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Caernarfon, den 19ten Juli 1828
Geliebte Freundin!
Todmüde komme ich eben von der Ersteigung des großen Snowdon zurück, des höchsten Berges in England, Schottland und Wales, was freilich nicht allzuviel sagen will. Vergönne mir also Ruhe bis morgen, wo ich Dir meine fata treulich erzählen werde. Indessen gute Nacht für heute.
Den 20sten
Nachdem ich das Paket für Dich Mr. S... übergeben und auf das sorgsamste empfohlen, verließ ich vorderhand Bangor, so schnell, als vier Postpferde mich davonführen konnten. Unterwegs besah ich einige Eisengußwerke, die ich jedoch übergehe, da ich nichts Neues darinnen bemerkte. Ich befand mich etwas unwohl, als ich im Gasthof zu Caernarfon anlangte, wo ein bildschönes Mädchen mit langen schwarzen Haaren, die Tochter des Wirts, der abwesend war, sehr anmutig die honneurs machte. –
Den andern Morgen um 9 Uhr setzte ich mich, bei ziemlich versprechender Witterung, auf einen char à bancs mit zwei inländischen Pferden bespannt, die ein kleiner Junge führte, welcher kein Wort englisch verstand. Wie toll jagte er im train de chasse über schmale Seitenwege durch die felsige Gegend. All mein Rufen war vergebens, und schien ganz entgegengesetzt von ihm interpretiert zu werden, so daß wir die neun Meilen bis zum See von Llanberis in weniger als einer halben Stunde, über Stock und Stein, zurücklegten. Ich begreife jetzt noch kaum, wie Wagen und Pferde es ausgehalten haben. An den Fischerhütten, die hier zerstreut und einsam liegen, erwartete mich ein sanfteres Fuhrwerk, nämlich ein nettes Boot, auf welchem ich mich mit zwei rüstigen Bergbewohnern einschiffte. Der Snowdon lag jetzt vor uns, hatte aber leider, wie die Leute es nannten, seine Nachtmütze über den Kopf gezogen, während die umgebenden niederen Berge im hellsten Sonnenscheine glänzten. Er ist zwar nur gegen viertausend Fuß hoch, erscheint aber deswegen weit ansehnlicher, weil seine ganze Höhe ohne Absatz vom Seeufer hinansteigt, während andere Berge dieses Ranges ihre Spitze gewöhnlich erst von einer schon hohen Basis erheben. Die Überfahrt bis zu dem kleinen Gasthofe am Fuße des Snowdon ist drei Meilen lang, und da der Wind heftig wehte, ging es sehr langsam und schwankend vorwärts. Das Wasser des Sees ist so schwarz als Tinte, die Berge kahl und mit Steinen besäet, nur mit wenigen grünen Alpenabhängen abwechselnd. Hie und da sieht man am Fuß einige niedrige Bäume, aber das Ganze ist wild und düster. Ohnfern der kleinen Kirche von Llanberis ist der sogenannte Heiligenbrunnen, den eine einzige ungeheure Forelle bewohnt, die seit Jahrhunderten den Fremden gezeigt wird. Oft läßt sie sich jedoch nicht herauflocken, und es wird für ein glückliches Zeichen angesehen, wenn man sie schnell erblickt. Als ein Feind aller Orakel ließ ich sie unbesucht. Man erzählte mir auch von einer sonderbaren Amazone, die, mit Riesenstärke begabt, hier lange eine wildes Männerleben geführt, und von großen Bienen, welche die Waliser so hoch schätzen, daß sie annehmen, sie seien im Paradiese geboren.
Man fängt hier viele und vortreffliche Lachse. Die Art des Fanges aber ist originell, denn sie werden mit besonders dazu abgerichteten kleinen Hunden gehetzt, die sie aus dem Schlamm herausholen, in dem sie sich zu gewissen Zeiten verkriechen.
Ich besorgte mir im Wirtshaus schnell einen Führer und Pony (ein kleines Gebirgspferd), und eilte, mich auf den Weg zu machen, immer noch hoffend, daß die drohenden Wolken sich nach Mittag verteilen würden. Leider aber geschah das Gegenteil – es wurde immer schwärzer und schwärzer und ehe ich noch eine halbe Stunde lang, vor meinem Pony, den der Führer am Zaume leitete, hinangeklettert war, hüllte schon ein dunkler Mantel Berge, Täler und uns ein, und ein derber Regen strömte auf uns herab, gegen den mein Schirm mich nicht lange schützte. Wir flüchteten endlich in die Ruine einer alten Burg, und nachdem ich mühsam eine verfallene Wendeltreppe erstiegen, gelangte ich auf den Überrest eines Söllers, wo ich unter Efeuranken ein gutes Obdach fand. Alles um mich her sah aber melancholisch aus. Die zerbröckelten Mauern, der Wind, der klagend durch sie hinrauschte, der monotone Fall des Regens, und die so unangenehm getäuschte Hoffnung stimmten mich ganz traurig – ich dachte seufzend, wie mir nichts, auch das Kleinste nicht, wie ich es wünsche, gelingt, wie alles, was ich unternehme, das Ansehen des Unzeitgemäßen und Sonderlingartigen annimmt, so daß ich überall wie hier, was andere bei Sonnenschein vollbringen, in Regen und Sturm durcharbeiten muß. Ungeduldig verließ ich das alte Gemäuer, und steuerte wieder bergan. Das Wetter wurde aber nun so fürchterlich, und der sich erhebende Sturm selbst so gefährlich, daß wir von neuem in einer elenden verfallenen Hütte Schutz suchen mußten. In dem räuchrigen Innern spann stillschweigend eine alte Frau, und einige halbnackte Kinder kauten, auf dem Boden liegend, an trocknen Brotrinden. Mein Eintreten schien von der ganzen Familie kaum bemerkt zu werden, wenigstens änderte es nichts in ihren Beschäftigungen. Einen Augenblick starrten mich die Kinder ohne Neugierde an, und fielen dann wieder in die Apathie des Elends zurück. Ich setzte mich auf den runden Tisch, das einzige Möbel im Hause, und gab ebenfalls meinen Gedanken Audienz, die nicht die erfreulichsten waren. Da indessen der Sturm immer ärger wütete, riet mir der Führer ernstlich umzukehren. Es wäre ohne Zweifel auch das Vernünftigste gewesen, um so mehr, da wir noch nicht den dritten Teil unseres Weges zurückgelegt hatten. Da ich mir aber schon früh vorgenommen, Deine Gesundheit, gute Julie, auf der Spitze des Snowdon in Champagner zu trinken, den ich zu diesem Behuf von Caernarfon mitgenommen, so schien es mir von übler Vorbedeutung, dies aufzugeben. Mit der Heiterkeit also, die ein fester Entschluß bei großen und kleinen Angelegenheiten immer gibt, sagte ich dem Führer lachend: »und wenn es statt Wasser Steine regnen sollte, ich drehe nicht eher um, bis ich Snowdons Gipfel gesehen«, und hiemit bestieg ich meinen Pony. Der armen Frau ließ ich ein Geschenk zurück, das sie jedoch nur mit geringer Teilnahme empfing. Der Weg war äußerst beschwerlich geworden, da er fortwährend über lose und glatte Steine, die der Regen abspülte, oder über sehr schlüpfrigen Rasen ging. Ich bewunderte, wie mein kleines tätiges Tier, nur mit glatten englischen Eisen ohne Griffe beschlagen, so sicher auf diesem Boden fortschritt.
