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Den 28sten
Ein großer Schauspieler, ein wahrer Künstler in diesem Fach, steht gewiß sehr hoch! Was muß er alles wissen und können! und wie viel Genie muß er mit körperlicher Grazie und Gewandtheit, wie viel Schaffungskraft mit der größten und langweiligsten Routine verbinden.
Ich sah heute zum erstenmal seit meinem Aufenthalt in England ›Macbeth‹, vielleicht die erhabenste und vollendetste der Tragödien Shakespeares. Macready, ein erst kürzlich von Amerika zurückgekehrter Schauspieler spielte die Hauptrolle vortrefflich. Besonders wahr und ergreifend erschien er mir in folgenden Momenten – erstens in der Nachtszene, wo er nach dem Morde Duncans mit den blutigen Dolchen herauskommt, und seiner Frau die geschehene Tat mitteilt. Er führte das ganze Gespräch leise (wie es die Natur der Sache mit sich bringt) wie ein Geflüster im Dunkeln, und doch so deutlich und mit so furchtbarem Ausdruck, daß alle Schauder der Nacht und des Verbrechens in die Seele des Zuschauers für den Augenblick mit übergingen. Ebenso gut gelang das schwierige Spiel mit Banquos Geist. Die schöne Stelle: »Was Männer wagen, wag' auch ich. Komm' als der zott'ge Bär, komm' als Hirkaniens Tiger, komm' mit der Kraft von Zehn, ich stehe Dir, und meine Nerven sollst Du nimmer zittern sehen. Sei lebend wieder, und rufe in die Wüste mich zum Todeskampf – ich stehe Dir. Doch diese blut'gen Locken schüttle nicht, starre mich nicht an mit diesen Augen ohne Leben – fort! fürchterlicher Schatten, fort, verbirg Dich in der Erde Eingeweiden wieder« u.s.w., fing er sehr richtig, statt zu steigern, gleich mit aller Anstrengung verzweifelnder Wut an, sank nach und nach, von Entsetzen überwältigt, immer mehr mit der Stimme, bis er die letzten Worte nur lallend aussprach. Dann plötzlich schlug er, in fürchterlicher Todesangst dumpf aufschreiend, den Mantel über das Gesicht, und sank halb leblos auf seinen Sessel zurück. Er erreichte hierdurch die höchste Wirkung. Man fühlte als Mensch es schaudernd mit, daß unser kühnster Mut doch dem Grausen einer andern Welt nicht gewachsen ist – und bemerkte keine Spur von dem bloßen Theaterhelden, der um die Natur sich wenig bekümmert, und nur für die Galerie auf Effekt spielend, in immer steigendem Geschrei und Wüten seinen höchsten Triumph sucht. Herrlich nimmt Macready auch den letzten Akt, wo Gewissen und Furcht gleichmäßig erschöpft sind, und starre Apathie schon beider Stelle eingenommen hat, wenn in drei schnell aufeinanderfolgenden Schlägen nun das letzte Gericht über den Sünder hereinbricht, der Tod der Königin, die Erfüllung der trügerischen Weissagung der Hexen, und endlich Macduffs vernichtende Erklärung, daß ihn kein Weib geboren.
Was früher Macbeths Gemüt marterte, und ihn über seinen Zustand grübeln, gegen die Plage seines Gewissens ankämpfen ließ, kann ihn jetzt nur, Blitzen gleich, augenblicklich noch mit Erschütterung durchzucken. Er ist seiner und des Lebens überdrüssig, und kämpfend, wie er mit bitterem Hohne sagt: »gleich einem rings umstellten Eber« fällt er endlich – ein großer Verbrecher, aber dennoch ein König und ein Held.
Gleich meisterhaft ward auch das Gefecht mit Macduff ausgeführt, was so leicht ungeschickten Schauspielern mißrät. Nichts Übereiltes, und doch alles Feuer, ja, alles Gräßliche des Endes – der letzten Wut und Verzweiflung hineingelegt.
Ich vergesse nie die lächerliche Wirkung dieser Szene bei der ersten Aufführung der Spikerschen Übersetzung des ›Macbeth‹ in Berlin. Macbeth und sein Gegner überhaspelten sich dabei dergestalt, daß sie wider ihren Willen hinter die Kulissen gerieten, ehe sie noch mit ihren Reden zu Ende waren, weshalb das von dort herausschallende »Halt, genug!« (dessen Vorhergehendes man nicht mehr gehört hatte) vollkommen so klang, als wenn der überrannte Macbeth, mit vorgehaltenem Degen den weitern Kampf deprezierend, geschrien hätte: »Laßt's gut sein, – halt, genug!«
Lady Macbeth, obgleich nur von einer Schauspielerin zweiten Ranges gespielt, denn leider gibt es seit Mistress Siddons und Miss O'Neills Abgang keine erste mehr, gefiel mir in ihrer schwachen Darstellung doch besser als viele gerngroße Künstlerinnen unseres Vaterlandes, deren affektierte Manier keinem Charakter Shakespeares gewachsen ist.
