Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Vierter Brief

London, den 15ten Oktober 1826

Das hiesige Klima scheint mir gar nicht zu bekommen, denn ich befinde mich seit meiner Landung fortwährend unwohl. Indessen, so lange ich nur nicht die Stube hüten muß, lasse ich mich davon nicht unterdrücken, reite viel, um mich zu kurieren, in der reizend kultivierten Umgegend von London umher, und setze auch meine courses in der Stadt nicht aus.

Das Britische Museum kam neulich an die Reihe, wo ein eigner Mischmasch von Kunstgegenständen und Naturalien, Kuriositäten, Büchern und Modellen in einem erbärmlichen Lokal aufbewahrt wird.

Am Eingang oberhalb der Treppe stehen zwei enorme Giraffen, gleichsam als ausgestopfte Wächter und Embleme englischen Kunstsinns. Man findet dann in den verschiedenen Zimmern ohne Zweifel sehr viel Interessantes, ich muß aber zu meiner Schande gestehen, daß ich von dem zu vielen Sehen dergleichen Merkwürdigkeiten, mich jetzt durchaus in sehr favorabler Stimmung befinden muß, um nicht etwas Indigestionsartiges dabei zu empfinden. Unter den antediluvianischen Überresten befand sich ein ganz monströses, äußerst wohl erhaltenes Hirschgeweih, was wenigstens sechsfach die größten übertrifft, die unser Freund C... in der Hirschgallerie seines Schlosses aufbewahrt. Im Antikensaal, der übrigens einer Scheune gleicht, erfreut man sich an den herrlichen ›Elgin Marbles‹, wie man sie hier nennt. Könnte man doch nur einmal diese alte untergegangene Kunstwelt in aller Pracht und Erhaltung ihrer Monumente anschauen! Das wäre noch der Mühe wert. – Die einzelnen Torsen, mit denen wir uns begnügen müssen, gewähren doch nur (déclamation à part), ohngefähr das Vergnügen, welches einem z. B. eine wunderschöne Frau mit nur einem Beine, abgeschnittenen Armen, und geblendeten Augen verschaffen könnte.

Eine Büste des Hippokrates sprach mich an, weil ihr der Arzt vom Metier, sozusagen, aus den Augen geschnitten war, so daß man hier in England, bei dem Anblick derselben schon unwillkürlich in die Tasche griff.Die englischen Ärzte sind nämlich so gewohnt, für jeden Besuch eine Guinee zu erhalten, daß einer von ihnen versicherte, wenn er krank sei und sich ein Rezept schreibe, so verfehle er nie sich selbst eine Guinee aus der linken Tasche in die rechte zu stecken. A. d. H. – Auch die berühmte Portland-Vase betrachtete ich mit schuldigem Enthusiasmus

Ich sende Dir beifolgend zwei spezielle Werke über die Vase und die Elgin'schen Antiken, mit sehr leidlichen Umrissen, nehme aber jetzt Abschied, um einpacken zu lassen, denn morgen gedenke ich nach Newmarket zu fahren, um mich während des Pferderennens einige Tage daselbst aufzuhalten.


Newmarket den 19ten Oktober

Die Schönheit des Landes, und die ungemeine Zierlichkeit aller Orte, durch die mein heutiger Weg mich führte, frappierte mich von neuem auf das angenehmste. Diese ebenso fruchtbaren als geordneten Landschaften, diese Tausende von behaglichen und lieblichen Landhäusern, auf allen Punkten der Gegend verteilt, dies fortwährende Gewühl von eleganten Wagen, Reitern und wohlgekleideten Fußgängern, sind nur England eigen. Es hat aber dieses schöne Ganze doch einen Fehler, es ist alles zu kultiviert, zu vollendet, deshalb immer und überall dasselbe, und folglich auf die Länge ermüdend, ja ich kann mir sogar denken, daß es endlich widerlich werden muß, wie den Übersatten eine duftende Schüssel voller Delikatessen anekelt. Dies mag auch die große Reiselust der Engländer zum Teil erklären. Es ist gerade so wie im Leben, wo der Mensch ganz ungestörtes Glück am wenigsten vertragen kann, weshalb der liebe Gott vielleicht auch unsern Stammvater Adam, hauptsächlich nur, um ihn nicht vor langer Weile daselbst umkommen zu lassen, aus dem Paradiese jagte.

Heute war indes für einige Schattenbeimischung gesorgt. Wegen der großen Konkurrenz zum Wettrennen traf ich auf allen Stationen nur höchst abgetriebene Pferde, manchmal gar keine, so daß ich, wenigstens nach englischem Maßstab, erbärmlich gefahren wurde, und erst spät in der Nacht Newmarket erreichte.

Nirgends war in den Gasthöfen Platz zu finden, und ich mußte mich zuletzt noch sehr glücklich schätzen, in einem Privathause eine kleine Stube für 3 Guineen die Woche zu erhalten. Glücklicherweise traf ich einen guten Bekannten in demselben Hause an, einen kleinen ungarischen Magnaten-Sohn, der durch Anspruchslosigkeit und frohe Lebenslust dazu gemacht scheint, sich und andern in der Welt zu gefallen. Ich verehre solche Naturen, weil sie so gerade alles besitzen, was mir fehlt.

Den nächsten Morgen schon ritt ich mit ihm umher, um uns ein wenig zu orientieren. Ein Tag gleicht hier dem andern, wie ein Ei dem andern. Früh ½9 Uhr sieht man zuerst auf einem Hügel einige hundert Rennpferde, in Decken eingehüllt, ihre Morgenpromenade machen. Der weit ausgedehnte kahle Grashügel ist überall mit ihnen, wie mit einer Herde bedeckt, einige gehen im Schritt umher, andere galoppieren, bald langsamer, bald schneller, doch nie im vollen Lauf. Ein Aufseher, auf einem kleinen Pony reitend, begleitet in der Regel die Pferde, welche demselben Herrn gehören, oder bei demselben training-groom in Kost und Wartung sind. Die Rennpferde selbst werden hier alle von kleinen, nur halb angezogenen Jungen auf der Decke geritten, von denen auch gelegentlich einer zum Vergnügen der Zuschauer abgeworfen wird. Ist diese für den Pferdeliebhaber allerdings sehr interessante Besichtigung vorbei, so frühstückt man, geht wohl noch eine halbe Stunde auf die Pferdeauktion, welche, von dem allbekannten Herrn Tattersall geleitet, beinahe alle Tage auf offener Straße stattfindet, und reitet oder fährt dann zum Wettrennen.