Es wurde indes bald so schneidend kalt, daß ich, ganz durchnäßt, wie ich war, das Reiten nicht länger aushalten konnte. Ich bin jedoch auch das Klettern so wenig mehr gewohnt, daß mich einigemal die Mattigkeit fast übermannte, stets aber hörte ich dann, wie der Ritter in des weiland Spieß »Zwölf schlafenden Jungfrauen« die encouragierenden Glöckchen, ermahnend das Mä-Mä der Bergschnucken ertönen, die zu Hunderten hier auf den magern Grasflecken weiden. Ich unterließ dann nie, mich des lieben Schäfchens in der Heimat zu erinnern, und rüstig weiter zu schreiten, bis ich wirklich mich nach einer Stunde ganz erholt hatte, und frischer zu fühlen anfing, als beim Ausmarsch. Aussichten entschädigten mich nicht, denn von Wolken ganz umschleiert, konnte ich kaum 20 Schritt weit vor mich sehen, und in diesem geheimnisvollen clair-obscur erreichte ich auch den ersehnten Gipfel, zu dem man über einen schmalen Felsenkamm gelangt. Ein Steinhaufen, in dessen Mitte eine hölzerne Säule steht, ist als Wahrzeichen aufgerichtet. Ich glaubte hier der Erscheinung meines Doppelgängers zu begegnen, als ein junger Mann aus dem Nebel hervortrat, der mir selbst völlig glich, NB. wie ich aussah, als ich vor 16 Jahren in den Schweizer-Alpen umherirrte. Er trug, wie auch ich damals, ein leichtes Ränzchen auf dem Rücken, den Alpenstock in der Hand, und einen soliden, für Bergreisen klassischen Anzug, der allerdings einen so großen Kontrast mit meinen Londner Promenadestiefeln, steifer Halsbinde und engem frock-coat abgab, als seine Jugendfrische mit meinem, in der Stadt vergelbten, Gesichte. Er sah aus, wie der junge Natursohn, ich wie der ci-devant jeune homme. Er hatte von der andern Seite den Berg erstiegen, und frug mich nur ohne sich aufzuhalten, angelegentlich, wie weit der Gasthof, und wie der Weg beschaffen sei. Sobald ich ihm meine Nachrichten mitgeteilt, eilte er singend und trällernd die Felsen hinab, und entschwand bald meinen Blicken. Ich kritzelte unterdes meinen Namen, neben tausend andern, auf einen großen Stein, und ergriff dann das Kuhhorn, welches mir der Gastwirt als Trinkgeschirr mitgegeben hatte, und befahl meinem Führer, den Stöpsel der Champagnerflasche zu lösen. Sie mußte ungewöhnlich viel fixe Luft enthalten, denn der Pfropf flog höher, als die Säule unter der wir standen, und Du kannst daher, ohne Münchhausen etwas abzuborgen, mit gutem Gewissen versichern, daß, als ich am 17. Juli Deine Gesundheit trank, der Champagnerstöpsel gegen 4000 Fuß hoch über die Meeresfläche geflogen sei. Sowie das Kuhhorn überschäumend gefüllt war, rief ich mit Stentorstimme in die Dunkelheit hinein: »Hoch lebe Julie mit neunmal neun« (nach englischer Manier). Dreimal leerte ich darauf den animalischen Becher, und wahrlich, durstig und erschöpft, wie ich Ursach hatte zu sein, hat mir nie in meinem Leben Champagner besser geschmeckt. Nach vollendeter Libation aber betete ich von Herzen. Es waren nicht Worte – aber innige Gefühle, unter denen der Wunsch lebhaft hervortrat, daß es doch Gottes Wille sein möge, es Dir auf Erden gut ergehen zu lassen, und dann auch mir – if possible – und siehe! ein zierliches Lamm kam durch die Wolkenschleier herangeklettert, und die Nebel teilten sich, und vor uns lag, in zuckenden Sonnenblitzen, einen Moment lang klar die vergoldete Erde. Doch nur zu bald schloß sich der Vorhang wieder – ein Bild meines Schicksals! Das Schöne und Wünschenswerte, die vergoldete Erde erscheint nur zuweilen, gleich Irrlichtern vor mir; – sobald ich sie ergreifen will, verschwindet alles wie ein Traum.
