Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Siebenundvierzigster Brief

Paris, den 5ten Januar 1829

Meine teure, geliebte Freundin!

Ich konnte Dir gestern nicht schreiben, da die Diligence von Calais bis Paris zwei Tage und eine Nacht braucht, und sich alle zwölf Stunden nur eine halbe zum Essen aufhält. Die Fahrt ist nicht die angenehmste. Etwas tot, etwas elend und schmutzig kommt einem allerdings das ganze Land, wie auch die Hauptstadt, gegen den wogenden Wirrwarr, den Glanz und die Nettigkeit Englands vor. Der Kontrast ist, in so geringer Entfernung, doppelt auffallend. Wenn man auf der Reise die groteske Maschine betrachtet, in der man sitzt, die schlecht geschirrten Karrengäule, von denen man langsam fortgeschleppt wird, und sich der zierlich leichten Kutschen, der schönen, mit blankem Messing und Glanzleder-Geschirr geschmückten Postzüge der englischen Eilwagen erinnert, so denkt man im Traume 1000 Meilen weiter versetzt worden zu sein. Die schlechten Straßen, dürftigen und unreinlichen Städte erwecken dasselbe Gefühl, dagegen sind vier Dinge dennoch im Volksleben offenbar besser: Klima, Küche und Keller, Wohlfeilheit und Geselligkeit. Mais commençons par le commencement.

Nachdem ich meinen Inkognitopaß gegen einen gleichen provisorischen, und nur bis Paris gültigen, auf der mairie umgetauscht, wobei ich, auf Befragen, wie ich hieße, mich meines neuen Namen beinahe nicht erinnert hätte, näherte ich mich dem wunderbaren Bau, den man in Frankreich eine Diligence nennt! Das Ungetüm hatte die Länge eines Hauses, und bestand eigentlich aus vier verschiedenen, wie aneinander gewachsenen Wagen, die berline in der Mitte, eine Kutsche nebst Gepäckkorb hinten, ein coupé vorn, und an diesem noch das Cabriolet, wo der conducteur sitzt, und neben welchem auch ich meinen Platz genommen hatte. Dieser Kondukteur, ein alter Soldat der Napoleonischen Garde, war, wie ein Kärrner, in eine blaue Bluse gekleidet, mit einer gestickten Mütze aus demselben Zeuge auf dem Kopf; der Postillon sah aber noch origineller aus, und wirklich halb einem Wilden ähnlich. Auch er trug zwar eine Bluse, mit ungeheuren, über und über mit Kot bespritzten Stiefeln darunter, aber zugleich auch eine Schürze von schwarzen Schaffellen, die auf beiden Seiten über seine Schenkel herabhing. Er dirigierte allein 6 Pferde zu 3 und 3 gespannt, und diese zogen ohngefähr 6000 Pfund baggage, auf einer sehr schlecht unterhaltnen Chaussee. Die ganze Straße von Calais nach Paris ist überhaupt eine der traurigsten und uninteressantesten, die man sehen kann. Ich würde also meine meiste Zeit mit Lesen zugebracht haben, wenn mich nicht die Unterhaltung des Kondukteurs noch besser schadlos gehalten hätte. Seine und der Garden Heldentaten gaben ihm ein unerschöpfliches Thema, und unbedenklich versicherte er: que les trente mille hommes, dont il faisait partie ›dans le temps‹, wie er sich ausdrückte, auraient été plus que suffisants pour conquérir toutes les nations de la terre, et que les autres, n'avaient fait que gâter l'affaire. Er seufzte jedesmal, wenn er seines empereur gedachte. »Mais c'est sa faute«, rief er, »ah s... d... il serait encore empereur si, dans les cent jours, il avait seulement voulu employer de jeunes gens, qui désiraient faire fortune, au lieu de ces vieux maréchaux qui étaient trop riches, et qui avaient tous peur de leurs femmes. N'étaient-ils pas tous gros et gras comme des monstres? ah... parlez-moi d'un jeune Colonel, comme nous en avions! Celui-là vous aurait flanqué ça de la jolie manière. – Mais après tout, l'Empereur aurait dû se faire tuer à Waterloo, comme notre Colonel. Eh bien Monsieur, ce brave Colonel avait reçu trois coups de feu, un à la jambe et deux dans le corps, et pourtant il nous menait encore à l'attaque, porté par deux grenadiers. Mais quand tout fut en vain, et tout fini pour nous – ›Camerades‹, dit il, ›j'ai fait ce que jai pu, mais nous voilà... Je ne puis plus rendre service à l'empereur, à quoi bon de vivre plus longtemps? Adieu donc mes camerades – vive l'empereur!‹ – et le voilà qu'il tire son pistolet, et le décharge dans sa bouche. C'est ainsi, ma foi, que l'empereur aurait dû finir aussi.«

Hier wurden wir durch ein hübsches Mädchen unterbrochen, die aus einem unansehnlichen Hause an den Wagen sprang und nach uns herauf rief (denn wir saßen wenigstens 8 Ellen vom Boden): »Ah, ça Monsieur le conducteur! Oubliez-vous les crêpes?« – »Oho! es tu là mon enfant?«... und schnell kletterte er die gewohnte, sonst halsbrechende Hühnersteige hinab, ließ den Postillon halten und verschwand im Hause. Nach wenigen Minuten kam er indes schon wieder mit einem Paket heraus, ließ sich neben mir behaglich niederfallen und entfaltete eine reichliche Quantität noch heiß dampfender deutscher Plinsen, ein Gericht, das er, wie er mir erzählte, in Deutschland kennengelernt und so lieb gewonnen habe, daß er es in sein Vaterland eingeführt. Man sieht also, daß Eroberungen doch auch zu etwas gut sind. Mit französischer Artigkeit bot er mir sogleich an, sein goûter, wie er es nannte, zu teilen, und schon aus Vaterlandsliebe nahm ich es mit Vergnügen an, mußte auch gestehen, daß kein Pächter oder Bauer in Deutschland seine National-Speise besser zubereiten könne. Wir verzehrten sie auf Napoleons Wohl, wo er auch sein möge!