Dieses beginnt ziemlich pünktlich um 12 Uhr. Eine unabsehbare gras-plain mit feinem dichten Hutungsrasen bewachsen, ist der Kampfplatz, wo verschiedene Distanzen, von einer ganzen deutschen Meile, als Maximum, bis zu 1/8 und 1/10 als Minimum, stets in grader Linie durchlaufen werden. Diese Bahn ist gegen das Ende hin auf beiden Seiten mit Stricken eingefaßt, längs welchen außerhalb drei- und vierfache Reihen größtenteils ausgespannter Wagen stehen, die von oben bis unten, inwendig und auswendig mit Zuschauern besetzt sind. Am Ziele selbst befindet sich ein Bretterhäuschen, ohngefähr wie die Schäfer in manchen Gegenden Deutschlands zu haben pflegen, auf Räder gestellt, so daß man es beliebig weiterrücken kann, wenn das Ziel verlängert oder verkürzt werden soll. In diesem sitzt der Kampfrichter, um vermöge einer gegenüber eingegrabenen Stange, genau visieren zu können, welches Pferdes Nase die erste in dieser Linie erscheint, denn oft entscheidet nur ein Zoll, und es ist eine sehr gescheite Politik und Hauptkunst der hiesigen jockeys, die wahre Schnelligkeit ihrer Pferde so wenig als möglich zu verraten, sondern nur gerade soviel davon zu zeigen, als zum Gewinnen eben nötig ist. Sehen sie, daß sie keine Chance mehr haben, so bleiben sie lieber gleich ganz zurück, da hingegen diejenigen, welche um den Sieg noch streiten, am Ziele immer nur sehr wenig auseinander sind. Das groteske Schauspiel eines Reiters, der, 1000 Schritt zurück, noch immer wie eine Dampfmaschine mit Sporen und Gerte sich auf seinem Pferde abarbeitet, sieht man nur in Deutschland und Frankreich. Sind zwei Pferde völlig in gleicher Linie am Ziele angekommen, so müssen sie noch einmal laufen, was öfters vorfällt. Der Kampfrichter ist daher vereidet, und zu seinem Ausspruch ist keine appellatio. Die englischen jockeys (nicht kleine Jungens, wie man zuweilen im Auslande denkt, sondern oft alte Diminutiv-Greise von 60 Jahren) bilden eine eigne Zunft, und sind die besten praktischen Reiter, die ich kenne. Es sind immer möglichst kleine und schmächtige Leute, die sich durch künstliches Schwitzen, Purgieren u.s.w. fortwährend soviel als möglich reduzieren. Du erinnerst Dich, daß ich selbst früher Rennpferde hielt, wo ich einen Newmarketjockey eine Zeitlang im Dienst behielt, der unter andern in Wien eine bedeutende Wette für mich gewann. Es belustigte mich sehr, diesen Menschen zu sehen, wenn er sich selbst in training setzte, und, nachdem er sich durch mehrere Laxanzien gestärkt hatte, in der größten Hitze, mit drei oder vier Pelzen bekleidet, im Trabe gewisse Distanzen ablief, bis der Schweiß stromweise von ihm herabrann, und er selbst vor Mattigkeit fast hin sank, mais tel était son plaisir, und je miserabler er sich fühlte, je zufriedener war er.

Auch dies kommt jedoch auf die Bestimmung an, denn leichter, als wie zu einer Hauptgelegenheit, wo viel zu verdienen ist, erfordert wird, ist es nicht ratsam sich zu machen. indem Blei in den Gurt nehmen zu müssen für Pferd und Reiter unbequem ist, und Du weißt schon, daß auf diese Weise das bestimmte Gewicht, welches ein Pferd tragen muß, reguliert wird.Es sei mir erlaubt, bei dieser Gelegenheit denjenigen meiner Berliner Freunde, welche mit ihren Pferden bei den dortigen Wettrennen konkurrieren wollen, den Rat zu geben, die dazu bestimmten Pferde nur durch gut rekommandierte englische grooms trainieren zu lassen, da alle hiesigen ohne Ausnahme es durchaus nicht verstehen, wie ich mich vielfach überzeugt habe. Sie glauben ein Pferd trainiert zu haben, wenn sie es durch Aderlassen, Laxieren und tägliches Umherjagen zum Skelette verwandelt, und ihm alle die Kräfte genommen, welche das echte Trainieren verzehnfacht. Das gut und schlecht trainierte erscheinen zwar gleich mager, bei dem letztern ist es aber die Magerkeit des Elends und der Entkräftung, bei dem andern nur die Entfernung alles unnützen Fleisches und Fettes mit der höchsten Ausbildung und Kraft der Muskeln und der Lunge. A. d. H.

In einer gewissen Distanz vom Ziele, nach dem Punkte des Auslaufs zu, steht, etwa hundert Schritt seitwärts, eine andere weiße Stange, ›the betting-poste‹, genannt. Hier versammeln sich die Wettenden, nachdem sie vorher die Pferde in den Ställen, am Beginn der Bahn, satteln gesehen, und sich noch genau von allen etwa obwaltenden Umständen überzeugt, vielleicht auch den ergebenen jockeys Winke erteilt haben. Für manchen mochte das, was hier vorgeht, von allem das befremdendste Schauspiel sein. Es hat, des Lärmens und verworrenen Schreiens wegen, viel Ähnlichkeit mit einer Judenschule, nur daß mehr Leidenschaft dabei sichtbar wird und das aktive Personal eben, sowohl aus den ersten Pairs von England, als Livreebedienten, den gemeinsten sharpers und black-legs (Betrüger und Gauner) besteht, kurz aus allem, was Geld zu verwerten hat, und hier gleiche Rechte in Anspruch nimmt, auch im Äußern keinen wesentlichen Unterschied darbietet, noch verschieden miteinander umgeht. Die meisten haben Taschenbücher in der Hand, jeder schreit seine Anerbietungen aus, und wer sie annimmt, notiert sie mit jenem zugleich in sein Buch. Herzoge, Lords, Stallknechte, Spitzbuben, alles brüllt durcheinander und wettet miteinander, mit einer Volubilität und in Kunstausdrücken, aus denen ein Fremder ohne langes Studium nicht klug werden kann, bis plötzlich der Ruf ertönt: ›die Pferde sind abgelaufen‹.

