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Brighton, den 7ten Februar 1827
Geliebteste!
Ich habe gestern die 60 Meilen hierher sehr schnell, und in der angenehmsten Trägheit, ohne nur aufzublicken, zurückgelegt, denn man muß auch manchmal wie ein vornehmer Engländer reisen.
Es scheint hier eine bessere Temperatur als in dem übrigen Nebellande zu herrschen, der glänzendste Sonnenschein weckte mich wenigstens heute früh schon um 9 Uhr.
Bald darauf ging ich aus, zuvörderst auf die Marineparade, die sich weit dem Meere entlang erstreckt, machte dann eine Tour durch die große reinliche und sehr heitere Stadt, die mit ihren breiten Straßen den neuesten Quartieren Londons ähnlich ist, und schloß mit Visiten bei verschiedenen Londner Bekannten. Nachher ritt ich spazieren, denn meine Pferde wurden bei Zeiten vorausgeschickt. Vergebens sah ich mich dabei nach einem Baum um. Die Gegend ist vollkommen kahl, nichts als mit kurzem Gras bedeckte hüglige Dünen sind zu erspähen, und Meer und Himmel gewähren die einzigen pittoresken Gegenstände. Auch bereiteten sie mir heute gleich zum Empfang den schönsten Sonnenuntergang. Dieses majestätische Gestirn war in rosenrote transparente Nebel gehüllt, so daß es keine Strahlen mehr warf, dagegen in der intensivsten Glut einem dichten Goldklumpen glich, der, als er das Wasser berührte, nun langsam zu schmelzen und einen großen Teil des blauen Meeres zu überfließen schien. Endlich verschlang der Ozean den feurigen Ball, die brennenden Farben verblichen, aus rot zu violett, dann nach und nach zu weiblichem Grau, und in der Dämmerung rauschten die Wogen, vom Abendwind getrieben, pfeifend gegen den flachen Strand, wie im Triumph über die nun begrabne Sonne.
Ein berühmter alter Minister sah das schöne Schauspiel mit mir zugleich an, und war keineswegs dafür abgestorben, Lord Harrowby, ein liebenswürdiger Mann von ebenso feinen und sanften Sitten, als großer Welt- und Geschäftserfahrung.
Den 8ten
Öffentliche Reunions-Säle, Badelisten etc. gibt es hier gar nicht. Brighton heißt nur ein Badeort in unserm Sinne, und dient hauptsächlich den Einwohnern Londons, die Zerstreuung und gesundere Luft suchen, und keinen eigenen Landsitz haben, oder das Haushalten dort zu kostspielig finden, zum Winteraufenthalt, denn die hiesige season fällt in die Wintermonate. Mode hat es besonders der König gemacht, der es einst sehr liebte, und einen abenteuerlichen, orientalischen Palast hier gebaut hat, der mit allen seinen Kuppeln und deren Aufsätzen von den nahen Höhen gesehen, vollkommen einem aufgestellten Schachspiel gleicht, inwendig aber sehr prächtig, wenngleich auch phantastisch meubliert ist. Obwohl er ungeheuere Summen gekostet hat, soll der längst seiner überdrüssige hohe Besitzer, schon manchmal Lust gezeigt haben, ihn wieder einreißen zu lassen, was auch eben nicht sehr zu bedauern sein würde.
In den Gärten dieses Palastes befinden sich die einzigen erwachsenen Bäume in hiesiger Gegend, die ich bis jetzt gesehen.
Aber auch ohne diese sind doch die Promenaden am Meer sehr anmutig, besonders die große Kettenbrücke oder jetée, welche 1000 Fuß weit in die See hineingeht, und an deren Ende man sich in den Dampfschiffen für Boulogne und Havre embarkiert.
Nicht weit davon hat ein Indier orientalische Bäder angelegt, wo man, wie in der Türkei, massiert wird, was sehr stärkend und gesund sein soll, auch bei der vornehmen Welt, besonders den Damen, sehr beliebt ist. Man nennt sie ›Mahomets Bäder‹. Ich fand das Innere indes sehr europäisch eingerichtet. Die Behandlung gleicht der in den russischen Dampfbädern, nur finde ich sie weniger zweckmäßig, denn man sitzt in einer kühlen Stube auf einem erhöhten Sessel, den eine Art Palankin von Flanell umgibt; und nur in diesen kleinen Raum dringt, aus dem Boden aufsteigend, ein heißer Kräuterdampf hinein. Die Flanellwand hat mehrere Ärmel, die nach außen herabhängen, und in welche der Masseur seine Arme steckt, und mit den Händen den Körper des Badenden sanft knetet. Er fährt dann mit festem und stetem Drucke des Daumens an den Gliedern, am Rückgrat, den Rippen und über dem Magen viermal herab, was der Organisation wohl zu tun scheint. Währenddem transpiriert man so lange und so stark als man wünscht, und wird zuletzt, bei abgenommenem Deckel des Flanellzeltes, mit lauem Wasser übergossen. Die plötzliche Kühle des Zimmers aber, der man nun ausgesetzt bleibt, halte ich für sehr ungesund.
Nachahmungswerter scheint mir die hier übliche Weise, die Wäsche zum Abtrocknen zu wärmen. Diese liegt nämlich in einer Kommode, deren Fächer mit Messing gefüttert sind, und durch Dampfheizung den ganzen Tag eine stets gleiche Wärme behalten.
Den 9ten
Die Sonne ist schon wieder verschwunden, und von neuem eine solche Kälte eingetreten, daß ich Dir in Handschuhen schreibe, um meine weißen Hände zu konservieren, auf die ich, wie Lord Byron, sehr viel halte. Ich gestehe dies auch, da ich gar nicht der Meinung bin, daß man gerade ein fat sein muß, wenn man das wenige Hübsche, was einem der liebe Gott gegeben hat, möglichst zu bewahren sucht; vor Frost aufgesprungene Hände waren mir aber von jeher ein Greuel. Dabei fällt mir ein, daß ich vor vielen Jahren in Straßburg mich einmal im boudoir einer sehr schönen Frau, mit dem Feldmarschall W... (damals noch General) früh zusammenfand, und dieser, Napoleon rühmend, auch seiner Mäßigkeit erwähnte, und mit fast verächtlichem Tone hinzusetzte: ein Held könne kein gourmand sein.