Viel Not verursachte dem sonst sehr kräftigen Manne eine sonderbare Maschine, die sich, ohngefähr in der Form einer Pumpe, neben seinem Sitze befand, und mit der er sich ewig zu schaffen machte, bald aus Leibeskräften daran pumpend, sie richtend, schraubend, oder vor- und rückwärts drehend. Auf meine Frage erfuhr ich, dies sei eine ganz vortreffliche neu erfundene Maschinerie, welche dazu diene, die Diligence-Arche beim Hinabfahren ohne Hemmschuh zu retardieren und bergauf ihren Lauf zu beschleunigen. Der Kondukteur war äußerst stolz auf diese Vorrichtung, nannte sie nie anders als sa mécanique, und behandelte sie mit ebensoviel Liebe als Wichtigkeit. Unglücklicherweise brach jedoch dieses Wunderwerk schon am ersten Tage entzwei, und da wir uns deshalb noch langsamer fortschleppten als bisher, mußte der arme Krieger von den Passagieren viel Neckereien wegen seiner schadhaften mécanique ausstehen, so wie über den Namen seines unermeßlichen Wagens, der l'Hirondelle hieß, und freilich diese Benennung nur der bittersten Ironie zu verdanken schien.

Es war sehr drollig, bei jedem neuen relais den armen Teufel zu hören, wie er den Postillon regelmäßig von dem geschehenen Unglück avertierte, welches mit wenig Abänderung stets folgenden Dialog hervorbrachte: »Mon enfant, il faut que tu saches que je n'ai plus de mécanique.« – »Comment s... d... plus de mécanique?« – »Ma mécanique fait encore un peu, vois-tu mais c'est bien peu de chose, le principal brancheron est au diable.« – »Ah, diable!«

Man konnte nicht schlechter sitzen, nicht unbequemer und langsamer fortkommen, als hier in meinem himmelhohen Cabriolet; überhaupt war es nun schon eine geraume Zeit, daß ich der meisten gewohnten Bequemlichkeit entbehrte. Demohngeachtet war nie, weder meine Stimmung noch meine Gesundheit, besser als auf dieser ganzen Reise. Ich bin ununterbrochen heiter und zufrieden gewesen, weil ich immer ganz frei war. O großes Gut der Freiheit! Dich schätzen wir noch lange nicht genug! Wenn sich jeder Mensch nur recht deutlich machen wollte, was er gerade mit seiner Individualität eigentlich zum Glück und zur Zufriedenheit braucht, und nun unbedingt das wählte, was diesem Zweck am meisten entspräche, das andere aber herzhaft wegwürfe (denn alles kann man doch einmal auf der Welt nicht zusammen haben) – wieviel Mißgriffe würden erspart, wieviel kleinlicher Ehrgeiz beseitigt, wieviel wahrer Frohsinn befördert werden! Alle würden ein großes Übermaß von Wohlsein im Leben finden, statt bis ans Grab sich mit Unlust und Unzufriedenheit zu quälen. –

Ich will Dich mit keinen ferneren Details unsrer so wenig interessanten Reise ermüden. Sie glich dem Melodram ›Ein Uhr‹, und war ebenso langweilig, denn nachdem wir früh Calais verlassen, machten wir um ein Uhr Halt zum Essen, um ein Uhr in der Nacht soupierten wir; den andern Tag ward ebenfalls Frühstück und dîner um ein Uhr in Beauvais vereinigt, wo uns ein hübsches Mädchen, die servierte, und ein Freund Bolivars, der uns viel von der Uneigennützigkeit des Befreiers erzählte, die schnelle Abreise regrettieren machten – und wiederum um ein Uhr in der Nacht hatten wir endlich auf der Douane in Paris um unsre Sachen zu kämpfen. Mein Bedienter lud dann die meinigen auf eine Charette, die ein Mensch vor uns herzog, und uns zugleich durch die dunkeln und schmutzigen Straßen den Weg nach dem Hotel St. Maurice zeigte, wo ich jetzt in einer kleinen Stube schreibe, die ich mir bescheiden gewählt, und wo der kalte Wind durch alle Türen und Fenster saust, so daß das lodernde Kaminfeuer mich nur auf einer Seite erwärmen kann. Die seidnen Tapeten, sowie der sie bedeckende Schmutz, die vielen Spiegel und die großen Holzstücken am Kamin aufgeschichtet, sowie das Ziegel-Parkett – alles erinnert mich lebhaft, daß ich in Frankreich und nicht mehr in England bin.

Ein paar Tage will ich mich hier ausruhen und meine Empletten machen, dann eile ich in Deine Arme, ohne wo möglich hier auch nur einen Bekannten zu sehen, car cela m'entraînerait trop. Erwarte daher auch nichts Neues von mir über das alte Paris zu hören. Ein paar detachierte Tagebuch-Bemerkungen wird alles sein, was ich Dir bieten kann.


Den 6ten

Um der heftigen Kälte einigermaßen zu begegnen, die ich von jeher in Frankreich und Italien wegen Mangels an Vorkehrungen dagegen am empfindlichsten fand, mußte ich heut früh alle Spalten meines kleinen Logis mit bourrelets garnieren lassen. Dann eilte ich hinaus, den gewöhnlichen ersten Spaziergang der Fremden, nach den Boulevards, Palais Royal, Tuilerien etc., denn ich war doch neugierig zu sehen, was sich seit sieben Jahren dort geändert haben möge. Auf den Boulevards fand ich alles beim alten, im Palais Royal hat der Herzog von Orleans, dieser in jeder Hinsicht ausgezeichnete Prinz, angefangen, die schmählichen Holzgalerien und andere Winkel durch neue Steingebäude und einen eleganten Glasgang zu ersetzen, welches, wenn alles erst ganz fertig ist, gewiß dies Palais zu einem der ansehnlichsten machen wird, wie es bereits eins der eigentümlichsten und auffallendsten ist, vielleicht schon der Seltenheit wegen, einen königlichen Prinzen dasselbe Haus mit mehreren hundert F... Mädchen nebst ebensoviel Krämern bewohnen, und von diesen, wie von Spiel und boutiques, soviel Revenuen beziehen zu sehen, um mehr als seine menus plaisirs, damit decken zu können. In England würde ein Edelmann dergleichen sich in seinem Hause nicht als möglich denken können, wäre es aber der Fall, so würde man wenigstens gewiß dafür sorgen, es reinlicher zu halten – denn man muß gestehen, die Götzen Venus und Merkur sind hier, bei allem Prunk des Ausgehängten, gar schmutzig umgeben.

