Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


Kenmare, den 30sten

Obgleich man mich, mit echt irländischer Gastfreiheit, dringend einlud, noch eine Woche bis zu einem großen Feste, das bereitet wurde, und zu dem man noch viele Gäste erwartete, hier zu bleiben, glaubte ich doch dies nicht ganz à la lettre nehmen zu dürfen, und sehnte mich auch zu sehr nach Glengarriff, um länger, als es für meinen Zweck nötig war, hier zu verweilen. Ich empfahl mich daher an diesem Morgen der Familie, mit dem aufrichtigsten Danke für ihre freundliche Aufnahme. Herr O'Connell gab mir das Geleit, bis an die Grenze seiner Domänen, und ritt einen schönen großen Schimmel, auf dem er sich noch militärischer als in seinem Hause ausnahm. Der rauhe Weg, obgleich ganz von Vegetation entblößt, bot doch viele erhabne Aussichten dar, teils auf die Felsen landeinwärts, teils auf das Meer voller Klippen und Inseln, von denen einige ganz isoliert, als hohe, spitze Berge aus dem Wasser steil emporsteigen. Herr O'Connell machte mich auf eine derselben aufmerksam, und erzählte, daß er vor einigen Jahren einen Ochsen dort hinschaffen und aussetzen ließ, damit er sich auf der guten und ungestörten Weide recht fett mästen möge. Dies Tier nahm aber schon nach einigen Tagen so dezidierten Besitz von der Insel, daß es wütend ward, sobald irgend jemand den Versuch machte, dort zu landen, und selbst die Fischer, die ihre Netze am Ufer aufstellen wollten, attackierte und verjagte. Oft sah man es, gleich Jupiter in Stiergestalt, mit erhobenem Schweif und feuersprühenden Augen, im wilden Lauf, die Runde seiner Domäne machen, rekognoszierend, ob irgendeiner sich noch zu nahen wage. Der emanzipierte Ochse wurde zuletzt so unbequem und gefährlich, daß man ihn totschießen mußte. Dies schien mir eine ganz gute Satire auf die Freiheitsliebe überhaupt, die mit erlangter Macht gewöhnlich sofort wieder in Herrschsucht ausartet, und die Ideen-Assoziation mußte daher gerade jetzt wider Willen komische Bilder in mir erwecken.

Später kamen wir an eine merkwürdige Ruine, eins der sogenannten ›dänischen Forts‹ an der Küste, die wohl nicht den Dänen, sondern der Verteidigung gegen die Dänen ihren Ursprung verdanken. Sie sind über tausend Jahr alt, und die untern Mauern, obgleich ohne Mörtel zusammengefügt, dennoch sehr wohl erhalten und fest. Bei einer, von einem angeschwollenen Bergstrom zertrümmerten Brücke, hielt O'Connell an, um mir das letzte Lebewohl zu sagen, und ich konnte nicht umhin, dem Kämpfer für die Rechte seiner Mitbürger zu wünschen, daß, wenn wir einst uns wiedersähen, das Zwangs-Gebäude englischer Intoleranz ebenso durch ihn und seine Gehilfen zertrümmert sein möge, als jene morschen Mauern, durch den sich Bahn brechenden Strom. So schieden wir.Zum Teil ist der Wunsch meines seligen Freundes ja nun schon erfüllt worden, und mit vielem geht noch die Zukunft schwanger! A. d. H.