Da nun keine Hoffnung mehr war, daß in den höchsten und allerhöchsten Regionen sich das Wetter heute bleibend aufklären würde, so mußten wir den Rückweg antreten. Ich fand mich jetzt so gestärkt, daß ich nicht nur keine Müdigkeit mehr spürte, sondern sogar das seit vielen Jahren nicht mehr gekannte Gefühl wieder empfand, wo das Gehen und Laufen, statt eine Mühe zu sein, an sich selbst ein elastisches Vergnügen gewährt. Ich sprang also, gleich meinem vorher begegneten Jünglingsbilde, die Felsen und nassen Binsenabhänge so schnell hinab, daß ich einen Teil des Weges, der mich herauf anderthalb Stunden gekostet hatte, in wenig Minuten zurücklegte. Hier trat ich auch endlich aus den umgebenden Wolken wieder hinaus, und, war schon die Aussicht weniger prachtvoll, als sie auf dem Gipfel sein mag, so gewährte sie dennoch einen großen Genuß. Ich mochte mich immer noch dritthalbtausend Fuß über dem Meere befinden, welches sich ohne Grenzen vor mir ausbreitete. In seinem Busen überschaute ich, wie auf einem Relief, die Insel Anglesey, und in den sich überall kreuzenden Schluchten des Gebürges in meiner Nähe, zählte ich gegen zwanzig kleinere Seen, manche dunkel, manche so hell von der Sonne beschienen, daß die Augen ihren Spiegelglanz kaum ertragen konnten. Unterdessen war der Führer auch herabgekommen, da ich aber das Terrain nun vollkommen gut allein beurteilen konnte, der Abend schön war, und ich noch keiner Müdigkeit Raum gab – so ließ ich ihn und sein verständiges Pferdchen auf der graden Straße allein zu Hause wandern, und beschloß mir meinen einsamen Rückweg über die schönsten Punkte selbst auszusuchen, et bien m'en pris – denn seit der Schweiz erinnere ich mich keines reizenderen Spazierganges. Ich folgte einem Felsenriß, längs des wilden Passes von Llanberis, berühmt aus den Kriegen der Engländer und Welschen, und wo die letzteren, unter ihrem großen Fürsten Llewellyn, oft den Untergang der fremden Eindringlinge, vielleicht von derselben Stelle, wo ich jetzt stand, betrachten konnten. Die jählingen Felsenwände, die an vielen Orten fast senkrecht nach dem Passe abfallen, sind eine gute Übung gegen den Schwindel. Ich erstieg nach und nach mehrere ziemlich bedenkliche Spitzen dieser Art, und fand in dem leichten Schauder, den die Gefahr einflößte, nur einen Genuß mehr. L'émotion du danger plaît à l'homme, sagt Frau von Staël. Ganz allein war ich übrigens nicht. Die erwähnten Bergschafe, weit kleiner als die gewöhnlichen, wild und behende wie Gemsen, schreckten oft vor mir nach Art der Rehe, und stürzten sich auf ihrer Flucht über Abhänge hinab, wo ihnen so leicht niemand folgen würde. Die Wolle dieser Tiere ist die gröbste, aber ihr Fleisch dagegen das zarteste und wohlschmeckendste, das es gibt. Auch legen die Londner Gourmands einen großen Wert darauf, und behaupten, daß, wer nicht Hammelfleisch vom Snowdon gegessen, gar keinen Begriff davon habe, welches Ideal ein Schöpsenbraten zu erreichen imstande sei.
Ein anderes Mal kam ich fast in Kollision mit einem großen Raubvogel, der, langsam mit ausgebreiteten Flügeln schwebend, den Blick so emsig nach der Tiefe gerichtet hatte, und so wenig darauf rechnen mochte, auf der unzugänglichen Felsenkuppe meine Bekanntschaft zu machen, daß er mich nicht eher bemerkte, bis ich ihn fast mit Händen greifen konnte. Jetzt schnellte er zwar, wie ein Pfeil, hinweg, verließ aber den Gegenstand seiner unterirdischen Forschungen keineswegs, und lange sah ich ihn noch, gleich einem Punkte, im blauen Aether schiffen, bis die Sonne hinter den hervorspringenden Bergen herabsank. Ich suchte nun in möglichst grader Linie zu der Hütte hinabzukommen, in der ich früher einen Augenblick verweilt hatte. Nicht weit davon melkte ein Mädchen ihre Kühe, deren frische Milch mir sehr willkommen war, und bei der ich auch meinen Führer wieder antraf. Dies machte ich mir dankbar zu Nutzen, um den Rest des Weges, in meinen Mantel gehüllt, auf dem sichern Pony recht wohltuend auszuruhen. Nachdem ich mich im Gasthof umgezogen, eine Vorsicht, die man bei Bergreisen nicht versäumen darf, schiffte ich mich von neuem auf den, jetzt vom Abendrot herrlich glühenden See ein. Die Luft war mild und lau geworden, Fische sprangen oft freudig in die Höhe, und Reiher umkreisten in zierlichen Bogen die Schilfgestade, während hie und da ein Feuer an den Bergen aufflackerte, und der dumpfe Donner gesprengter Felsen aus den entfernten Steinbrüchen herübertönte.
Lange stand schon des Mondes Sichel am dunkeln Himmel, als mich die schwarzgelockte Hebe wieder in Caemarfon empfing. –
Den 21sten
Ich war doch ein wenig von den letzten vierundzwanzig Stunden angegriffen, und begnügte mich daher heute mit einem Gange nach dem berühmten, hier liegenden Schlosse, welches von Eduard I., dem Eroberer von Wales, erbaut und von Cromwell zerstört, jetzt eine der schönsten Ruinen in England bildet. Das einzige, was ich dabei bedaure, ist, daß es so nahe an der Stadt und nicht einsam im Gebürge steht. Die äußern Mauern, obwohl verfallen, bilden doch noch eine ununterbrochene Linie, welche ohngefähr drei Morgen Landes umschließt. Der innere, mit Gras bewachsene, mit Schutt und Disteln jetzt gefüllte Raum ist nahe an 800 Schritt lang. Sieben Türme, schlank und fest gebaut, von verschiedener Form und Größe, umgeben ihn. Einer derselben ist noch zugänglich, und ich erstieg auf einer hinfälligen Treppe von 140 Stufen seine Plattform, wo man eine imposante Aussicht auf Meer, Gebürge und Stadt hat. Beim Hinabgehen zeigte man mir die Rudera eines gewölbten Zimmers, in welchem, der Tradition nach, Eduard II., der erste Prinz von Wales, geboren ward. Die Welschen hatten nämlich, eingedenk der Bedrückungen englischer Hauptleute, in früheren Zeiten partieller und momentaner Eroberungen, dem Könige fest erklärt, daß sie nur einem Statthalter, der ein Prinz ihrer eignen Nation sei, Folge leisten wollten. Sofort ließ Eduard, mitten im Winter, seine Gemahlin Eleanor herbeiholen, um heimlich ihre Niederkunft in Caernarfon Castle abzuwarten. Sie gebar einen Prinzen, worauf der König die Edlen und Vornehmsten des Landes zusammenberief, und sie feierlich frug: ob sie sich der Regierung eines jungen Prinzen unterwerfen wollten, der in Wales geboren sei, und kein Wort englisch sprechen könne? Als sie dies freudig und erstaunt bejahten, präsentierte er ihnen seinen eignen, eben gebornen Sohn, indem er in gebrochenem Welsch ausrief: »Eich Dyn«, d. h. dies ist Euer Mann! – welche Worte später in »Ich Dien« dem Motto des englischen Wappens, korrumpiert worden sind.
