegen, und sich selbst daran erkennen könne.
Man muß überall seine moralischen Anwendungen machen.
Ich aß bei einer vornehmen Lady, die mich den ganzen Tisch über nur von Napoleon unterhielt und mit englischem Extrem so von ihm eingenommen war, daß sie sogar die Hinrichtung des Duc d'Enghien und die Treulosigkeiten in Spanien sehr lobenswert fand.
Obgleich ich nun nicht so weit gehe, so bin ich doch auch, wie Du weißt, ein Verehrer der kolossalen Größe dieses Mannes, und erfreute meine Nachbarin sehr, als ich ihr die einstige Herrlichkeit Napoleons in Frankreich als Augenzeuge beschrieb, jene Tage des Glanzes, wo ›Cäsar‹ selbst vor seiner Größe staunte,
Quand les ambassadeurs de tant de rois divers Vinrent le reconnaître au nom de l'univers. |
Ich möchte übrigens keinen seiner spätern Unfälle, für seinen eignen Ruhm, sowie keine seiner Sünden, für das tragische Interesse, welches er dadurch einflößt, entbehren. Er hat die coups d'epée und auch die coups d'épingles mit gleicher Würde zu ertragen gewußt, und sich, wie sein Leben erhaben war, auch eine erhabne Grabschrift durch die Worte gesetzt:
Je légue l'opprobre de ma mort à l'Angleterre. |
So viel ist gewiß, er steht immer noch zu nah für unparteiische Beurteilung, und im Ganzen lehrt die Erfahrung, daß man weniger seinen despotischen Grundsätzen, als seiner persönlichen Macht Krieg auf Tod und Leben erklärt hatte. Dagegen fehlt diesen ähnlichen Grundsätzen jetzt gottlob die Energie gänzlich, mit der er sie auszuführen wußte, und das ist ein Gewinn für die Menschheit.Von den neueren Memoiren des Herrn von Bourrienne hat man leider auch weniger wahren Aufschluß über Napoleons eigenstes Wesen erhalten, als man erwartete. Bourrienne schildert Napoleon als Bourrienne – und wenn der Zwerg auch hundert Jahre um des Riesen Füßen herumläuft, so ist doch seine Taille zu kurz, um ihm je in die Augen sehen zu können. In einer Sache hat er jedoch Recht, die auch ganz à sa portée war, nämlich, daß der Hauptfeind, von dem Napoleon zu Boden geworfen ward, der so unpolitisch auf's Äußerste gebrachte Handelsstand war, heutzutage eine größere Macht als Kirche und Heer, welche nur noch der Macht der öffentlichen Meinung weicht, wenn sich diese je gegen sein Interesse erklären sollte. A. d. H.
Es ist jetzt ein französisches Theater hier, das nur von der besten Gesellschaft besucht wird, und das demohngeachtet nur einer dunkeln kleinen Privatbühne gleicht. Perlet und Laporte sind seine Stützen und spielen vortrefflich. Der letztere gibt aber auch, mit französischer assurance, Rollen auf dem englischen Theater, und glaubt, wenn das Publikum über seinen Akzent und französische Manieren lacht, es sei bloße Anerkennung seiner vis comica.
Ich war in Gesellschaft der Mistress W..., Frau des bekannten Ministers und Parlamentsredners, ins Theater gegangen, und folgte ihr nachher auf den ersten echten rout, den ich diesmal besuchte, und zwar in ein Haus, das mir ganz unbekannt war, denn es ist Sitte hier, Freunde in solche Art Gesellschaften mitzunehmen, und sie erst dort der Dame vom Hause zu präsentieren, der man nie genug bringen kann, um ihr kleines Lokal bis zum Ersticken zu füllen. Je mehr, je besser, und soll ihre Eitelkeit ganz befriedigt werden, so muß auch vor dem Hause eine bagarre unter den Wagen entstehen, einige zertrümmert werden, und einige Menschen und Pferde dabei verunglücken, damit den andern Tag ein recht langer Artikel bei der Morning Post über die höchst fashionable soirée by Lady Vain oder Foolish paradieren könne.