Am Palast der Tuilerien und der nebenan laufenden Straße Rivoli waren ziemlich alle angefangenen Bauwerke noch in demselben Zustande, wie sie Napoleon verlassen. In dieser Hinsicht hat Paris an der kaiserlichen Dynastie verloren, die es in zwanzig Jahren zu einer wahren Prachtstadt umgeschaffen haben würde, welchem Luxus des Schönen die Reinlichkeit wohl auch endlich hätte folgen müssen. Auch auf dem Place de Louis XV., stehen noch immer die Gerüste um die projektierte Statue, der Triumphbogen de l'Etoile, wird, wie der Turm zu Babel, abwechselnd aufgebaut und niedergerissen, der Temple de la Victoire, jetzt unendlich passender für die siegende Kirche bestimmt, ist auch noch nicht fertig, und auf dem Pont de Louis XVI. möchte man wünschen, daß nichts geschehen wäre, da die lächerlich theatralischen, und im Verhältnis zur Brücke wenigstens doppelt zu großen Statuen, die man dort auf die Pfeiler postiert hat, welche sie eindrücken zu wollen scheinen, mehr schlechten acteurs de province, als den französischen Helden gleichen, die sie darstellen sollen.

Da Köche auch zu den französischen Helden gehören, einmal wegen ihrer unübertroffenen Geschicklichkeit, zweitens auch wegen ihres Ehrgefühls (erinnere Dich nur an den Koch Peregrine Pickles, und Vatel, der sich wegen nicht angekommener Fische erstach) so komme ich hier ganz natürlich auf die Pariser Restaurateurs, die mir, wenn ich nach dem Beliebtesten, den ich heute besuchte, urteilen darf, etwas degeneriert scheinen. Ihre schon sonst ziemlich langen Karten haben sich zwar seitdem in elegant gebundne Bücher verwandelt, aber die Qualität der Gerichte und Weine hat in demselben Maße abgenommen. Ich eilte nach dieser traurigen Erfahrung zu dem ehemals berühmten ›Rocher de Cancale‹. Aber auch ›Baleine‹ ist ins Meer der Ewigkeit zurückgeschwommen, und wer sich künftig auf den Cancalischen Felsen verläßt, hat auf Sand gebaut. Sic transit gloria mundi!

Alles Lob mußte ich dagegen dem Théâtre de Madame spenden, wo ich meinen Abend zubrachte. Leontine Fay ist eine allerliebste Schauspielerin, und ein besseres Ensemble kann nirgends gefunden werden. Da ich gerade von England kam, so frappierte mich um so mehr die Natürlichkeit, mit der Leontine Fay, in ›Malvina‹, die in England erzogne Französin meisterhaft wiedergab, ohne daß durch diese Nuance dem übrigen Charakter der mindeste Abbruch geschah. In ihrem künstlerischen Spiel ist keine Kopie der Mademoiselle Mars zu entdecken und dennoch sieht man, auf andre Weise, ein ebenso treues und zartes Naturbild dargestellt. Das zweite Stück, eine Posse, wo ein provinzieller Onkel seine kleine Stadt, in der er eben zum Mitgliede eines Tugendvereins aufgenommen werden soll, schleunig verläßt, um seinen Neffen in Paris, über den er die beunruhigendsten Nachrichten erhalten, von einer liederlichen Lebensart zu kurieren, statt dem aber, von dessen angestellten Freunden, selbst zu allen möglichen Leichtfertigkeiten verführt wird, ward ebenfalls mit aller komischen Laune und Gewandtheit dargestellt, die diese französischen riens so anmutig und amüsant in Paris, so leer und abgeschmackt in der deutschen Übersetzung erscheinen lassen. Denn so albern es eigentlich ist, wenn, nachdem Mamsell Minette den alten Martin, gleich im Anfang des Stücks, durch ihre Koketterien dahin gebracht hat, ihr einen Kuß zu geben, und in dem Augenblick ihr Liebhaber, der Kellner, mit einem Schweinskopf hereintritt, dieser sprachlos stehen bleibt, und indem er ruft: »N'y-a-t'il pas de quoi perdre la tête!« die Schüssel mit dem Schweinskopf langsam aus den Händen gleiten läßt, so muß man doch sehr stoisch gesinnt sein, um bei dem vortrefflich natürlichen Spiel nicht von Herzen mit zu lachen. Die Folge ist ebenso ergötzlich. Martin, voller Schreck, auf einer solchen Avanture ertappt worden zu sein, tröstet sich am Ende damit, daß man ihn ja hier nicht kenne, und nimmt, in seiner embarras, des dazu gekommenen Dorvals Einladung zu einem déjeuner sogleich an, welches auch bald darauf auf dem Theater stattfindet. Im Anfang bleibt Martin sehr mäßig, die Trüffeln und Delikatessen tentieren ihn jedoch zuletzt, et puis il faut absolument les arroser d'un peu de Champagne. Nach vielem Nötigen entschließt er sich endlich, immer noch moralisierend, ein Glas à la vertu zu trinken. Hélas! il n'y-a que le premier pas qui coûte. Ein zweites Glas wird der piété getrunken, ein drittes der miséricorde, und ehe die Gäste aufstehen, hören wir Martin betrunken und jubelnd in den Toast einstimmen: Vivent les femmes et le vin! Spiel kommt nun auch an die Reihe. Er will sich jedoch nur zu einer Partie Piquett verstehen, wobei er einige drollige Couplets singt, die mit dem Refrain endigen: ›L'amour s'envole, mais le piquet dure‹. Um es kurz zu machen, Martin wird vom Piquett zum Ecarter und endlich zum Hazard-Spiel verleitete, verliert eine große Summe, und erfährt zuletzt, pour le combler de confusion, daß er und sein Plan von Hause aus verraten worden, und sein Neffe ihn geprüft habe, statt sich von ihm prüfen zu lassen, wobei er ihn aber leider viel zu leicht befunden. Er akkordiert mit Freuden alles, was man will, pourvu qu'on lui garde le secret, und das Stück schließt, indem sein alter Freund mit Extrapost ankommt, um ihm zu melden, daß Martin gestern, unter allgemeinem Hurrah, zum Präsidenten des Tugendbundes in seiner Vaterstadt gewählt worden sei.