Über dem großen Haupttore steht noch Eduards steinernes Bild, mit der Krone auf dem Haupt, und einem gezückten Dolch in der Rechten, als wolle er nach sechs Jahrhunderten noch die Steintrümmer seines Schlosses bewachen. Über Entweihung hatte er auch heute mit Recht zu klagen, denn, inmitten der Ruine, machte auf dem grünen Platze ein Kamel, nebst Affen in rotem Tressenrocke, seine Kunststücke, und jubelnd stand eine zerlumpte Menge umher, sich des jämmerlichen Kontrastes nicht bewußt, den sie mit den ernsten Überresten der sie umgebenden Vergangenheit bildete.
Der Turm, in welchem der Prinz geboren ward, heißt der Eagletower (Adlerturm), aber nicht von ihm rührt diese Benennung her, sondern von vier kolossalen Adlern, welche die Spitze krönten, und von denen noch einer vorhanden ist. Man hält ihn für einen römischen, denn Caernarfon steht auf dem Grunde des alten Segontium, das... doch ich versteige mich zu weit, und war auf gutem Wege in den Ton eines Reisebeschreibers von Profession zu fallen, der ennuyieren zu dürfen glaubt, wenn er unterrichtet – obgleich er den Unterricht selbst, gewöhnlich erst durch mühsames Nachlesen der Lokalbücher erlangt. Je n'ai pas cette prétention, vous le savez, je laisse errer ma plume, unbekümmert, wo sie mich hinführt.
Der Marquis von Anglesey hat kürzlich hier ein Seebad angelegt, das von einer Dampfmaschine dirigiert wird, und sehr elegant eingerichtet ist. Ich benutzte es beim Rückweg vom Schlosse, und bemerkte in den Erholungszimmern ein Billard von Metall, auf Stein gesetzt. Akkurater kann man sich keines wünschen, ob die Dampfmaschine auch die Partien markiert, vergaß ich zu fragen. Unmöglich wäre es nicht in einem Lande, wo kürzlich jemand ganz im Ernste vorschlug, Dampfkellner in den Kaffeehäusern einzuführen, und wo es eben nicht viel anders hergehen würde, wenn eine Dampfmaschine mit 80 Pferde-Kraft auf dem Throne säße.
Liebe Julie, einem Reisenden muß es erlaubt sein, oft und viel vom Wetter und vom Essen zu sprechen! Haben doch die Romane des berühmten, einst Unbekannten, oder einst berühmten Unbekannten, einen nicht unansehnlichen Teil ihrer Reize den meisterhaften Schilderungen dieser Art zu danken. Wem läuft nicht das Wasser im Munde zusammen, wenn er Dalgetty, den Soldaten der Fortuna, essen sieht, und noch unbezwinglicher bei Tisch, als in der Schlacht findet? Es ist wirklich gar kein Scherz, wenn ich Dir versichere, daß ich, bei meinem reizbaren Nervensystem, wenn ich in Folge einer kleinen Indigestion den Appetit verloren hatte, oft nur zwei Stunden im Unbekannten zu lesen brauchte, um mich vollkommen wiederhergestellt zu fühlen. Heute bedurfte ich jedoch dieser Stimulanz in keiner Art. Es war hinlänglich, den vortrefflichen frischen Seefisch, nebst den berüchtigten mountain mutton (Berghammel) auf dem Tische dampfen zu sehen, um mit Heißhunger darüber herzufallen, denn ein Seebad und die Besteigung des Snowdon wirkt noch stärker als Walter Scott.
Mein schwarzes Mädchen, die mich, da ich heute der einzige Gast im Hause war, selbst bediente, wurde zuletzt ungeduldig, mich immer wieder auf besagten Hammel zurückkommen zu sehen, und äußerte mürrisch, ich täte nichts, als essen, wenn ich nicht herumliefe. Sie selbst war weit ätherischerer Natur, und hatte, seit ich hier bin, bereits meine portative Romanenbibliothek zur Hälfte ausgelesen; jedesmal, wenn ich sie wieder sah, präsentierte sie mir einen geistig verschlungenen Band, und bat so sehnsüchtig um einen andern, daß ich ein weniger weiches Herz hätte haben müssen, um es ihr abzuschlagen. Auf diese Weise begegnete sich unser beiderseitiger Appetit, der meine nach dem realen, der ihrige nach dem idealen, auf die unschuldigste Weise.
Den 22sten
Von Bangor hat man mir heute ein großes Paket nachgeschickt, in dem ich vergebens Nachrichten von Dir suchte, aber herzlich über einen Brief von L... lachen mußte, der mir in Verzweiflung schreibt, wie übel es ihm ergangen sei. Er hat nämlich, wie er meldet, seine Betrachtungen, deren Anfang ich Dir mitteilte, in Fragmenten drucken lassen, und eine gewisse Partei, die sich zu wund fühlt, um nicht übersuszeptibel zu sein, y a entendu malice. Sie hat sogleich in der Lamms-Zeitung einen wütenden Artikel gegen ihn einrücken lassen, und der arme L..., der seine Leute kennt, fürchtet jetzt offenbar beim Examen durchzufallen. Da die gegen ihn gerichtete Philippika nicht lang ist, und überdem die Zeit gut charakterisiert, ich auch heute Ruhetag habe, so schreibe ich Dir, mit einigen Abkürzungen, die Hauptsache ab:
Über die Betrachtungen einer gemütlichen Seele aus Sandomir. Eine Rede vom Herrn von Frömmel, Adjutanten Seiner Durchlaucht des Fürsten von ... Gesprochen im adligen frommen Konventikel beiderlei Geschlechts zu A... Heilige Geiststraße Nr. 33 am 4ten Mai 1828; und hier besonders abgedruckt aus den Sammlungen für echte Christen.