Ich machte indes diesen Abend eine interessantere Bekanntschaft auf der Treppe (weiter kam ich nicht) als ich erwartete, an Lady Charlotte B..., die als Schriftstellerin einigen Ruf erlangt hat. Sie ist die Schwester eines Herzogs, war einst eine berühmte Schönheit, und hat jetzt den Hofmeister ihrer Kinder geheiratet. Den andern Tag besuchte ich sie, und fand in ihrem Hause alles braun, durch alle Nuancen schattiert, meubles, Vorhänge, Teppiche, ihre und der Kinder Kleidung, nichts bot eine andere Farbe. Die Stube war ohne Spiegel und Bilder, nur mit Gipsabgüssen von antiken Büsten und Basreliefs geschmückt. Dies ist eine neue Art von Brownomanie, an der alten hängt Lady B... dagegen, als Schriftstellerin betrachtet, desto weniger, und wenn ich sie mit Lady Morgan z. B. zusammenstellen sollte (die eine echte geistige Brownianerin ist), so würde ich diese mit einem Glase alten Madeira, der mehr als einmal die Linie passiert hat, Lady B... dagegen mit einem Quell kristallreinen Wassers, der in einer lieblichen Landschaft entspringt, oder jene mit einer gefüllten Glühnelke, diese mit dem zarten Veilchen vergleichen.
In das braune Zimmer trat bald nachher der berühmte Buchhändler C... ein, der durch Walter Scotts Werke reich geworden ist, obgleich er ihn mit seinem ersten und besten Roman, ›Waverley‹, abwies, und endlich nicht mehr als 40 L. St. dafür gab. Ich zweifle nicht, daß Lady B... Ursache hatte, mit ihm zufriedener zu sein, und ließ sie daher diskret mit dem Geschäftsmanne allein.
Den 16ten
Die portugiesischen Affären bewegen jetzt alle Zirkel vielfach, und Marquis P... las uns heute sogar in einer Loge des französischen Theaters die eben gedruckte englische Erklärung vor. Die Politik ist hier ein Hauptingredienz der Gesellschaft, wie sie es in Paris zu sein anfängt, und in unserm schläfrigen Deutschland auch einmal werden wird, weil die ganze Welt einer solchen Tendenz entgegengeht. Die frivoleren Vergnügungen leiden aber dabei, und die Kunst der Konversation, wie sie einst in Frankreich herrschte, möchte vielleicht bald ganz verloren gehen. Hier, glaube ich, hat sie ohnehin in dieser Beziehung wohl nie existiert, es müßte denn zu Carls II. Zeiten gewesen sein; auch ist man allen stattfindenden Gebräuchen hier zu sklavisch unterworfen, zu systematisch in allen Genüssen, zu unglaublich mit Vorurteilen durchknetet, zu wenig lebhaft endlich, um jene ungezwungne Freiheit des Geistes zu erlangen, die allein die Basis liebenswürdiger Gesellschaftlichkeit bilden kann. Ich muß gestehen, daß ich keine einförmigere und eingebildetere kenne, als die hiesige erste, mit nur wenigen Ausnahmen, und diese größtenteils unter den Fremden, oder denen, die sehr lange auf dem Kontinent lebten. Ein versteinerter, marmorkalter Kasten und Modegeist regiert alles, und macht die ersten Klassen langweilig, die tiefern Abstufungen lächerlich. Wahre Herzenshöflichkeit und heitere bonhomie vermißt man ganz, und sieht von den fremden Nationen weder die französische Leichtigkeit, noch italienische Natürlichkeit angenommen, sondern höchstens deutsche Steifheit und Verlegenheit, die sich hinter Arroganz und Hochmut versteckt.