Ich teile über diese Rolle nicht nur ganz Tiecks bekannte Ansicht, sondern ich möchte noch weiter darin gehen. Die wenigsten Männer verstehen, wie die Liebe eines Weibes alles bloß auf den geliebten Gegenstand beziehen und richten kann, und daher, eine Zeitlang wenigstens, auch nur in bezug auf ihn Tugend und Laster kennt.
Lady Macbeth, als eine rasende Megäre dargestellt, die ihren Mann nur als Instrument eigener Ambition gebraucht, ermangelt aller innern Wahrheit, und noch mehr alles Interesses. Eine solche würde gar nicht des tiefen Gefühls ihres Elends fähig sein, das sich so schauerlich in der Schlafwachszene ausspricht, während sie nur vor ihrem Manne, um ihm Mut zu geben, immer als die Stärkere erscheint, nie Furcht und Gewissensbisse zeigt, die seinigen verspottet, und sich über sich selbst zu betäuben sucht.
Sie ist allerdings kein sanfter, weiblicher Charakter zu nennen, aber weiblich sich äußernde Liebe zu ihrem Manne ist dennoch das Haupt-Motiv ihres Benehmens.
So wie uns der Dichter ihrer heimlichen Leiden deutlich in jener Nachtszene vorführt, so läßt er uns auch sehen, daß Macbeth lange vorher schon die geheimen, und sich selbst kaum gestandenen, ehrgeizigen Wünsche seiner Brust ihr schon verraten hat, und auch die Hexen wählen sich, wie Raupen und Maden nur das schon Krankhafte angreifen, Macbeth nur deshalb aus, weil sie ihn schon reif für ihre Zwecke finden. Sie weiß also, was er im Innersten möchte, und ihn zu befriedigen, hilft sie mit wilder Leidenschaft nach, schnell, nach Weiberart noch viel weitergehend, als er selbst gedachte. Je mehr Macbeth, sich weigernd, eine halbe Komödie mit sich selbst und ihr spielt, je mehr wächst ihr Eifer; und sie ebenfalls stellt sich vor sich selbst und ihm anders, grausamer und schlechter an, als sie ist, reizt sich künstlich auf, nur um ihn dadurch den kühnsten Mut und raschen Entschluß einzuflößen. Ihm opfert sie nicht nur alles, was zwischen Macbeth und seinen geheimen Wünschen steht, sondern auch sich selbst, die Ruhe ihres Gewissens, ja alle weibliche Gesinnung gegen andere auf, und ruft die unterirdischen Mächte um Hilfe und Stärke an. Nur auf diese Weise erscheint mir der Charakter dramatisch, und der fernere Gang des Stücks psychologisch wahr, im andern Sinne kann man nur eine Karikatur darin finden, deren Shakespeares Schöpferkraft unfähig ist, welcher immer mögliche Menschen, keine unnatürliche Scheusale und Phantasieteufel malt.
So stoßen sich denn beide endlich gegenseitig in den Abgrund hinein, während jeder einzeln vielleicht nie so weit gekommen wäre. Macbeth aber offenbar mit größerem Egoismus, weshalb auch sein Ende wie seine Qual, furchtbarer sind.
Es ist ein großer Vorteil für die Darstellung dieses Stücks, wenn dem genialsten Talent die Rolle des Macbeth, nicht die der Lady zufällt. Davon überzeugte ich mich heute sehr lebhaft. – Wird Lady Macbeth durch überwiegende Darstellungskunst zur Hauptrolle gemacht, so sieht man die ganze Tragödie aus einem falschen Gesichtspunkte. Sie wird eine ganz andere, und verliert den größten Teil ihres Interesses, wenn man nur eine kannibalische Amazone, und einen Helden unter ihrem Pantoffel sieht, der sich wie ein Pinsel von ihr, bloß zum Werkzeug ihrer eigenen Pläne, brauchen läßt.
Nein, in ihm liegt der Hauptkeim der Sünde vom Anfang an, sein Weib hilft ihm nur nach, und er ist keineswegs ein ursprünglich edler Mann, der, durch die Hexen verführt, ein Scheusal wird, was Unnatur wäre, sondern, wie in ›Romeo und Julia‹, die Leidenschaft der Liebe in einem für sie zu empfänglichen Gemüt, von der unschuldigen Kindlichkeit der Knospe durch alle Stadien des Genusses hindurch, bis zu Verzweiflung und Tod geführt wird – so ist hier selbstischer Ehrgeiz der Gegenstand des Gemäldes, wie er durch böse Mächte ausgebildet, in Macbeths Person, von ebenfalls nur scheinbarer Unschuld und dem Ruhme des gefeierten Helden, bis zu der Blutgier des Tigers, und dem Ende einer zu Tode gehetzten Bestie gelangt. Dennoch ist der Mann, in dessen Seele das Gift wühlt, mit so vielen andern hohen Eigenschaften begabt, daß wir dem Kampfe und der Entwickelung mit Anteil für den Helden folgen können. Welcher unendliche Genuß müßte es sein, dergleichen Produkte des Genies auch von durchgängig großen Schauspielern aufgeführt zu sehen, wo keine Rolle zur Nebenrolle würde! Dies wäre aber freilich nur von Geistern zu leisten, wie in Hoffmanns gespenstischer Aufführung des ›Don Juan‹.