Hoch- und Hochwohlgeborne, fromme Brüder
und Schwestern!
Mit Recht sagt unser Heiland: Es gibt viel Wölfe in Schafspelzen! Ein solcher ist aber Träger vorliegenden Schafpelzes, der ungenannte Verfasser der Betrachtungen etc. sonder allen Zweifel. Es ist nicht schwer zu entziffern, daß unter der Maske von Frömmigkeit und einer fast an Albernheit grenzenden Simplizität hier mit höhnischem Spott dieselbe verderbende Schlange zischt, welche einst unsere fromme Mutter Eva verführte, und seitdem unsere heilige Religion unablässig mit ihrem Geifer bespritzt, nur sinnend, wie sie Thron und Kirche untergrabe. Wir jedoch wollen unsrer (allerdings leider etwas zu leichtgläubigen) Stammutter nicht gleichen, sondern Satelliten des Teufels mit Feuer und Schwert ausrotten, wo wir sie finden. Ja, meine Freunde und Ihr meine Freundinnen, Ihr wißt es – der Teufel ist und lebt nicht wie die ungläubige Rotte sagt: in uns, als Teufel der Leidenschaften, der Eitelkeit, des Hasses, der Sünde – nein, persönlich schleicht er herum auf der Erde, wie ein brüllender Löwe, mit Bockshorn und Pferdeschweif, und pestilenzialischem Gestank, wo er sich zu erkennen gibt – wer nicht so an den Teufel glaubt, glaubt auch nicht an Jesus...Wer dennoch daran zweifeln sollte, dem können wir auf Treu und Glauben versichern, dem bösen Feinde selbst schon so begegnet zu sein, ja einem der verdienstvollsten Mitglieder unserer heiligen Gesellschaft, einer hohen Dame, die wir hier nur mit dem Namen Sexaginta bezeichnen wollen, erschien er auf noch weit schändlichere Weise. Sie stand damals auch schon einem frommen Konventikel vor, gemeinschaftlich mit dem würdigen Hrn. Lieutenant Grafen von N... und hatte es eben mit siegender Rede durchgesetzt, daß die Gemeinde sich einstimmig verpflichtete, nie heidnische Kunstausdrücke, als z. B. der Gott Amor und die Göttin Venus zu gebrauchen, sondern, wo der Gegenstand nicht ganz zu umgehen sei, doch jener unreinen Dämonen, eingedenk unser christlichen Pflicht, nur als des Götzen Amor, der Götzin Venus u.s.w. zu erwähnen. Dies mochte Satan auf die empfindlichste Stelle getroffen haben. Racheschnaubend suchte er nun die Taube zu verderben, und erschien ihr zuerst, mit verruchter List, in der Gestalt des Herrn Lieutenants selbst, mit gleißnerischen Worten suchend sie zu betören – doch die Frömmigkeit siegte, und bald mußte er sich decouvrieren in aller seiner Schmach. So triumphieren zuletzt immer die Gerechten! Sexaginta aber wußte seitdem, daß es Dinge gibt, von denen sich manche unsrer sogenannten Weisen nichts träumen lassen, und könnte, frommer als der Dichter, ausrufen: »Der Teufel, er ist kein leerer Wahn!« Anm. des Redakteurs der Lamms-Zeitung. ; doch warum ereifere ich mich, hier ist ja kein Vernünftler, hier kein Verständiger der Welt, hier sind wir ja alle nur einfältige Christuslämmer, eine Herde und ein Hirt.
Doch ist Warnung stets vonnöten, und drum rufe ich heute Alarm! Wir haben bis jetzt zwar nur Bruchstücke jener giftigen Betrachtungen erhalten, und wissen noch nicht ganz, wo der Verfasser eigentlich damit hinaus will, aber auf uns ist es gemünzt, daran bleibt kein Zweifel, und gottlob! finden wir ja auch schon in dem Vorhandenen genug, ihn als Gottlosen anzuklagen! Ist es nicht offenbar, daß er frevelnd der Vorsicht und ihrer Allmacht spottet?
Wir hoffen, wir bitten daher gläubig und inbrünstig, daß diese Allmacht auch ihre Rache selbst übernehmen, und jener gemütlichen Seele schon hier einen Vorschmack von dem geben möge, was sie ohnfehlbar einst in den ewigen Flammen erwartet! Und der alliebende Gott tue dies bald und schrecklich, damit kein reines Schaf unsrer Herde vorher noch verführt werde von diesem Unreinen, und selbst schmählich zu Falle komme. Gewiß, Freunde und Freundinnen, ein Feind, ein Vampir, ein Atheist schrieb diese Worte. Nichts ist ihm heilig, und nicht allein die ewige Vorsicht, ja selbst unsern Heiland greift der Frevler mit verfänglichen Ausdrücken an! der Verruchte!
Das süße Lamm für ihn gestorben Rührt sein verstocktes Herze nicht! Drum mit der Seele die verdorben O Herr! halt' schleunig Strafgericht!Altes Gesangbuch. |
O, meine Brüder und Schwestern! schrecklich wird – wir rechnen mit Zuversicht darauf, – das Los eines solchen am jüngsten Tage sein, wenn die Leiber auferstehen, und sein irdisches Ohr zum erstenmal wieder hört, um den Donner der Posaunen zu vernehmen, die ihm ewige Verdammnis ankündigen. Da ist kein Erbarmen! Da wird sein Heulen und Zähneklappern! Aber hieran sollen wir uns ein Beispiel nehmen, auch unerbittlich sein wie jenes Strafgericht!