Da ich größtenteils denselben Weg wieder zurückkehrte, den ich gekommen, kann ich nicht viel Neues darüber sagen, ausgenommen, daß er mich, ohngeachtet der Tag schön war, doppelt so sehr ermüdete, als das erstemal – wahrscheinlich weil der Geist sich in geringerer Spannung befand. Nicht weit von Kenmare begegnete ich mehreren Transporten von Steinen, Brettern, Bohlen, Bier und Butter. Alles wurde zu Pferde fortgeschafft. Die Irländer sind sehr ingeniös in Transportmitteln. Ihre vortrefflichen carts, mit denen ein Pferd so bequem fünf bis sechs Personen fortbringt, habe ich Dir schon beschrieben – ebenso zweckmäßig sind ihre Transportkarren für Heu, Holz etc., wo auch ein Pferd dieselbe Arbeit tut, zu der bei uns drei gebraucht werden. Das Gleichgewicht, in welchem die Last, sozusagen, balanciert wird, macht dies allein möglich. Ein Karren wird, z. B. mit langem Bauholz, so aufgeladen, daß man das Pferd kaum sehen kann, welches ganz vom Holze eingehüllt ist, dessen Stämme viele Ellen hinter dem Wagen und vor dem Pferde hinausragen. Die Verteilung des Gewichts auf beiden Seiten ist dadurch so vollkommen hervorgebracht, daß die Stämme nur auf einem Punkte aufliegen, und daher das Pferd nur wenig im Verhältnis zu ziehen hat. Bergauf und herab hilft der Führer leicht nach, durch Heben oder Niederdrücken der Enden, welche die geringste Kraft schon in Bewegung setzt. Ebenso werden fünf bis sechs schwere eichne Bohlen auf plattem Sattel über ein Pferd gelegt, das sie, wie eine Balancierstange, ohne große Beschwerde fortträgt, obgleich es unter derselben Last, in einem andern Volumen, z. B. in einer Kiste enthalten, erliegen müßte. Auch um Steine, über dem Sattel hängend, zu transportieren, haben sie eine sinnreiche Vorrichtung, gleich hölzernen Körben, die auf einer dicken Strohunterlage über des Pferdes Rücken befestigt werden.

Die frohe Laune und gutmütige Höflichkeit der Leute, denen ich begegnete, fand ich sehr einnehmend. Kein Volk, das ich kenne, erscheint in seinen untern Klassen weniger egoistisch, und dabei dankbarer für das geringste freundliche Wort, dessen ein gentleman es würdigt, ohne damit die mindeste Idee von Interesse zu verbinden. Ich wüßte daher auch wirklich kein Land, wo ich lieber ein großer Grundbesitzer sein möchte, als hier. So wurde ich z. B. mit dem, was ich am andern Orte getan, und dafür nur Undank geerntet, und Hinderung aller Art gefunden – mir hier gewiß nicht nur 10-12 000 Untergebne auf Leib und Leben zu eigen gemacht, sondern ich würde auch, mit weit geringeren Kosten und Zeit, ein unendlich höheres Resultat gewonnen haben, da hier mit Natur und Menschen alles, überhaupt Ausführbares, zu erreichen ist. Das Volk vereinigt im allgemeinen, bei aller seiner Roheit, die Biederkeit und poetische Gemütlichkeit der Deutschen, mit der Lebhaftigkeit und schnellen Konzeption der Franzosen, und besitzt als Zugabe, alle Natürlichkeit und Unterwürfigkeit der Italiäner. Man kann mit vollem Recht von ihm sagen, daß es seine Fehler nur andern, seine Tugenden aber allein sich selbst zu verdanken hat. Ich muß in dieser Hinsicht noch eine, an sich unbedeutende, Begebenheit erzählen, die ich früher überging, die aber als ein nationeller Zug doch der Erwähnung verdient.

