Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Zweiunddreißigster Brief

B...m, den 14. Sept. 1828

Geliebte Freundin!

All' Dein Belehren hilft nichts, gute Julie, – Deine Rede ist schön, Deine Gründe mögen triftig sein, aber ich glaube einmal das Gegenteil, und Glaube ist, wie Du weißt, ein Ding, das nicht nur Berge versetzt, sondern sich auch oft welche aufbaut, über die es nicht mehr hinwegsehen kann. Deswegen hilft auch in der Welt alles Bekehren, es mag sein in welcher Hinsicht es wolle, nicht eher, als bis der entgegengesetzte Glaube schon wankend geworden ist. Vorher sprich mit der Weisheit Platos, und handle mit der Reinheit Jesu – jeder bleibt dennoch bei seinem Glauben, auf den Vernunft und Verstand in der Regel den wenigsten Einfluß haben.Höchstens nimmt der Bekehrte den Namen an, statt der Tat. Wer die Menschen plötzlich ändern will, ehe sie selbst Lust haben: eine neue Facette zum Abschleifen der Weltgeschichte zuzukehren, wird stets, entweder als ein Narr zu Hause geschickt, oder als ein Märtyrer gesteinigt und gekreuzigt werden. Die Geschichte lehrt dies auf jeder Seite. Was hier auf das Allgemeine Anwendung findet, ist aber auch der Fall mit dem Einzelnen, und nach alle dem – parlez moi raison, si vous l'osez. Doch muß ich eins im Ernste sagen. Wer einmal zu freimütig geboren ist, und selbst die allgemeine Meinung wenig achtet, wenn sie nur eine gemeine ist – der bleibe ja sein ganzes Leben so. Die Folgen einer solchen Denkungsart, und die Anfeindungen, denen sie ausgesetzt, werden nur dann schmerzlich empfunden, und zuletzt gefährlich, wenn man, schwach geworden, aufhört selbständig zu sein, und statt, wie bisher, fremde Meinung zu verachten, sich davor zu fürchten anfängt. So etwas merkt die Menge schnell, und verfolgt dann erst mit Konsequenz das vor ihr laufende Wild, über das sie früher, so lange es ihr Stand hielt, und keck in die Augen sah, nur erfolglose Glossen zu machen wagte. Für die Welt gibt es überhaupt keine bessere Lehre als: Bouche riante et front d'airain, et vous passez partout. Wir Deutsche sind fast immer zu ernst, wie zu timide, und nur imstande momentane efforts gegen diese Fehler zu machen, bei welchen Versuchen wir überdies auch das Ziel leicht überschießen. Aus diesem Grunde hauptsächlich lieben wir wohl so die Zurückgezogenheit, und verkehren am liebsten bloß mit unserer Phantasie, als treuer Gesellschafterin – souveräne Herren im Reiche der Luft, – wie Frau v. Staël sagt. Die große Welt, wie sie ist, gefällt uns nicht, und ebensowenig verstehen wir dieser Welt zu gefallen. Drum wählen wir lieber – Zurückgezogenheit, und in dieser Freiheit!

Wir erlebten heute ein sonderbares Eintreffen von Prophezeiungen. Miss Kitty, die artigste der Töchter meines Wirts, hatte gestern auf unserm Spaziergang sich von Zigeunern wahrsagen lassen, und ich selbst hörte mit an, wie die Frau ihr, unter vielen andern gewöhnlichen Dingen, ankündigte: »daß sie auf ihrer Hut sein möchte, denn ehe vierundzwanzig Stunden vergingen, würde in ihre Fenster geschossen werden, und dann ihres Bleibens nicht langt mehr in B...m sein«. Wir fanden die Prophezeiung etwas bedenklich, und teilten sie daher mit, als wir zu Haus kamen, wurden aber darüber nur geneckt und ausgelacht. Den andern Morgen, ziemlich früh, entstand indes wirklich Alarm über zwei Schüsse, die man hörte, und Miss Kitty stürzte sich, halb angezogen und fast ohnmächtig vor Schreck, die Treppen herunter, worauf alles hinzulief, um zu untersuchen, was es denn eigentlich gäbe. Es fand sich nun, daß zwei der jüngern Brüder Kittys, welche sich zum Besuch bei Mistress M... befanden, ganz unerwartet heut früh zurückgekommen waren, um ihre Schwester ebenfalls dorthin abzuholen, wobei sie, obgleich ganz unbekannt mit der Vorhersagung der Zigeunerin, den albernen Spaß gemacht hatten, zwei Schlüsselbüchsen vor dem Fenster abzufeuern, dies aber noch dazu so ungeschickt ausgeführt, daß einige Glasscheiben beschädigt wurden. Sie erhielten eine derbe Merkuriale, und fuhren dann mit Kitty ab, so daß alles pünktlich eintraf, wie die Alte es, der Himmel weiß auf welche Weise, in den Linien der Hand gelesen.


Den 15ten

Ich war gestern ein wenig hypochondrisch, meine Seele war matt – mais j'ai pris médecine, elle a opérée, und die Seele ist wieder kuriert worden. Ich bin von neuem heiter und daher von viel menschenfreundlicheren Gesinnungen, tugendhaft überdies, faute d'occasion de pécher, und lustig, indem ich über mich selbst lache, faute de trouver quelque chose de plus ridicule.

Unterdessen hat sich die Szene hier geändert. Die schöne Afrikanerin ist angekommen – und wir haben schon einen gemeinschaftlichen Spazierritt, zehn Personen stark, unternommen, wobei uns der alte Hauptmann seine Bruchkulturen und Bewässerungen mit der Liebhaberei eines Jünglings, zeigte. Er war von seinen Kartoffelbeeten nicht weniger entzückt, als ich von meiner Begleiterin. In der trostlosesten Gegend auf ein gut wachsendes Knollenfeld hinweisend, rief er mit Enthusiasmus: »Ist das nicht ein prachtvoller Anblick?« Und gewiß kam es ihm nicht in den Sinn, daß wir an andere Dinge denken könnten, und ihm nur aus Höflichkeit beipflichteten. Ich warb nachher einige Bauern für meinen Kolonisations-Plan an. Sie drängen sich alle zum Auswandern, aber leider haben sie auch nicht einen Heller darauf zu verwenden. Übrigens kann man ihnen leicht alles besser versprechen, als sie es hier haben, wo ein Mensch von einem halben Morgen Land leben muß, und wenn er noch so gern auswärts arbeiten will, doch keine Arbeit findet. Die Wohlhabendsten wohnen in Gebäuden, die unsern Bauern als Stall zu schlecht dünken würden. Ich besuchte ein solches, und fand es aufgeführt aus Mauern von ungesprengten Feldsteinen, mit Moos ausgestopft, und einem Dach von Stangen, das halb mit Stroh, halb mit Rasen belegt war. Der Boden bestand aus der blanken Erde, und eine Stubendecke unter dem erwähnten, halb durchsichtigen Dach, gab es nicht. Schornsteine schienen hier auch unnütze Luxusartikel. Der Rauch ging vom freistehenden Herde zu den Fensterlöchern heraus, woran ihn keine Glasscheiben verhinderten. Ein niedriger Verschlag rechts teilte die Schlafstelle der Familie ab, die alle zusammen ruhen – ein anderer links, begrenzte Schwein und Kuh. So stand das Häuschen mitten im Felde, ohne Garten, noch irgend eine Bequemlichkeit – und dies nannten alle eine vortreffliche Wohnung.