Wir glauben kaum, daß nach allen unsern christlichen Bemühungen, in unsrer so wahrhaft, ich sage es mit Stolz, wahrhaft christlichen Stadt, wo alles angewendet wird, das Gift der Toleranz und des verruchten Selbstdenkens zu vernichten – denn wie kann der elende Wurm, Mensch genannt, seine Gedanken an das Göttliche legen wollen, seine Vernunft, die er ja nur von Gott hat, Gottes eigner, spezieller Offenbarung entgegenstellen wollen? Der Unsinn ist zu offenbar! – ich sage, wir hätten kaum geglaubt, daß es auch bei uns noch solche Menschen geben könnte, die es wagen, unbekümmert um fremde Autorität, bei Erforschung der Wahrheit ihren eignen Weg zu gehen, Freidenker und Heiden, die aber nur wieder auftauchen, weil die Behörden (selbst unsre sonst doch tätige Zensur an der Spitze) noch viel zu nachsichtig gegen das größte aller Verbrechen, religiösen Unglauben, sind. Eine moderate Inquisition wäre vielleicht deshalb wohltätig mit dem neuen Gebetbuch einzuführen gewesen, um die Rechtgläubigen zu beschützen, diese wahren Christen, diese einzigen bevorrechteten Lieblinge Gottes, die unbedenklich glauben, was Fürst und Kirche befiehlt, ohne zu klügeln noch zu deuten. Nur solche auch können für Staat und Kirche wahren Wert haben, hinweg mit allen übrigen! Sie seien verdammt, wie alle ungetauften Kinder der Juden und Heiden. – O könnten wir für immer aus unsern Annalen jene schamlose Zeit ausmerzen, wo ein Philosoph (und nicht einmal ein Ideologe, sondern ein praktischer) auf einem deutschen Throne saß, und – Christen, werdet ihr einst es glauben – den Namen des Großen erhielt! Das Mildeste was wir jetzt, zum Gnadenreiche der Frömmigkeit unter blutigen Tränen zurückgekehrt, über ihn zu sagen vermögen, ist: Gott sei seiner armen Seele gnädig! Lange werden aber die Frommen und ihre heilige Legion noch kämpfen müssen, ehe die Saat, die dieser große!!! Mann gesäet, gänzlich zertreten, ehe die letzte Spur jener elenden Vernunft, der er huldigte, gänzlich ausgerottet sein wird. Doch verzweifelt deshalb nicht, meine Brüder in Christo; einem so edlen Eifer als dem unsrigen ist nichts unmöglich, und weltlicher Lohn erwartet Euch in vielfacher Gestalt schon jetzt, von den erhabnen Quellen, an denen wir selbst täglich schöpfen – einst aber noch größere Glorie im Palast des Herrn. Nur hütet Euch vor dem Vernünfteln in jeder Gestalt, glaubet – nicht nach eigner Forschung – sondern wie es Euch vorgeschrieben ist, und vor allem hütet Euch vor Duldung! Liebet Euern Heiland, nicht nur über alles, sondern auch einzig und allein. Wer aber nicht für ihn ist, ist wider ihn, und mit einem solchen habt kein Erbarmen. Ihn verfolgt rastlos, kann es nicht offen geschehen, so untergrabt ihn mit böser Nachrede, heimlicher Verleumdung, ja scheut die gröbsten Lügen nicht, vorausgesetzt, daß ihr sie sicher und im Verborgnen ausbreiten könnt, denn hier heiligt der Zweck alle Mittel. – Ach! wären wir doch stets in der wahren Kommunion-Stimmung, um nimmer in unserm Eifer zu erkalten! Nur weil sie weder warm noch kalt sind, haben jene Philosophen die Toleranz – diese Tugend der Heiden – gepredigt. Wir haben gesehen, wohin sie uns gebracht, als der wahnsinnige Freiheitsschwindel die Kanaille ergriff, und allgemeine Anarchie die Throne, die Kirche, unsern alten Adel, und alles Ehrwürdige über den Haufen zu werfen drohte – darum fort mit jedem Gedanken an verderbliche Duldung gegen Andersdenkende. Christus sagt zwar selbst: Segnet, die Euch fluchen, und weiter: wenn ihr einen Backenstreich auf die eine Backe erhaltet, so reicht die andere hin – doch hierüber habe ich meine eignen Gedanken. – Stellen dieser Art müssen durchaus anders zu verstehen sein, denn wie wären sie mit den unerläßlichsten Gesetzen unsres Standes zu vereinigen? Gebietet uns nicht die Ehre unsres Standes, und unsrer Uniform, einen Menschen, der es wagen sollte, sich tätlich an uns zu vergreifen, sofort und ohne Zaudern niederzustechen – ja, ich weiß nicht, ob ich selbst, der Liebling des Prinzen, mich nach einer öffentlich erhaltnen Ohrfeige bei Hofe und allerhöchsten Orts blicken lassen dürfte? Höchstwahrscheinlich daher meinte unser Heiland diese Vorschrift auch nur mit Einschränkung – mit einem Wort, für das gemeine Volk, bei dem es auch gewiß verdienstlich ist, wenn es auf eine Backe geohrfeigt, statt der Erbitterung Raum zu geben, sofort die andere hinreicht. Man bedenke übrigens, daß Christus selbst, bei seiner Menschwerdung, nicht nur ein adeliches, sondern sogar ein königliches Geschlecht sich aussuchte. Wer beweist uns auch, daß die Jünger wirklich so gemeiner Extraktion waren, als man sich vorstellt, und nicht ebenfalls vielleicht alte, bloß herabgekommene, jüdische Edelleute gewesen sein können? Die Sache ist ja ohnedem in so manches historische Dunkel gehüllt – und sagt nicht Christus auch andern Orts: Meine Sendung ist nicht um Frieden sondern das Schwert zu bringen! Diese beiden Reden würden sich ja zu widersprechen scheinen, wenn man nicht annähme, daß einer Klasse nur die Duldung, der andern aber der Kampf vorgeschrieben sei! Ist aber dies eben nicht die uralte Bestimmung des Adels? Ehemals mit den Waffen, heutzutag mit Wort und Feder! Darum also kämpfet, meine Brüder und Schwestern, gegen die Gottlosen! Gürtet das Schwert der Zeiten um, und streitet für den Heiland, mit Bibel und Jakob Böhme, mit Kammerherrnschlüssel und Hofmarschallsstab, mit Gebetbuch und Unterrock. Glaubt mir, meine teuren Genossen, schon ernten wir die Früchte unsers heiligen Eifers, schon fangen wir an, auf ehernem Boden zu stehen! Immer mehr beugt man sich vor unserm heimlichen Einfluß, und unser festes Zusammenhalten, die reiche Unterstützung, die wir den unsrigen zufließen lassen, wenn ihre Arbeit im Weinberge des Herrn es verdient, manche Gunst von oben, deren Verteiler wir sind, vor allem aber die unerbittliche Frömmigkeit, die man an uns kennt – halten selbst die Kühneren in Schranken, und legen die Furchtsamen haufenweise zu unsern Füßen.