Als ich vor vier Tagen von Killarney nach Kenmare fuhr, begegneten mir fortwährend Leute, die auf dem Markt im letzten Ort Vieh gekauft hatten, und es jetzt nach Hause trieben. Sie ritten gewöhnlich auf, ebenfalls erst gekauften, Füllen, ohne Zügel, und da Menschen und Vieh sich einander noch fremd waren, so konnten sie ihre Tiere nur schlecht regieren. Wir wurden dadurch mehreremal gezwungen, stillzuhalten. Dies langweilte mich endlich, und bei der dritten oder vierten rencontre dieser Art, rief ich den Leuten barsch zu: ich hätte nicht Zeit, ihrer Ungeschicklichkeit wegen, den halben Tag auf der Straße zuzubringen, und befahl, etwas übereilt, dem Kutscher, nur darauflos zu fahren. Sogleich machten zwei Füllen mit ihren Reitern links um, vor dem Wagen hergaloppierend, und die ganze Herde zerteilte sich scheu in die Berge. Meine Raschheit tat mir jetzt leid, und ich ließ sogleich wieder anhalten. Es waren im ganzen vier bis fünf Treiber, die ich so deroutiert hatte, alles rüstige junge Kerle, und der Streich, den ich ihnen gespielt, gewiß einer der unangenehmsten, da vorauszusehen war, daß sie wenigstens eine halbe Stunde brauchen würden, um ihr zersprengtes Vieh wieder zu sammeln. Deutsche, Engländer oder Franzosen würden einem Reisenden, der mit einem zerlumpten Kutscher, in einem elenden Einspänner fuhr, und ihnen unbesonnen dies bot, gewiß mit gehöriger Grobheit zugesetzt, und vielleicht ihn gar festzunehmen versucht haben, um den etwaigen Schaden zu ersetzen. Ganz anders war das Betragen dieser guten Leute, witzig und respektvoll zugleich. »O murther, o murther!« schrie der eine, während das widerspenstige Füllen noch einen Versuch machte, den Berg hinanzuspringen, und ihn beinahe abwarf: »God bless Your Honour, but every gentleman in England and Ireland get's out of the way of cattle! O for God's sake stop now, Your Honour, stop!« (O Mord, Mord!Ein irländischer Lieblingsschwur. Gott segne Euer Ehren, aber jeder gentleman in England und Irland geht doch Vieh aus dem Wege! – O um Gottes willen, haltet an, Euer Ehren, haltet an!) Als ich nun angehalten hatte, und die armen Teufel die größte Mühe gehabt, einen Teil des am weitesten zurückgelaufnen Viehs wieder einzuholen, kamen sie nochmals an meinen Wagen, um mir mit abgezogener Mütze und »Longe life to Your Honour!« für meine Güte zu danken, worauf sie lustig das Einfangen, und ich meinen Weg fortsetzte. Ich mußte mir selbst gestehen, daß ihr Betragen lobenswerter war als das meine, und verbesserte es, so gut ich konnte, durch ein ansehnliches Trinkgeld.


Den 1sten Oktober früh

Obgleich peinlich müde, konnte ich gestern abend doch nicht einschlafen, und frug daher beim Wirt an: ob er irgend ein Buch besitze? Man brachte mir eine alte englische Übersetzung von Werthers Leiden. Du weißt wie hoch und innig ich unsern Dichterfürsten verehre, und wirst mir es daher kaum glauben wollen, wenn ich Dir sage: daß ich dieses berühmte Buch nie gelesen. – Der Grund möchte auch vielen sehr kindisch vorkommen. Als ich es nämlich zuerst in die Hände bekam, erweckte mir die Stelle, gleich im Anfang, wo Charlotte dem Buben »die Rotznase wischt« einen solchen Ekel, daß ich nicht weiterlesen konnte, und dieser unangenehme Eindruck blieb mir immer gegenwärtig. Diesmal machte ich mich jedoch ernstlich an die Lektüre, und fand es dabei seltsam, Werther zum erstenmal, in fremder Sprache, mitten in den wüstesten Gebürgen von Irland zu lesen. Ich konnte aber auch hier, aufrichtig gestanden, den veralteten Leiden keinen rechten Geschmack mehr abgewinnen – das viele Butterbrot, die kleinstädtischen, nicht mehr üblichen Sitten und selbst die, (gleich den zu Gassenhauern herabgesunkenen schönen Mozartschen Melodien) jetzt auch Gemeinplätze gewordenen Ideen, die damals neu waren – endlich die unwillkürliche Erinnerung an Potiers köstliche Parodie – es war mir nicht möglich, in die rechte Kommunionsstimmung, wie Hr. v. Frömmel sagt, hineinzukommen. Aber soviel habe ich, Scherz bei Seite, wenigstens eingesehen, daß das Buch einst Furore machen mußte – denn es ist eine echt deutsche Stimmung, an der Werther untergeht, und deutsche Gemütlichkeit fing damals eben an, sich in dem zu materiell gewordnen Europa Bahn zu brechen. Freilich durchschritt es ›Meister‹, und viel mehr nachher noch ›Faust‹ mit ganz andern Riesenschritten! Der Werther-Periode sind wir, glaube ich, entwachsen, an dem Faust aber kaum herangekommen, und kein Zeitalter wird, solange es Menschen gibt, ihm entwachsen können.