Du wirst vielleicht manches in diesen Ansichten barock finden, aber bedenke, daß große Dichter wie die Natur selbst wirken. Jeden sprechen Sie in dem Gewande seines eignen Gemüts an, und vertragen daher auch viele Auslegungen. Sie sind so reich, daß sie tausend Armen ihre Gaben geben, und dennoch jedem eine andere reichen können.
Viele Theateranordnungen waren gleichfalls sehr zu loben. So sind z. B. die beiden Mörder, welche der König zum Morde Banquos gedungen, nicht, wie aus unsern Theatern, zerlumpte Banditen, in deren Gesellschaft sich der König in seinem Prachtornate und der Nähe seiner Großen lächerlich ausnimmt, und die er nie in solchem Aufzuge in seinem Palast sehen könnte, sondern von anständigem Äußern und Benehmen, Bösewichter, aber keine Lumpen.
Die altschottische Tracht ist durchgängig sehr schön, und auch der Zeit nach wahrscheinlich richtiger, gewiß aber malerischer, als ich sie auf den deutschen Theatern gesehen. Die Erscheinung Banquos, sowie das ganze Arrangement der Tafel, war ebenfalls unendlich besser. Der Regisseur in Berlin macht hierbei eine lächerliche bévue. Wenn der König die Mörder über Banquos Tod befragt, antwortet der eine: »Depend upon, he has had his throat cut.« (Seid versichert, wir haben ihm die Kehle abgeschnitten); dies ist eine englische Redensart für töten, so wie wir sagen: ›er hat den Hals gebrochen‹, wenn einer an den Folgen eines Pferdesturzes gestorben ist, ohne daß er gerade den Hals in zwei Stücke gebrochen hat. Diese Redensart hat man nun wörtlich aufgefaßt, und läßt bei Tafel einen höchst ekelhaften Kopf von Pappe erscheinen, dem die Kehle auf das greulichste abgeschnitten ist! – Das Hinauf- und Hinunterfahren dieses Monstrums ist dabei so nahe der Puppen-Komödie verwandt, daß man mit dem besten Willen kaum ernsthaft bleiben kann. Hier wird durch das Gewühl der Gäste, die an mehreren Tischen sitzen, das Erscheinen des Geistes so geschickt verdeckt, daß er nur dann, als der König sich niederlassen will, von ihm und den Zuschauern zugleich, plötzlich auf des Königs Stuhle sitzend erblickt wird. Zwei blutige Wunden entstellen sein blasses Antlitz (es versteht sich, daß es der Schauspieler selbst ist, der den Banquo gespielt hat), ohne es durch die abgeschnittene Kehle lächerlich zu machen, und wenn er von der Tafel aus, umgeben vom geschäftigen Treiben der Gäste, starr den König anblickt, dann ihm winkt, und hierauf langsam in die Erde sinkt – so erscheint dies ebenso täuschend wahr als grausenerregend.
Um aber billig zu sein, muß ich doch auch einer Lächerlichkeit erwähnen, die hier vorfiel. Lady Macbeth sagt nach dem Morde des Königs, als man an das Tor klopft, zu ihrem Manne, er solle davon eilen und einen Nachtrock anziehen, damit es nicht auffiele, ihn in seinen Kleidern zu finden. Nachtrock heißt nun freilich Schlafrock, aber ich traute in der Tat meinen Augen kaum, als Macready in einem modernen Schlafrock von geblümten Zitz (wahrscheinlich seinen eigenen zum täglichen Gebrauch), den er bloß über seine vorige Stahlrüstung geworfen, die darunter bei jeder Bewegung hervorblickte, heraus kam, und in diesem ergötzlichen costume den Degen zog, um die Kammerherren zu erstechen, die beim König schlafen.
Es war nicht bemerkbar, daß dies irgend jemand aufgefallen wäre. Freilich war die Teilnahme überhaupt ebenso gering, als Lärm und Unfug fortwährend andauernd, so daß man wirklich kaum begreift, wie sich so ausgezeichnete Künstler bei einem so ungezogenen, indifferenten und unwissenden Publikum bilden können, als sie hier fast immer vor sich haben, denn wie ich Dir schon sagte, das englische Theater ist nicht fashionable, und die sogenannte gute Gesellschaft besucht es fast nie. Das einzige Vorteilhafte dabei für die Schauspieler ist: sie werden nicht verwöhnt – ein Umstand, dessen Gegenteil sie in Deutschland gänzlich verdorben zu haben scheint.
Nach dem ›Macbeth‹ wurde noch der ›Freischütz‹ an demselben Abend aufgeführt. Auch Weber wie Mozart muß es sich gefallen lassen, mit Verkürzungen und Zusätzen von Herrn Bishop bearbeitet zu werden. Es ist ein wahrer Jammer, und nicht allein der Musik, selbst der Fabel des Stücks ist ihr ganzer Charakter benommen. Nicht Agathens Liebhaber, sondern der Schützenkönig kommt in die Wolfsschlucht, und singt auch Caspars beliebtes Lied. Der Teufel, in langen roten Gewändern, tanzt zuletzt einen förmlichen Shawl-Tanz, ehe er mit Caspar in seiner Hölle zur Ruhe kommt, welche letztere durch feurige Wasserfälle, rote Kulissen und übereinanderliegende Gerippe sehr anmutig versinnlicht wird.