Wo aber dennoch ein Antichrist uns anzutasten wagt, und jeder, der dieses tut, ist ein solcher, da – ich rufe es Euch nochmals zu – da wachet, da kämpfst, vernichtet, und ruhet nicht eher, bis Euer Schlachtopfer gefallen sei. Es ist ja alles doch nur um der Liebe willen, der letzte Versuch an einem armen Verirrten, um ihn Jesum Christum womöglich noch erkennen zu lehren. Amen!
Der adeligen Gemeinde in Christo ist es vielleicht angenehm, und ihre Herzen rührend, wenn ich ihnen in hochgeehrtem Auftrage hiermit melde, daß wir in diesem laufenden Monat abermals so glücklich gewesen sind, 7½ verdammte Seelen zu dem allein seligmachenden Glauben hinzuführen, was uns im Ganzen, nicht mehr als 100 Rthlr. bar, und drei Anstellungen gekostet hat. Da wir weltliche Rechnungen über dieses Geschäft ablegen, so ist der Kürze wegen beliebt worden, Kinder unter 12 Jahren als halbe Seelen aufzuführenDieser Gebrauch, Seelen zu teilen, der Triumph politischer Chemie, entstand, glaube ich, auf dem Wiener Kongreß, wo der König von D... k einem berühmten Diplomaten, der ihm versicherte, »que S. M. avait gagné tous les cœurs« so richtig antwortete: »Oui, mais pas une âme! pas même la moitié d'une âme.« A.d.H. . Und so segne denn der Himmel ferner unser frommes Bemühen, und den uneigennützigen Eifer, mit dem die Neubekehrten in Jesu Schoß eingezogen sind. Amen!
Noch kündige ich an, daß nächsten Sonntag abends, wiederum um 8 Uhr, in demselben Lokal bei Fräulein S..., Versammlung bei verschlossenen Türen und im Dunkeln gehalten werden wird, um, durch keine äußern Gegenstände zerstreut, den heiligen, süß durchschauernden Gefühlen hingebender Liebe, gänzlich freien Lauf lassen zu können. Wir hoffen auf eine reichliche Gemeinde, besonders auch von Seiten des zarteren Geschlechts, dem unser Konventikel ohnehin bereits so viel verdankt!...
So weit war ich in der Lektüre gekommen, als die kleine Elisa mit meinem Frühstück erschien, und mir, nach dem langen Schlafen, wie sie sagte, einen schalkhaft freundlichen guten Morgen bot. Sie kam aus der Kirche – war sich einer hübschen Toilette bewußt – und hatte es mit einem Fremden zu tun – alles Dinge, die Weiber sehr weich stimmen. Sie schien daher fast betreten, als ich ihr meine Abreise auf morgen früh ankündigte, tröstete sich jedoch, sobald ich ihr meine Bibliothek zurückzulassen, und in einer Woche noch einmal so viel Bücher selbst mitzubringen versprach.
Nachmittag besah ich, von ihr geführt, die Stadt-Promenaden, von denen die eine, sehr romantisch, auf einem großen Felsen angelegt ist. Wir sahen von hier aus den Snowdon in fast durchsichtiger Klarheit, ohne daß nur ein Wölkchen seine Reinheit getrübt hätte, und ich konnte nicht umhin, mich ein wenig zu ärgern, so ganz den rechten Tag bei ihm verfehlt zu haben.
Nach diesen idyllischen Spaziergängen beschloß wieder tender moutton den Tag, von dem ich bedaure, Dir nichts Interessanteres melden zu können. Doch fällt mir eben noch eine ziemlich seltsame Anekdote bei, die mir der Wirt heute erzählte. Am 5ten August des Jahres 1820 verunglückte die hiesige Fähre bei Nacht, und von 26 Personen ward nur ein Mann gerettet. Grade 37 Jahre vorher hatte die Fähre dasselbe Schicksal, wobei von 69 Personen ebenfalls nur ein Mann mit dem Leben davonkam. Ein höchst sonderbares Zusammentreffen ist es aber, daß bei beiden Fällen der Name der einzelnen geretteten Person, Hugh Williams war.
Bangor, den 22sten
Auch Bangor ist ein Badeort, d. h. es steht jedem frei, daselbst ins Meer zu springen. Die künstlichen Anstalten aber sind bloß auf die Privatwanne einer alten Frau reduziert, welche in einer elenden Hütte am Ufer wohnt, und, wenn die Bestellung eine Stunde vorher gemacht wird, Seewasser auf ihrem Herde in Töpfen wärmt, beim Baden selbst aber sans façon den Fremden auszieht, abtrocknet und wiederum anzieht, wenn er keinen eignen Diener zu diesem Behuf mitbringt. Nachdem ich, zufällig eintretend, ein solches Bad, pour la rareté du fait, genommen, mietete ich eine kleine Gondel, um mich über den Meeresarm, welcher Anglesey und Wales trennt, nach Beaumaris schiffen zu lassen. Hier befindet sich ein andres von Eduard I. erbautes und von Cromwell zerstörtes Schloß, das einst noch größer als das in Caernarfon war (denn es bedeckt noch jetzt 5 Morgen Landes), aber als Ruine weniger pittoresk erscheint, da es alle seine Türme verloren hat. Um es genau zu besehen, muß man auf den schmalen, und sehr hohen, verfallenen Mauern entlang gehen, die durch nichts geschützt sind. Der Knabe mit den Schlüsseln lief zwar wie ein Eichhörnchen darauf hin, der Barbier aus der Stadt aber, der sich mir beim Debarkieren als Führer angeboten, und mich bis hieher gebracht hatte, ließ mich nach den ersten Schritten im Stich. Diese Ruine liegt in dem Park des Herrn Bulkeley, welcher sehr unpassend ein tennis-court (Ballspiel) darin angelegt hat. Von seinem Wohnhause hat man eine sehr gerühmte Aussicht, die jedoch von einer andern, welche man anderthalb Stunden weiter, bei einer einfachen aber zierlichen cottage, Craig-y-don genannt, antrifft, weit überboten wird. Diese letztere Besitzung ist ein wahres Juwel, einer von den wenigen gesegneten Örtern, die fast nichts mehr zu wünschen übrig