In der Tragödie ›Faust‹ ist wie in Shakespeare des Menschen ganzes Innere abgespiegelt und in der Hauptfigur nur der Menschheit ewiges rätselhaftes Sehnen personifiziert, das nach einem unbekannten Etwas rastlos ringt, welches dennoch hier nie erreicht werden kann; daher auch das Drama offenbar nie ein völlig abschließendes Ende haben könnte, wenn es auch noch durch viele Akte ausgedehnt würde. Wie aber eben der edlere Menschengeist hier eine schwindelnde Straße betritt, gleich der Brücke des Koran, so ist er auch auf ihr dem bodenlosen Falle jeden Augenblick näher, als der Tiermensch, der ruhig auf der sichern Ebne – weidet.

Ein Vetter des Herrn O'Connell, der Parforce-Jagden am See von Killarney hält, hatte mir eine solche für morgen versprochen, – ich habe aber eine wahre Antipathie, etwas schon Gesehenes wieder zu besuchen, so lange ich noch Neues vor mir habe, und eine sehr große Veränderung können Hunde und Jäger der mir bereits bekannten Szene doch nicht geben. Dagegen erwarteten mich in Glengarriff liebenswerte Menschen, und gar viel Neues; – ich zog also das letztere vor, ritt wieder über den Teufelsberg, diesmal bei Tage, und befinde mich seit einer Stunde hier, in einem niedlichen Zimmer etabliert, und alle Pracht der Bay vor meinem Fenster ausgebreitet. Ehe ich Kenmare verließ, wurde meine Eitelkeit noch auf eine empfindliche Probe gesetzt. Die irländische Naivität der Wirtstochter hatte mich, beim jedesmaligen Zurückkommen nach ihres Vaters Gasthof, so angenehm angesprochen, daß ich mich fast allein mit ihr unterhielt, und dadurch ihre Gunst gewann. Sie hatte ihre Berge nie verlassen, und war so unbekannt mit der Welt, als es nur denkbar ist. Scherzend frug ich sie, ob sie mich wohl nach Cork begleiten wolle? »Ach nein«, rief sie, »da wurde ich mich doch fürchten, so weit mit Ihnen zu gehen! Sagen Sie mir nur, wer Sie eigentlich sind? Daß Sie ein Jude sind, weiß ich schon.« – »Was, bist Du toll, woher soll ich denn ein Jude sein?« – »Nun das werden Sie doch nicht leugnen, haben Sie nicht einen langen schwarzen Bart rund um's Kinn, und fünf bis sechs goldne Ringe an den Fingern? Und waschen Sie sich nicht immer früh eine Stunde lang, und machen Zeremonien dabei, wie ich sie doch sonst noch nie von einem Christenmenschen gesehn habe! Nicht wahr, gestehen Sie es nur, Sie sind ein Jude?« – Mein Deprezieren half nichts, sie blieb dabei; endlich meinte sie doch gutmütig, wenn ich denn durchaus keiner sein wolle, so wünsche sie mir wenigstens, to become as rich as a jew (so reich zu werden wie ein Jude, eine englische Redensart). Dies bekräftigte ich gern mit einem christlichen: Amen!