Hier fällt nun jeder Vergleich mit Deutschland ganz zu unserm Vorteil aus, sosehr wir bei der Tragödie verlieren. Ich wünschte aber, es wäre umgekehrt.
Den 2ten Dezember
Ich schrieb Dir neulich, daß ich mich wohler befinde, und seit dieser Zeit bin ich immer unwohl. Man muß nie etwas verrufen, wie die alten Weiber sagen, denn, wie W. Scott hinzusetzt: ›Dinge anzukündigen, die noch nicht ganz sicher sind, bringt Unglück.‹ Dies letzte habe ich in der Tat sehr oft erfahren. Was aber meine Gesundheit betrifft, so ist sie so kauderwelsch als mein ganzes Wesen, und da ich einmal im Zitieren begriffen bin, laß mich Dir eine kurze Stelle aus einem hier sehr beliebten medizinischen Buche abschreiben, die auch außer uns gar viele Naturen unsrer Zeit über sich selbst Aufschluß geben kann. Höre:
›Eine Art Individuen, ohne im allgemeinen schwach zu sein, werden doch von der Wiege bis zum Grabe stets das sein, was man nervous nennt; das heißt, sie mögen von Natur fest und gut gebildet sein, so weit als das Grundwerk der Maschine geht; sie mögen ein starkes und dichtes Knochengebäude haben, und von ausgedehnten Verhältnissen, sie mögen ein ebenso starkes Muskelsystem besitzen, die Zirkulation des Blutes und die absorbierenden Organe energisch sein, und dennoch werden sie in einem Punkte immer schwächlich genannt werden müssen, nämlich die Organe, welche von der Natur bestimmt sind, die Eindrücke des Gefühls und Empfindens weiter zu befördern, werden so beschaffen sein, daß sie mit Blitzesschnelle durch die leichteste Irritations-Ursache in einen unordentlichen Zustand übergehen, zu einer Zeit krankhaft reizbar sind, zu einer andern in einer Art Gefühllosigkeit verfallen, und nie ganz den Ton und Stärke erlangen, welche zu einer festen und regelmäßigen Erfüllung ihrer Funktionen erfordert werden.‹
Das können wir nun nicht ändern, aber dagegen arbeiten können wir mannigfach, durch Beobachtung unsrer selbst und durch die Kraft des Willens.
Aber nun fährt unser ärztlicher Freund ebenso ergötzlich als weise so fort:
»Der nervöse Kranke ist immer mit seinen Klagen fertig. Dem Freunde wird er hundert seltsame Seelenleiden mitzuteilen, und täglich neue Entdeckungen an sich zu machen haben, dem Arzte aber bald von sonderbaren Schmerzen in den Augen, an allen Ecken des Kopfes, Stichen und Summen in den Ohren erzählen; dann vom Kopfe aus den ganzen Körper durchgehen, und bald im Leibe, bald im Rücken, bald in den Beinen über Leiden klagen. Nachdem er seinen Arzt mit dem Katalog seiner Krankheiten, deren Grund, Symptome und Folgen, eine halbe Stunde kostbarer Zeit geraubt hat, wird er ihn wohl noch einmal zurückrufen, um noch genauer zu fragen! was und wieviel er essen und trinken kann, da er gerade jetzt etwas Appetit fühle, oder wie er sich, warm oder kühl, anzuziehen habe? Der berühmte Doktor Baillie, der so beschäftigt war, daß er, wie er selbst sagte, einen Arbeitstag von siebzehn Stunden hatte, schwebte in wahrer Furcht vor nervösen vornehmen Patienten. Während er einst, auf die Folterbank gespannt, die endlose Prosa einer Dame von solcher Beschaffenheit anhören mußte, die so wenig wirklich krank war, daß sie im Begriff stand, denselben Abend in die Oper zu fahren – gelang es ihm endlich, durch die Ankunft eines Dritten unbemerkt zu entwischen. Aber kaum hatte der Bediente den Wagenschlag aufgemacht, als die Kammerjungfer außer Atem herunterstürzte, um den Herrn Doktor dringend zu ersuchen, nur noch einen Augenblick wieder heraufzukommen. Seufzend erschien er. ›O bester Doktor‹, rief die Dame, ›ich wollte nur wissen, ob ich wohl heute abend, wenn ich aus der Oper zurückkomme, Austern essen darf?‹ ›Ja Madame‹, schrie der entrüstete Äsculap, ›Schalen und Alles.‹ –
Es ist seltsam, daß nervöse Personen, die, solange diese Affektion vorwaltet, so apprehensive sind, und jedes kleine Übel für höchst gefährlich ansehen und fürchten, in der Regel von dem Augenblick an, wo sich bei ihnen ein wirkliches organisches Übel bildet, ganz von selbst ihren Zustand als leicht und unbedenklich anzusehen anfangen, und während sie vorher den Arzt mit Hererzählung alle Symptome ihrer Übel ermüdeten, nun beinahe gezwungen werden müssen, ihm genügende Information zu geben, und anstatt ihn zurückzuhalten, ebenso froh als er selbst scheinen, wenn die Konferenz zu Ende ist. Eben so gibt sich die Furcht; und ich habe viele gesehen, die, nachdem sie früher stundenlang durch das Öffnen eines Fensters beunruhigt worden waren, die Ankündigung eines unvermeidlichen und nicht fernen Todes mit der größten Seelenruhe anhörten. Viel tut der Wille.