lassen. Sie liegt zwischen dicht bebuschten Felsen, hart am Meer. Nicht zu groß, aber gleich einem boudoir aufgeputzt, mit dem frischesten Rasen und dem Blumenschmelz aller Farben umgeben, das ganze Haus mit seinem Strohdach und Veranda von rankenden Monatsrosen und blauen Winden überzogen – bildet sie so, zwischen Wald und Felsen hervorlauschend einen unbeschreiblich lieblichen Kontrast mit der erhabenen Gegend. Labyrinthische Fußwege winden sich nach allen Richtungen durch das dunkle und kühle Gebüsch, mannigfach den großen Aussichtsschatz teilend, welchen die glücklichste Lage darbietet. Denn unter und vor Dir hast Du den tief blau gefärbten Meeresarm, dessen Brandung schäumend an den spitzen Felsen nagt, auf welchen Du stehst, während weiter hin auf dem ebnen Spiegel hundert Fischerbarken und Schiffe durcheinander wimmeln, unter denen Du, besonders hervorstechend, den vor Anker liegenden Kutter des Besitzers, und zwei Dampfboote gewahr wirst, von denen das eine in weiter Ferne, mit einer ausgebreiteten schwarzen Wolke segelt, das zweite, ganz nahe, nur eine schmale weiße Säule gerade empor in die Luft haucht. Auf der rechten Seite siehst Du eine tiefe Bucht sich in das Land hineinziehen, die einen Archipel von kleinen Inseln aller Art und Formen bildet; manche belaubt, andere kahl und glatt von den Wellen geschliffen, einige mit Hütten bebaut, andere wie spitzige Türme hervorragend. Wendest Du nun Dein Auge wieder zurück zum Meeresarm, diesen auf derselben Seite weiter verfolgend, wie er sich allmählich verengt, so erblickst Du mit Staunen die Aussicht durch eine stupende Kettenbrücke geschlossen, jenes Riesenwerk, das man mit Recht das achte Wunder der Welt nennt, und welches, der Natur Trotz bietend, zwei von ihr durch Meeresfluten getrennte Länder wieder vereinigt hat. Ich werde gleich Gelegenheit haben, sie Dir näher zu beschreiben, von hier sieht sie aus, als sei sie von Spinnen in die Luft gewebt. Hast Du bei diesem abenteuerlichen Anblick menschlichen Wirkens eine Zeitlang verweilt, so stellt sich, Dir gegenüber, eins der mannichfaltigsten und größten Schauspiele der Natur dar – die ganze Kette des Gebürges von Wales, das hier unmittelbar aus dem Wasser emporsteigt – hell und nahe genug, um Wälder, Dörfer und Schluchten deutlich zu unterscheiden, und in einer Länge von zehn deutschen Meilen sich ausbreitet. – In allen Schattierungen gruppieren sich die Berge, manche sind noch von Wolken bedeckt, manche glänzen frei in der Sonne, andere strecken blaue Hörner noch über die Wolken hervor, und Dörfer, Städte, weiße Kirchen, schmucke Landhäuser und Schlösser werden in den Falten der Abhänge sichtbar, während blinkende Streiflichter auf den grünen Matten spielen. Der Ruhe bedürftig wendest Du Dich endlich dem Norden, der Dir links liegt, zu. Hier zerstreut Dich nichts mehr. Der weite Ozean allein fließt da mit dem Himmel zusammen. Nur kurze Zeit verfolgst Du noch seitwärts die zurückweichenden, waldigen Ufer von Anglesey, wo hohe Nußbäume und Eichen mit ihren weiten Ästen über das Meer hinhängen, dann bist Du mit Himmel und Wasser allein, höchstens glaubst Du in neblicher Ferne die Segel eines Dreideckers zu unterscheiden, oder ein Wolkenbild malt Dir phantastische Gestalten vor.
Nach einer genußreich hier verlebten Stunde ritt ich, meinen in Beaumaris gemieteten Klepper nach Kräften anstrengend, der großen Brücke zu. Der beste Gesichtspunkt ist unten auf dem Sandgestade, bei einigen Fischerhütten, ohngefähr 100 Schritte von ihr entfernt. Je mehr, je genauer man sie betrachtet, je mehr staunt man, und glaubt zuweilen das Ganze nur im Traume zu sehen, aus Filigranarbeit von einer Fee in die Luft gehangen, ja die Phantasie erschöpft sich nicht an Bildern; und als jetzt eine Diligence mit vier Pferden rasch über den 100 Fuß hohen und 600 Fuß weit gespannten Bogen fuhr, halb von dem Kettengewebe verborgen, an dem die Brücke hängt, so schienen es eben nur einige im Netze flatternde Lerchen zu sein. Nicht anders sahen die Menschen aus, welche überall in den Ketten saßen, die jetzt zum erstenmal ihren neuen Ölanstrich erhielten, denn das ganze Werk wurde erst kürzlich vollendet. Wer das Berliner Schloß kennt, dem wird es einen anschaulichen Begriff von den enormen Dimensionen dieser Brücke geben, wenn er hört, daß dieses bequem unter dem Hauptbogen zwischen dem Wasser und dem Belag stehen könnte, und doch halten die Ketten den letztern so fest, daß man auch bei dem schnellsten Fahren, welches keineswegs verboten ist, und bei der schwersten Last, keine Bebung wahrnimmt. Die Brücke ist oben in drei Wege geteilt, der eine für das Hin- der andere für das Zurückfahren, die Mitte für die Fußgänger. Die Bohlen ruhen auf einem eisernen Gitter, so daß sie leicht, wenn schadhaft, abgenommen und ersetzt werden, nie aber durch ihr Brechen eine Gefahr besorgen lassen können. Alle drei Jahre erhält sämtliches Eisen einen neuen Ölanstrich, um den Rost zu verhindern. Der Baumeister, der sich hier einen langen Ruhm gegründet haben wird, heißt Telford.
Sur ce, n'ayant plus rien à dire, schließe ich meinen Bericht, und wünsche Dir, meine teure Julie, alles Glück und Segen, dessen Du wert bist, et c'est beaucoup dire.
Immer Dein treuster L...