Als wir zu Hause kamen, waren unserm hübschen Gast beinahe die Hände, mitten im Sommer, erfroren. Sie waren wirklich völlig weiß, und gefühllos geworden, und wir mußten sie mehr als eine Viertelstunde reiben, ehe wieder Blut und Leben in sie zurückkam. C'est le sang africain. Recht behaglich befindet sie sich nur an der Gluthitze des Torf-Kamins, wo wir anderen halb gebraten werden, und nicht eher auch gelangt sie zu aller ihrer kindlichen Ausgelassenheit, die selbst mich zuweilen mit ansteckt. Sie scheint es wirklich ein wenig auf mich abgesehn zu haben, und diesen lieblichen Neckereien ist schwer zu widerstehen. Wenn sie ihre rabenschwarzen Haare voneinander scheitelt, und mit den dunkelblauen Feueraugen so durchdringend blickt, als könnte sie einem in der Seele lesen; dann sie schalkhaft niederschlägt, als habe sie nur zu wohl die stumme Sprache der gegenüberstehenden verstanden, und wenige Momente nachher, in holder Verwirrung, durch einen zärtlichen Streifblick, wie mit elektrischen Funken das Herz berührt – so ist es nicht immer leicht, seine Fassung zu behalten, und gleich wieder Possen mit zu treiben, wenn ihre bewegliche Kindernatur, schon den Augenblick darauf, vor Lachen ersticken will, entweder über das ernsthafte komische Gesicht, was man ihrer Behauptung nach mache, oder irgendeine andere Torheit, die ihr eben ins Köpfchen gekommen ist. Ja liebe Julie, es ist ein verführerisches Spiel, das sehe ich wohl ein – aber das Gift ist zu süß!


Den 16ten

Mein Freund James fängt an, etwas eifersüchtig auf mich zu werden, und unterhält mich nicht mehr so viel von den reizenden Eigenschaften der Mistress L... und ihrem temper. Ich gebe ihr jetzt Unterricht im Pistolenschießen. Als sie das erstemal losdrückte, erschrak sie so kindisch, daß sie mir fast ohnmächtig in die Arme sank, und bitterlich zu weinen anfing. James kam in diesem kritischen Augenblick hinzu, und schien nichts weniger als erbaut davon zu sein. Ich gab ihm indes schnell die Pistole in die Hand, proponierte eine kleine Wette zur Unterhaltung unsrer Freundin, bis sie sich wieder vom gehabten Schreck erholt haben würde. Der arme James konnte aber nichts treffen, während ich, mit eingeübter Sicherheit, ein ziemlich leserliches H auf die Scheibe zeichnete – denn ihr Name ist Henriette – »Harriet« wie sie hier genannt wird. Besser ans Feuer gewöhnt – schoß sie nachher selbst recht gut, und beschämte die jungen Männer, welche sich alle ziemlich ungeschickt dabei anstellten.

Nachher ritten wir aus, sie und ich, Miss Kitty und einer ihrer Brüder. Wir waren ein wenig voraus, und sprachen von englischer Literatur. Sie erwähnte eines bekannten anmutigen Liedes von Moore, wo der Dichter abwechselnd sich bald für die schwarzen, bald für die blauen Augen erklärt, und frug mich neckend, welcher Art ich denn den Vorzug gäbe? »Ach«, rief ich, »den blauen unter schwarzem Haar, denn diese vereinigen das südlich blitzende Feuer der einen, mit der süßen Milde der andern.« – »O nonsense!« lachte sie, »Sie haben das Lied ja ganz vergessen – der Dichter gibt den Augen den Vorzug, die, von welcher Farbe sie auch seien, ihn am zärtlichsten anblicken...« – »Nun dann«, erwiderte ich, »ist alles, was ich wünsche, daß Sie derselben Meinung sein mögen.« – »Wieso?« frug sie zerstreut. »Daß Sie die Augen lieben möchten, welche Sie mit der größten Zärtlichkeit anblicken« – ich ergriff zugleich ihre Hand, und wollte ihr noch mehr zuflüstern, als sie, wie eine kleine Hexe, die sie ist, lachend und scherzend und mit ganz unnötigem Geschrei Miss Kitty um Hilfe lief, weil ihr Pferd, wie sie behauptete, hätte durchgehen wollen. –

Als ich mich nachher, nur einen Augenblick, wieder allein neben ihr befand, sagte sie, tief Atem schöpfend, mit leiser Stimme zu mir: »Now I declare, you are a great rogue and never more I'll be alone with you.«Beim Himmel, Sie sind ein rechter Spitzbube und nie will ich mit Ihnen mehr allein sein.

O Afrika! deine Töchter, sehe ich wohl, verstehen die Koketterie ebensogut als die Schönen Europas. –

Abends hatten wir viel Scherz mit Henriettens fünfzehnjähriger Tochter, auch ein hübsches frisches Mädchen, doch mit der Mutter nicht zu vergleichen. Die Kreuzung mit dem englischen Blut hatte diesmal nicht vorteilhaft gewirkt, und das Feuer des Prometheus sich wieder in Kieselstein verborgen.

Wir durchsuchten ihr album, oder sketchbook, wo wir unter den Stellen, die sie aus verschiedenen Büchern abgeschrieben, auch folgendes irländische Gedicht fanden, das sie gewiß mit großer Unschuld exzerpiert hatte, aber jetzt viel darüber leiden mußte. Es lautete folgendermaßen:

... And pray, how was the devil dressed?
Oh! he was in his Sundays best,
His coat was black, and his breeches steelblue
And a hole behind, that his tail went through.
And over the hill and over the dale
He rambled far over the plain,
And backwards and forwards he switched his tail
As a gentleman switches his cane
Die Übersetzung würde ohngefähr so lauten: /... Und bitte, was hatte der Teufel an? / Oh! er war sonntäglich angetan, / An Rock und Hosen des Feuers Spur / Und hinten ein Loch, wo der Schwanz durchfuhr. / Und über das Tal und der Berge Kranz, / Verfolgt man so seine Fährte, / Und vorwärts und rückwärts balanciert er den Schwanz / Wie ein Gentleman spielt mit der Gerte.