Nun kannte mich die schöne Frau, die mir übrigens gar sehr wohl wollte, als nicht ganz unempfindlich für bonne chère und fand um mich zu necken, ein boshaftes Vergnügen daran, den General diesen Spruch wiederholen zu lassen. Obgleich ich nie versucht worden bin, mich für einen Helden zu halten (ausgenommen etwa eines kleinen Romans hie und da), so fühlte ich doch, daß ich rot wurde, eine derjenigen Dummheiten, die ich mir nie, und leider Gottes noch nicht abgewöhnen kann, oft sogar, wenn gar kein wirklicher Grund dazu vorhanden ist.
Ärgerlich über mich selbst, sagte ich ganz pikiert: »Es ist ein Glück für den Liebhaber eines guten Tisches, Herr General, daß es einige brillante Ausnahmen von Ihrer aufgestellten Regel gibt. Erinnern Sie sich nur der Tafelrunde, und dann Alexanders. Freilich ist es wahr, daß diesen ein zu schwelgerisches Mahl zur Verbrennung von Persepolis verleitete, aber ein Held blieb er dennoch, und auch Friedrich den Großen hat die gourmandise weder am höchsten Kriegs- noch Regentenruhm gehindert. Übrigens sollten Sie, der mit den Franken so ruhmvoll streitet, die gute Küche nicht angreifen, da jene Nation, so große Generale sie hat, doch durch ihre Küche schon länger, und vielleicht auch bleibender berühmt ist.« Dies letzte sprach ohne Zweifel ein prophetischer Geist aus mir, und wie würde sich der so enthusiastisch Napoleon pronierende General gewundert haben, wenn ich ihm zugleich hätte sagen können, daß über ein Kleines er selbst diesem großen Nicht-Gourmand gegenüberstehen, und einen der letzten erfolgreichen coups de griffes des kranken Löwen erleiden würde.
Du meinst vielleicht, meine gute Julie, diese Anekdote passe hierher, wie ein ›apropos‹ unsers Freundes H... – aber nein – ich führe im Gegenteil auch noch Alkibiades und Poniatowsky für Putz und Toilette an, um gänzlich durch die Erfahrung zu beweisen, daß weder Empfänglichkeit für die bonne chère, noch etwas Fatuität an Heldentaten hindern, wenn man sonst die gehörige Anlage dazu hat.
Ein Besuch des Grafen F..., einem der liebenswertesten und achtbarsten Repräsentanten der Zeiten Napoleons, welcher in diesen les souvenirs de l'ancien régime, und in die heutigen das Zeugnis makelloser Rechtlichkeit und Treue mit hinübergenommen – (ein seltner Fall!) unterbrach mich hier, um mich zu übermorgen zu Tisch einzuladen. Das hat mich aufgehalten, zum Reiten ist es zu spät, Club-Gesellschaft zu besuchen habe ich keine Lust, ich werde also lieber noch einen zweiten Schlafrock überziehen, von Dir und M... träumen, Deine Briefe wieder einmal überlesen, und geduldig dabei in meiner Stube frieren, bis ich zu Bett gehe, denn mehr wie 8 Grad Wärme kann ich in meinem luftigen und fensterreichen Lokal, durch bloßes Kaminfeuer nicht hervorbringen. Also au revoir.
Den 10ten
Es war billig, daß ich mich heute für den gestrigen Stubenarrest entschädigte, und viele Stunden in der Gegend umherirrte, um so mehr, da ich abends mich exekutieren mußte, um einem großen Subscriptionsball beizuwohnen.
Die hiesige Umgegend ist gewiß sehr eigentümlich, denn während vier Stunden Umherreitens fand ich immer noch keinen ausgewachsenen Baum. Die vielen Hügel jedoch, die große Stadt in der Ferne, mehrere kleinere in der Nähe, das Meer und seine Schiffe nebst einer häufig wechselnden Beleuchtung, belebten die Landschaft hinlänglich, und selbst der Kontrast mit dem überall sonst so baumreichen England war nicht ohne Reize. Die Sonne ging endlich inkognito zur Ruh, das Wetter hellte sich ganz auf, und der Mond stieg klar und glänzend über den Wassern empor. Jetzt wandte ich mein Roß von den Hügeln herab dem Meere zu, und ritt die 5-6 Meilen, die ich noch von Brighton entfernt sein mochte, hart am Rande der Wellen auf dem sandigen Strande nach Brighton zurück. Die Flut war eben im Beginnen, und mein Pferd machte zuweilen einen Seitensprung, wenn mit weißem Schaum gekrönt, eine Woge unter ihm durchrollte, und schnell wieder, wie mit uns spielend, zurückfuhr.
Ich liebe nichts mehr, als bei Mondschein einsam am öden Meeresufer zu reiten, einsam mit dem Plätschern und Rauschen und Sausen der Wellen, so nahe der geheimnisvollen Tiefe, so schauerlich, daß selbst die Pferde nur mit Gewalt sich an der Flut halten lassen, und vom Instinkt geleitet, sobald man sie ablenkt, mit verdoppelter Schnelligkeit dem sichern festen Lande zueilen.
Wie verschieden von dieser poetischen Szene der prosaische Ball! – der überdies meiner Erwartung so wenig entsprach, daß ich darüber erstaunte. Eine enge Treppe führte zum Lokale hinauf, und ohne Vorzimmer, kam man unmittelbar in einen schlecht erleuchteten, und höchst ärmlich meublierten Saal, um welchen rund umher eine Galerie von wollenen Stricken gezogen war, die Tanzenden von den Zuschauern zu trennen. Eine Tribüne für die Musik war so ungeschickt mit schlecht gewaschenem Weißzeuge drapiert, daß es aussah, als wenn man Bettücher zum Trocknen aufgehangen hätte. Dazu denke Dir noch einen zweiten Saal daneben mit fortlaufenden Bänken an den Wänden und einem großen Teetisch in der Mitte, in beiden aber die zahlreiche Gesellschaft ganz rabenschwarz von Kopf zu Fuß, inklusive Handschuh, wegen der Trauer, und dabei ein so melancholisches Tanzen mit keiner Spur von Lebhaftigkeit oder Freude, daß man die Leute wegen der unnützen fatigue bedauert, so wirst Du eine sehr treue Idee von Brightons ›Almacks‹ (so werden diese sehr fashionablen Bälle genannt) haben. Die ganze Einrichtung ist komisch genug. Diese Almacks sind in London das Höchste der Mode in der season, die vom April bis Juni dauert, und 5-6 der vornehmsten Damen (Princess L... ist auch eine davon), welche man ›patronesses‹ nennt, verteilen die billets dazu. Die Erteilung derselben ist eine große Gunst, und für Leute, die nicht zu der allervornehmsten oder modernsten Welt gehören, sehr schwierig zu erlangen, so daß monatelange Intriguen angesponnen, und den ›Lady Patronesses‹ auf die gemeinste Weise geschmeichelt wird, um dergleichen zu erhalten, weil der oder die, welche nie auf Almacks gesehen werden, als ganz unfashionable (ich möchte fast sagen unehrlich) zu betrachten sind, und die fashionable sein wollende englische Welt dies natürlich für das größte mögliche Unglück hält. Dies ist so wahr, daß neulich sogar ein Roman eigens über diesen Gegenstand geschrieben worden ist, der das Treiben der Londoner Welt recht treu schildert und seit zwei Monaten schon die dritte Edition erlebt hat, dabei aber doch, bei genauer Betrachtung, mehr die antichambres als den Salon verrät, einen, wie der Abbé de Voisenon sagte: qui a écouté aux portes.