Den 7ten

Ohngeachtet der bourrelets und eines brennenden Scheiterhaufens im Kamin, fahre ich dennoch fort, in meinem entresol recht empfindlich zu frieren. Dabei herrscht darin ein fortwährendes clair-obscur, so daß ich die Schriftzüge vor mir nur wie hinter einem Schleier sehe. Die kleinen Fenster und hohen gegenüberliegenden Häuser lassen es nicht anders zu, so daß ich um Verzeihung bitten muß, wenn ich noch unleserlicher als gewöhnlich schreibe. Du wirst übrigens bemerkt haben, daß das zu choquant teure Porto in England auch mich gelehrt hat, sorgfältiger und besonders enger, zu schreiben, so daß jetzt ein Schriftlavater aus meinen Briefen an Dich einen großen Teil meines Charakters studieren könnte, bloß durch's Ansehen, meine ich, ohne sie zu lesen. Es geht darin wie im Leben selbst her, wo ebenfalls oft mit guten Vorsätzen der Verengung – i. e. Beschränkung aller Art – angefangen und eine Weile fortgefahren wird, bald aber die Zeilen wieder unwillkürlich weiter werden, und ehe man es sich versieht, die unmerklich wirkende Macht der Gewohnheit zur alten Latitude wieder zurückführte.

Ich habe Dir schon gesagt, daß die Karten der Restaurateurs sich in Bücher verwandelt haben, von der Dicke eines Fingers, und reich in Maroquin und Gold eingebunden. Einem englischen Offizier, den ich heute im Café Anglais fand, imponierte dies so sehr, daß er mehrmals vom erstaunten garçon, ›la charte‹, statt ›la carte‹ verlangte, vielleicht in der Meinung, daß im liberalen Frankreich eine solche, auch für die Cafés, eingeführt worden sei. Obgleich die Franzosen selten auf die Sprache – quidproquos der Fremden achten, so schien dieses Alarmwort doch nicht ohne ein Lächeln von mehreren vernommen zu werden, ich aber dachte: wie gern würden manche es umdrehen, und den Franzosen statt der charte wieder Karten – zum Spielen geben.

Sehr überrascht wurde ich abends in der französischen Oper, die ich noch als eine Art Tollhaus verlassen hatte, wo einige Rasende in Verzückungen schrien, als wenn sie am Spieße steckten – und jetzt dort süßen Gesang, die beste italienische Methode und schöne Stimmen mit sehr gutem Spiele vereinigt fand. Rossini, der, wie ein zweiter Orpheus, die Oper also gezähmt, ist hierdurch der wahre Wohltäter musikalischer Ohren geworden, und Einheimische wie Fremde danken ihm gerührt ihr Heil.

Ich ziehe dieses Schauspiel hier, obgleich es weniger Mode ist, unbedenklich der italienischen Oper vor, da es fast alles vereinigt, was man sich nur vom Theater wünschen kann – nämlich außer dem genannten guten Gesang und Spiel, prächtige und frische Dekorationen, und das beste Ballett in der Welt. Wären die Operntexte auch Meisterstücke, so wüßte ich nicht, was noch verlangt werden möchte, aber schon wie sie sind, kann man z. B. mit der ›Muette de Portici‹, die ich heute sah, recht sehr zufrieden sein. Mademoiselle Noblet ist eine noble Stumme, Grazie und Leben in ihrem Spiel, ohne alle Übertreibung, und Nourrit der Ältere ein vortrefflicher Masaniello, obgleich er allein noch zuweilen etwas zu sehr schreit. Die Kostüme waren musterhaft, aber der feuerspeiende Vesuv mißriet, und die Rauchwolken, welche in die Erde versanken, statt daraus hervorzusteigen, waren ein Phänomen, das ich wenigstens nicht so glücklich gewesen bin zu erleben, als ich dem wirklichen Ausbruch des Vesuvs beiwohnte.


Den 8ten

Ein französischer Schriftsteller sagt irgendwo: ›L'on dit que nous sommes des enfants – oui, pour les faiblesses, mais pas pour le bonheur.‹ Das kann ich gottlob von mir keineswegs sagen. Je le suis pour l'un et pour l'autre, ohngeachtet der überstiegenen drei Dutzend Jahre. So amüsiere ich mich hier, in der Einsamkeit der großen Stadt, außerordentlich gut, und kann mir noch ganz wie ein Jüngling einbilden, ich träte eben in die Welt und alles dies sei mir noch neu. Des Morgens besehe ich Merkwürdigkeiten, wandle im Museum auf und ab, oder gehe shopping (dies Wort bedeutet in den Buden umherlaufen und Bagatellen kaufen, deren der Luxus in Paris und in London fortwährend neu erfindet). Hundert kleine Geschenke habe ich Dir dort bereits gesammelt, so daß mein hiesiges, so wenig geräumiges, Logis sie kaum zu fassen imstande ist, und dennoch kaum achtzig Pfund dafür ausgegeben, denn in England ist die Teuerkeit kostbar, hier verführt nur die Wohlfeilheit, und ich muß manchmal lachen, wenn ich sehe, daß ein pfiffiger französischer Kaufmann einen der steifen Insulaner tüchtig angeführt zu haben glaubt und dieser bloß erstaunt hinausgeht, dieselbe Ware grade sechsmal wohlfeiler als in London gekauft zu haben.

Mittags fahre ich in der wissenschaftlichen Prüfung der Restaurateurs fort, und abends in der der Theater, obgleich ich weder den Kursus der einen noch der andern gänzlich zu vollenden Zeit haben werde.