Alle, selbst die Mädchen, mußten herzlich über den balancierenden Teufel lachen – denn es waren unschuldige Naturkinder, und keine prûde unter ihnen, die Sittenlosigkeit, keine Neufromme, die gottlosen Spott darin auffand. Eine Frau aus dem Konventikel würde freilich die Augen gen Himmel verdreht, und die Stube verlassen haben, entweder – um ihrem amant ein Rendezvous im Tiergarten zu geben, oder einer guten Freundin die Ehre abzuschneiden, denn solche Dinge sind unschuldig!


Den 17ten

Heute langte Herr L... hier an. Wie sonderbar sind doch die Güter dieser Welt verteilt! Das schönste lieblichste Weib mußte die Beute des widerwärtigsten Menschen werden, der den Reichtum ihrer Natur weder zu erwidern fähig ist, noch zu schätzen versteht! Ein häßlicher, alter, in Galle getauchter Pedant, in allem gerade der Antipode seiner Frau. Seine conversation verdarb zum erstenmal die Heiterkeit, ja ich möchte sagen, die Unschuld unsres bisherigen Lebens. Er ist ein heftiger Orangeman (beiläufig gesagt, ist auch Orange seine natürliche Farbe) und es war zu vermuten, daß ein Charakter seiner Art, sich auch auf der Seite des Unrechts und der Parteiwut befinden würde, aber mit welchen Grundsätzen! Da dies zugleich eine Probe davon gibt, wie hoch hier der Parteigeist gestiegen, und wie er sich öffentlich zu äußern nicht schämt, will ich Dir die Quintessenz seiner Reden mitteilen.

»Ich habe«, sagte er, »meinem König dreißig Jahre lang in fast allen Weltteilen gedient, und bedarf der Ruhe. Dennoch ist mein sehnlichster Wunsch, um dessen Erfüllung ich Gott täglich bitte, eine ›sound-rebellion‹ (eine gründliche Rebellion) in Irland zu erleben. Dann soll mein Dienst denselben Tag wieder angehen, und sollte ich auch mein eignes Leben darin mit verlieren, ich gebe es gern hin, wenn mit meinem Blute zugleich das von fünf Millionen Katholiken fließt – Rebellion – dahin will ich sie haben, da erwarte ich sie, und dahin muß man sie führen, um auf einmal mit ihnen zu enden; denn ohne die gänzliche Vernichtung dieser race kann es keine Ruhe mehr in Irland geben, und nur eine offene Rebellion und eine englische Armee, die sie zerdrückt, kann dies Resultat herbeiführen.«

Sollte man einen so boshaften Narren nicht einsperren und seine Frau einem andern geben? Qu'en dites-vous, Julie?

Die jugendlichen Seelen der Söhne meines Wirts wurden gleich mir empört, und bestritten männlich solche diabolischen Grundsätze, erbosten aber den wahnsinnigen Orangemen nur immer mehr, bis endlich alles schwieg, und mehrere einzeln vom Tisch aufstanden, um dem widrigen Gespräch ganz zu entgehen.


Den 18ten

Glücklicherweise hat Herrn L...s Visite nur einen Tag gedauert, und wir sind wieder – unter uns. Die gewonnene Freiheit wurde sogleich benutzt, um eine zwanzig Meilen weite Exkursion nach Mount B... zu machen, dem schönen Besitztum eines Landedelmanns, und spät in der Nacht erst fuhren wir wieder zurück, wo mir in meinem Reisewagen Henriettens Gesellschaft, welche die kalte Luft nicht vertragen konnte, zuteil wurde – mais honni soit qui mal y pense. Der Park in Mount B... bietet ein wahres Studium für die sinnreiche Anlegung großer Wasserpartien an, denen gehörige Bedeutung und Natürlichkeit zu geben, so schwer ist. Man muß, für die Details, die Formen der Natur studieren, die Hauptsache ist aber, nie die ganze Wassermasse übersehen zu lassen, und das Wasser muß sich auch sichtlich nach und nach, und wo möglich an mehreren Stellen zugleich, verlieren, um der Phantasie gehörigen Spielraum zu geben – die wahre Kunst bei allen landschaftlichen Anlagen.

Der Hausherr, welcher reich ist, besitzt auch eine recht zahlreiche Bildergalerie mit einigen vortrefflichen Gemälden. Unter andern eine Winterlandschaft von Ruisdael, die einzige dieser Art, die ich mich erinnere von diesem Meister gesehen zu haben. Der Ausdruck der kalten, nebligen Luft und des knisternden Schnees waren so treu, daß man fast Frostschauer zu empfinden glaubte, wenigstens das flackernde Kaminfeuer darunter mit doppelter Behaglichkeit anblickte. Ein schöner und unzweifelhafter Rubens, den Fischzug Petri vorstellend, zeichnete sich durch eine Seltsamkeit aus. Der in ein grünes Gewand gekleidete Petrus trägt nämlich eine scharlachrote Perücke, und dennoch stört sie den Totaleindruck nicht. Sie wirkt wie eine Glorie, das Licht um sich verteilend. Es scheint ein Kunststück des Malers, vielleicht in Folge eines Scherzes unternommen, pour prouver la difficulté vaincue. Eine sehr fleißige Landschaft auf Holz, von unbekannter Hand, befand sich früher in der Privatsammlung Karl I., dessen Chiffre und Namen, mit der Krone darüber, man auf der Rückseite noch deutlich eingebrannt sieht. Als den Juwel der ganzen Sammlung betrachte ich aber ein Gemälde Rembrandts, wie man glaubt, das Portrait eines asiatischen Juden, aber zugleich das Ideal eines solchen darstellend. Die Wirklichkeit dieser Augen, und das Sengende ihres Blickes, ist fast erschreckend; das Unheimliche und doch Erhabne des Ganzen wird noch durch die nachgedunkelte Schwärze des übrigen Bildes vermehrt, aus welchem der glühäugige Kopf, mit dem satanisch lächelnden Munde, wie aus ägyptischer Nacht scheuchend herausschaut.Wenn einer der Rothschilde so aussähe, würde er gewiß König von Jerusalem, und Salomos Thron stünde nicht mehr leer. Nach dem Frühstück produzierte man mehrere Jagd- und Rennpferde, wo wir uns mit Reiterexerzitien vor den Damen sehen ließen. Die hiesigen Jagdpferde sind vielleicht nicht so schnell als die besten englischen, aber unübertreffbare Springer, wozu man sie von Jugend auf anhält. Sie nahen sich einer Mauer mit der größten Ruhe, und setzen während des Sprungs mit den Vorder- und Hinterfüßen, gleich den Hunden, auf. Ist noch ein Graben auf der andern Seite, so überspringen sie auch diesen, indem sie sich auf der Höhe der Mauer, oder des Walls, einen neuen élan geben. Man läßt ihnen dabei in der Regel nicht viel Luft mit dem Zügel, und tut überhaupt am besten, einem gut dressierten Pferde dieser Art so wenig Hilfe als möglich zu geben, sondern nur mit steter leichter Anlegung an den Zügel, ihm die Sache ganz selbst zu überlassen.