Den 2ten Oktober

Eben komme ich von einer sechzehnmeiligen Promenade mit C...l W... zurück, nach Hungryhill, einem erhabnen Bergfelsen am Ende von Bantry Bay, merkwürdig durch seinen Wasserfall, und durch Thomas O'Rourkes Reise nach dem Monde, auf des Adlers Rücken, die von hier aus stattfand, und seitdem in Prosa und Versen so vielfach besungen wurde. Auch in Deutschland ist das amüsante Märchen wiederholt übersetzt worden, wo es Dir vielleicht vorgekommen sein mag. Der Held der Geschichte ist ein fast immer betrunkener garde-chasse des Lord B... der noch lebt, und den mir Mr. W... beim Zuhausefahren, im Gasthofe präsentierte. Er ist jetzt sehr stolz auf seine Berühmtheit, und schien mir, als ich ihn sah, gerade wieder im Begriff, eine Mondreise anzutreten.

Für die Wasserfälle ist der viele Regen dieser Tage sehr vorteilhaft gewesen. Der Fall am Hungryhill verschwindet fast ganz in trocknem Wetter, übertrifft aber, nach heftigen Regengüssen, auf einige Stunden, den Staubbach und Terni. Hungryhill (der Hungerberg) ist gegen 2000 Fuß hoch, und eine fast ganz kahle ungeheure Felsenmasse. Von der Landseite bildet er zwei steile Absätze, zwischen welchen sich, auf dem Plateau, ein See befindet, den man natürlich von unten nicht sieht, wo das Ganze nur die fortlaufende Linie zwei kolossaler Terrassen darbietet. Die obere besteht aus ganz kahlem Stein, und wird in der Mitte, durch eine vertikale, wie von der Kunst tief gegrabene Rinne getrennt; die untere Terrasse, obgleich auch ohne sehr sichtbare Unebenheit, ist doch an ihrem Abhang mit Heide und grobem Grase bedeckt, wo gewöhnlich Hunderte von Ziegen weiden.

In der erwähnten obern Rinne nun, ergießt sich, von der höchsten Spitze des Bergs, die Wassermasse herab, fällt in den, auf dem Absatz befindlichen, See, und stürzt sich dann, diesen überfüllend in vier getrennten Fällen von neuem, in so großen Bogen, auf die Talwiese nieder, daß die Ziegen ruhig darunter fortweiden können, während die Wasserströme das Wiesental in der Tiefe bald auch in einen temporären See verwandeln.

Da man unten stehend, die Trennung des obern und der unteren Fälle, nebst dem zwischenliegenden See, wie schon bemerkt, nicht sehen kann, erscheint dem Auge das Ganze, nur wie ein ungeheurer Sturz, dessen Wirkung alle Beschreibung übersteigt. Obrist W... versicherte mich, bei höchstem Wasserstande die Bogen des Falles so weit abgeschleudert gesehen zu haben, daß, nach seinem eignen Ausdruck, ein Regiment darunter hätte aufmarschiert stehen können, ohne benetzt zu werden, wozu der betäubende Lärm, wie er sagte, nahen Kanonendonner gut dargestellt hätte.

In einer der Schluchten nebenan fand die in Irlands fabelhafter Geschichte merkwürdige Schlacht, zwischen dem großen O'Sullivan und O'Donnivan, statt, und man zeigt noch die Überreste eines uralten Arbutus-Stammes, an welchem, der Sage nach, O'Donnivan aufgehangen wurde. Geld und Kostbarkeiten sind wirklich in diesem Bezirk noch vor kurzem, tief in der Erde vergraben, aufgefunden worden.