Während dem shopping bemerkte ich heute im Palais Royal ein Aushängeschild, auf dem die wunderbare Exposition des Todes des Prinzen Poniatowsky bei Leipzig angekündigt war. Dergleichen Nationellem gehe ich nicht gern vorüber und stieg daher, das Wunder zu sehen, eine elende dunkle Treppe hinauf, wo ich in einer noch dunklern Kammer ohne Fenster, einen dürftig gekleideten Mann bei einer halb verlöschten Lampe sitzen fand. Ein großer Tisch, der vor ihm stand, ward von einem schmutzigen Tuche bedeckt. Sobald ich eintrat, eilte er sogleich noch drei andre Lampen anzustecken, die jedoch nicht recht brennen mochten, worauf er laut und heftig zu deklamieren anfing. Ich glaubte, die Explikation beginne schon, und frug, da ich nicht recht acht gegeben, was er gesagt habe? »Oh rien!« war die Antwort, »je parle seulement à mes lampes, qui ne brûlent pas clair.« Nachdem die Konversation mit den Lampen endlich ihren Zweck erreicht, ward das verdeckende Tuch hinweggezogen und ließ nun ein Kunstwerk erblicken, das einer Nürnberger Spielsache mit kleinen beweglichen Figuren glich, durch die Erklärungen des Besitzers aber reichlich den Eintrittspreis vergütigte. In einem näselnd singenden Tone begann er folgendermaßen: »Voilà le fameux Prince Poniatowsky, se tournant avec grâce vers les officiers de son corps, en s'écriant!: ›Quand on a tout perdu, et qu'on n'a plus d'espoir, la vie est un opprobre et la mort un devoir.‹ – Remarquez bien Messieurs (er redete mich immer im Plural an) comme le cheval blanc du Prince se tourne aussi lestement qu'un cheval véritable? Voyez: pan à droite – pan à gauche – mais le voilà qui s'élance, se cabre se précipite dans la rivière, et disparait.« – Dies geschah, indem die Figur an einem Faden unter dem Tische, erst rechts und links, dann vorwärts gezogen wurde, und hierauf durch Hinwegziehung eines, im gemalten Wasser angebrachten Schiebers darunter in einen Schubkasten fiel. »Ah bien! voilà le Prince Poniatowsky noyé. Il est mort... C'est la première partie – maintenant, Messieurs, vous allez voir tout à l'heure la chose, la plus surprenante qui ait jamais été montrée en France. Tous ces petits soldats innombrables que vous apercevez devant vous (es waren ohngefähr sechzig bis siebzig) sont tous vraiment habillés – habits, gibernes, armes, tout peut s'ôter et remettre à volonté. Les canons servent comme des canons véritables, et sont admirés par tous les officiers du génie qui viennent ici.« Um dies ad oculos zu demonstrieren, wurde die vorderste kleine Kanone an der Lafette gehoben, und dem ersten Soldaten sein Degengehänge abgenommen, welches als hinlänglicher Beweis für die gemachte Angabe galt. »Ah, bien! vous allez maintenant, Messieurs, voir manœuvrer cette petite armée, comme sur le champ de bataille. Chaque soldat, et chaque cheval feront séparément les mouvements propres, voyez...« Hier geschah nun weiter nichts als daß sämtliche Püppchen, die im ersten Akt wahrscheinlich aus Respekt vor dem Fürsten Poniatowsky, sich nicht gerührt hatten, beim Lärm einer Trommel, die ein kleiner Junge unter dem Tische schlug, nun gemeinschaftlich zwei anhaltende, taktförmige Bewegungen machten, die bei den Soldaten im Heben und wieder Niederfallen ihrer Arme, bei den Pferden im Bäumen und Ausschlagen bestanden. Unterdessen rezitierte der Erklärer mit vermehrtem Pathos das französische Bulletin jener affaire, worauf der zweite Akt schloß. Ich glaubte daß es kaum besser kommen könnte, und da unterdessen einige Zuschauer mehr eingetreten waren, ich auch den üblen Geruch zweier ausgegangenen Lampen nicht länger ertragen mochte, so flüchtete ich für meine Person vom Schlachtfelde, und allen seinen Wundern. Tragisch war es aber doch, dem sich einst so heroisch aufopfernden Helden jetzt so mitspielen zu sehen!

In der Oper vergnügte ich mich sehr am ›Comte Ory‹, den der jüngere Nourrit sang. Die Kenner mögen noch so viel gegen Rossini schreien – wahr bleibt es doch, daß auch hier wieder Ströme von Melodie das Ohr entzücken, bald in Liebestönen schmelzend, im Gewitter donnernd, beim Bankett der Ritter jubelnd, oder beim Gebet sich feierlich gen Himmel erhebend. Seltsam genug ist es freilich, daß in dieser, fast mehr als leichtfertigen Oper, das nur als Heuchelei dargestellte Gebet der Ritter dasselbe ist, welches Rossini früher für Karl X. Krönungsfeierlichkeit komponiert hatte. Madame Cinthi sang die Rolle der Gräfin sehr gut, Mademoiselle Javoureck zeigte, als Page des Grafen, sehr schöne Beine, und auch der Bassist war vortrefflich.

Das Ballett, dächte ich, hätte gegen ehemals ein wenig verloren; Albert und Paul werden durch die Jahre nicht leichter, und außer den Damen Noblet und Taglioni zeichnet sich kaum eine Tänzerin aus.

Ich bemerkte während der Oper, daß derselbe Akteur, welcher in der ›Muette‹ eine der Hauptrollen spielt, heute unter dem Corps der Ritter eine ganz unbedeutende Stelle einnahm. Ähnliches geschieht hier oft und ist eine höchst nachahmungswerte Einrichtung, da nur, wenn auch die Besten zum ensemble konkurrieren müssen, die Rolle mag groß oder klein sein, ein wahrhaft gutes Ganze hervorgebracht werden kann.