Bei alledem hat der Nimbus, den eine festgeankerte Aristokratie und vieles Geld (nebst allerdings auch vielem Geschmack in feiner Anwendung, den man nicht bestreiten kann) die hiesige große Welt zu der par excellence in Europa gestempelt, der alle Nationen mehr oder weniger den Vorrang einräumen. Daß Ausländern aber persönlich nicht wohl dabei wird, beweiset die Seltenheit der Fremden in England, und ihr noch weit seltenerer langer Aufenthalt daselbst. Jeder dankt im Grunde des Herzens Gott, wenn er aus der englischen Gesellschaft wieder weg ist, lobt aber nachher dennoch aus eigner Eitelkeit diese unerquickliche Nebelsonne, deren Strahlen ihm doch von allen dortigen Dingen gewiß am wenigsten Komfort gegeben haben.
Weit liebenswürdiger, wie liebender, scheinen die Engländer in ihren häuslichen und intimsten Verhältnissen zu sein, obgleich auch hier viel Barockes verwaltet, wie z. B. die allgemeine Sitte in den höheren Ständen, daß die Söhne, sobald sie, sozusagen, ›flügge sind‹, das väterliche Haus verlassen und für sich allein leben müssen, ja ohne förmliche Einladung nicht einmal bei Vater und Mutter zum Essen erscheinen dürfen. Als rührendes Beispiel ehelicher Liebe las ich neulich in den Zeitungen, daß der Marquis Hastings in Malta gestorben, und kurz vorher verordnet habe, sogleich nach seinem Tode ihm die rechte Hand abzuhauen, um sie seiner Frau als Andenken eingepökelt zu übersenden. Ein Herr meiner Bekanntschaft schnitt seiner gestorbenen Mutter aus wahrer Zärtlichkeit und mit ihrer vorher eingeholten Erlaubnis den Kopf ab, um den Schädel sein ganzes Leben lang küssen zu können, wogegen andere Engländer, glaube ich, lieber in die Hölle gingen, als zuließen, daß man ihrem Leichnam mit einem Seziermesser zu nahe käme (denn die resurrection-men müssen auch leben!). Die Gesetze schreiben bei allen dergleichen Bestimmungen Verstorbener die skrupulöseste Genauigkeit vor, und wäre es noch so toll, verstößt es nur nicht gegen diese Gesetze selbst, so muß es ausgeführt werden. Es gibt ein Schloß in England, wo seit einem halben Jahrhundert ein Leichnam, wohl angezogen, am Fenster steht, und sich ohne Störung noch immer sein einstiges Eigentum besieht. Wie sehr muß dieser Mann die Häuslichkeit geliebt haben!
Eben als ich noch mehr englische Originalitäten anführen will, tritt mein lang ersehnter Garteninspektor in die Stube, und bringt mir Deine Briefe. Wie schade, daß Du Dich nicht selbst (versteht sich mit aller Deiner fraîcheur, und nicht wie Lord Hastings Hand) in das große Paket mit einlegen konntest, oder in einem zierlichen Kästchen wohnen, wie Goethes lieblicher Erdgeist, damit ich Dich rufen möchte, wenn ich Dich brauchte, und jeden Genuß auf frischer Tat mit Dir teilen könnte, ohne eines so langen Zwischenwegs zu gebrauchen, wo Du erst durch meine Briefe trübe gestimmt wirst, wenn ich es vor 14 Tagen war, oder auf Freudiges Deine lustige Antwort ankommt, wenn ich schon wieder am stärksten Spleen-Anfall laboriere. Wie Du sehr richtig sagst, ist wirklich ein solcher alter Brief oft einem toten Leichnam zu vergleichen, der, längst vergessen, wieder aus dem Meere gefischt wird.