Der Dyspeptiker oder Nervenschwache muß fest entschlossen sein, von jedem ersten drohenden Gefühle von Unzufriedenheit und Trauer entweder durch Zerstreuung wegzulaufen oder es determiniert zu bekämpfen. Das Annähern der hypochondrischen Mutlosigkeit kann oft noch unterwegs zurückgedrängt werden, wenn man vom ersten Augenblick an es ernstlich versucht. ›Ich will gut sein‹, sagt das Kind, wenn es die Rute im Begriff sieht, ihm den Willen zum Guten zu geben – und ›ich will heiter sein‹, muß der Dyspeptiker sagen, wenn ihm die schlimmere Rute der Hypochondrie droht. Es ist ohne Zweifel leichter zu raten als zu tun, vorzuschreiben als zu folgen; aber das weiß ich aus eigner Erfahrung (denn auch Ärzte sind hypochondrisch) daß, ehe noch die Gewohnheit eines feigen und trägen Unterwerfens unter solche Gefühle unbesiegbar geworden ist, ein frischer, und ich möchte sagen gewissenhafter Entschluß, die anrückenden Übel jener vaporösen Bedrückung gewaltsam zu zerteilen – einen weitern Weg zu diesem Zwecke zurücklegen kann. Possunt quia posse videntur. (Diejenigen können, welche zu können glauben.) Wir wollen demungeachtet nicht so extravagant sein, um zu sagen, daß eine Person, um gesund zu werden, es nur ernstlich zu wollen brauche: aber das sind wir überzeugt, daß ein Mensch oft unter der Last einer Indisposition unterliegt, der mit einer geist- und mutvollen Anstrengung sie abgeworfen haben würde. Die Lehre von der Unwiderstehlichkeit des Schicksals ist weder eine wahre noch nützliche Lehre, und der Hypochonder sollte bedenken, daß wenn er zur Schwermut sagt: ›Künftig sollst Du mein einziges Gut sein‹, er nicht allein sein eigenes Schicksal feststellt, sondern auch das derer, die ihn lieben, mehr oder weniger mitbestimmt.
Melancholie hat überdem etwas Poetisches und Sentimentales in sich, welches ihr bei allem Schmerz einen gewissen Reiz gibt – doch wenn es von allem äußern Schmuck völlig entblößt, und in seiner Nacktheit dargestellt wird, bleibt am Ende nicht viel mehr übrig als Stolz, Eigennutz, und vor allen Trägheit. Ich kann mir kein schöneres Schauspiel denken, als das eines Wesens, dessen konstitutionelle Verfassung es zum Melancholischen hinneigt, und das mit seinem Temperament herzhaft kämpfend, durch Willenskraft sich zwingt, teil an der Heiterkeit der es umgebenden Welt und der wechselnden Szenen des gesellschaftlichen Lebens zu nehmen. In diesem Fall behält es allen Reiz der Melancholie ohne seine Qual.«
*
Ist das nicht sehr schön und einleuchtend? und wird es Dich nicht ebenso bekehren, als es mich in meiner Bekehrung bestärkt hat? Ich hoffe, Du wirst mir bei der nächsten hypochondrischen Anwandlung antworten: ›Lieber Freund, bitte, kein Wort weiter, ich will heiter sein.‹
Du wunderst Dich gewiß, daß ich in dieser undankbaren Jahreszeit noch immer in London verweile, aber Lady R... ist noch hier – überdem habe ich mich in das einsame Leben eingerichtet, das bloß von dem Lärm der kleinen Herde Putzmacherinnen im Hause manchmal unterbrochen wird, das Theater hat auch angefangen mich zu interessieren, und die Friedlichkeit dieses Stillebens bekommt mir wohl nach dem frühern trouble. Es ist wirklich so still, daß gleich dem berühmten Gefangenen in der Bastille, ich seit kurzem eine liaison mit einer Maus begonnen habe, ein allerliebstes kleines Tierchen, und ohne Zweifel eine verwünschte Lady, die, wenn ich arbeite, schüchtern hervorschleicht, mich von weitem mit ihren Äuglein, gleich blinkenden Sternchen, anblickt, immer zahmer wird, und angelockt durch Kuchenstückchen, die ihr jeden Tag sechs Zoll entfernter von ihrer Residenz in der rechten Stubenecke hingelegt werden – eben jetzt ein solches mit vieler Grazie verzehrt hat, und sich nun unbefangen in der Stube umhertummelt. – Aber was höre ich! Unaufhörliches lautes Geschrei auf der Straße! Mein Mäuschen floh bereits bestürzt in seinen Winkel.