Wie die Engländer über Fremde gut unterrichtet sind, beweist unter andern eine Stelle dieses Romans, wo sich die Frau eines fremden Gesandten, die aber in England geboren ist, sehr darüber lustig macht, daß die mit dem Auslande so unbekannten Londner einem deutschen Fürsten einen höheren Rang gewährten, als ihrem Manne dem Baron, dessen Titel doch dort weit vornehmer sei, ›aber das Wort prince‹, setzt sie hinzu, ‹dessen Nichtigkeit auf dem Kontinent jeder kennt eblouiert meine albernen Landsleute‹. – ›C'est bien vrai‹, fällt ein Franzose ein, ›un Duc cirait mes bottes à Naples, et à Petersbourg un Prince russe me rasait tous les matins.‹ Da die Engländer Phrasen aus fremden Sprachen gewöhnlich falsch zitieren, so vermute ich, daß auch hier ein kleiner Irrtum obwaltet, und es ohne Zweifel hat heißen sollen: un Prince russe me rossait tous les matinsNatürlich ist es, daß es den Engländern schwer wird, da sie sich um Fremdes so wenig bekümmern, den gehörigen Unterschied zwischen deutschen, russischen und französischen Fürsten zu machen, und sie daher respektive bald zu hoch, bald zu niedrig anschlagen. In England und Frankreich gibt es eigentlich keine andern Fürsten (princes) als die des königlichen Hauses. Führen Engländer oder Franzosen solche Titel, so sind es fremde, und werden in den französischen alten Adelsfamilien den jüngern Söhnen beigelegt. Z. B. der Prince de Polignac hier, führt als zweiter Sohn den römischen Fürstentitel, der älteste ist Duc de Polignac. .
Was für eine burleske Wirkung aber ein solcher Moderoman sogleich auf die, über das bel air stets im Blinden tappende, Mittelgesellschaft Londons hat, welche daher auch immer in Angst ist, Unbekanntschaft mit der großen Welt zu verraten, und hierdurch sich gewöhnlich erst recht lächerlich macht, davon hatte ich wenige Wochen nach Erscheinung dieses Buchs ein sehr belustigendes Beispiel.
Ich war bei einem reichen Direktor der Ostindischen Compagnie, der früher Gouverneur von St. Mauritius (Isle de France) gewesen, mit mehreren andern Fremden, zu Tisch eingeladen. Unter diesen befand sich auch ein deutscher Fürst, der schon länger im Hause bekannt war, und glücklicherweise für die farce, auch ein deutscher Baron. Als man zu Tisch gehen wollte, näherte sich der Fürst, wie früher, der Dame vom Hause, um sie zu führen, war aber nicht wenig verwundert, als diese ihm mit einer leichten Verbeugung den Rücken kehrte, und sich an den Arm des höchst angenehm überraschten Barons hing. Ein nicht zu unterdrückendes Lachen von meiner Seite beleidigte fast den guten Fürsten, der sich ein so auffallendes Benehmen der Hausfrau nicht erklären konnte, dem ich aber, es sehr gut erratend, schnell aus dem Traume half. Er nahm nun unbekümmert um Rang, die hübscheste Dame aus der Gesellschaft, und ich drängte mich an die andere Seite der Lady F..., um mir eine amüsante Tischunterhaltung zu verschaffen. Die Suppe war auch kaum vorüber, als ich mit verbindlicher Miene gegen sie äußerte, wie sehr mich ihr Takt und ihre feine Kenntnis gesellschaftlicher und selbst fremder Verhältnisse überrascht hätten. »Ah«, erwiderte sie, »wenn man so lange Gouverneurin gewesen ist, lernt man wohl die große Welt kennen.« – »Gewiß«, fiel ich ein, »besonders in Mauritius, wo man's schwarz auf weiß hat.« – »Sie sehen«, fuhr sie fort, indem sie sich zu meinem Ohre beugte, »wir wissen recht gut, daß a foreign ›prince‹ nicht viel sagen will, aber dem Baron alle Ehre, die ihm gebührt.« – »Vortrefflich distinguiert«, rief ich aus, »aber mit einem italienischen müßten sie sich doch wieder in acht nehmen, denn dort heißt ›barone‹: a rascal.« – »Ist es möglich«, sagte sie erschreckend, »welcher sonderbare Titel!« – »Ja Madame, Titel sind auf dem Kontinent ein ominöses Ding, und wären Sie ein ägyptischer Sphinx (sie war wenigstens ebenso unbeholfen) so würden Sie diese Rätsel doch nie ergründen!« – »May I help You to some fish«, sagte sie verlegen, und ungewiß, was sie antworten sollte. »With great Pleasure«, erwiderte ich, und fand den turbot, selbst ohne Titel, vortrefflich. Doch um auf den Almacks-Ball zurück zu kommen, so ist das seltsamste, daß man ein solches billet zu Almacks, um das mancher Engländer wie für Leben und Tod geworben, dennoch mit zehn Schilling bezahlen muß, da dieser Almack weiter nichts als ein Ball für Geld ist. Quelle folie que la mode! Man muß in der Tat zuweilen glauben, daß die Erde das Tollhaus unsers Sonnensystems ist.