Schnell stiebt nun der Haufen auseinander, die Wettlustigen suchen sich aber wieder an den Stricken, die die Bahn einfassen, zusammenzufinden. Eine Menge langer Perspektive, Operngucker und Lorgnetten sieht man, von den Wagen und Reitern aus, nach den von fern herankommenden jockeys gerichtet. Mit Windesschnelle eilen diese immer näher, und einige Momente schwebt banges Schweigen über der bunten Menge, während ein Aufseher zu Pferde die Bahn freihält, und jeden Eindringling ohne Umstände mit der Peitsche zurückzwingt. Doch nur Momente dauert die Ruhe, bald erhebt sich von neuem das wildeste Getümmel, lautes Jauchzen und Klagen, Fluchen und Beifallsgeschrei schallt von allen Seiten, von Herrn und Damen, herüber und hinüber: ›Zehn gegen vier auf den Admiral, hundert gegen eins auf Putana, Smallbeer against the field (Schmalbier gegen alle andren), Karo-Bube gewinnt‹ u. s. w., hört man wütend von den Wettern schreien, und kaum hat man hie und da ein ›done‹ (es gilt) vernommen, so sind die edlen Tiere auch schon heran, im Nu vorbei, im zweiten am Ziele, und das Schicksal, oder Geschicklichkeit, oder Betrug haben entschieden. Starr sehen die großen Verlierer einen Augenblick vor sich hin, laut triumphieren die Gewinner, manche machen bonne mine à mauvais jeu, alle aber jagen jetzt schnell den jockeys nach, um diese wiegen und die Pferde absatteln zu sehen, ob ihnen dort vielleicht eine vorgefallene Unregelmäßigkeit noch eine Chance gewähren möchte. In einer Viertelstunde beginnt mit andern Pferden dasselbe Spiel von neuem, und wiederholt sich so sechs- bis siebenmal. Voilà les courses de Newmarket.

Ich hatte den ersten Tag ein so divinatorisches Urteil, daß ich dreimal den Gewinner, bloß nach Gutdünken und Beurteilung beim Satteln erriet und dadurch ziemlich ansehnlich gewann. Doch ging es mir wie gewöhnlich beim Spiel, ich verlor die andern Tage noch einmal so viel dazu. Wer hier mit Dauer gewinnt, ist vorher seiner Sache sicher, und es ist bekannt, daß ein großer Teil des englischen Adels in diesem Punkt sehr weite Grundsätze hat.

Ich fand unter den Anwesenden mehrere Bekannte aus älterer Zeit, die mir die Erlaubnis erteilten ihre Rennpferde im Stall zu sehen, was sie für eine große Begünstigung halten, und mir dann auch anboten, entrée in den hiesigen Club zu verschaffen, wovon ich jedoch nicht profitierte, da es ein bloßer Spiel-Club ist, wovor man sich in England mehr als irgendwo hüten muß.

Es ist als ein Nationalzug anzusehen, und einer, der das allgemein Kaufmännische hier charakterisiert, daß vorher zwar alle Vorteile gelten, aber bei den oft im Augenblick und in der größten Konfusion gemachten Wetten, fast nie ein Streit über die Richtigkeit derselben stattfindet, dagegen oft einer, der mehr verloren hat, als er bezahlen kann, vor dem Abrechnungstage ganz und gar unsichtbar wird, d. h. Bankerott macht, und sich auf dem Kontinent, entweder für immer, oder so lange, bis er wieder zahlungsfähig ist, verbirgt. Wenn dergleichen geschieht, wird es von den habitués ein schlechtes ›meeting‹ genannt.

Gleich am ersten Tage meines Aufenthaltes in Newmarket machte mich mein ungarischer Freund mit der Familie eines reichen Kaufmanns aus der hiesigen Gegend bekannt, die mit ihrem Landbesuch, worunter einige sehr hübsche Mädchen, täglich zum Rennen herkamen, und nach demselben wieder auf ihr nahes Gut zurückkehrten. Sie luden uns ein, den nächsten Tag dort zu essen, und den darauf folgenden bei ihnen zuzubringen, welches wir mit Vergnügen annahmen

Gegen 5 Uhr machten wir uns zu Pferde auf den Weg. Eine neu gepflanzte, sehr breite, doppelte Allee von jungen Buchen bezeichnete den Anfang des Gebiets unseres Wirts, und führte uns, ohngefähr eine halbe Stunde weit, an seine park-entrance, welche aus einer Art Triumphbogen und zwei Seitenpavillons bestand, an die sich der hölzerne Parkzaun anschloß, der aber eine Strecke weit vom Tore auf beiden Seiten verpflanzt war, so daß die erwähnten Eingangsgebäude frei im Wald zu stehen schienen, was sich sehr gut ausnahm. Eine Zeitlang führte uns jetzt der Weg durch dichten Busch, worauf wir die mit Baumgruppen besetzte Wiese erreichten, die überall den Hauptbestandteil eines englischen Parks ausmacht, und dann bald von fern das erleuchtete Haus erblickten, hinter dem sich die hohen Bäume und shrubberies des pleasure-grounds ausdehnten. Einige Kühe lagen vor der Haustüre, über die wir fast hinwegsetzen mußten, eine sonderbare Anomalie, die schon Repton rügt, und die daraus entsteht, daß man, der Gewohnheit gemäß, den Park, d. h. die geschmückte Viehweide, stets auf einer Seite, meistens auf zweien, bis an das Wohnhaus sich erstrecken läßt, anstatt daß es gewiß weit zweckmäßiger wäre, den pleasure-ground und die Gärten rund um das Haus zu ziehen, da, wie mir scheint, wohl der entfernte Anblick, aber nicht die unmittelbare Nähe des Rindviehs, nebst allen ihm anhängenden Unannehmlichkeiten, so großes Vergnügen gewähren kann.

Wir fanden eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft, bestehend aus dem Herrn und der Frau vom Hause, beide im mittleren Alter, ihrer ältesten verheirateten Tochter mit ihrem Manne, zwei jüngern nicht sehr anlockenden Töchtern, einem Baronet aus der Nachbarschaft mit einer hübschen Frau und ihrer auch ganz artigen, aber sehr melancholischen Schwester, weil sie eben aus Indien unverrichteter Sache zurückkamMan pflegt jährlich aus England einen Transport junger mittelloser Damen nach Indien zu spedieren, um sie dort, wo die Ware nicht so häufig ist, wo möglich an den Mann zu bringen, und die Spekulation gelingt auch gewöhnlich. Ein rückkehrender Krebs ist aber übel dran. , einer sehr gefeierten Miss B.... welche sich oft auch in höhern Zirkeln bewegt, drei andern unbedeutenden Herren, dem Sohn vom Hause, und endlich einem Londner Stutzer der zweiten Klasse, an dem man den strebenden dandy der City studieren konnte.