Worüber ich lachen, und mich zugleich ärgern mußte, ist, daß Du mir, wie es Deine Art ist, wieder fast nichts von meinem lieben M...schen Details schreibst, dagegen aber lange Exzerpte aus einer afrikanischen Reisebeschreibung schickst, die ich längst hier im Original gelesen. Ich vergelte Dir gewiß nächstens Gleiches mit Gleichem. Ohnedem studiere ich eben jetzt ein sehr interessantes Werk: ›Das preußische Exerzier-Reglement von 1805‹, woraus ich Dir, sobald es mir an anderem Stoff fehlen sollte, die geistreichsten Auszüge mitteilen kann. O, Du gutes Lamm, mit diesen afrikanischen Neuigkeiten sollst Du noch oft ›geschoren‹ werden, um so mehr, da die letzte Schur schon gar lange vorbei ist, und Du fast so tief in der Wolle sitzen mußt, als die Johanniterritter in B..., wenn sie, ihr doppeltes Kreuz zur Schau tragend, auf ihren Wollsäcken den Meistbietenden erwarten. Der Sitz des hiesigen Lord-Kanzlers ist zwar auch ein Wollsack, aber etwas vornehmerer Natur, mehr dem goldnen Vliese verwandt, wie jener dem Kartoffelsack, auf dem man ein Gericht ›Armeritter‹ verzehrt.
Ich mache jetzt fast täglich Parkexkursionen mit R..., um seine Anwesenheit in England so nützlich als möglich zu machen, denn einen guten Gärtner bringt ein kurzer Aufenthalt hier weiter in seinem Fach, als zehnjähriges Studium zu Hause. Es gibt aber schon in der Nähe von London eine große Anzahl höchst interessanter Besitzungen, zu denen allen die anmutigsten und belebtesten Wege führen. Dahin gehört ganz besonders eine Villa des Lord Mansfield, deren Ausschmückung dem Geschmack seiner Gemahlin alle Ehre macht. Sion House, dem Herzog von Northumberland zugehörig, und noch von Brown angelegt, ist ebenfalls höchst sehenswert wegen seiner ausgezeichneten Glashäuser, und der Menge von riesengroßen ausländischen Bäumen im Freien, die alle unser Klima nicht vertragen würden. Man sieht hier auch ganze Waldpartien von Rhododendron, Kamelien, Daturen, die nur teilweise im Winter bedeckt werden, und alle Arten von schönem Immergrün wuchern üppig in jeder Jahreszeit. Die Gewächs- und Treibhäuser, welche eine Front von 300 Fuß bilden, bestehen bloß aus Stein, Eisen und Glas, eine Bauart, die noch obendrein hier wohlfeiler als die mit Holz ist.
Interessant war mir eine Art Kette, deren Glieder aus Sensen bestanden, um das breite stehende Wasser (ein Mangel der meisten englischen Parks) Anfang Juli damit völlig von Wasserpflanzen zu reinigen, indem man sie nur, wie eine Fischwate, am Grunde hindurchzieht. An dem sehr großen pleasure-ground mähen täglich zwölf Mann von 5 bis 9 Uhr. Dadurch wird es möglich gemacht, daß man zu keiner Epoche langes Gras sieht, und doch auch die unangenehme Generalmäherei vermeidet, die ein paar Tage lang den Garten unreinlich macht. Man kann freilich auf diese Weise nur täglich einen Teil vornehmen, man richtet es aber so ein, immer gewisse begrenzte Stücke auf einmal zu vollenden, und kommt dann zeitig genug herum, daß der Unterschied nicht auffallend werden kann. Für die Ökonomie geht dieses Staubgras zwar ganz verloren, aber immer läßt sich Schönheit und Nutzen nicht vereinigen, und in einem Vergnügungsgarten muß natürlich der letzte nachstehen, oder man muß gar keinen haben wollen.
Das gegenüberliegende Kew enthält wohl die vollständigste Sammlung exotischer Gewächse in Europa. Auch der Park ist durch seine schöne Lage an der Themse sehr begünstigt, aber im übrigen etwas vernachlässigt. Man findet hier Taxusbäume von der Größe unsrer Tannen, und sehr schöne Exemplare von Holly und immergrünen Eichen, sonst sind die Anlagen der alten Königin nicht sehr geschmackvoll.