»Was gibt's«, frage ich, »welcher abscheuliche Lärm?« – »Der Krieg ist erklärt« – ein Extrablatt wird auf der Straße ausgerufen. »Mit wem?« – »I dont know.«
Das ist einer der Industriezweige der armen Teufel in London. Wenn sie nichts anderes ausdenken können, so schreien sie eine große Neuigkeit aus, und verkaufen den Neugierigen ein altes Zeitungsblatt für einen halben Schilling. Man ergreift es hastig, versteht es nicht recht, sieht nach dem Datum, und lacht, daß man angeführt wurde.
Wie es mir immer geht, wenn ich allein lebe, bin ich leider wieder so sehr in das Tag-in-Nacht-verkehren gekommen, daß ich in der Regel erst um 4 Uhr nachmittags frühstücke, um 10 oder 11 Uhr nach dem Theater zu Mittag esse, und des Nachts spazieren gehe und reite. Es ist auch gewöhnlich in der Nacht jetzt nicht nur schöner, sondern, mirabile dictu, auch heller. Am Tage decken Nebel die Stadt so, daß man Licht und Laternen, selbst wenn sie um Mittag brennen, nicht sieht, in der Nacht aber funkeln letztere so hell wie Edelsteine, und überdem scheint noch der Mond so klar wie in Italien. Als ich beim gestrigen Nachtritt auf der breiten Straße einsam dahingaloppierte, zogen auch über mir mit gleicher Schnelle weiße und rabenschwarze Wolken, wie feine durchsichtige Schleier, über den Mond hin, und gewährten lange ein eigentümliches, wildes und reizendes Schauspiel! Unten war die Luft ganz still und warm, denn nach der letzten Kälte haben wir wahres Frühlingswetter.
Außer L... und den Statisten der Clubs sehe ich jetzt wenig andere Personen als den Fürsten P..., dem man hier viel Hochmut und Schroffheit vorwirft, und von dem man sich überdies in's Ohr raunt, daß er ein wahrer Blaubart sei, der seine arme Frau furchtbar behandelt, und sechs Jahre in einem einsamen Waldschloß eingesperrt habe, so daß sie endlich, der Mißhandlungen müde, in die Scheidung von ihm habe willigen müssen. Was sagst Du, gute Julie, zu diesem traurigen Schicksal Deiner besten Freundin?
Wie seltsam gestalten sich doch zuweilen Gerüchte und Verleumdungen in der Welt! Wie wenig ist man imstande vorherzusehen, welche unbegreiflichen heterogenen Folgen die Handlungen der Menschen haben, welche ganz unerwarteten Klippen die Lebensreise gefahrvoll machen werden – ja in der moralischen wie in der materiellen Welt sieht man nur zu oft da, wo Weizen gesäet wurde, Unkraut aufgehen, und dem hingeworfenen Mist Blumen und duftige Kräuter entsprießen!
Deinen langen Brief habe ich erhalten, und sage dafür den herzlichsten Dank. Verdenke es mir aber nicht, daß ich so selten einzelnes beantworte, gewissermaßen den Empfang jeder Stelle quittiere, welche Unterlassung Du mir so oft vorwirfst. Deshalb geht doch gewiß kein Wort bei mir verloren. Denke nur, daß man der Rose keine andere Antwort auf ihren köstlichen Duft gibt, als daß man ihn mit Wohlbehagen einatmet. Sie einzeln zu zerpflücken würde den Genuß nicht vermehren. Übrigens bedaure ich, jetzt selbst zu wenig Stimmung und zu wenig Stoff zu haben, um Dir gleiche Rosen zuzusenden. Die Wand ist so kahl vor mir wie ein weißes Tuch, und keine Art von ombre chinoise will noch darauf erscheinen.
Woolmers, den 11ten
Sir G... O..., früher englischer Gesandter in Persien, hatte mich auf sein Landgut eingeladen, und da es so nahe ist, und einige Abwechslung versprach, fuhr ich gestern dahin.
Bei Nacht und Regen kam ich spät an, und mußte sogleich Toilette machen, um zu einem Ball bei Lady Salisbury nach Hatfield zu fahren, den diese dort auf ihrem Schlosse an einem bestimmten Tage jeder Woche für die Umgegend gibt, solange sie auf dem Lande ist. Das Besuchen desselben wird daher wie eine Art Visite angesehen, und keine Einladung dazu erteilt. Sir G... nahm seine ganze Gesellschaft mit, unter der sich außer seiner Familie auch Lord Strangford, der bekannte Ambassadeur in Constantinopel befand.