Der Baronet hatte in Deutschland gedient, und dort das Theresienkreuz sich erworben, wie er erzählte, denn er trug es nicht, weil er meinte, dies sei eine Jugend-Spielerei, die er nun abgelegt, da sie zu seinen ökonomischen Beschäftigungen nicht mehr passe. Es war ein schlichter und freundlicher Mann, dem man, als mit dem Kontinent am besten bekannt, besonders aufgetragen zu haben schien, uns die honneurs des Hauses zu machen. Wir zogen jedoch vor, uns lieber bei seiner Frau und Schwägerin in den englischen Sitten zu unterrichten.

Nach diesen Sitten war der Besuch zweier noblemen (selbst fremder, obgleich diese 50 Prozent geringer als die einheimischen stehen) für ein Haus von niederer volée wie das S...sche eine Ehre, und man fetierte uns daher ungemein, selbst der dandy war, soweit es die Regeln seines Metiers gestatteten, artig und zuvorkommend gegen uns. Es ist eine fast allgemeine Schwäche der nichtadeligen Engländer, mit vornehmen Bekanntschaften zu prahlen, die AdeligenDu weißt, daß in England nur die Pairs-Familien zum Adel gerechnet werden. Vom Baronet (incl.) an, gehört alles übrige nur zur gentry, ein Wort, das hier am besten durch Honoratioren übersetzt wird. tun dasselbe mit den Fashionablen, oder Exklusiven, die eigene Kaste, ein Staat im Staate, der in gesellschaftlicher Hinsicht eine noch despotischere Gewalt ausübt, und sich nicht einmal an Rang, noch weniger an Reichtum kehrt, aber nur in jener erwähnten Schwäche der Nation die Möglichkeit seines Bestehens findet.

Es ist daher eine große Wonne für diese Engländer des Mittelstandes auf dem Kontinent zu reisen, und dort mit Leichtigkeit vornehme Bekanntschaften zu machen, von welchen sie, zu Hause angekommen, wie von intimen Freunden sprechen können. Unsere Hauswirtin gab uns davon bald eine kleine Probe: »Kennen Sie die Königin von ...?« frug sie. Auf meine Antwort, daß ich die Ehre gehabt habe, ihr einst vorgestellt worden zu sein, fuhr sie fort: »She is a great friend of mine«, gerade wie sie von einem Handels-Kompagnon hätte sprechen können. Zugleich produzierte sie, unter den vielen Brimborions, mit denen sie sich behangen hatte, ein Portrait der Königin, welches ihr diese, wie sie behauptete, geschenkt habe. Es mochte wohl wahr sein, denn auch die Tochter zeigte einen Brief von einer der vermählten Prinzessinnen-Töchter Ihrer Majestät vor, der sehr vertrauliche Mitteilungen über ihre Ehe und Häuslichkeit enthielt, und nun wahrscheinlich schon seit geraumer Zeit als Paradepferd dienen mußte, um der Eitelkeit der Besitzerin zu fröhnen. Ist es nicht in hohem Grade auffallend, daß unsere deutschen Großen, denen es doch zum Teil an Stolz und morgue gegen ihre Landsleute nicht eben fehlt, jedes englische Landeskind, sei es auch noch so sehr ohne geistige Auszeichnung, bloß als englisch, fast wie ihresgleichen behandeln, ohne im geringsten zu fragen, ob dieses Individuum zu Hause eine Stellung einnehme, die solche Begünstigung rechtfertige!

Nichts läßt uns in den Augen der Engländer selbst geringer erscheinen, als diese demütige Fremdensucht, die noch dadurch etwas besonders Schmähliches erhält, daß ihr wahrer Grund im allgemeinen doch nur in dem tiefen Respekt liegt, den Hohe und Niedere bei uns für englisches Geld haben.

Es gehört hier ein bedeutendes Vermögen dazu, um ein Haus auf dem Lande zu machen, da der Gebrauch sehr viel Luxus dabei erfordert, und dieser Sitte gemäß, in der Hauptsache, beim Krämer dasselbe gefunden werden muß, wie beim Herzog, d. h. ein zierlich dekoriertes Haus mit eleganten meubles, ein reiches vaisselle, stets neu und fein gekleidete Diener, bei Tafel eine profusion von Schüsseln und ausländischen Weinen, ausgewähltes und sehr kostbares dessert, und in allem der Anschein von Überfluß und ›plenty‹, wie die Engländer es nennen. Solange Gäste da sind, geht dieser train fort, nachher in der Einsamkeit mag sich manche Familie dafür mit der schmalsten Kost entschädigen, daher man auch hier niemanden auf dem Lande besuchen darf, ohne eingeladen zu sein, und diese Einladungen sind dabei gewöhnlich auf Tag und Stunde bestimmt, da die Bekanntschaften groß, und der Raum, wie die dazu bestimmte Zeit, verhältnismäßig gering ist, also einer dem andern Platz machen muß. Wahre Gastfreiheit kann man dies kaum nennen, es ist mehr eine étalage seines Besitzes für möglichst viele. Hat eine Familie nun einen Monat oder länger so Haus gehalten, so geht sie die übrige Zeit selbst auf Besuche aus, der einzige gastfreie Monat hat aber dann schon so viel gekostet, als bei uns die ganze Jahresrevenue eines reichen Gutsbesitzers beträgt.

Da Du nie in England warst, will ich Dir mit ein paar Worten den Gang eines englischen dinner beschreiben, welches sich, wie gesagt, à peu de chose près überall gleich ist.

Du liebst die Details des täglichen Lebens, und hast mir oft gesagt, Du vermißtest dies bei den meisten Reisebeschreibungen, und doch gäbe nichts ein lebhafteres Bild eines fremden Landes; verzeihe also, wenn Du mich jetzt in zu kleinliche Dinge eingehen findest.