Wimbledon Park bietet, über mehrere Hügel ausgebreitet, und voll schöner Baumgruppen, großartige Ansichten dar, leidet aber an einiger Monotonie.
Ganz nahe, und fast in den Vorstädten Londons, liegt C... House, dessen Architektur nicht ohne Interesse ist. Hier hatte ich vor mehreren Jahren eine unangenehme Avanture, die England zu sehr charakterisiert, um sie Dir nicht zu erzählen, obgleich sie an sich nichts Pikantes enthält.
Die Ängstlichkeit, ja ich möchte fast sagen, der Neid, mit dem oft die englischen Reichen ihr Eigentum, selbst vor den entweihenden Blicken des Fremden, verschließen, ist zuweilen wahrhaft belustigend, kann aber auch betrübend werden. Beides erlebte ich damals vor 14 Jahren, und wurde heute von neuem lebhaft daran erinnert, als ich das alte Gebäude wiedersah. Ich ritt nämlich eines Tags in der Umgegend von London spazieren, und angezogen durch den Anblick dieser Besitzung, frug ich den an der Park-Loge stehenden Portier, ob er mir erlauben könne, die Gärten zu besehen? Er machte viel Umstände, sich aber endlich besinnend, daß sein Lord unwohl sei und die Stube hüte, mir folglich nicht begegnen könne, mochte er dem ihm angebotenen Trinkgelde nicht länger widerstehen, und öffnete mir die verbotene Pforte, mein Pferd einstweilen zurückhaltend. Ich mochte eine Viertelstunde umhergeschlendert sein, und besah eben den nett gehaltenen pleasure-ground, als eine etwas dicke Figur im Hemde an einem Fenster des gegenüberliegenden Wohnhauses sichtbar ward, die ängstlich umherzulaufen schien, endlich aber mit Vehemenz das Fenster aufriß, und, während ich eine große Klingel heftig lärmen hörte, mir mit halb unterdrückter Wut zurief: »Qui êtes-vous, Monsieur? Que cherchez-vous ici?« Ich hielt es für zu lächerlich, die Antwort auf dieselbe Weise in so großer Distanz zurückzuschreien, fand es aber auch bald unnötig, da durch das Stürmen der Klingel alarmiert, bereits von allen Seiten Diener herbeisprangen, von denen einer nun ex officio die Frage an mich wiederholte. Ich ließ durch ihn den Besitzer kürzlich wissen, daß ich ein Fremder sei, den Liebhaberei für Gartenanlagen hereingelockt, daß ich übrigens nicht, wie er zu glauben scheinen über die Mauer, sondern nur durch das gewöhnliche Tor gekommen sei, wo mein Pferd noch stehe; daß ich übrigens von Herzen bedaure, ihn in seinem kranken Zustande eine solche Alteration zu verursachen, und nur wünsche, daß dieselbe keine bedeutenderen Folgen für ihn haben möge, womit ich mich bestens empföhle, und den verpönten Garten sogleich verlassen würde. Bald darauf erreichte ich mein Pferd, und ritt lachend davon, denn dies war die lustige Seite der Sache. – Nach ohngefähr 14 Tagen führte mich zufällig mein Weg bei derselben Besitzung vorbei. Ich näherte mich wieder der Loge und zog die Klingel. Ein fremder Mann erschien, und aus Mutwillen erkundigte ich mich nach der Gesundheit des Lords, und ob es vergönnt sei, den Garten zu sehen? »Gott bewahre mich in Gnaden«, war die Antwort, »um keinen Preis!« und nun erfuhr ich von dem neuen Diener mit wahrem Schmerz, daß der arme Teufel, sein Vorgänger, eben verabschiedet worden sei mit Weib und Kind, obgleich er lange Jahre im Dienste gewesen, bloß weil er einen Fremden ohne Erlaubnis hier eingelassen. Dennoch ist dieser strenge Herr einer der wahren Patent-Liberalen Englands. Was würde erst ein Illiberaler getan haben!