Die Adler dieser Gebürge, welche auf ganz unzugänglichen Felsen horsten, spielen eine große Rolle in allen Märchen des Volks. Sie sind außerordentlich groß und stark, und es ist erwiesen, daß sie zuweilen selbst Kinder rauben. Vor einiger Zeit entführte ein solches Raubtier einen dreijährigen Knaben, und deponierte ihn, weil er ihm doch wahrscheinlich zu schwer ward, fast unversehrt, wenigstens lebend, auf einem Felsenabsatz, wohin man sogleich nachkletterte, und den Knaben glücklich rettete. Der neue Ganymedes – als corpus delicti – existiert noch im besten Wohlsein. Ein ähnlicher Fall dieser Art trug sich erst vor wenig Monaten zu. Der Adler nahm ein ganz kleines Mädchen, vor des Vaters Augen, vom Boden auf, und verschwand mit ihm in den Felsen, ohne daß man die geringste Spur von dem armen Kinde mehr hat auffinden können.


Den 3ten

Col. W... ist ein ebenso großer Parkomane als ich, aber nicht ganz so gourmet, et sa câve s'en ressent un peu. Dagegen verschafft die Jagd, zu Lande und zu Wasser, der Tafel mehrere Delikatessen. Die Berghühner sind unter andern vortrefflich, und die Austerbank im Park liefert tellergroße, und besonders schmackhafte Geschöpfe dieser Art. Übrigens wimmelt die Bay von Fischen und Seehunden. Ein solcher saß heut früh auf einer hervorragenden Klippe, grade meinem Fenster gegenüber, und schien mit großem Vergnügen und fast tanzender Bewegung, der Musik eines piper zuzuhören, dessen bagpipe vom nahen Gasthof herüberschallte. Diese Tiere sollen die Musik so leidenschaftlich lieben, daß sie, bei Wasserpartien auf der Bay, den Booten der Musikanten zu 20 bis 30 folgen, und sich auch vom Jäger auf diese Weise überall hinlocken lassen. Es ist wirklich grausam, ihren Kunstsinn so zu mißbrauchen!

Leider regnete es heute den ganzen Tag, so daß ich gezwungen war, zu Haus zu bleiben. Früh wohnte ich dem täglichen Privatgottesdienst der Familie bei, deren weibliches Personal zwar etwas bigott in der Form, aber, wie mir schien, doch auch echt fromm in der Tat ist. Wir setzten uns alle im Kreise hin, dann las die Mutter einen Satz aus dem englischen prayer-book, die älteste Tochter den nächsten, und so fortdauernd vice versa, Prediger und Küster in der Kirche nachahmend. Hierauf begann die Tochter, welche etwas Verschlossenes und Schwärmerisches hat, ein besonderes, sehr langes Gebet, das wohl eine Viertelstunde dauerte, während welchem alle anderen (ich natürlich auch) sich schamhaft gegen die Wand kehren, vor ihrem Stuhl auf die Knie fallen, und das Gesicht in die Hände legen mußten. Die Mutter seufzte und stöhnte, der Hausherr schien ein wenig ennuyiert, die jüngste Tochter (ein allerliebstes Mädchen, die ein gutes Teil mondäner als die älteste gesinnt ist) hatte hie und da Zerstreuungen, der Sohn aber es gar für besser gehalten, sich ganz zu absentieren. Ich, bei dem jeder nach innen gerichtete Gedanke zu jeder Tageszeit ein Gebet zu Gott ist, glaubte, ohne unfromm zu sein, hier ein wenig nach außen beobachten zu dürfen.

Nachdem die Gesellschaft wieder aufgestanden war, die Knie abgewischt, und die Röcke heruntergezupft hatte, denn der englische Enthusiasmus vergißt sich nicht so leicht, wurde eine Geschichte aus dem Evangelium von der Mutter gelesen. Man hatte diesmal die Mahlzeit gewählt, wo 6000 Mann mit zwei Fischen und drei Broten, wenn ich nicht irre, gesättigt wurden, und noch gar viel übrig blieb.