Man führt die Damen am Arm, nicht an der Hand, wie in Frankreich, zu Tisch, und ist auch wie dort von den veralteten Reverenzen befreit, die selbst in vielen der vornehmsten deutschen Gesellschaften, noch nach jedem Führen einer Dame gegenseitig gewechselt werden. Dagegen ist man sehr ängstlich um die Beobachtung des Ranges besorgt, wobei man den der Fremden freilich sehr wenig versteht. Ich verwünschte heute den meinigen, der mich neben die Wirtin brachte, während mein Freund sich wohlweislich zwischen die schönen Schwestern eingeschoben hatte. Auf französische Art findet man schon beim Eintritt den ganzen ersten Gang der Mahlzeit, die relevés ausgenommen, zugleich auf den Tisch gesetzt, und sobald die Glocken abgehoben sind, legt auch, wie dort, nach der Suppe jeder von der Schüssel vor, die sich vor ihm befindet, und bietet seinem Nachbarn davon anZur englischen guten Erziehung gehört daher auch die Tranchierkunst, welche in Deutschland zu sehr vernachlässigt wird. , während er selbst, wenn er etwas anderes zu haben wünscht, über den Tisch darum bitten, oder einen Bedienten darnach schicken muß, im Grunde eine lästige Mode, weshalb auch einige der elegantesten Gereisten jetzt die bequemere deutsche Sitte des Herumgebens der Schüsseln durch die Dienerschaft angenommen haben.

Es ist nicht üblich, bei Tisch Wein zu trinken ohne sein Glas mit einer andern Person zugleich zu leeren, wozu man das Glas aufhebt, sich starr ansieht, mit dem Kopfe zunickt, und es dann erst gravitätisch austrinkt. Gewiß mancher uns sehr auffallende Gebrauch der Südseeinsulaner mag weniger lächerlich sein. Es ist übrigens zugleich eine Artigkeit, jemand auf diese Weise zum Trinken aufzurufen, und ein Bote wird oft vom andern Ende der Tafel expediert, um B... anzukündigen, daß A... ein Glas Wein mit ihm zu trinken wünsche, worauf denn beide sich, zuweilen mühsam genug, ins Auge zu bekommen suchen, und dann, gleich chinesischen Pagoden, die Zeremonie des obligaten Nickers mit großer Förmlichkeit agieren. Ist aber die Gesellschaft klein, und man hat mit allen Bekannten getrunken, aber noch Lust, mehr Wein zu genießen, so muß man damit bis zum dessert warten, wenn man den Mut nicht in sich verspürt, sich über die Gewohnheit hinwegzusetzen,

Nach vollendetem zweiten Gange und einem interimistischen dessert von Käse, Salat, rohem Sellerie und dergleichen (wozu man manchmal Ale herumgibt, das 20 und 30 Jahre alt, und so stark ist, daß es, ins Feuer geschüttet, wie Spiritus aufflammt), wird das Tischtuch abgenommen, und in den besten Häusern auf ein zweites darunterliegendes noch feineres Tischtuch, in andern auf den bloßen polierten Tisch das dessert aufgesetzt, welches aus allen möglichen Treibhausfrüchten, die hier von ausgezeichneter Qualität sind, indischen und vaterländischen eingemachten compotes, magenstärkendem Ingwer, Gefrornem u. s. w. besteht. Vor jeden Gast werden frische Gläser gestellt, und zu den Desserttellern und Bestecken noch kleine mit franges umgebene Servietten hingelegt, vor den Hausherrn aber drei Flaschen Wein, gewöhnlich Claret (Bordeaux-Wein), Port und Madeira aufgesetzt. Der Wirt schiebt nun diese, entweder in ihren Untersetzern oder auf einem kleinen silbernen Räderwagen, links zu seinem Nachbar. Jeder schenkt sich selbst, und, sitzt eine Dame bei ihm, auch dieser nach Verlangen ein, und so fort, bis die Runde gemacht ist, wo sie denn wieder von vorn angeht. Einige Kristallkrüge mit Eiswasser erlauben den Fremden glücklicherweise, dem Branntewein, der in den englischen Weinen stark vorherrscht, einiges Gegengift beizumischen. Alle Dienerschaft verläßt nach aufgesetztem dessert das Zimmer, und braucht man frischen Wein, so wird dem Haushofmeister geklingelt, der ihn allein hereinbringt. Eine Viertelstunde bleiben die Damen dann noch sitzen, denen zuweilen süßer Wein besonders serviert wird, und verlassen hierauf den Tisch. Die Herren erheben sich mit ihnen, einer derselben öffnet den Damen die Türe, und sobald sie hinausgelassen sind, rückt man traulicher zusammen, der Wirt nimmt den Platz der Wirtin ein, und die Gespräche des täglichen Interesses beginnen, wobei der Fremde in der Regel ziemlich vergessen wird, und sich meistens mit Zuhören begnügen muß. Es steht übrigens jedem frei, den Damen zu folgen, wann er will, eine Freiheit, von der Graf B... und ich heute möglichst bald Gebrauch machten, um so mehr, da dies jetzt sogar Mode, und das viele Trinken unfashionable wird. Deshalb hatte auch der dandy uns bereits devanciert, als wir bei den Damen ankamen, die uns im Salon, um einen großen Tisch gruppiert, mit Kaffee und Tee erwartetenBeim Könige müssen die Damen, wie mir eine derselben erzählt hat, rückwärts hinausgehen, um Seiner Majestät nicht die verkehrte Seite zuzuwenden, welches gegen die, in England zum Teil sehr streng beobachtete Etikette ist. Dies hat sich jetzt zu einer völlig militärischen Evolution ausgebildet, welche eine junge Neulingin oft in Verlegenheit setzt. Die Damen schließen rückwärts die Richtung nach der Türe, nach welcher sie sich in der Diagonale ziehen. Sobald die Flügelfrau an dieser angelangt, macht sie rechtsum, traversiert hindurch, und so jede folgende ihr nach. Lady C... kommandiert. Im Gynáceum angekommen, präsentiert sich ihnen, ebenfalls in Reih und Glied, eine Anzahl eleganter Porcellain-Vasen. Après celà nippt man von einem Glase Liqueur, setzt sich zu Tee und Kaffee nieder, und nun beginnt die Damenunterhaltung. Man weiß, woraus sie gewöhnlich besteht: Putz, Skandal und Liebe. ›Such is the custom of Brauksome Hall. .