Für dieses ensemble wird überhaupt in Frankreich weit mehr als bei uns getan, wo oft die Täuschung an Kleinigkeiten scheitert, welche die Bequemlichkeit der Direktion oder der Schauspieler vernachlässigt. Der selige Hoffmann (nicht der Seelen Verteilende, sondern der Seelen Ergreifende) pflegte zu sagen, daß von allem Grausenhaften ihm nichts unheimlicher vorgekommen sei, als wenn er, im Berliner Theater, einen Iffländer Geheimrat zuerst so prosaisch sich gehaben, und dann plötzlich statt menschlich durch die Türe abzugehen, wie der leibhaftige Gott-sei-bei-uns, durch die Wand fahren gesehen habe, als sei es bloße Luft. –


Den 10ten

Es ist freudig auffallend, das Museum, nach allem was restituiert werden mußte, doch noch so überschwenglich reich zu finden! Die neuen Säle Denons geben nun auch dem größten Teile der Standbilder einen würdigen Aufenthaltsort; es ist nur schade, daß man die alten Säle nicht auch in ähnlichem Stil einrichtet. Zuviel würde, bei Demolierung der Deckengemälde, nicht verloren gehen, da sie an sich keinen großen Wert haben, und Gemälde überhaupt sich in Verbindung mit Statuen so schlecht ausnehmen. Skulptur und Malerei sollte man wohl nie vereinigen.

Ohne mich bei den bekannten Meisterstücken aufzuhalten, laß mich einiger Kunstwerke erwähnen, die mich besonders ansprachen, und die ich mich früher nicht gesehen zu haben erinnere. Erstens eine schöne Venus, in Milo erst vor einigen Jahren gefunden, und vom Duc de Rivière dem Könige geschenkt. Sie ist als victrix dargestellt, nach der Meinung der Antiquare, ursprünglich entweder den Apfel vorzeigend, oder mit beiden Händen den Schild des Mars haltend. Da die beiden Arme fehlen, so bleibt dies Hypothese. Aber wie schön ist der vom Gürtel an nackte Körper! Welches Leben, welche zarte Weichheit und reizende Form! Der triumphierende, stolze Ausdruck des Gesichts ist weiblich wahr und doch auch göttlich erhaben.

Zweitens. Eine weibliche, in weite Gewande gehüllte Figur (›Image de la Providence‹ im Katalog genannt) ein herrliches, ideales Weib, Sanftmut und Güte im Antlitz, himmlische Ruhe in der ganzen Gestalt. Die Draperie ist von höchster Grazie und Vollendung.

Drittens. ›Amor und Psyche‹, aus der Villa Borghese. Die letztere fleht Amors Verzeihung an, auf ihre Knie gesunken, und das süße Lächeln Amors zeigt, daß ihr Flehen schon innerlich erhört sei. Wollüstige Formen und der lieblichste Ausdruck der Gesichter bestechen wenigstens den Laien! Die Gruppe ist so gut erhalten, daß nur die eine Hand des Liebesgottes als restauriert erscheint.

Viertens. Eine schlafende Nymphe. Die Alten, welche alles unter den schönsten Gesichtspunkt zu bringen verstanden, pflegten häufig mit solchen Figuren, als bloßen Emblemen des Todes, ihre Sarkophage zu schmücken. Der Schlaf, sieht man, ist tief – aber die Stellung dennoch beinahe üppig, und reizend die Glieder, an die sich eine schöne Draperie, nur halb verbergend, anschließt. Sie erinnert mehr an neues junges Leben, als an den vorhergehenden TodSo sollten wir alle den Tod betrachten, darstellen und behandeln. Nur falsch verstandenes Christentum, vielleicht der jüdische Untergrund (wahrlich kein Goldgrund) hat den Tod so lugubre gemacht, und ebenso grob sinnlich als unpoetisch, Verwesung und Gerippe zu seinem Emblem erwählt. A. d. H. . –

Fünftens. Eine Zigeunerin (angeblich), merkwürdig durch die Mischung von Stein und Bronce. Von letzterem die Figur, von ersterem der lakedämonische Mantel. Der Kopf ist zwar modern, aber von einem höchst gefälligen, schalkhaften Ausdruck, der ganz einer echten Zingarella angehört, wie sie Italien liefert.

Sechstens. Die prächtige Statue einer Anbetenden. Der Kopf und Hals, von weißem Marmor, hat die streng ideale Schönheit der besten Antiken, und der Faltenwurf, vom härtesten Porphyr, könnte in Samt und Seide nicht leichter und freier fallen.

Siebentens. Die kolossale ›Melpomene‹ gibt einem der neuen Säle den Namen, und unter ihr faßt ein elegantes Broncegeländer ganz vorzüglich gelungene Nachahmungen antiker Mosaike, vom Professor Belloni, ein. Dies ist eine höchst interessante Erfindung, von der es mich wundert, sie von den Reichen noch so wenig benutzt zu sehen.

Achtens. Die Büste des jungen Augustus. Ein schöner, milder, kluger Kopf – sehr verschieden im Ausdruck, wiewohl mit denselben äußern Umrissen der Züge, von der Statue, die den Kaiser in späterem Alter darstellt, wo die Gewalt der Umstände und der Einfluß der Parteien ihn zu so mancher Grausamkeit hinrissen, bis zuletzt doch wieder, mit der unumschränkten Macht, die angeborne sanftere Natur die Oberherrschaft erhielt.

Neuntens. Sein großer Feldherr Agrippa. Nie sah ich eine charakteristischere Physiognomie in edlerer Form! Es ist seltsam, daß die Stirn und das Obere der Augen eine große Ähnlichkeit mit einem Manne zeigen, der auch, obwohl in ganz anderem Wirkungskreise, zu den Großen gehört – ich meine Alexander v. Humboldt. In den andern Teilen des Gesichts verschwindet übrigens diese Ähnlichkeit völlig. Je mehr ich diesen Eisenkopf anschaute, je mehr überzeugte ich mich, daß ein solcher grade dem weichen Augustus nötig war, um Herr der Welt werden zu können, und zu bleiben.