Hier in Brighton findet man nur die Nachahmung Londons im kleinen. Die ›Lady Patronesses‹ der hiesigen Almacks sind jetzt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Als ich eintrat, sah ich niemand von meiner Bekanntschaft, und ersuchte daher den ersten besten Herrn, mir die Marquise von ... zu zeigen, von der ich, ohne sie zu kennen, durch entremise der Gräfin F... mein billet bekommen hatte. Ich mußte mich ihr also selbst präsentieren, und fand eine sehr liebe, häusliche Frau an ihr, die nie England verlassen hat. Sie stellte mich ihren Töchtern, drei echten englischen Aalheiten vors. ›Reineke Fuchs‹, kann auch durch ›Ladyships‹ übersetzt werden. A. d. H. , und einer Lady M..., die recht gut deutsch sprach, denn das ist jetzt ebenfalls Mode, und die jungen Damen quälen sich gewaltig damit. Später fand ich endlich einen Bekannten, der mich mit mehreren sehr hübschen jungen Mädchen bekannt machte, unter denen sich ganz besonders Miss W..., eine nièce des Lord E... auszeichnete, die in Deutschland erzogen, und mehr Deutsche als Engländerin ist, was ihr in meinen Augen nur vorteilhaft sein konnte. Sie war bei weitem die hübscheste und grazieuseste auf dem Balle, so daß ich mich beinahe wieder zum Tanzen verstanden hätte, obgleich ich aus Eitelkeit (denn ich tanzte immer schlecht) seit vielen Jahren diesem sogenannten Vergnügen entfremdet war. Hier hätte ich es nun wohl wagen können, da man, Gott weiß es, nirgends ungeschickter herumspringt, und namentlich ein Walzender im Takt zu den wahren Seltenheiten gehört, aber es kam mir doch zu komisch vor, mich an der Grenze des Schwabenalters von neuem den Anbetern der Tarantella zuzugesellen. Il est vrai que la fortune m'a souvent envoyé promener, mais danser – cest trop fort!
Die Marquise erzählte mir hierauf von einem ihrer anwesenden Verwandten, dem Chef eines highlander-clan, mit einem Namen, so lang als ein spanischer Nachkommen der Könige der Inseln, und stolz wie Holofernes auf tausendjährigen Adel, der meine Bekanntschaft zu machen wünsche. Ich konnte mir nur zu der seinigen gratulieren, da ich den Mann ganz so fand, wie Walter Scott seine hochländischen Romanen-Figuren schildert. Ein echter Schotte, mit Leib und Seele an Vorfahren und alten Gebräuchen hängend, mit großer Geringschätzung für die Engländer, dabei voll Feuer, gutmütig, bieder und brav, aber kindisch eitel, und von dieser Seite ebenso verwundbar, als leicht zu gewinnen. Es ward mir daher nicht schwer, seine Gewogenheit zu erlangen, und da ich mich ohnehin ziemlich langweilte, setzte ich mich mit ihm allein in dem Teesaal auf eine der hölzernen mit schlechtem Tuch beschlagenen Bänke nieder, und ließ mir von seiner Güter Herrlichkeiten, allen Schlachten seiner Vorfahren und seinen eigenen Reisen und Taten eine Stunde lang vorerzählen. Die Hauptsache, auf die der liebe Mann, der gut seine 50 Jahre und darüber zählte, immerwährend zurückkam, war seine schottische Tracht, die er mir sehr ausführlich beschrieb, und daher mit Wohlgefallen seines Aufenthalts in Berlin erwähnte, wo er Anno 1800 gewesen und, wie er berichtete, seine Tracht bei der Revue allen so aufgefallen sei, daß der König ihn, ohne daß er Seiner Majestät noch präsentiert gewesen sei, schon in Potsdam zur Tafel eingeladen, eine Ehre, die, seiner Versicherung nach, nur den Pairs des Landes und den ausgezeichnetsten Fremden zuteil würde. Ich wollte hier etwas erwidern, er unterbrach mich aber schnell und versicherte, das sei noch nicht alles. Er habe an jenem Tage nur die halbe schottische Tracht getragen, und englische pantalon dazu angehabt, den andern sei er aber mit bloßen Schenkeln und einem suit mit Silber beschlagen, beim manœuvre erschienen. Der König und der ganze Hof habe ihn angestaunt, und eine Viertelstunde später sei abermals eine Einladung zur Tafel gekommen, worüber alle anwesenden Engländer sich sehr verwundert hätten. Die Königin selbst habe sich viel mit ihm unterhalten, und gleich darauf sei ein Adjutant gekommen, um ihn auf den nächsten Tag nach Berlin zu einer soirée und zur italienischen Oper einzuladen. »Ich frug«, setzte er hinzu, »ob ich mit nackten Schenkeln kommen könne?« »Ohne Bedenken«, erwiderte lachend der Offizier – »und dieser Abend«, sagte mein ehrlicher Schotte mit sichtlichem Stolz, »war mein Triumph, denn nun kam ich in der roten Gala-Kleidung mit Gold beschlagen. – So war ich dreimal nacheinander eingeladen worden, was keinem Pair des Landes geschieht«, wiederholte er, »und dreimal nacheinander auch immer more splendid (glänzender) erschienen. Jetzt war ich aber«, fuhr er fort, »in großen Sorgen einer vierten Einladung, weil ich nun keinen noch prächtigeren Anzug mehr hatte; glücklicherweise blieb sie aber aus.« Das Feuer und die Kindlichkeit, mit der diese lächerliche Geschichte erzählt wurde, machte sie bei alledem gewissermaßen rührend. Ich war natürlich ganz Bewunderung und Aufmerksamkeit gewesen, und sagte nun: es wäre sonderbar, gerade 1800 hätte ich mich als Kind mit meinem Vater in der Berliner Oper neben der königlichen Loge befunden, und erinnere mich noch heute, daß ich darin zum erstenmal in meinem Leben einen Schotten ohne Hosen gesehen, und wie ein Wunder von Pracht und Schönheit angestaunt habe.