Du erinnerst Dich, daß ich auf meiner frühern Exkursion nach dem Norden Hatfield nur en passant von außen sah. Jetzt fand ich auch das Innere ebenso imposant und respektabel durch seine Altertümlichkeit, als das Äußere. Man tritt zuerst in eine sehr große Halle mit Fahnen und Rüstungen, wandelt dann eine seltsame hölzerne Treppe hinauf, mit Figuren von Affen, Hunden, Mönchen etc., und gelangt von hier in eine lange, etwas schmale Galerie, in der heute getanzt wurde. Die Wände derselben sind aus alter eichener boiserie, mit altväterischen silbernen Wandleuchtern, gotischen Stühlen und roten rouleaus verziert. An einem Ende dieser, wohl 150 Fuß langen Galerie ist eine Bibliothek, und am andern Ende ein prachtvolles saalartiges Zimmer, mit tief herabhängenden metallenen Verzierungen an den caissons der Decke, und einem haushohen Kamin, durch die Bronze-Statue des Königs Jakob gekrönt. Die Wände sind mit weißem Atlas bekleidet, Vorhänge, Stühle, Sofas in cramoisi, Samt und Gold. Dies Local war recht schön, der Ball indes ziemlich tot, die Gesellschaft gar zu ländlich, Erfrischungen keineswegs im Überfluß, und das souper nur aus einem magern Büffet bestehend. Um 2 Uhr war alles aus, und ich sehr froh, es überstanden zu haben, da ich mich müde und ennuyiert nach Ruhe sehnte.
Als ich am andern Morgen ziemlich spät aufgestanden, und fast zu spät beim Frühstück erschienen war, das hier etwas zeitig eingenommen wird, ergötzte ich mich an den vielen persischen Merkwürdigkeiten, welche die Salons zieren. Sehr auffallend war mir ein prachtvolles Manuskript mit Miniaturen, deren Farbenpracht selbst die besten Sachen dieser Art aus dem europäischen Mittelalter übertrifft, und die in der Zeichnung oft richtiger sind. Das Buch enthält die Geschichte der Familie Tamerlans, und soll in Persien zweitausend L. St. gekostet haben. Es ist ein Präsent des Schahs.
Mit kostbaren Metallen eingelegte Türen, Sofas und Teppiche aus eigentümlichen Samtzeugen mit Gold und Silber durchwirkt, vor allem aber eine goldene Schüssel mit dem vollkommensten bunten émail inkrustiert, und mehrere äußerst künstlich gearbeitete bijoux zeigen, daß die Perser, wenn sie uns in vielem nachstehen, uns auch in manchem sehr übertreffen.
Das Wetter hatte sich ein wenig aufgeheitert, und lockte mich zu einem einsamen Spaziergang. Herrliche Bäume, ein kleiner Fluß und ein Wäldchen, dessen Boden und Bäume mit Schlingkraut ganz bedeckt waren, und in dessen dichten Schatten eine merkwürdige Quelle entspringt, die mit Gewalt aus der Erde Eingeweiden hervorsprudelnd, fünfhundert Kannen in der Sekunde dem Flusse zuführt, waren die Hauptzierden des Parks. Als ich zurückkam, war es 2 Uhr, die Stunde des luncheon, worauf mir Sir Gore seine arabischen Pferde produzierte, von denen schnell einige zu einem Spazierritt gesattelt wurden. Der Reitknecht hatte während desselben nichts zu tun als unaufhörlich ab- und aufzusteigen, um die Tore zu öffnen, die überall den Weg versperrten, wie es in den englischen Parks und noch mehr in den Feldern der Fall ist, was das Spazierenreiten, außer den großen Landstraßen, etwas unbequem werden läßt. Abends wurde Musik gemacht, wobei sich die Tochter vom Hause und Mistress F... als vortreffliche Klavierspielerinnen auswiesen. Das Auditorium war indessen ganz ungeniert, und man ging und kam, sprach oder hörte auf die Musik, wie man Lust hatte. Nachher, als die Ladys zur Toilette auf ihr Zimmer gegangen waren, erzählte uns Sir G... und Lord Strangford Geschichten aus dem Orient, ein Thema, was nie ermüdend für mich ist. Beide sind große partisans der Türken, und Lord Strangford lobte den Sultan als einen sehr aufgeklärten Mann. Er selbst sei, sagte er, vielleicht der erste von allen christlichen Gesandten, der mehrere Privatunterredungen mit dem Großherrn gehabt, wobei jedoch stets eine sonderbare Etiquette beobachtet worden sei. Der Sultan habe ihn nämlich im Garten des Serails in der Kleidung eines Offiziers seiner Leibwache empfangen, und dabei immer vom Sultan im Charakter seiner Rolle mit der größten Ehrfurcht in der dritten Person gesprochen, wobei Lord Strangford es nicht blicken lassen durfte, daß er ihn kenne. Der Lord versicherte, daß der türkische Kaiser Rußland besser und genauer kenne, als gar viele europäische Politiker, und daher gewiß sehr wohl wisse, was er unternehmeWenn man nach dem Erfolg urteilen darf, so hat sich diese Meinung eben nicht bestätigt. A. d. H. .
Nach dem dinner, das auch einige orientalische Schüsseln enthielt, und bei dem ich zum erstenmal echten Schiras trank (beiläufig gesagt, kein angenehmer Wein, der nach den Bocksschläuchen riecht), wurde wieder musiziert und kleine Verstandesspiele gespielt, welche indes nicht besonders reüssierten, weshalb denn auch bei guter Zeit jeder seinen Handleuchter ergriff, um zu Bett zu gehen.