Zehntens. Das Letzte und zugleich Interessanteste für mich war eine Büste Alexanders, nach Denons Ausspruch, die einzige authentische, welche existiert: ein wahres Studium für den Physiognomisten und Kraniologen, denn die Treue der alten Künstler bildete mit gleicher Sorgfalt alle Teile, genau nach dem Vorbilde der Natur. Wirklich hat dieser Kopf alle Wahrheit des Portraits, ganz vom Idealisierten entfernt, nicht eben ausgezeichnet schön in den Zügen, aber in seinen merkwürdigen Verhältnissen und Ausdruck, der Geschichte des großen Originals durchaus entsprechend. Den, zuweilen leichtsinnigen, abandon des Charakters verrät sehr gut der graziös etwas zur Linken geneigte Hals, wie der wollüstige Zug um den Mund; Stirn und Kinnladen sind auffallend gleich Napoleon, so wie auch die ganze volle Form des Schädels, hinten und vorn (tierisch und intellektuell), sich wie bei Napoleon gleich vollständig ausgebildet zeigt.Wie Napoleon von sich selbst sagte: carré, autant de base que de hauteur.‹ A. d. H. Die Stirne ist nicht zu hoch (keinen Ideologen verratend) sondern gedrängt und metallkräftig. Die Züge im allgemeinen sind zwar regelmäßig und wohlgebildet, aber wie schon erwähnt, nicht idealisch schön zu nennen. Um Auge und Nase thront, von einer erhabnen Schlauheit, wenn ich mich so ausdrücken darf, umspielt, Schärfe des Geistes mit dem entschlossensten Mut, und zugleich jener sinnigen Gemütlichkeit der Seele gepaart, die Alexander zu einem ebenso unbesiegbaren, als liebenswürdig poetischen, Jünglingshelden machte, wie er einzig in der Geschichte dasteht. Mit dem gleichen Komplex von Eigenschaften begabt, würden, weder Carl der XII. noch Napoleon, ihren Untergang in Rußland gefunden haben, und jetzt der eine nicht als ein Don Quixotte, der andere als ein bloß tyrannisch berechnender Kraft- und Verstandesmensch angesehen werden. Das Ganze bildet ein Wesen, dessen Anblick in hohem Grade anzieht und, obgleich imponierend, dennoch in dem Beschauer selbst Mut, Liebe und Vertrauen hervorruft. Man fühlt sich, im Widerschein dieser Züge, behaglich und sicher und sieht ein, daß ein solcher Mann in allen Zeiten, in allen Lagen des Lebens, Bewunderung und Enthusiasmus erregen, und mit sich fortreißend habe wirken müssen.

Noch will ich eines lieblichen Basreliefs und eines originellen Altars erwähnen. Das Basrelief (auch aus der Borghesischen Sammlung, die Frankreich, mit so vielem, Napoleon verdankt) stellt Vulkan vor, wie er den Schild des Äneas schmiedet. Zyklopen um ihn, alle mit wahren Silen- und Faungesichtern, sind sehr ergötzlich abgebildet, gar herzig aber erscheint, mitten unter ihnen, ein kleiner, lieblicher cupido, der, halb sich hinter einer Türe versteckend, dem einen der Zyklopen die Mütze eskamotiert. Alles in der niedlichen Komposition ist voll Leben, Laune und Bewegung, und die Wahrheit der Formen und Korrektheit der Zeichnung meisterhaft.

Der Altar, zwölf Göttern zugleich gewidmet, sieht einem christlichen Taufbecken ähnlich. Die Hauptreliefs der zwölf Gottheitsbüsten umgeben den Rand des Beckens, gleich einem schönen Kranz. Die Arbeit ist vorzüglich, und die Erhaltung läßt wenig zu wünschen übrig. Die Götter sind in folgender Ordnung gereiht: Jupiter, Minerva, Apollo, Juno, Neptun, Vulkan, Mercur, Vesta, Ceres, Diana, alle einzeln, zuletzt Mars und Venus vereinigt durch Amor. Es wundert mich, daß man diese geschmackvolle Idee noch nicht im Kleinen für die Bazars der Damen, in Alabaster, Porzellan oder Kristall ausgeführt hat, wie die bekannten Tauben und andere Kunstgegenstände. Nichts könnte sich besser dazu eignen, und doch war nicht einmal bei Jaquet, (dem Nachfolger Gettis, mouleur de musée) ein Gipsabguß davon zu finden, ebensowenig wie von den meisten der angeführten Werke, bloß weil viele nicht zu den berühmtesten gehören, unter welchen berühmtesten doch einige recht wenig anziehende sind. Die Menschen sind gar zu sehr comme les moutons de Panurge. Sie folgen bloß der Autorität und lassen sich von dieser nur vorschreiben, was ihnen gefallen soll.

In der Gemäldegalerie würden die erzwungenen Restitutionen ebenfalls weniger bemerkbar sein, wenn man nicht so viel Gemälde der neueren französischen Schule darin aufgestellt fände, die, ich gestehe es, sehr wenige ausgenommen, oft nur wie halbe Karikaturen auf mich wirken. Diese theatralische Verzerrung, dieser Bretteranstand, welche selbst Davids Figuren nicht selten zur Schau tragen, und die stets übertriebenen Leidenschaften erscheinen schülermäßig gegen die edle Naturwahrheit der Italiener, und lassen auch die gewinnende Gemütlichkeit der deutschen und niederländischen Schule gänzlich vermissen. Unter diesen berühmten Neuern mißfiel mir Girodet am meisten, und gewiß kann kein gesunder Kunstsinn seine Sündflut ohne Widerwillen betrachten, auch Horace Vernet glänzt nur in Genre-Stücken, aber Gérards Einzug Heinrich des IV. scheint mir ein Bild, dessen Ruf dauern wird.

Die vielen Rubens und Le Sueurs, die man, um die Lücken zu decken, aus dem Palais Luxembourg hergebracht hat, ersetzten ebenfalls nur schlecht die verschwundenen Raphaels, Leonardo da Vincis und Van Eycks. Kurz, alles Neue und Alte, seit der Restauration hierhergekommene, macht keinen günstigen Eindruck, wohin die schlechten Malerbüsten auch noch gehören, die man in gewissen Distanzen in der Galerie unter Säulen aufgestellt hat, und die, auch wenn sie besser gearbeitet wären, in einen Gemälde-Saal nie gut passen würden. Wie immer bildet aber auch noch jetzt die prächtige, lange Galerie, den angenehmsten Spaziergang im Winter, und die Liberalität, welche den Zugang stets offen läßt, ist nicht genug zu loben.