»Than I was the man, I was the man!« (dann bin ich der Mann gewesen, ich bin's gewesen) schrie mein alter Schotte ganz außer sich, und von diesem Augenblick hatte ich sein Herz gänzlich erobert, er lud mich dringend nach Schottland ein, bat um meine Karte, und zugleich ihm die Ehre zu gönnen, mich den Herzögen von Athole und von Hamilton in London vorzustellen. Er werde mir die honneurs von Schottland machen und – »warten Sie einen Augenblick, den... hm... ja richtig, den 26sten werde ich hier einen Ball geben, und Ihnen zu Ehren werde ich die schottische Tracht anziehen, die mit Gold beschlagen, nein... ich glaube doch die mit Silber, sie ist nicht so reich, aber eleganter«Auch in neuerer Zeit hatten wir in Berlin das Glück, einen jungen Schotten, und sogar den Sohn Walter Scotts, in seiner Nationaltracht zu bewundern. Er erschien auf einem Feste mit noch einem andern Landsmanne, der in gewöhnlich schwarzer Kleidung, höchst mager und blaß, dem Vampyr, Lord Ruthwen, nicht unähnlich sah. Eine mordante chanson, die am andern Morgen die fête beschrieb, endigte mit folgenden Worten: . Ich ermangelte nicht, die lebhafteste Teilnahme zu zeigen, bedauerte, daß ich zwar nicht so lange hier bleiben könnte, wegen dringender Geschäfte in London, aber mein Möglichstes tun würde, diesen Tag wieder herzukommen, um ein so interessantes Schauspiel nicht zu versäumen; in dem Augenblick kam Lady ... mit ihren Töchtern an, und da ich vorderhand genug gehört hatte, rief ich ihr zu, daß Mr. M... Duc of C... and G... keine ganz neue Bekanntschaft für mich sei, sondern ich ihn schon vor mehreren zwanzig Jahren als Knabe gesehen habe. Auf ihr: Wieso? begann mein unermüdlicher Freund die Geschichte der dreifachen Steigerung von neuem, und ich schlich mich unterdessen leise davon und zu Hause.
Den 11ten
Diesen Morgen ging ich in die Kirche, um fromm zu sein, es gelang mir aber nicht. Es war alles darin gar zu nüchtern, und unästhetisch. Ich lobe mir denn doch einen künstlerischen, wenn auch etwas sinnlichen Gottesdienst. Folgten wir nur der Natur, die für Religion wie Regierungsverfassung (denn sie regiert ganz konstitutionell) die beste Lehrmeisterin bleibt! Flößt sie uns nicht die frömmsten Gefühle gerade durch ihre prächtigsten wie erhabensten Schauspiele ein: durch die Malerei des Sonnenauf- und -unterganges, die Musik des tobenden Gewitters und des brausenden Meeres, die Plastik der Felsen und der Gebirge? Seid also nicht klüger, liebe Leute, als der liebe Gott, und macht's ihm nach, so gut ihr könnt.
Ich würde aber damit wohl tauben Ohren predigen, außer den Deinen, liebe Julie, und die hören längst schon mit mir den himmlischen Sphärengesang, der in des Ewigen herrlicher Schöpfung immerdar tönt, wenn man sich nur nicht positive Baumwolle hereinsteckt, um ihn nicht zu vernehmenMein seliger Freund war immer von einer Art fixen Idee eingenommen, daß eine neue Kirche im Anzuge sei. Wie schade, daß er nicht erlebt hat, was sich jetzt gestaltet, denn eben lese ich in der ›Allgemeinen Zeitung‹ folgende tröstliche Annonce:
An die Unbekannten »In diesen Blättern, höre ich, haben harte Reden wider mich und die Neue Kirche gestanden. Schlaget mich, meine Lieben, aber hört; hier nur ein Wort, um vor der Sünde zu warnen! Noch einmal, es naht uns, mehr und mehr die Hülle lüftend, eine Herrlichkeit, welche Menschenzunge nicht ausspricht, und Menschengeist nur allmählich ahnt. Fassen wir doch kaum, daß alles neu werden mag: wie faßten wir so jählings ein neues All? Hitzig aber auf die Vorhut fallen, und gar das Banner beschimpfen, ist nicht ratsam, bevor wir die Scharen kennen, welche nahen, und die Mächtigen, welchen sie vorausziehen: lieber Bruder, wie wäre Dir, wenn Du, Schmähung noch im Munde, ihn erkenntest? Er kommt zu einer Stunde, da ihr nicht meinet.«
Auch die Predigt, welche ich vernahm, war, obgleich vorher ausgearbeitet, und abgelesen, doch ganz versteinert und gehaltlos. Prediger könnten wohl im allgemeinen viel wohltuender wirken, wenn sie den Schlendrian verließen, immer nur Themata aus der Bibel zu wählen, und diese lieber aus dem lokalen Leben und der menschlichen Gesellschaft entnähmen, überhaupt statt Dogmatik, bei jedem Menschen innewohnende poetische Religion mehr ansprechen, und die Moral nicht bloß als Gebotnes, sondern als Schönes und Nützliches, ja zum Glück des einzelnen und aller Notwendiges lehrten und erklärten. Würde man von der Kanzel aus den gemeinen Mann nur besser zu unterrichten, ihn zum Denken statt Glauben heranzubilden suchen, so würden die Laster bei ihm bald seltner werden. Er würde anfangen, ein wahres Interesse, ein Bedürfnis nach der Kirche und Predigt zu seiner Bildung zu fühlen, während er jetzt sie gewöhnlich aus nichts weniger als erbaulichen Gründen, oder ohne alles Nachdenken besucht. Auch die Gesetze des Landes, nicht bloß die zehn Gebote, sollten der Gemeinde von der Kanzel erläutert, und ihnen mit den Gründen derselben zugleich geläufig gemacht werden, denn wie viele sündigen in dieser Hinsicht, ohne, wie Christus sagt, zu wissen, was sie tunFreilich wäre es dann auch wünschenswert, daß unsere Gesetze der Faßlichkeit des Volkes näher gerückt würden, daß wir, statt Hunderter verschiedener Provinzial- und Lokalrechte, ein Gesetzbuch für die ganze Monarchie hätten, so daß nicht in einem Dorfe Recht sei, was zehn Meilen davon Unrecht werde, und die P... Juristen endlich Arbeiter in Bronze, statt Kesselflicker werden könnten. A. d. H. . Die beste praktische Vorschrift der allgemeinen Moral ist ohne Zweifel, sich zu fragen, ob eine Handlung, wenn sie jeder beginge, der menschlichen Gesellschaft schädlich oder nützlich sei? Im ersten Fall ist sie natürlich schlecht, im zweiten gut. Hat man die Leute nun an die Anlegung dieses Maßstabes gewöhnt, und ihnen dann recht ad oculos die ohnfehlbar aus ihren Handlungen entspringende, endliche Rückwirkung auf sie selbst demonstriert, so wird man in wenigen Jahrzehnten nicht nur Moralität, sondern auch Kultur und Industrie verbessert haben, während die gewöhnliche Priesterweisheit, die den Glauben, die Autorität und das Dogma über alles setzt, jahrhundertelang es beim alten lassen, und nicht selten verschlimmert.