Ich weiß nicht ob diese Reitdetails sehr unterrichtend für Dich sein werden, aber da meine Briefe an Dich zugleich mein Tagebuch sind (denn wo sollte ich die Zeit zu dem andern noch hernehmen) so mußt Du Dir gefallen lassen, von allem unterhalten zu werden, was Dir, oder auch mir selbst, Interesse zu gewähren imstande ist.


Galway, den 19ten abends

Du weißt, meine Entschlüsse sind oft sehr plötzlicher Natur – Du pflegst sie meine Pistolenschüsse zu nennen. Einen solchen habe ich eben ausgeführt. Ich fürchtete mich vor Capuas Verweichlichung, und vor afrikanischer Sklaverei. J'aime à effleurer les choses, mais pas les approfondir. Ich bin also, wichtige Nachrichten vorschützend, geflohen. Daß ich nicht ohne Rührung von so herzlichen Freunden, von so reizenden Freundinnen, mich losreißen konnte, magst Du Dir wohl denken, es geschah aber mit Standhaftigkeit. Da ich auf die Postpferde, die aus der nahen Stadt erst geholt werden mußten, nicht warten mochte, so ritt ich mit James, der mich, glaube ich, recht vergnügt begleitete, zum letztenmal auf dem Doctor, seinem vortrefflichen Jagdpferde, nach Tuam, meinem Kammerdiener die Sorge für das übrige überlassend. In Tuam wollte ich mit der mail weiterreisen, es war aber nicht ihr Tag, und kein andres Fuhrwerk nach Galway zu bekommen, als die ordinäre Briefpost, ein bloßer auf zwei Rädern stehender, offner Karren, mit einem Pferde bespannt, und Platz für zwei Passagiere, außer dem Kutscher. Ich besann mich nicht lange, sondern sprang, James zum letztenmal die Hand drückend, herzhaft in das zerbrechliche Vehikel, und clopin-clopant rasselte der alte Gaul damit über die Straße. Der andere Passagier war ein junger, rüstiger Mann, in ziemlich eleganter Kleidung, mit dem ich bald in eine interessante Unterhaltung, über die Sehenswürdigkeiten seines Vaterlandes, und den Charakter seiner Landsleute, geriet. Von der Herzlichkeit und Dienstfertigkeit dieser, gab er mir sogleich selbst einen Beweis. Ich war sehr leicht angezogen, dabei warm vom Reiten, so daß mir der kalte Wind sehr beschwerlich wurde. Ich bot also dem Kutscher ein Trinkgeld, für Überlassung seines Mantels. Dieser erschien aber bei näherer Besichtigung so furchtbar schmutzig und ekelhaft, daß ich mich nicht entschließen konnte, mich desselben zu bedienen. Sogleich zog der junge Mann seinen stattlichen, weiten Reiseüberrock aus, und zwang mich beinah ihn umzunehmen, indem er mit dem größten Eifer versicherte, daß er sich nie verkälte, und die Nacht im Wasser schlafen könne, wenn es sein müsse – den Überrock selbst aber nur angezogen, weil er nicht gewußt, wo er ihn lassen solle. Wir wurden, durch diese freundliche Hilfe von seiner Seite, schnell bekannter, als es sonst wohl der Fall gewesen wäre, und die Zeit verging uns, unter mancherlei Geplauder, weit geschwinder, als ich hoffen durfte – denn die Distanz war sechs deutsche Meilen, der Weg sehr holpricht, die Equipage die schlechteste, der Sitz unbequem, die Gegend einförmig und kahl. Kein Hügel, kein Baum, nur ein Netz von Mauern über das Ganze gezogen. Jedes Feld ist auf diese Art eingefaßt, die Mauer nur von Feldsteinen, ohne Kalk, aufgesetzt, aber doch so, daß sie sich, ohne gewaltsames Einstoßen, gut halten können. Viele Ruinen alter Schlösser, wurden zwar auch in dieser Gegend sichtbar, konnten aber in so flacher, öder Flur, ohne auch nur einen unterbrechenden Strauch, keinen romantischen Effekt hervorbringen. Überall aber fanden wir das zerlumpte, Kartoffeln essende Volk gleich lustig und vergnügt. Es bettelt zwar beständig, aber unter Lachen, mit Laune, Witz und drolligen Worten, ohne Zudringlichkeit, wie ohne rancune, wenn es nichts erhält. Auffallend ist gewiß, bei dieser großen Armut, die ebenso große Ehrlichkeit dieser Menschen – vielleicht entsteht eben eine aus der andern – denn der Luxus macht erst begehrlich, und der Arme entbehrt das Notwendige oft leichter, als der Reiche das Überflüssige.

Wir sahen eine Menge Arbeiter, an der Chaussee auf den Steinhaufen sitzend, wo sie die Steine zerschlugen und à mesure, daß diese Arbeit fortschritt, erhöhte sich ihr Sitz. Mein Reisegefährte sagte: »Das sind Erorberer – sie zertrümmern nur, und steigen, doch durch Zerstörung.« Indem stieß unser Kutscher in sein Horn, ein Zeichen der Briefpost, dem, wie bei uns, ausgewichen werden muß; der Ton kam aber so schwierig heraus, und klang so jämmerlich, daß alles darüber lachte. Ein hübscher, wie Glück und Freude aussehender, obgleich fast nackter zwölfjähriger Knabe, der auf einem der Steinhaufen, auch hämmernd, saß, jauchzte vor Mutwillen auf, und rief dem sich vergebens ärgernden Kutscher nach: »Oho Freund! Eure Trompete muß den Schnupfen bekommen haben, sie ist ja so heiser, wie meine alte Großmutter. Kuriert sie schnell mit einem Glase Potheen, oder sie stirbt Euch an der Auszehrung, noch ehe Ihr Galway erreicht.« Ein schallendes Gelächter aller Arbeiter folgte als Chorus. »Sehen Sie, das ist unser Volk«, rief mein Begleiter: »Hungern und Lachen – das ist ihr Los. Glauben Sie, daß bei der Menge der Arbeiter und der Seltenheit der Arbeit, keiner von diesen so viel verdient, um sich satt zu essen? Demohngeachtet wird jeder noch etwas erübrigen, um es seinem Priester zu geben, und wenn sie in seine Hütte kommen, wird er die letzte Kartoffel mit ihnen teilen, und einen Scherz dazu machen.«