Als die ganze Gesellschaft wieder vereinigt war, teilte sich alles, völlig ungeniert, in beliebige Gruppen. Einige machten Musik, wobei die melancholische Schöne auf einer Orgel spielte, die wahrscheinlich zu religiösem Gebrauch hier aufgestellt war, andere spielten Whist, hie und da flüsterte ein Pärchen in der Fenster- embrasure, mehrere politisierten, nur der dandy war allein geblieben; in einen großen Lehnstuhl versunken, hatte er seinen rechten zierlich beschuhten Fuß auf sein linkes Knie gelegt, und sich in dieser Stellung in Mme. de Staëls Buch sur ›l'Allemagne‹ anscheinend so vertieft, daß er von der ihn umgebenden Gesellschaft nicht die mindeste Notiz mehr nahm.

À tout prendre mußte ich dem hübschen jungen Mann die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er höhere Originale gar nicht übel kopierte. Vielleicht wurde ich zu diesem vorteilhaften Urteil auch dadurch bestochen, daß er bei Tisch viel vom großen Goethe sprach, und seinen ›Fost‹ anpries, welche beide (Goethe und ›Fost‹) Lord Byron in England Mode gemacht hat. ›Fost‹ schien ihm besonders wegen der, seiner Meinung nach, atheistischen Tendenz desselben zu gefallen, denn Mr. M... brachte, wie er uns erzählte, die halbe Zeit seines Lebens in Paris zu und erklärte sich für einen esprit fort.

Den andern Tag ritten wir, nach dem gemeinschaftlichen Frühstück, mit den Damen im Park spazieren, der nichts Sehenswertes darbot, ausgenommen etwa einen flußartigen Kanal stehenden und schlammigen Wassers, welcher 5000 L. St. zu graben gekostet hatte, und besser unterblieben wäre, wurden aber nachher desto mehr durch die Treibhäuser und Obstgärten befriedigt. Die ersteren, eine Liebhaberei des Besitzers, wurden auf eine höchst ingenieuse Weise nach einer von ihm selbst erfundenen Vorrichtung, mit Dampf beheizt, und die Wärme durch das bloße Drehen eines Hahns augenblicklich zu dem beliebigen Grade vermehrt oder vermindert.

Dreiundzwanzig verschiedene Sorten Ananas, über die sich, vom Glasdach herab, Hunderte von dunkelblauen Riesen-Trauben senkten, füllten diese geräumigen, eleganten Häuser, und im Obstgarten bewunderten wir an der Mauer Birnen, die bei sehr gutem Geschmack eine Größe von 7 Zoll Länge und 16 Zoll Umfang erreichten.

Viele Herren gingen auf die Jagd, wir zogen die häusliche Gesellschaft vor. Der lustige B... war der Liebling der Damen geworden und erregte sichtlichen Kummer bei ihnen, als wir nach dem dinner um 1 Uhr in der Nacht und diesmal in einer Post-Chaise unsern Rückweg antraten. Es konnte nicht fehlen, daß wir auf der langen Fahrt über manches ridicule, das wir gesehen, noch eine lachende Nachlese hielten, obgleich ich mich dabei recht sehr schämte, als echter Bewohner B...s, statt des herzlichen Dankes für die gastfreie Aufnahme, mich über die Wirte und ihre Gesellschaft lustig zu machen; aber die Welt ist heutzutage verdorben, und überdies hat Gastfreundschaft aus Ostentation keine bessern Folgen. Wahrscheinlich ging es uns Gästen im Hause, das wir eben verlassen, auch nicht besser.

Beim Wettrennen sahen wir am andern Morgen die jungen Damen wieder, wetteten Handschuhe mit ihnen, so lange, bis wir sie verloren, und erfreuten sie dann gar sehr mit eingeschwärzten Parisern. Eine zweite Einladung aufs Land schlugen wir jedoch aus, da wir zu einem Herren- dinner engagiert waren, und Graf B... noch abends zur Fuchsjagd nach Melton abreisen wollte. Auch ich werde Newmarket verlassen, und meinen Brief in London weiter fortsetzen.


Epping Place, den 20sten

Ich bin nicht so weit gekommen, als ich wollte, und muß hier übernachten, da die Besichtigung zweier Parks mich den halben Tag aufgehalten hat. Die darauf verwandte Mühe hat sich jedoch reichlich belohnt. Der erste, Audley Park, dem Lord Braybrook gehörig, kann unter den ansehnlichsten im Lande eine Stelle behaupten.

Die Straße führt mitten durch denselben, mit tiefen Ahas auf beiden Seiten, die den Park sichern, und doch die volle Aussicht hinein gestatten. Man überblickt zuerst eine weite grüne Landschaft, in deren Mitte ein breites, flußartiges und vortrefflich geformtes Wasser angebracht ist, das aber leider wegen zu geringen Zuflusses sehr mit Wassermoos bedeckt ist. Nahe an seinen jenseitigen Ufern steht das prächtige gotische Schloß, welches ursprünglich vom Herzog von Suffolk erbaut wurde, und damals noch dreimal größer gewesen sein soll. Demohngeachtet geben ihm auch noch jetzt die Menge seiner Türme, Vorsprünge und verschiedenartigen hohen Fenster ein imposantes und malerisches Ansehen. Obgleich Mylady zu Haus war, erhielt ich doch die seltene Erlaubnis, es zu besichtigen.

Ich trat in eine weite, sehr einfache Vorhalle, nur mit einigen Geweihen von Riesenhirschen der Urwelt, die hier ausgegraben wurden, geschmückt, und mit wenigen massiven Bänken und Stühlen versehen, auf welche das Wappen der Familie in bunten Farben gemalt war. Einige sehr alte Gemälde, eine gotische Lampe, ein großer aus zwei Stücken Muschelmarmor bestehender Tisch, von dem nur die obere Seite des Tischblattes geschliffen, das Übrige ganz roh war, und ein Dutzend lederne Feuereimer, ebenfalls mit bunten Wappen bemalt, machten alle übrigen meubles dieser pièce aus. Die Decke war von Holz mit tiefen caissons und verschossener alter Malerei. Man sah auf den ersten Blick, daß man in kein Haus von gestern getreten war.

Eine hohe Türe, aus schwerem geschnitzten Eichenholz, führte von hier in die Herren-Halle, einem großen Saal, dessen ungeheure Fenster von der Decke bis zum Boden gingen, und auf dieser Seite den freien Anblick der Landschaft gewährten. Viele Ahnenbilder in Lebensgröße, zum Teil von Van Dyck gemalt, hingen an der entgegengesetzten Wand, und zwischen ihnen erhob sich der kolossale Marmor-Kamin mit dem in Stuck ausgeführten und reichgefärbten Wappen der Suffolks darüber. Die dritte Wand, dieselbe, durch welche wir hereingekommen, war von innen durchgängig mit kunstreichem, vortretendem Schnitzwerk bedeckt, Figuren in halber Lebensgröße, wie man an den Chören gotischer Kirchen sieht. Gegenüber befand sich wieder eine hohe Flügeltüre, die sich in den Speisesaal öffnete, und an ihren beiden Seiten zwei freie Treppen, die zum zweiten Stock hinaufführten.