Dabei würde es vielleicht nichts schaden, wenn man, wie man in Frankreich berühmte Spitzbuben begnadigt, um sie bei der Polizei anzustellen, auch hier manchmal solche Lehrer auswählte, die sich aus eigner Erfahrung der üblen Folgen der Sünde bekehrt haben (wie z. B. der selige Werner), und daher am besten über sie unterrichtet sind. Es ist mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der zurückkehrt, als über zehn Gerechte, und ein solcher ist auch in der Überzeugung und Einsicht fester, hat auch in der Regel mehr Bekehrungseifer, wie das Beispiel vieler Heiliger beweiset.
Vor allen aber müßten, meines Erachtens, in einer wohl organisierten Gesellschaft alle Prediger, sie kämen nun her, von wo sie wollten, auf fixierten Gehalt gesetzt sein (dieses werde nun vom Staate oder von den Gläubigen bestritten), und nicht für die Segnungen echter Religion, sowie für die Zeremonien der konventionellen, einzeln bar bezahlt werden; eine Gemeinheit, die jede Illusion und jede wahre Achtung für den Geistlichen notwendig untergraben, sowie ihn, hat er noch Delikatesse, in seinen eignen Augen herabwürdigen muß. Es ist wirklich schrecklich anzusehen, wenn der Arme auf dem Lande für den eben genossenen Leib Christi zwei Groschen hinter den Altar steckt, und bei der Taufe es gar dem Herrn Geistlichen, wie ein Biergeld, in die Hand gedrückt wird. Hört man aber gar den Prediger von der Kanzel wüten und schelten, daß das Opfer immer geringer werde, drohend darum mahnen, und solches Entziehen seiner Einkünfte als ein Zeichen verringerter Religiosität verdammen – dann fühlt man lebhaft, wozu so viele Priester da sind, und was sie für ihren eigentlichen Beruf halten. Soldaten lieben ganz natürlich den Krieg, Priester eben so die Religion, beide wegen ihres Vorteils. Patrioten lieben den Krieg nur, um Freiheit dadurch zu erringen, Philosophen die Religion nur um ihrer Schönheit und Wahrheit willen.
Das ist der Unterschied.
Wie aber der Autor der ›Zillah‹ so richtig sagt: › Etablissements dauern länger als Meinungen. Die Kirche dauert länger als der Glaube, der sie gründete, und wenn es einer Priesterschaft einmal gelungen ist, mit den Institutionen ihres Landes sich zu verweben, so mag sie noch blühen und bestehen, wenn auch ihr Kultus schon längst zum Gespött geworden ist.‹
Der Nachmittag war befriedigender. Ich stieg auf den Hügeln über der Stadt umher, und kroch zuletzt auf den Boden einer Windmühle, um von dort aus das ganze Panorama Brightons zu übersehen. Der Sturm schleuderte die Flügel der Mühle mit solcher Gewalt um ihre axe, daß das ganze Gebäude schwankte wie ein Schiff. Der Müllerbursche, welcher mir den Weg hinaufgezeigt, brachte nun aus einem Mehlkasten ein Perspektiv hervor, das aber leider, ohngeachtet seines weichen Lagers, zerbrochen war. Ich begnügte mich indes schon gern mit der schönen Totalaussicht, die durch viele Hunderte von Fischerbarken, welche mit dem Winde kämpften, sehr belebt wurde, und eilte dann mit der sinkenden Sonne den gesellschaftlichen Pflichten wieder zu.
Die Anzahl der Gäste beim Grafen F... war nur klein, aber interessant, einmal durch die Wirte selbst, dann durch eine ihrer Schönheit wegen berühmte Dame, und endlich durch einen sehr bekannten ehemaligen Pariser Tonangeber, M..., der in seiner Jugend dort lange eine Rolle gespielt, immer zugleich auch in politische Verhältnisse verwickelt war, und jetzt einen großen Teil des Jahres in England lebt, wahrscheinlich auch nicht ohne politische Absichten, einer von den heutzutage ziemlich selten werdenden Menschen, die stets auf großem Fuß leben, ohne daß man recht weiß, wovon; die sich überall eine gewisse Autorität zu verschaffen wissen, ohne daß man weiß, woher, und hinter denen man immer etwas Besonderes, ja Geheimnisvolles sucht, ohne daß man weiß, warum. Dieser ist wenigstens sehr liebenswürdig, wenn er will. Er erzählt vortrefflich, und hat aus einem vielfach bewegten Leben nichts vergessen, was seiner Unterhaltung Würze geben kann. Zu solchen großartigen avanturiers, deren konsommierte Menschenkenntnis stets sehr zu bewundern ist, obgleich sie sie in der Regel nur zum Düpieren anderer anwenden, passen die Franzosen am besten. Ihre gesellschaftliche Liebenswürdigkeit bricht die Bahn, und ihr nicht zu warmes Herz, ihr, wenn ich mich so ausdrücken darf, ökonomischer Verstand, weiß mit dem Gewonnenen vortrefflich Haus zu halten, und für immer darin festen Fuß zu fassen.
Der gewandte Mann, von dem ich hier spreche, weiß auch das Spiel auf eine anmutige Art zu handhaben, und behauptet im Scherz, wie Fox, daß er, nach dem Vergnügen, im Spiel zu gewinnen, kein größeres kenne, als darin zu verlieren.
Man sprach viel von Napoleon, dessen unser Wirt, wie alle, die lange in seiner Nähe lebten, nur mit Ehrfurcht gedachte. Er erwähnte eines Umstandes, der mich frappierte. Der Kaiser, sagte er, sei von der ungeheuren Anstrengung während der Hundert Tage und den folgenden Ereignissen so unglaublich abgespannt gewesen, daß er bei seiner retraite von Waterloo, welche (ganz gegen die bei uns übliche Version) in der ersten Stunde, von einem Bataillon seiner Garde geschützt, nur langsam und ohne alle Übereilung vonstatten ging – zwei- bis dreimal auf dem Pferde eingeschlafen sei, so daß er ohne Zweifel heruntergefallen wäre, wenn ihn Graf F... selbst nicht mehrmals gehalten hätte. Außer dieser körperlichen Abspannung habe er aber, wie der Graf versicherte, auch nicht das mindeste Anzeichen von innerer Agitation gegeben.