Jetzt näherten wir uns Galways Hügeln, über denen die Sonne prachtvoll unterging. Nie kann ich dieses Schauspiel unbewegt ansehen – immer entzückt es mich, und läßt ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit, mit der Gewißheit in mir zurück, daß diese Sprache, die Gott selbst zu uns redet, nicht lügen kann – wenn Menschenoffenbarung auch nur Stückwerk wäre, von jedem anders verstanden, und nur zu oft von List und Eigennutz gemißbraucht.

Wir stiegen in demselben Gasthofe ab, den ich beim Pferderennen kennengelernt, und um meinem jungen Freunde auch eine Artigkeit zu erweisen, lud ich ihn ein, mit mir zu Abend zu essen. Spät erst schieden wir, wahrscheinlich auf immer, aber grade solche Bekanntschaften liebe ich – sie lassen nicht Zeit zur Verstellung; unbekannt mit den Verhältnissen, sieht jeder, und schätzt am andern: nur den Menschen. Was jeder vom andern an guter Meinung erlangt, hat er sich dann wenigstens selbst zu verdanken.


Den 20sten früh

Ich hatte gehofft, mein Wagen würde während der Nacht anlangen, er ist aber bis jetzt noch nicht hier, und ich benutzte daher die Muße, um die altertümliche Stadt noch genauer zu besehen, als es mir das erstemal möglich war. Sehr nützlich ist mir dabei die Anleitung einer alten Chronik gewesen, deren Fragmente ich zufällig in einem Gewürzladen entdeckte, wo ich mich nach den Cross-Bones (die gekreuzten Knochen) erkundigte. Es steht nämlich in einem abgelegenen Winkel hier ein uraltes Haus, über dessen Türe man, in recht guter Arbeit, einen Totenkopf über zwei gekreuzten Knochen, in schwarzem Marmor ausgehauen, sieht. Dieses Haus nennt man The Cross-Bones, und folgendes erzählt von ihm die tragische Geschichte.

Im 15. Jahrhundert ward James Lynch, ein Mann von alter Familie und großem Reichtum, für seine Lebenszeit zum Maire von Galway erwählt, damals eine Würde, die fast der eines Souveräns an Einfluß und Macht gleichkam. Er war besonders angesehen und verehrt wegen seiner unerschütterlichen Gerechtigkeitsliebe, aber auch wegen seiner Herablassung und milden Sitten. Doch beliebter noch, ja das Idol der Bürger, wie ihrer schönen Frauen, war sein Sohn, der Chronik nach, einer der ausgezeichnetsten jungen Männer seiner Zeit. Mit vollendeter Schönheit, und dem edelsten Anstand des Körpers, verband er jene stets heitere Laune, jene immer überlegene Familiarität, die unterjocht, indem sie zu schmeicheln scheint – und die verbindliche Grazie der Manieren, welche, ohne Anstrengung, bloß durch die Lieblichkeit ihrer eignen Erscheinung, alle Herzen erobert. Auf der andern Seite gewann ihm seine oft erprobte Vaterlandsliebe, seine edle Freigebigkeit, seine romantische Tapferkeit, und eine für jene Jahrhunderte seltene Bildung, wie die höchste Meisterschaft in allen Waffenübungen, die Dauer einer Hochachtung, welche sein erstes Erscheinen, unwillkürlich gebot. Soviel Licht war indessen nicht ohne Schatten. – Tiefe, glühende Leidenschaften, Hochmut, Eifersucht auf jedes rivalisierende Verdienst, und ein wilder Hang zum schönen Geschlecht, den keine Schranke aufhielt, machten alle seine Vorzüge zu ebensoviel Gefahren für ihn selbst und andere. Oft hatte sein strenger Vater, obgleich stolz auf einen solchen Sohn und Erben, Ursache zu bitterem Tadel, und noch ängstlicherer Besorgnis für die Zukunft, doch unwiderstehlich, selbst für ihn, schien die Liebenswürdigkeit des ebenso schnell bereuenden, als fehlenden Jünglings, der dem Vater wenigstens, stets gleiche Liebe und Unterwürfigkeit zeigte. Nach dem ersten Zorn erschienen ihm daher, wie jedem andern, die gerügten Mängel nur als leichte Flecken in der Sonne. Noch mehr beruhigte ihn aber bald darauf die ebenso heftige als zärtliche Neigung, welche sein Sohn für Anna Blake, die Tochter seines besten Freundes, und ein in jeder Hinsicht liebenswertes Mädchen faßte – von dieser Verbindung die Erfüllung aller seiner sehnlichsten Wünsche mit Zuversicht erwartend. Doch die dunkeln Schicksalsmächte hatten es anders beschlossen!

Während der junge Lynch mehr Schwierigkeiten fand, das Herz seiner neuen Geliebten zu rühren, als er bisher anzutreffen gewohnt gewesen war, sah sich sein Vater zu einer nicht länger aufzuschiebenden Handelsreise nach Cadix genötigt, denn der Adel Galways hatte, gleich dem anderer bedeutender Seestädte des Mittelalters, von jeher, den Handel im Großen, als kein eines Edelmanns unwürdiges Geschäft betrachtet. Galway war aber damals so mächtig und weit bekannt, daß die Chronik erzählt, ein arabischer Kaufmann, der aus dem Orient lange nach diesen Küsten gehandelt, habe einst um Auskunft gebeten, in welchem Teile von Galway Irland läge?