Der Speisesaal enthält ein Portrait Suffolks, und ein Bild der Königin Elisabeth. Ihr rotes Haar, fades teint und falscher Blick, wie der übertriebene Putz, geben keine sehr vorteilhafte Idee von der galanten und eitlen Maiden Queen.

Im obern Stocke diente eine schmale und lange Galerie – voll niedlicher Kleinigkeiten und Altertümer, unter andern auch einer großen Windkarte in der Mitte, die mit der Turmfahne in Verbindung steht, und so den Jägern alle Morgen zeigt, wo der Wind herkommtWäre an Höfen nicht übel einzuführen. A. d. H. , zum Salon, denn man hat die gute Einrichtung, in den meisten englischen Landhäusern und Schlössern, nicht viele, sondern nur ein Appartement oder Haupt- pièce für die Gesellschaft zu bestimmen, was diese weit besser zusammenhält.

Die Kapelle ist modern, aber reich und geschmackvoll verziert, und hier liest, wenn der Kaplan abwesend ist, der Herr selbst alle Morgen um halb 10 Uhr, wobei sich die ganze Familie und Dienerschaft versammeln muß, nach altem Gebrauch eine Predigt und hält den Gottesdienst ab.

Der Park ist bedeutend groß, aber von einer störenden Menge Zäune durchschnitten, um Schafen, Kühen, Pferden und Hirschen, jeder Tierart ihr eigenes Terrain anzuweisen. Von den letztern sind 4-500 Stück hier vorhanden, die, wie eine zahme Herde fast immer in wenigen Abteilungen vereint, zusammen weiden, und der Idee des Wildes gar nicht mehr entsprechen. Auch schmeckt ihr Fleisch ganz anders, als da, wo sie frei in den Wäldern unserer Heimat leben, ohngefähr wie wildgewordene Ochsen schmecken mögen.

Die Remisen für Rebhühner und Hasen sind ebenfalls umzäunt, da das niedrige Gebüsch sonst vom Vieh abgefressen werden würde, weshalb auch, wie schon bemerkt, der größte Teil der englischen Parks nur aus einzelnen hohen Baumgruppen auf Wiesengrund besteht, deren Äste die Tiere nicht erreichen können. Diese weiten Ansichten imponieren im Anfang, werden aber, ihrer Einförmigkeit wegen, bald ermüdend. Auch kann ich nicht finden, daß die vielen Vermachungen der Landschaft vorteilhaft sind, denn selbst jeder einzeln gepflanzte junge Baum auf der plaine muß mit einem hohen Zaun umschlossen werden, um ihn vor den Tieren zu schützen.

Zwei einzelne Tempel und ein Obelisk, zu denen nicht einmal ein andrer Weg, als über den Rasen führte, nahmen sich sehr heterogen in der Mitte dieser Viehweiden aus, besser der entfernte gotische Turm der Kirche von Waltham, der pittoresk über die Eichenkronen hervorragte.

Sehr schön fand ich dagegen den Blumengarten und die Fasanerie. Der erste bildet ein großes Oval, dicht von immergrünen natürlichen Wänden von Taxus, Kirsch-Lorbeer, Rhododendron, Zedern, Zypressen, hohem Buchsbaum, Holly etc., und den höchsten Waldbäumen dahinter, umgeben. Ein Bach mit Grotte und Wasserfall durchströmt den feinen Samtrasen, auf dem sich seltene Prachtpflanzen und Blumenbeete aller Formen und Farben lieblich gruppieren.

Die Fasanerie, welche eine gute halbe Stunde davon entfernt ist, besteht aus einem schattigen und dichten, mit einer Mauer umgebenen Wäldchen verschiedner Baumsorten von bedeutendem Umfang. Man konnte nur über die nassen Wiesen dazu gelangen, und erst vom Eingangspförtchen an begann ein Kiesweg. Dies geschieht aus Ökonomie, da Wege in England äußerst kostspielig zu machen und zu unterhalten sind, gewöhnlich daher in einem Park nur ein Fahrweg nach dem Wohnhause stattfindet, und auch die Fußwege mit dem eisernen Zaun des pleasure-ground aufhören. Die englischen Damen fürchten weniger ihre Füßchen der Nässe auszusetzen, als die unsrigen.

Der oben erwähnte Weg brachte mich also durch ein höchst anmutiges Laubgewölbe, nach verschiedenen Krümmungen, unerwartet vor die mit Efeu berankte Pforte eines kleinen Gebäudes, an welches sich, noch mehr unter den Bäumen versteckt, die Wohnung des Fasanenjägers anschloß.

Dieser öffnete von innen, und höchst überraschend war der Anblick, der sich jetzt vor uns entfaltete. Wir waren in einen kleinen offenen Salon getreten, dessen freistehende Säulen dichte Monatsrosen ganz bedeckten, zwischen denen wir rechts eine große volière mit Papageien, links eine ebenso ausgedehnte Hecke von Kanarienvögeln, Stieglitzen und andern kleinen Vögeln sahen, vor uns aber einen freien Rasenplatz mit einzelnen immergrünen Sträuchern, und einen Hintergrund von hohem Walde, durch den man einige ganz schmale Durchsichten auf ein fernes Dorf und einen einzelnen Kirchturm, mit vieler Kunst menagiert hatte.

Auf diesem freien Platz rief nun der Jäger Wolken von Gold-, Silber- und farbigen Fasanen, nebst einigen fremden Hühnerarten, zahmen Raben, seltenen Tauben und anderem Geflügel zusammen, die hier ihr Futter bekamen, und sich dabei im buntesten Gewimmel umhertaumelten. Ihre verschiedenen Manieren und Gebärden, von der Leidenschaft der Begierde gesteigert, gaben ein ganz eigentümliches Schauspiel; besonders possierlich betrug sich ein Goldfasanenhahn, der gleich einem Stutzer aus alter Zeit allen Hühnern die Cour zu machen schien, und mit den allerlächerlichsten Verdrehungen und airs, die er sich dabei gab, meinen alten B... zu solchem Lachen zwang, daß die englischen Diener, welche im Äußern an sklavische Ehrfurcht vor ihren Herren gewöhnt sind, diese Freiheit mit Verwunderung betrachteten, während sie mich wenigstens ebensosehr amüsierte, als die Pantalonaden des dandys unter den Vögeln.