Den 14ten
Mein origineller Schotte, von dem ich seitdem gehört, daß er ein wahrer Tollkopf sei, und bereits zwei oder drei Menschen im Duell getötet, besuchte mich diesen Morgen, und brachte mir seine gedruckte Genealogie, mit der ganzen Geschichte seines Stammes oder ›clans‹. Er klagte sehr, daß ein anderer seines Namens ihm den Rang des chieftains streitig machen wolle, und bemühte sich, mir aus dem mitgebrachten Werke zu beweisen, daß er der echte sei, meinte auch: ein Gottesurteil zwischen beiden würde es bald am besten entscheiden. Dann machte er mich auf sein Wappen, eine blutige Hand im blauen Felde, aufmerksam, und gab folgendes als den Ursprung desselben an.
Zwei Brüder, die in einem Kriegszuge gegen eine der schottländischen Inseln begriffen waren, hatten unter sich ausgemacht, daß der, dessen Fleisch und Blut (ein schottischer Ausdruck) zuerst das feste Land berühre, Herr desselben bleiben solle. Mit aller Kraft der Ruder sich nähernd, konnten die Schiffe wegen einzelner Felsen im Meere nicht weiter, und beide Brüder mit ihren Kriegern stürzten sich in das Wasser, um schwimmend die Insel zu erreichen. Da nun der Älteste sah, daß ihm sein jüngerer Bruder zuvorkam, zog er sein kurzes Schwert, legte die linke Hand auf eine hervorragende Klippe, hieb sie mit einem Hieb ab, ergriff sie bei den Fingern, und warf sie, bei seinem Bruder vorbei, blutend ans Ufer, indem er ausrief: »Gott ist mein Zeuge, daß mein Fleisch und Blut zuerst das Land berührt hat.« Und so ward er König der Insel, die seine Nachkommen durch zehn Generationen unumschränkt beherrschten.
Die Geschichte der blutigen Hand schien mir nicht unpoetisch, und ein treffendes Bild jener rohen, aber kräftigen Zeiten. Ich ermangelte nicht, ihm einen pendant aus dem Nibelungenliede von meinem (wahrscheinlich ebenso fabelhaften) Ahnherrn zu erzählen, und wir trennten uns über den Geistern unserer Manen als die besten Freunde.
Es gibt jetzt täglich hier mehrere Privatbälle, und das in so kleinen Quartieren, daß ein ehrlicher deutscher Bürger nicht wagen wurde, zwölf Personen dahin einzuladen, wo man hier einige hundert, wie Negersklaven, zusammendrängt. Es ist noch ärger wie in London, und der Raum für die contre-danse gewährt nur eben die mathematische Möglichkeit, tanzähnliche Demonstrationen anzudeuten. Ein Ball ohne dieses Gedränge würde indes ganz gering geschätzt werden, und ein Gast, der die Treppe leer fände, wahrscheinlich wieder wegfahren. Mir fiel bei diesem seltsamen Geschmack lebhaft Potiers ci-devant jeune homme ein, wenn er bei seinem Schneider eine pantalon bestellt, die extraordinairement collant sein soll, und als der Schneiderkünstler schon geht, ihn noch einmal mit den Worten zurückruft: »Entendez-vous, extraordinairement collant, si j'y entre je ne le prends pas.« Dasselbe könnte ein dandy von einem hiesigen rout sagen: »Si j'y entre je n'y vais pas.«
Ist man aber nun einmal herein, so muß man gestehen, daß man nirgends eine größere Menge hübscher Mädchen sieht, und mal gré bon gré an sie gedrückt wird, als hier. Sie werden jetzt meistens einige Jahre in Frankreich erzogen, und zeichnen sich dann durch bessere Toilette und tournure aus. Sehr viele davon sprechen deutsch. Man bekommt so viel Einladungen zu dergleichen soirées, als man will; aber man könnte auch, als ganz Fremder und Uneingeladener ebensogut hingehen, denn wer nicht lange bleibt, bekommt ohnedies die Wirte nicht zu sehen, und gewiß kennen diese nicht die Hälfte der Anwesenden. Um 1 Uhr wird immer ein sehr recherchiertes kaltes souper mit force champagne serviert. Das Lokal dazu ist in der Regel die Bedientenstube unten, und der Tisch faßt natürlich kaum zwanzig Personen auf einmal, die sich dann truppweise nacheinander die schmale Treppe hinunterwinden und stoßen. Sitzt man endlich, so kann man sich ausruhen, und manche benutzen dies mit sehr wenig Diskretion für die Nachkommenden, auch wird den Damen wenig Platz gemacht, desto sorgsamer ist aber die Dienerschaft beflissen, von einer den Gästen unzugänglichen Seite den Tisch immer wieder frisch zu besetzen, wenn Schüsseln und Flaschen leer werden.
Um alles gehörig zu betrachten, blieb ich in einem der bessern Häuser das erstemal bis 4 Uhr morgens, und fand des Ende der fête, wo ¼ der Gäste weg waren, am angenehmsten, um so mehr, da die Töchter vom Hause wirklich ausnehmend hübsch und liebenswürdig waren. Dagegen gab es aber auch ganz famöse Originale auf diesem Balle, unter andern eine dicke Dame von wenigstens 55 Jahren, welche in einem schwarz-samtnen Pelz mit weiß verbrämt, und einen Turban mit schwankenden Straußenfedern auf dem Haupte, gleich einer Bacchantin, wie rasend umherwalzte, so oft sie nur Platz dazu finden konnte. Ihre drei recht hübschen Töchter versuchten vergebens, es der Mama gleich zu tun; ich erklärte mir aber diese herkulische Ausdauer, als ich erfuhr, die jetzt sehr reich gewordene Dame habe ihr Vermögen früher durch glücklichen Viehhandel erworben.
Die Musik bei allen diesen Bällen besteht bloß aus einem Piano und einem Blasinstrument. Die Musiker wissen beiden aber einen solchen Lärm abzulocken, daß man in der Nähe aller Konversation entsagen muß.