Von dem bezaubernden Tale Richmonds sage ich Dir nichts. Jeder Reisebeschreiber gerät ja darüber in Ekstase, und mit Recht, erweckt sie aber nicht immer wieder im Leser durch seine Schilderung. Ich enthalte mich also derselben, und bemerke bloß, daß der vortreffliche aristokratische Gasthof (zum Stern und Hosenband) aus dem man dieses Paradies übersieht, während man den Leib auf's beste pflegt, das seinige zu dem Genusse beiträgt. Einsamkeit und Stille, verbunden mit jeder Bequemlichkeit, in einer unbeschreiblich schönen Gegend, laden hier mächtig zum Lebensgenusse ein, und gar mancher Londner junge Mann soll hier im geheimen seine Privathonigmonate ohne Priestersegen feiern – wir Unschuldige feierten nur die herrliche Natur, und einstimmig riefen Deine treuen Gärtner aus: »Wäre doch nur...« Das Übrige kommentierst Du schon.
Abends führte ich R... in das Adelphi-Theater, klein und niedlich, das sich durch vorzüglich gute Maschinerie auszeichnet und auch gerade jetzt mehrere vortreffliche Schauspieler besitzt. Der eine spielte in einem nicht unebnen Stücke den Betrunkenen natürlicher, als ich es noch je gesehen. Es ist wahr, daß er hier auch mehr Gelegenheit zum Studium dieses Seelenzustandes hat, aus demselben Grunde, warum die Alten das Nackte besser darstellen als unsre Künstler, nämlich weil sie es öfter sahen. Ein gut aus dem Leben gegriffener Zug war es, daß der Trunkenbold, welcher eine zärtliche Leidenschaft für ein junges und armes Mädchen in der Pension hegte, im nüchternen Zustande immer anderen Projekten Raum gab, im Rausche aber jedesmal mit Zärtlichkeitstränen à ses anciennes amours zurückkehrte, und in gleicher Stimmung auch glücklich zur Heirat bewogen ward.
Den 23sten
Dank für die Nachrichten aus B..., besonders freut mich Alexander von Humboldts Anstellung. Es muß für jeden Patrioten eine Freude sein, einen Mann wie ihn endlich im Vaterlande fixiert zu sehen, das mit so viel Recht auf seinen Ruhm in allen Weltteilen stolz ist. Nebenbei muß es auch zu einem glücklichen Ereignis für manche dortige Zirkel gereichen, denen nun endlich das Salz beigemischt werden wird, dessen Mangel sie so lange ganz ungenießbar machte.
Wie sehr ich über des guten und edlen Königs Unglück getrauert, das ich schon früher durch L... erfuhr, kannst Du Dir denken, da Du meine Gesinnungen in dieser Hinsicht kennst, doch hoffe ich zu Gott, daß seine kräftige Konstitution und die Hilfe so geschickter Männer jedes bleibende Übel abwenden werden. Es ist wohl schön, daß bei dieser Gelegenheit ein ganzes Volk von Herzen ausruft: ›Der Himmel erhalte uns unsern teuern Monarchen!‹
Meine eigne Laune ist übrigens – wahrscheinlich wegen der ewigen Nebel, die oft so arg sind, daß man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen anzünden muß, und dennoch nichts sieht – etwas von demselben trüben Charakter. Le pire est, que je suis lantôt trop, et tantôt trop peu sensible à l'opinion et aux procédés des autres. In der ersten Stimmung (und Stimmungen beherrschen mich leider mit despotischer Gewalt, machen mich nicht nur traurig und fröhlich, sondern leider auch klug und dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie jemand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er lange im vergeblichen Bestreben weiter zu dringen in der Höhe geschwebt, im Begriff ist, endlich loslassen zu müssen, wo er leicht bis auf die unterste Stufe wieder herabsinken mag. Dennoch wurde ihm vielleicht, auf dem ersten Boden der Gewöhnlichkeit und Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als in den stürmischen Lüften zu Mute sein, und bei weniger Hoffnungen ihn vielleicht eine glücklichere, wenn auch einfachere Wirklichkeit umfangen! Doch hinweg mit solchen Grübeleien. Sie taugen nichts, und selbst Befürchtungen eines drohenden wahren Unglücks, sollte man immer mit Gewalt verbannen, denn warum sich mit Sorgen quälen über das, was kommen kann, und doch vielleicht nie kommt, dann aber nur als ein Traum-Phantom uns so viel frohe Gegenwart verkümmert hat.