Nachdem James Lynch, für die Zeit seiner Abwesenheit, das Ruder des Staats in sichere Hände gelegt, und alles zur weiten Reise bereitet, segnete er mit überwallendem Vaterherzen seinen Sohn, wünschte seinem jetzigen Streben das beste Gedeihen – und segelte wohlgemut seiner Bestimmung zu. Überall krönte der beste Erfolg jede seiner Unternehmungen. Einen großen Teil trugen hierzu die freundschaftlichen Dienste eines spanischen Kaufmanns, mit Namen Gomez bei, welcher dadurch in dem edlen Herzen des Maire's von Galway die lebhafteste Dankbarkeit erweckte. Auch Gomez hatte einen Sohn, der, gleich Edward Lynch, der Abgott seiner Familie und der Liebling der Stadt war, jedoch im Charakter, wie im Äußern, von jenem ganz verschieden. Schön waren beide, doch Edward mehr dem Apollo, Gonzalvo mehr dem Johannes zu vergleichen. Der eine erschien wie ein Felsen mit Blumen bekränzt, der andere wie ein duftender Rosenhügel, vom Sturme bedroht. Heidnische Tugenden schmückten jenen, christliche Demut diesen. Die üppige Gestalt verriet mehr Weichheit als Tatkraft, die schmachtenden dunkelblauen Augen mehr Sehnsucht und Liebe, als Kühnheit und Stolz; sanfte Melancholie überschattete sein Gesicht, und ein Zug wollüstigen Leidens zuckte um den schwellenden Mund, den nur selten ein halb verschämtes Lächeln umspielte, wie eine laue Welle über Korallen und Perlen gleitet. Diesen Formen entsprechend war auch sein Inneres, liebend und duldend, von ernster und schwermütiger Heiterkeit; stets mehr nach innen als außen gewandt, zog er Einsamkeit dem Geräusch und Gewühl der Menschen vor, schloß sich aber mit der tiefsten Innigkeit denjenigen an, welche ihm Wohlwollen und Freundschaft bewiesen. So war er im Innersten seines Gemüts von einem Feuer erwärmt, das, gleich dem eines Vulkans, der für verheerenden Ausbruch zu tief liegt, nur der darüber gebreiteten Erde größere Fruchtbarkeit verleiht, und sie schöner als jeden andern Ort in zartes Grün und brennende Blumenfarben kleidet. – Verführerisch, und leicht zu verführen – war es ein Wunder, daß solch ein Jüngling selbst Edward Lynch unwillkürlich die Palme aus der Hand wand? Nichts von dem jedoch ahnete Edwards Vater. Voll Dankbarkeit für seinen Freund, voll Wohlgefallens an dessen hoffnungsvollem Sohn, beschloß er für letzteren dem alten Gomez seine Tochter anzubieten. Der Antrag war zu schmeichelhaft, um ihn von der Hand gewiesen zu sehen. Bald kamen die Väter überein, und es ward bestimmt, daß Gonzalvo sogleich seinen Gönner nach Irlands Küsten begleiten, und, wenn die Neigung der jungen Leute dem gefaßten Plan entspräche, die Verbindung beider mit der Edwards zu gleicher Zeit stattfinden, dann aber das vereinte Paar nach Spanien zurückkehren sollte. Der 19jährige Gomez selbst folgte dem ehrwürdigen Freunde seines Vaters mit Freuden. Sein frisches, romantisches Gemüt genoß im voraus, still entzückt, die mannigfaltigen Szenen fremder Länder, die er zu sehen, die Wunder des Meeres, die er zu betrachten, das neue Leben ihm unbekannter Völker, dem er sich anzuschließen im Begriff stand, und sein warmes Herz umfing schon mit Liebe das Mädchen, von deren Reizen der Vater, vielleicht keine ganz unparteiische Beschreibung gemacht.

Jeder Augenblick der langen Seefahrt, die damals mit größeren Gefahren verbunden war, und mehr Zeit erforderte, als es jetzt der Fall ist, vermehrte die Vertraulichkeit und gegenseitige Zuneigung der Reisenden, und als sie endlich Galways Hafen erblickten, glaubte der alte Lynch nicht nur, daß ihm Gott auf dieser Reise einen zweiten Sohn geschenkt, sondern rechnete auch mit Zuversicht darauf, daß die nie sich verleugnende Sanftmut und Milde des liebenswürdigen Jünglings, den heilsamsten Einfluß auf die wilderen und dunkleren Eigenschaften seines Edwards ausüben würden.

Diese Hoffnung schien auch durchgängig in Erfüllung zu gehen.

Edward, der in Gomez alles fand, was ihm fehlte, fühlte dadurch seine eigne Natur wie vervollständigt, und da er ihn überdies, nach den Eröffnungen des Vaters, schon als seinen Bruder ansah, gewann ihre Freundschaft bald das Ansehn der innigsten und unzertrennlichsten Neigung.

Doch schon nach wenig Monden trübten in Edwards Seele unangenehme Empfindungen diese frühere Harmonie, Gonzalvo war unterdes der Gemahl seiner Schwester geworden, hatte aber seine Rückreise auf unbestimmte Zeit verschoben. Alles trug ihn auf den Händen, jeder beeiferte sich, ihm zuvorkommende Liebe zu zeigen. Edward schien sich nicht so glücklich – zum erstenmal vernachlässigt, konnte er sich nicht verbergen, in seiner allgemeinen Popularität einen gefährlichen Nebenbuhler gefunden zu haben – was ihn aber weit mehr erschütterte, sein Herz eben so sehr verwundete, als es seiner Eitelkeit, vielleicht dem mächtigsten seiner Gefühle –, unerträgliche, und rastlose Qualen bereitete, war die Bemerkung, die jeden Tag einen neuen Zuwachs erhielt: daß Anna, die er als die Seine ansah, obgleich sie dies zu erklären noch immer zögerte – daß seine Anna, seit der Ankunft des schönen Fremden, immer kälter gegen ihn geworden – ja schien es ihm nicht, als habe er selbst schon in unbewachten Augenblicken ihr seelenvolles Auge gedankenschwer auf Gomez' holden Zügen ruhen, und ihre vorher blassen Wangen dann in sanfter Röte erblühen sehen, – traf aber sein Blick den ihrigen in solchen Momenten, dann war das Rosenrot sogleich zur Fieberglut geworden. Ja gewiß, ihr ganzes Benehmen war verändert! Unregelmäßig, launig, ohne Ruhe, bald von tiefer Schwermut ergriffen, bald sich mit Wildheit ausgelassener Lustigkeit hingebend, schien sie von dem besonnenen, klaren, stets gleich freundlichen Mädchen, das sie früher war, nur noch die äußern Züge beibehalten zu haben. Alles verriet dem scharfsehenden Auge der Eifersucht, daß eine tiefe Leidenschaft sie ergriffen, und für wen konnte sie glühen – als für Gomez? Für ihn, der allein, er mochte kommen oder gehen, den Saiten ihrer Seele die veränderte Stimmung gab.