Über 500 Gold- und Silberfasanen, denen gleich nach der Geburt nur ein Flügel verschnitten wird, welches hinlänglich ist, sie am Fliegen zu hindern, bewohnen diesen Wald Sommer und Winter, ohne nur eines Schuppens gegen die Kälte zu bedürfen, so mild ist das hiesige Klima.

Um dich nicht zu ermüden, übergehe ich die Beschreibung des zweiten Parks, Short Grove, der nichts besonderes darbot, und sehr vernachlässigt schien. Schloß und Park mit Treibhäusern u. s. w., das erste völlig meubliert, waren eben für den nicht hohen Preis von 400 L. St. jährlich vermietet worden, eine hier sehr übliche Sitte, wenn die Besitzer auf Reisen sind.

Wir würden dies nicht gern nachahmen, da hingegen bei uns fast immer ein Teil unsrer Wohnhäuser in der Stadt vermietet wird, während die Herrschaft selbst nur die bel étage bewohnt, was den Engländern wiederum sehr sonderbar vorkommt, und auch wirklich höchst unbequem ist, indem die Anwesenheit mehrerer Familien in einem Hause selten weder eine gute Hausordnung, noch vollendete Reinlichkeit und Nettigkeit in demselben gestattet.

Die Haupttüre des Schlosses in Short Grove war von außen mit Spiegeln belegt; eine hübsche Idee, indem man dadurch, dem Hause zugehend, schon auf der Türe ein schönes Gemälde der Gegend erblickt.

Der große Reichtum der Gutsbesitzer in England muß immer die Kontinentalen frappieren, wo jetzt größtenteils gerade die Gutsbesitzer die ärmste und die am wenigsten von den Gesetzen und Institutionen protegierte Klasse sind. Hier konkurriert alles zu ihrem Vorteil. Es ist äußerst schwer, für den Rentier freies Grundeigentum in England zu akquirieren, da fast aller Grund und Boden der Krone, oder dem hohen Adel gehört, die es in der Regel nur auf eine Art Erbpacht ausgeben, so daß zum Beispiel, wenn ein Großer ein Städtchen sein nennt, dies nicht, wie bei uns, bloß die Oberherrschaft darüber bedeutet, sondern jedes Haus das wirkliche Eigentum des Besitzers ist, dem Inhaber nur, wie ich gleich auseinandersetzen werde, auf bestimmte Zeit überlassen. Man kann sich denken, welche ungeheure, immer steigende Revenuen dies in einem außerdem so industriellen Lande hervorbringen muß, und kann nicht umhin, zu bewundern, wie die dortige Aristokratie sich, in großer Übereinstimmung, seit Jahrhunderten alle Institutionen zu ihrem besten Vorteil einzurichten gewußt hat.

Der freie Kauf eines Grundstücks erfordert mehrere schwierige Bedingungen, und jedenfalls kann er nur zu so hohen Preisen stattfinden, daß kleinere Kapitalisten sie nicht daran wenden können, und wie es einmal ist, bei der Erbpacht für ihre Person immer noch mit besserem Nutzen dazu kommen, und diese daher auch fortwährend vorziehen. Die hiesige Erbpacht ist aber sehr verschieden von der bei uns üblichen. Es wird nämlich dem Anbauer der nötige Platz auf 99 Jahren dergestalt überlassen, daß er, bei Häusern pro Fuß der Front, eine gewisse Rente jährlich, von einigen Schillingen bis zu 5 bis 10 Guineen, bei größern Grundstücken soundsoviel per acre (englischer Morgen) an den Grundbesitzer zahlt.

Er schaltet nun damit wie er will, baut auf wie er Lust hat, macht Gärten, Parkanlagen u. s. w.; nach dem Verlauf der 99 Jahre aber fällt alles, wie es steht und liegt, und was niet- und nagelfest ist, der Familie des Verkäufers wieder zu, ja noch mehr, der Pächter muß sein Haus u. s. w. im besten Stand erhalten, und sogar den Ölanstrich alle 7 Jahre erneuern, wozu er durch Visitationen polizeilich angehalten wird. Übrigens kann er während der ihm zugemessenen Frist auch wieder an andere verkaufen, aber immer nur bis zu jener festgesetzten Epoche, wo der eigentliche Herr wieder in Besitz tritt. Alle Landstädte, Villen u. s. w., die man sieht, gehören also, wie gesagt, auf diese Weise Haus für Haus einzelnen großen Gutsbesitzern, und obgleich die Erbpächter nach umgelaufener Frist gewöhnlich das prekäre Eigentum von neuem erstehen, so müssen sie doch, im Verhältnis als der Wert der Grundstücke seitdem gestiegen, oder sie selbst sie verbessert haben, die Rente verdoppeln und verdreifachen. Selbst der größte Teil der Stadt London gehört unter solchen Verhältnissen einzelnen Adeligen, von denen z. B. Lord Grosvenor allein über 100 000 L. St. Kanon ziehen soll. Daher ist, außer der Aristokratie, fast kein Hausbewohner in London wahrer Grundeigentümer des seinigen. Selbst der Bauquier Rothschild besitzt kein eignes, und wenn einer, dem Sprachgebrauch nach, eins kauft, so fragt man ihn: ›auf wie lange?‹ Der Preis variiert dann, nachdem es aus erster Hand, gewöhnlich auf Rente, oder aus zweiter und dritter für ein Kapital erstanden wird. Der größte Teil des Erwerbs der Industrie fällt durch diesen Gebrauch ohnfehlbar der Aristokratie zu, und vermehrt notwendig den unermeßlichen Einfluß, den sie schon ohnedem auf die Regierung des Landes ausübt.


London, den 21sten

Heut Nachmittag bin ich bei unaufhörlichem Platzregen hier glücklich wieder angekommen, habe mich im Club bei einem guten dinner restauriert, und abends im Whist, zur guten Stunde sei's gesagt, meine Reisekosten sechsfach bezahlt erhalten, bin wohl, und lebenslustig, und finde, daß mir nichts fehlt, als Du. –

Laß mich unter so guten Konjunkturen meinen Brief beendigen, der schon wieder zum Paket angeschwollen ist.

Ewig Dein treuergebener L.


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