In allen solchen Gemütszuständen ist am Ende Dein Bild mein bester Trost, und an Dich, meine einzige und ewige Freundin, wende ich mich dann immer zuletzt mit nassem Auge und innigem Dank für all' Deine vielfache Liebe, Güte und Nachsicht, und lege in Deinen treuen Busen meinen Kummer, wie meine Freude, und alle meine Hoffnungen nieder, deren glänzendste Erfüllung ja doch ohne Dich jeden Wert für mich verlieren würde.
Ich muß Dich aber jetzt verlassen, um meiner Pflicht gemäß (denn es widerstände mir sonst) in eine große Gesellschaft zu gehen, wo ich mich, wie im Leben, mit andern in der Menge zu verlieren bestimmt bin. Es ist vorderhand mein letzter Ausgang in die Welt, da ich mich präpariere, mit R... eine Park- und Gartenreise anzutreten, die uns wohl einen Monat hinnehmen wird. Die jetzige Zeit ist aber gerade die beste für den, welcher diesen Gegenstand studieren will, da die laublosen Bäume überall die Durchsicht gestatten, und man so bei einer Umgehung der kunstvollen Landschaft alles schon übersehen, die gewonnenen Effekte verstehen, und das Ganze, wie einen Plan auf dem Papiere, beurteilen, sowie die Bestandteile jeder Pflanzung in ihrer absichtlichen Ordnung erkennen kann.
Gestern besuchten wir en attendant die Parks in der Stadt, Kensington u.s.w., namentlich den Regent's Park im Detail, bei welcher Gelegenheit wir auch an dem dort aufgestellten Diorama nicht vorbeigingen. Dies übertraf meine Erwartung und ähnliches früher Gesehene sehr weit, denn gewiß ist es nicht möglich, die Sinne noch effektvoller zu betrügen; ja selbst mit der Gewißheit der Täuschung, hat man Mühe, sie sich auszureden. Das Gemälde stellte das Innere einer großen Abteikirche, vollständig in ihren wahren Dimensionen erscheinend dar. Eine Seitentür steht offen. Efeu rankt durch die Fenster, und zuweilen scheint die Sonne durch die Tür, und erhellt mit einem freundlichen Blick die Überreste bunter Scheiben, die unter Spinnengeweben hervorblinken. Durch das letzte gegenüberliegende Fenster sieht man den verwilderten Klostergarten, und darüber einzelne Wolken am Himmel, die, stürmisch vorüberziehend, abwechselnd das Sonnenlicht verdunkeln, und tiefe Schatten in die totenstille Kirche werfen, wo das zerbröckelte, aber prachtvolle Monument eines alten Ritters, an dem die Steine des Bodens aufgebrochen sind, als habe man dort nach Schätzen gegraben, in düstrer Majestät sich noch erhalten hat.
Da auf morgen unsre Abreise bestimmt ist, so sende ich diesen Brief ab, obgleich er noch nicht zu der gewöhnlichen Korpulenz angewachsen ist. Wie schmächtig sind dagegen die Deinen! – Gewiß, wenn einst unsre Nachkommen die verwitterte Korrespondenz ihrer Ahnen in einem Winkel der alten Bibliothek auffinden sollten, so werden sie über meine Verschwendung und Deinen Geiz gleich sehr in Erstaunen geraten. A propos, zerstreue Dich nicht zu sehr in B..., und vergiß nicht etwa darüber gar, wenn auch nur auf die kürzeste Zeit
den treuesten Deiner Freunde.