Ein alter Weiser sagt: Liebe ist zum größten Teil dem Hasse näher verwandt, als der Zuneigung – und in Edwards Busen zeigte sich jetzt die Wahrheit dieses Ausspruchs. Sein einziger Genuß war fortan, der Geliebten, die er allein für schuldig hielt, wehe zu tun. Wo die Gelegenheit sich darbot, suchte er sie zu demütigen, sie in Verlegenheit zu setzen, mit wegwerfendem Stolze zu kränken, oder mit tiefbeleidigenden Vorwürfen zu überhäufen, bis – der geheimen Schuld sich bewußt – Scham und Empörung die Ärmste überwältigten, und sie in Tränenströme ausbrach, deren Anblick allein ihm eine Labung gab, wie sie den Verdammten während ihrer Qualen zuteil werden mag. Doch keine wohltuende Versöhnung folgte auf diese Szenen, und löste, wie bei Liebenden, die Dissonanz in selige Harmonie auf – jede derselben steigerte nur immer mehr seine Wut, bis zum Rande der Verzweiflung. Als er aber nun auch in dem, der Verstellung so wenig fähigen Gomez, dasselbe Feuer auflodern sah, das in Annas Augen brannte, als er seine Schwester schon vernachlässigt, sich selbst aber, wie er meinte, von einer im Busen genährten Schlange verraten fand – da erreichte sein Zustand jenen Grad menschlicher Gebrechlichkeit, von dem nur der Allwissende entscheidet, ob er schon Wahnsinn, oder noch der Zurechnung fähig sei.

An demselben Abend, wo der Argwohn Edward ruhelos von seinem Lager in die Nacht hinaustrieb, scheint es, daß die Liebenden, vielleicht zum erstenmal, eine heimliche Zusammenkunft gehabt. – Der spätern Aussage Edwards nach, erblickte er, selbst hinter einem Pfeiler verborgen, mit schüchternen Schritten Gomez, in seinen Mantel gehüllt, aus dem Blake'schen Hause schleichen – aus einer wohlbekannten Seitenpforte, die zu Annas Zimmern führte. – Bei dieser schrecklichen Gewißheit nahm die Hölle Besitz von seiner Seele. Seine Augen starrten aus ihren Höhlen, Furien wühlten in seinem Busen, das Blut tobte zersprengend gegen seine Pulse, und wie ein Verschmachteter lechzt nach einem Trunke kühlenden Wassers, so lechzte sein ganzes Wesen nach dem Blute der Rache. Einem reißenden Tiger gleich, stürzte er auf den unglücklichen Jüngling zu, der, ihn erkennend, vergebens entfloh. In wenig Augenblicken war er erreicht, und hundertmal seinen Dolch, mit der Schnelle des Blitzes, in dem zuckenden Körper begrabend, zerfleischte der Rasende mit satanischer Wut die Reize, welche ihm die Geliebte, und die Ruhe des Lebens geraubt. Nur als der Mond jetzt hell hinter einer schwarzen Wolke hervortrat, und jählings das gräßliche Schauspiel erleuchtete, die entstellte Masse vor ihm, kaum noch einen Zug des gemordeten Freundes mehr an sich trug, und ein Strom schon gerinnenden Blutes ihn, den Toten, und die Erde um sie her bedeckte – da erwachte er mit furchtbarem Entsetzen, wie aus einem höllischen Traume. Doch die Tat war geschehen, und das Gericht begann.

Dem Instinkt der Selbsterhaltung folgend, rannte er, gleich Kain, fliehend in den nahen Wald – wie lange er dort umhergeirrt, war nachher seiner Erinnerung entschwunden, Angst, Verzweiflung, Liebe, Reue, und Wahnsinn zuletzt, mochten, als soviel schauderhafte Begleiter, ihn verfolgt, und endlich der Besinnung beraubt haben, in lindernder Vergessenheit die Schrecken des Vergangenen eine Zeitlang verscheuchend – denn unerträgliche Leiden der Seele, wie des Körpers, heilt die liebende Natur, durch Ohnmacht oder Tod.

Unterdessen war in der Stadt der Mord bereits entdeckt, und das grausenerregende Ende des sanften Jünglings, der, ein Fremder, sich ihrer Gastfreundschaft vertraut, von allen Klassen mit Schmerz und Empörung vernommen worden. Man hatte einen Dolch neben dem herabgefallenen Samtbarret des Spaniers, in Blut getaucht, gefunden, und nicht weit davon einen Hut, mit einer Agraffe aus Edelsteinen und mit bunten Federn geschmückt, auch die frische Spur eines Menschen ausgemittelt, der in der Richtung des Waldes seine Rettung gesucht zu haben schien. Der Hut wurde sogleich für den des jungen Lynch erkannt, und da er selbst nirgends aufzufinden war, fing man auch für sein Leben zu fürchten an, ihn mit dem Freunde zugleich ermordet glaubend. Der bestürzte Vater bestieg sein Pferd, und von dem racherufenden Volke begleitet, schwur er: daß nichts den Mörder retten solle, müßte er ihn auch selbst am Galgen aufknüpfen. – Man denke sich, erst das Freudejauchzen, dann der Schauder der Menge, und die Gefühle des Vaters, als man bei Tagesanbruch Edward Lynch, unter einem Baume gesunken, lebend, und obgleich voll Blut, doch, wie es schien, ohne gefährliche Verletzung, auffand – gleich darauf aber ihn selbst, seines Vaters Knie umfassend, sich als den Mörder Gonzalvos anklagen, und seine Bestrafung dringend verlangen hörte.

Gefesselt ward er zurückgebracht, und in voller Sitzung des Magistrats, von seinem eignen Vater, zum Tode verurteilt. Aber das Volk wollte seinen Liebling nicht verlieren. Wie die Wogen des vom Sturm erregten Meeres erfüllte es Markt und Straßen, die Schuld des Sohnes über der grausamen Gerechtigkeit des Vaters vergessend, mit drohendem Toben verlangte es die Öffnung des Gefängnisses, und die Begnadigung des Verbrechers. Nur mit Mühe konnten in der darauffolgenden Nacht, durch verdoppelte Wachen, die immer erhitzter werdenden Empörer vom gewaltsamen Einbruch zurückgehalten werden. Gegen Morgen aber meldete man dem Maire, daß bald aller Widerstand vergeblich sein würde, da auch ein Teil der Soldaten sich auf des Volkes Seite geschlagen, nur die fremden Söldner noch aushielten, und alles mit wütendem Geschrei des jungen Mannes Auslieferung augenblicklich verlange. Da faßte der unerschütterliche Mann einen Entschluß, den viele unmenschlich nennen werden, dessen furchtbare Selbstüberwindung aber gewiß zu den seltensten Beispielen stoischer Festigkeit gehört. Von einem Priester begleitet, begab er sich durch einen geheimen Gang in das Gefängnis seines Sohnes, und als dieser, mit neu erwachter Lebenslust, ihm zu Füßen sank, und durch die Teilnahme seiner Mitbürger wieder erhoben, zagend frug, ob er ihm Gnade und Verzeihung bringe, erwiderte mit fester Stimme der alte Mann: »Nein, mein Sohn, auf dieser Welt gibt es keine Gnade mehr für Dich – Dein Leben ist unwiederbringlich dem Gesetz verfallen, und mit Aufgang der Sonne mußt Du sterben! Ich habe zweiundzwanzig Jahre für Deine irdische Glückseligkeit gebetet, doch das ist vorüber – richte Deine Gedanken nur noch auf die Ewigkeit, und ist dort noch Hoffnung, so laß uns jetzt gemeinschaftlich die Allmacht anflehen, um Gnade für Dich jenseits – dann aber hoffe ich, wird mein Sohn, obgleich er nicht seines Vaters würdig leben konnte, wenigstens seiner würdig zu sterben wissen.« Bei diesen Worten erwachte noch einmal des einst kühnen Jünglings edler Stolz, und mit heldenmäßiger Resignation ergab er sich, nach kurzem Gebet, in des Vaters erbarmungslosen Willen.