Wenn ich bedenke, wie noch erbärmlicher es um die Malerei in England steht, wie Italien und Deutschland ebenfalls nichts Großes mehr bietenMacht hier nicht München eine ruhmvolle Ausnahme, wo ein wahrhaft großer Künstler einen noch größern Kunstbeschützer gefunden hat. A. d. H. , so möchte man fürchten, daß es mit dieser Kunst bald wie mit der Glasmalerei gehen wird, ja ihr tiefstes Geheimnis wirklich schon verloren gegangen sei. Die Fülle, Kraft, Wahrheit und Leben der alten Maler, wie ihre technische Farbenkenntnis – wo werden sie noch angetroffen? Thorwaldsen, Rauch, Dannecker, Canova wetteifern mit der Antike, aber welcher Maler ist auch nur neben die Künstler zweiten Ranges aus der Blütezeit der Malerei zu stellen? Nur die schon erwähnte Genre-Arbeit prosperiert, obgleich auch in ihr die sorgsame, treue Natur-Kopie der Niederländer nie entfernt erreicht wird.

In einem Seitenhofe des Museums steht jetzt der kolossale Sphinx aus Drovettis Sammlung, für den Hof des Louvre bestimmt. Er ist aus rosenfarbnem Granit und von ebenso grandioser Skulptur, als stupender Masse, auch ganz intakt, bis auf die Nase, welche man eben durch eine weiße Gipsnase ersetzte, die noch nicht die letzte couche und ihre Farbe erhalten hatte. Dieser Anblick machte mich unwillkürlich lachen, und an die sonderbaren Verkettungen der Umstände denkend, die auch diesen Riesen endlich hierhergebracht, rief ich in meinem Innern: Was willst Du, großer ägyptischer Naseweis, hier im neuen Babylon nach dreitausend Jahren, wo kein Sphinx mehr ein Rätsel verbirgt, und wo die Verschwiegenheit überhaupt nie zu Hause war.

Abends wählte ich mir unter den Theatern die Porte St. Martin, um ›Faust‹ zu sehen, der schon zum 80sten oder 90sten Male die schaulustige Welt anzieht. Der Kulminationspunkt dieses Melodramas ist ein Walzer, den Mephistopheles mit Martha tanzt, und in der Tat, man kann nicht teuflischer walzen! In der noch hübschen Tänzerin sieht man das höllische Feuer bald schreckend, bald die Adern mit Liebesglut erfüllend, deutlich agieren, und beide Motive bringen bei der französischen Martha doch nur wollüstige Bewegungen hervor, eine Sache, welche die südlichen Tänzerinnen aber noch besser verstehen. Dieser Walzer verfehlt nie den rauschendsten Beifall hervorzurufen und verdient es, da die Pantomime durchaus sprechend, anziehend, ja in manchen Momenten fast ergreifend ist, ohngefähr wie eine mit Possen untermischte Gespenstergeschichte. Mephistopheles, obgleich häßlich, hat doch den Anstand eines vornehmen Mannes, was unsern deutschen Teufeln stets abgeht.

Unter den Dekorationen zeichnet sich der Blocksberg mit seinen Greueln aus, die die Wunder der Wolfsschlucht weit hinter sich zurücklassen. Durch grausende Lichter aller Farben erleuchtet, die hinter schwarzen Tannen und Windbrüchen hervorblitzten, wimmelte es von lebenden Gerippen, schillernden Lindwürmern, furchtbaren Mißgeburten, geköpften oder zerfleischten, blutenden Körpern, gräßlichen Hexen, kolossalen, glühenden Riesenaugen, die aus den Zweigen lugten, menschengroßen Kröten, giftgeschwollenen Schlangen, halbvermoderten Leichnamen und vielen andern lieblichen Bildern dieser Art. Im letzten Akt verstieg sich jedoch die Dekoration zu weit, indem sie Himmel und Hölle zugleich darzustellen sich vermaß. Der Himmel, welcher natürlich den obern Teil der Bühne einnahm, glänzte zwar sehr schön in lichtblauem Brillantfeuer, dies war aber dem teint von Gretchens Seele sowohl, als den um sie her pirouettierenden Engeln dergestalt ungünstig, daß sie sämtlich mehr den Leichnamen des Blocksberges als Seligen ähnlich sahen. Ein weit besseres Kolorit hatten dagegen die unmittelbar unter dem hölzernen Himmelsboden tanzenden Teufel, die auch ihre roten Backen durch den Eifer verdienten, mit der sie Fausts Puppe unverdrossen zu zerreißen beschäftigt waren, bis der Vorhang fiel – (Es ist eigentlich hübsch, wenn große Menschen solche Kinder sind!)

Der Saal des Theaters selbst ist geschmackvoll dekoriert: Bunte Malerei und Gold auf einem weißen Atlasgrund. Die farbigen Blumen, Vögel und Schmetterlinge nehmen sich gar freundlich darauf aus. Das Innere der Logen ist lichtblau, und die Brüstung ahmt roten Samt nach. Außer dem störenden Geschrei der Limonadenverkäufer, die für ein deutsches Ohr die Worte: orgeat, limonade und glace, in so seltsamer Abkürzung ausrufen, wanderte auch ein Jude mit Theater-Lorgnetten umher, die er für 10 Sous das Stück für die Dauer der Vorstellung vermietete – eine industry, die ich mich früher nicht bemerkt zu haben erinnere, und die recht bequem dient, wenn man kein eignes Glas bei der Hand hat.

Dieser Brief gelangt wahrscheinlich auf Schlitten zu Dir, denn wir haben, seit ich hier bin, ein ganz russisches Klima, aber leider keine russischen Öfen. Der Himmel verleihe Dir eine bessere Temperatur in B...

Dein treuer L...


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