Glücklicherweise wurde uns das Mittagsessen nicht mit gleicher Sparsamkeit zugemessen, und die Gottesgaben dabei durch die heiterste Unterhaltung gewürzt. Einmal beging ich jedoch einen unwillkürlichen Verstoß. Ich sprach nämlich scherzend von dem Kometen im Jahre 32, der der Erde oder Erdbahn näher als die bisher bekannten kommen soll, und bemerkte, daß nach Lalandes Berechnung ein Komet, der sich auf 50 000 Meilen der Erde näherte, eine solche Attraktionskraft auf sie ausüben müßte, daß er die Meeresfluten bis über die Spitze des Chimborasso ziehen würde. »Kommt der Zweiunddreißiger uns so nahe«, setzte ich hinzu, »so ertrinken wir wenigstens alle auf einmal.« – »Verzeihen Sie, das ist jedenfalls unmöglich«, erwiderte Mistress W... sehr ernsthaft, »denn das wäre ja eine zweite Sündflut und Sie scheinen ganz vergessen zu haben, daß uns in der Bibel versprochen ist, eine zweite Sündflut solle nicht stattfinden, aber zum letztenmal die Erde durch Feuer zerstört werden.« – (Il faut avouer, que la faveur n'est pas grande.) – »Daß diese Zerstörung aber wohl nahe sein mag«, fuhr sie seufzend fort, »glaube ich selbst, denn die Unterrichtetsten unserer heiligen Männer kommen jetzt darin überein, daß wir uns wahrscheinlich im siebenten Reich der Offenbarung Johannis befinden, in welcher der Welt Ende prophezeit ist, und wo unser Heiland kommen wird, uns zu richten.« Wie sonderbar sind nun die Frommen! Über diese Äußerung gerieten Mutter und Tochter in so heftigen und zuletzt erbitterten Streit, daß ich unwürdiger Laie mich für ihre Versöhnung bemühen mußte. Dieser Streit entspann sich darüber, ob bei der erwähnten Katastrophe die Menschen sofort gerichtet und dann verbrannt, oder erst verbrannt und dann gerichtet werden würden. Die Tochter fragte entrüstet (et je vous jure que je ne brode pas) ob unser Heiland, wenn er käme, mit dem Richten erst warten solle, bis die Welt verbrannt sei? Es stünde deutlich in der Schrift: daß er kommen würde, zu richten über die Lebenden und die Toten, was nicht möglich sei, wenn vorher alle schon verbrannt worden wären! Die Welt würde also offenbar erst nachher, wenn alle gerichtet wären, verbrannt. Die Mutter erklärte dies, ebenso heftig, als einen wahren nonsense, Menschen müßten notwendig erst sterben, ehe sie selig oder verdammt werden könnten, und die angeführte Stelle bezöge sich, wo sie von Lebenden und Toten spräche, nur eines Teils auf die, welche bei der Ankunft des Feuers noch lebten, und andrerseits auf die, schon längst vorher im Grabe Liegenden. Sie blieb also dabei: erst verbrannt und dann gerichtet! Beide wünschten nun meine Meinung zu wissen, um sich durch meinen Beitritt, im Kampfe zu verstärken. Ich wagte zu antworten: daß ich in diesen Details nicht allzugut bewandert wäre, und daß mir ihr Streit fast so vorkäme, als der, bei Madame du Deffand, über den heiligen Dionysius: ob dieser nämlich eine oder sechs Meilen ohne Kopf gegangen sei? Worauf Frau von Deffand bekanntlich entschied: dans ces sortes de choses, il n'y a que le premier pas qui coûte.

Übrigens hätte ich mich selbst in der Christuslehre immer am meisten an die Vorschriften der Pflichterfüllung, Zuversicht auf Gott, Sanftmut und Nächstenliebe zu halten gesucht, obgleich es mir leider nur zu selten damit nach Wunsch gelungen – glaubte aber doch, infolgedessen, unbekümmert darüber sein zu können, ob wir erst gerichtet und dann verbrannt, oder erst verbrannt, und dann gerichtet würden. Alles was Gott tue, sei jedenfalls wohlgetan. Ich müßte aber gestehen, daß ich mich während meines hiesigen Lebens ebenso gut in Gottes Hand, und ebenso nahe seiner Macht, betrachte, als nach meinem irdischen Ende, oder selbst nach dem Ende der kleinen Erde, die wir Welt zu nennen pflegen. Das Weltgericht daure, meiner Meinung nach, ewig, gleich dem Weltengeist. – Diese Erklärung versöhnte die Kämpfenden glücklich, – indem sie sie beide gegen mich vereinigte. Doch gelang mir noch zuletzt ein geschickter Rückzug, ohne ganz ihre Gunst zu verlieren.