Den 16ten
Ich las gestern, ›daß starke Leidenschaften durch die Entfernung wachsen‹. Die meinige für Dich muß also eine starke sein, was zärtliche Freundschaft ohnedem immer am sichersten ist – denn ich habe Dich lieber als je. Übrigens ist die Sache sehr erklärlich. Liebt man jemanden wahrhaft, so hat man in der Abwesenheit nur immer seine guten und liebenswürdigen Eigenschaften vor Augen, das Unangenehme kleiner Fehler, die jeder Mensch hat, und die doch zuweilen in der Gegenwart verletzen, fällt ganz aus dem Gedächtnis, und die Liebe vermehrt sich also ganz natürlich in der Entfernung. Und Du – wie denkst Du darüber? Um wie viel mehr Fehler hast Du bei mir mit dem Mantel der christlichen Liebe zu bedecken! Ich reise indes morgen expreß nach London, um unserm Gesandten diesen Brief für Dich selbst zu übergeben, da die letzten so lange unterwegs geblieben sind. Wahrscheinlich sind Neugierige darüber gekommen, denn die Infamie des Brieföffnens werden wir wohl sobald nicht loswerden. In zwei Tagen bin ich wieder hier, und so glücklich, 3-4 Bälle in dieser Zeit zu versäumen. Vor der Abreise machte ich heut früh noch eine lange einsame Promenade, und diesmal doch nicht ganz allein, sondern mit einer jener vielen artigen jungen Damen, die ich hier kennengelernt. In dieser Hinsicht gewährt man den Unverheirateten in England, wenn sie einmal in die Welt lanciert sind, ungemein viel Freiheit. Das junge Mädchen quaestionis war erst 17 Jahre alt, aber schon in Paris poliert.
Als ich zu Haus kam, fand ich zu meiner nicht geringen Überraschung einen Brief von dem unglückseligen R..., der abermals nach Harwich zurückverschlagen worden, und in Verzweiflung um Geld und Hilfe fleht, denn wider meinen Willen hat er, was ich erst jetzt erfahre, den ihm vorgeschlagenen Weg über Calais doch nicht eingeschlagen. Diese Irrfahrten des Garten-Odysseus sind ebenso lächerlich als unangenehm, und Du wirst gewiß längst glauben, daß der Abenteurer malgré lui von den Fischen verspeist worden ist. Ich erinnere mich immer noch lebhaft, daß ich vor 12 Jahren, auch um diese Zeit mich nach Hamburg einschiffen wollte, mein alter französischer Kammerdiener riet mir aber glücklich davon ab, denn wie er sich seltsam ausdrückte: »dans ces temps-ci il y a toujours quelques équinoxes dangereuses, qui peuvent devenir funestes!« und richtig, das Fahrzeug litt Schiffbruch, und mehrere verloren ihr Leben dabei.
London den 17ten
Honneur à Sir Temple! Dein von ihm besorgter Brief ist in 10 Tagen hergekommen, während die durch unsre Diplomatie gegangenen drei Wochen unterwegs blieben. Sage ihm meinen besten Dank. Herzlich habe ich über alle Nachrichten gelacht, die mir H... so launig meldet. Der kleine Kriminalrat, den die Spötter le rat criminel nennen, der renvoyé extraordinaire und der diplomate à la fourchette sind vortrefflich geschildert, ebenso wie der glückliche Haus-, Hof-, Staats- und Leibdiener bei Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des letzteren success. Es ist gewiß, daß es eine Art Beschränktheit gibt, die fast immer in der Welt reüssiert, und eine Art Verstand, die nie reüssiert. Dieser letzte ist unter andern auch der meinige, ein phantastischer, Bilder machender, der sich seine Traumwelt alle Tage selbst neu gestaltet, und daher in der wirklichen stets ein Fremder bleibt. Du meinst, wenn das Glück sich mir dargeboten, hätte ich es stets gering geachtet, und höchstens spielend bei den Fingern genommen statt es ernstlich festzuhalten. Nie hätte ich die Gegenwart eher geschätzt, bis sie in ferner Weite als Bild wieder dastehe – dann würde es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der Sehnsucht und die Gegenwart nie etwas anders als ein Nebelflecken! À merveille. Du führst das allerliebst aus, und niemand, ich muß es gestehen, versteht besser, eindringlich zu moralisieren, als Du. Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber sage, wenn Du nun auch den Lahmen felsenfest überzeugtest, daß es weit besser für ihn sei, nicht lahm zu gehen, – sowie er ein Bein vor das andere setzt, hinkt der Ärmste doch nach wie vor! Naturam expellas furca etc. Umsonst gebietest Du Deinem Magen, besser zu verdauen, Deinem Witze, schärfer zu sein, Deiner Vernunft, sich geltender zu machen. Es bleibt beim alten mit wenigen Modifikationen bis zum Tode.
Die Bescheide der Ministerien, die Du mir über die ... Sache mitteilst, bleiben auch beim alten, obgleich sie äußerst verbindlich sind. Ist es aber nicht sonderbar, daß bei uns die niedern Behörden sich ebensosehr durch tracasseries und unhöflichen, ich möchte sagen, oft höhnischen Stil auszeichnen, als die höheren (mit einer einzigen Ausnahme) sich nur in raffiniert artigen Formen bewegen. Erhalten diese letztern dadurch nicht ganz das Ansehn der bittersten Ironie? Du kannst das unsrer G...schen Dilettanten-Akademie als Preisfrage für's nächste Jahr aufstellen.
A propos, wer ist der sehr kluge Minister, von dem H... spricht? Aha, ich errate – aber die Minister sind ja schon ex officio so klug, daß man schwer wissen kann, welchen sie meint, den überständigen dagegen erriet ich auf der Stelle, so wie den armen, dermalen horizontalen, dessen Krankheit mich herzlich betrübt, denn gesund steht er, meiner Meinung nach, gar sehr perpendiculaire, hoch über Mißgunst und Neid, durch Würde des Charakters, wie Geschäftserfahrung und Fähigkeit. Es gibt dagegen in der Tat einige Staatsbeamten bei uns, denen man jeder Zeit versucht wäre, mit Bürgers ›Leonore‹ zuzurufen: Bist lebend, Liebster, oder tot?
Der Himmel erhalte uns beiden geistig und körperlich bessere Gesundheit, und mir vor allem Deine zärtliche Freundschaft, das nötigste Element zu meinem Wohlsein.
Dein treuer L.