Als das Volk, und der größte Teil der Krieger in seine Reihen gemischt, unter immer wilder werdenden Drohungen sich eben anschickte, das Haus zu stürmen, erschien in dem hohen Bogenfenster des Gefängnisses James Lynch, seinen Sohn mit um den Hals geschlungenen Strick an seiner Seite, vor der erstaunten Menge. »Ich habe geschworen«, rief er, »daß Gonzalvos Mörder sterben müsse, und sollte ich selbst das Amt des Henkers an ihm verrichten. Die Vorsicht nimmt mich beim Wort, und Ihr, betörtes Volk! lernt von dem unglücklichsten der Väter, daß nichts den Gang des Gesetzes aufhalten darf, und selbst die Bande der Natur vor ihm sich lösen müssen.« Während dieser Worte hatte er die Schlinge an einen aus der Mauer ragenden, eisernen Bolzen befestigt, und jetzt, schnell seinen Sohn hinausstoßend, vollendete er die grause Tat. – Nicht eher verließ er seinen Platz, bis das letzte konvulsivische Zucken des bejammernswerten Opfers die Gewißheit seines Todes gab. –

Wie vom Donner gerührt hatte das vorher tobende Volk in leichenähnlicher Stille dem entsetzlichen Schauspiele zugesehen, und betäubt schlich dann ein jeder schweigend seiner Wohnung zu. Der Maire von Galway aber entsagte von demselben Augenblick an allen seinen Ämtern und Geschäften, und niemand, außer den Mitgliedern seiner Familie, hat ihn je wieder gesehen, noch verließ er sein Haus, bis man ihn zu Grabe trug. Anna Blake starb im Kloster, beide Familien verschwanden endlich, im Lauf der Zeiten, von der Erde, aber immer noch zeigen die Knochen und der Totenschädel die Stelle an, wo einst so Gräßliches geschah.


Limerick, den 21sten

Um 10 Uhr langte endlich mein Wagen an, und ich verließ sogleich Galway. Solange die Gegend eintönig blieb, brachte ich meine Zeit mit Lesen hin. Bei Gort wird aber das Land wieder interessanter und ein Fluß strömt unweit davon, der sich, wie bei Cong, mehrmals in die Erde verliert. Einer der tiefsten Kessel, die er bildet, wird von den Einwohnern The Punch-Bowl genannt. Um solche Bowlen zu füllen, bedürfte man noch größerer Fässer als das Heidelberger. Man beginnt nun sich den Bergen von Clare zu nähern, und die Natur bekleidet sich immer mehr mit ihren malerischen Gewändern. Ein schöner Park, dem Lord Gort gehörig, überraschte mich durch eine prachtvolle Szene. Er schließt sich nämlich an einen weiten See mit dreizehn schön bewaldeten Inseln an, die, mit dem Gebürge im Hintergrunde, und der nirgends ganz zu übersehenden Wassermasse davor, eine grandiose Wirkung hervorbringen. Eins der elenden Postpferde schien mein Wohlgefallen an diesem Orte so sehr zu teilen, daß es nicht mehr davon wegzubringen war. Nach vielen vergeblichen Versuchen, es aus der gefaßten Position zu treiben, wobei der Postillon immer versicherte, es sei nur dieser Fleck, den es so liebe, hätten wir es einmal darüber hinweg, so ginge es wie der leibhaftige Teufel – mußten wir es endlich ausspannen, da es auch zu schlagen und das morsche Geschirr zu zerreißen begann. Gegen das irländische Postwesen sind die weiland sächsischen Posteinrichtungen noch vortrefflich zu nennen. Blutende Skelette, überall gedrückt, und aufgezogen, verhungert und über das Greisenalter hinaus, werden an vermodertem Geschirr vor Deinen Wagen gespannt, und wenn Du den mit wenigen Lumpen bekleideten Postillon frägst, ob er glaube, daß solche Tiere nur eine Meile, geschweige denn eine Station von zwölf oder fünfzehn, mit dem schweren Wagen und Gepäck fortkommen könnten, so erwidert er sehr ernsthaft: Eine bessere Equipage gäbe es in ganz England nicht, und er werde Dich in weniger als nichts an den Ort Deiner Bestimmung bringen. Kaum hast Du aber zwanzig Schritte zurückgelegt, so ist schon etwas zerrissen, ein Pferd wird stätig, und das andere fällt wohl gar ermattet hin; aber das dekontenanciert ihn nicht im geringsten, er hat immer eine vortreffliche Ausflucht bei der Hand, und am letzten Ende, wenn nichts mehr hilft, erklärt er sich für behext.

So ging es auch heute, wo wir im Park von Gort wahrscheinlich hätten übernachten müssen, wenn uns nicht sehr gastfreundlich vom Schlosse aus Hilfe und Vorspann geschickt worden wäre. Demohngeachtet hatte der Aufenthalt so lange gedauert, daß ich erst um zehn Uhr abends in Limerick anlangte. James Lynch hat meinen Brief so dick gemacht, daß ich ihn absenden muß, ehe seine Korpulenz impayable wird. Vor vierzehn Tagen wirst Du schwerlich wieder Nachricht von mir bekommen, da ich gesonnen bin, mich in die wildesten Gegenden zu vertiefen, die des Fremden Fuß kaum noch betreten hat. Bete also für eine glückliche Reise, und vor allem – liebe mich immer mit gleicher Zärtlichkeit.

Dein treuer L...


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