Gegen Abend hatten wir, zwischen Streifregen, Dämmerung und Sonnenuntergang, noch eine herrliche Beleuchtung. Unser Wasserfall im Park war so angeschwollen, daß er sich auch etwas zu donnern erlaubte, und Gras und Busch hatte sich gar artig mit bunten Sonnenstrahlen illuminiert. Wir spazierten bis in die Nacht umher, sahen den hohen Sugarloaf nach und nach vom Dunkelblau in's Rosa übergehen, und ergötzten uns am klaren Spiegel des Meers, am Hüpfen der Fische auf seiner Oberfläche, und den friedlichen Spielen der Fischottern, bis die grausamen Fischerlichter in der Bay das Fest mit einem allgemeinen Kriegstanz beschlossen.

Alles ist hier schön, selbst die Luft, welche wegen ihrer Salubrität berühmt ist.Bis jetzt wird noch keine Taxe davon erhoben. A. d. H. Insekten plagen die Menschen auch nicht, da die Bay eine solche Tiefe hat, daß die Ebbe fast nirgends den Boden entblößt, und der stete, sanfte Luftzug des Tals ihnen wahrscheinlich auch nicht behaglich ist. Das Klima bleibt sich fast immer gleich, weder zu warm noch zu kalt, und die Vegetation ist so üppig, daß nur eine Sache mehr, und eine weniger da zu sein brauchte, um den größten Teil der kahlen Berge, und auch die Felsen, in ihren Zwischenräumen, mit den schönsten Wäldern zu bekleiden, nämlich – Pflanzer und Ziegen. Den ersten fehlt es an Geld zur Auslage, oder an der Lust, es hier anzulegen, die zweiten lassen nichts, das nicht doppelte Mauern schützen, aufkommen. Ehemals sollen die meisten dieser Gebürge mit Hochwald bedeckt gewesen sein, aber die Engländer, welche immer nur daran dachten, so viel Geld als möglich in Irland zu machen, schlugen alles nieder, zum Verkohlen und zum Gebrauch der Eisenhämmer, die seitdem eingehen mußten, deren Rudera man aber noch an mehreren Orten findet. Ein anderer Vorzug dieser Gegend ist, nach meinem Geschmack, ihre Abgeschiedenheit. Ein Wagen kann sie kaum erreichen, und, wenige neugierige Reisende von meiner Art ausgenommen, wird keiner versucht, die schwierigen Approchen zu besiegen. Ein gutmütiges Volk wohnt hier, nicht in Dörfern vereinigt, sondern einzeln im Gebürge zerstreut, und führt, unverdorben vom Gewühl der Städte, ein patriarchalisches Leben. Es ist auch nicht so widerlich arm, als in andern Teilen des Landes. Die Bedürfnisse dieser Leute sind gering; Torf zum Feuern dürfen sie holen, wo es ihnen gut dünkt, Gras für ihre Kühe ebenfalls in den Sümpfen, und Fische zur Nahrung liefert ihnen das Meer, mehr als sie bedürfen. Für den mit Schaffungslust ausgerüsteten Besitzer eröffnet sich hier ein unerschöpfliches Feld. Wäre ich ein Kapitalist, hier ließe ich mich nieder.

Mein freundlicher Wirt sorgt für die schnelle Beförderung dieses Briefes. Der Himmel gebe, daß er, in froher Stimmung geschrieben, auch Dich in froher Stimmung antreffe. Erinnere Dich immer des Wahlspruchs meiner Ahnfrau: Cœur content, grand talent!

Dein treu ergebener L...


 << zurück weiter >>