Den 12ten
Ich habe von der arabischen Zucht meines Wirts einen rabenschwarzen Wildfang gekauft, den länger probieren zu können, wir heut früh einen Besuch bei Lady Cooper in der Nachbarschaft machten. Ihr Schloß und Park Panshanger ist sehr sehenswert, besonders die Gemäldegalerie, welche zwei Madonnen Raphaels aus seiner frühern Zeit enthält, auch ein ausgezeichnet schönes Bild des Marschalls Turenne zu Pferd von Rembrandt. Lady Cooper empfing uns in ihrem boudoir, das unmittelbar in einen, selbst jetzt noch reizenden und vortrefflich gehaltenen, Blumengarten führte, an den sich auf der andern Seite wiederum Gewächshäuser, und eine dairy in Tempelform anschloß, in deren Mitte Delphine von Bronze ihr kühles Wasser ergossen.
Panshanger ist durch die größte Eiche in England berühmt, die den pleasure-ground ziert. Sie hat zwei Ellen über dem Grunde noch 19½ Fuß im Umfang, und ist dabei sehr hoch und schlank gewachsen, ohngeachtet ihre Äste sich auf allen Seiten ausbreiten. In Deutschland haben wir größere Bäume dieser Art.
Um die Gegend noch mehr zu rekognoszieren, machten wir nachher einen zweiten Besuch in Hatfield, bei welcher Gelegenheit ich dieses genauer als früher musterte.
Das ganze Schloß nebst Küche und Waschhaus wird durch eine Dampfmaschine geheizt, ein Ofen, der dem grandiosen Ganzen angemessen ist. Die Marquise Douairière, die rüstigste Dame ihres Alters in England, führte uns treppauf treppab in allen Winkeln umher. In der Kapelle fanden wir vortreffliche alte Glasgemälde, die man in Cromwells Zeit vergraben hatte, welchem Umstand sie ihr Rettung verdanken, als die verrückten Bilderstürmer alle gemalten Kirchenfenster zertrümmerten. In einer der Stuben befand sich ein sehr gutes Bild Karl XII., dieses Don Quixotte en grand, der ohne Poltawa vielleicht ein zweiter Alexander geworden wäre.
In den jetzigen Ställen Hatfields, dem ehemaligen Schlosse, saß Elisabeth unter der Regierung Marias gefangen. Die Königin ließ auf einem Giebel, ihrem Fenster gegenüber, eine sehr hohe, spitzige, Feueresse mit einer eisernen Stange errichten, und der Gefangenen insinuieren: diese Stange sei bestimmt, um ihren Kopf darauf zu stecken. So erzählte uns die Marquise. Die Esse steht noch, und ist jetzt dick mit Efeu überwachsen, Elisabeth aber baute, um sich an dem wohltuenden Kontrast späterer Jahre zu weiden, den neuen Palast daneben, aus dem sie den drohenden Rauchschlund nun mit besserer Gemütsruhe betrachten konnte. An Kunstgegenständen ist das Schloß arm, der Park nur reich an großen Eichenalleen und Krähen, sonst öde und ohne Wasser, ausgenommen eine häßliche, grün überzogne Pfütze nahe am Schloß.
Den 13ten
In dem Hause meines Wirts befindet sich eine eigentümliche Bildergalerie, nämlich eine persische, die wenigstens ziemlich barocke Dinge enthält. Die Portraits des Schahs und seines Sohnes Abbas Mirza sind das Interessanteste darin. Die gelbe mit Edelsteinen aller Art bedeckte Tracht des Schahs und sein enormer schwarzer Bart, repräsentieren diesen Sohn des Himmels und der Sonne nicht übel. Sein Sohn aber übertrifft ihn an Schönheit der Züge. Dagegen ist das costume desselben fast zu einfach, und auch die spitze Schafmütze nicht wohlbekommend. Der letzte persische Gesandte in England beschließt das Kleeblatt. Dies war ein sehr hübscher Mann, der sich in die europäischen Sitten so gut fand, daß er von den Engländern wie ein wahrer Lovelace geschildert wird. Zu Hause angekommen, soll er sich überdem keineswegs diskret gezeigt, sondern manche vornehme englische Dame von dort her sehr boshaft kompromittiert haben.
Einige angezogene Puppen in demselben Local gaben uns eine treue Idee des schönen Geschlechts in Persien, mit langen, rot oder blau gefärbten Haaren, gewölbten und gemalten Augenbraunen, schmachtend feurigen, großen Augen, allerliebsten Gaze- pantalons und Goldringen um die Fußknöchel.
Lady O... erzählte uns dazu viele interessante Harem-Details, die ich Dir mündlich mitteilen werde, denn ich muß doch einiges auch dafür aufbewahren.
Manches scheint in Persien ganz angenehm, manches nichts weniger, so unter andern die Skorpione und Insekten. Einmal kroch Lady O..., während sie auf dem Diwan lag, eine Schlage am Nacken herunter in die Kleider, die sie nur durch schnelle Entfernung der ganzen Toilette loswerden konnte.
So etwas geschieht uns doch nicht leicht in unsrer klimatischen Mitteltemperatur. Sie sei daher gepriesen, und alle Zufriedenen darin, zu denen ich herzlich wünsche uns beide immer zählen zu dürfen.