Hermann Fürst von Pückler-Muskau
Briefe eines Verstorbenen
Hermann Fürst von Pückler-Muskau

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Dreißigster Brief

Dublin, den 29sten August 1828

Liebe und Gute!

Die vergangenen Tage brachte ich mit Schmerzen und Fieber im Bette zu, heute erst kann ich Deine Briefe beantworten. Des geistvollen V... Schreiben hat mir freilich geschmeichelt, obgleich der Enthusiasmus, den ihm meine kleinen Schöpfungen eingeflößt, nur in seiner dichterischen Seele entstanden ist, die sich mit der Phantasie schon ein Ideal als wirklich hinmalte, was erst entstehen soll. Verlange aber meine Rückkunft nicht, bevor sie möglich ist, und glaube mir: wo man nicht ist, da wird man gewöhnlich hingewünscht, ist man aber da, so ist man bald dennoch vielen zu viel.

Ich ritt heute zum erstenmal wieder aus, um mir die Messe in Donnybrook, nahe bei Dublin, zu besehen, welche als eine Art Volksfest betrachtet wird. Nichts in der Tat kann nationaler sein! Die Armseligkeit, der Schmutz und der tobende Lärm waren überall ebenso groß, als die Freude und Lustigkeit, mit der die wohlfeilsten Vergnügungen genossen wurden. Ich sah Speisen und Getränke unter Jubel verschlingen, die mich zwangen, schnell hinweg zu blicken, um meines Ekels Herr zu werden. Hitze und Staub, Gedränge und Gestank, il faut le dire, machten den Aufenthalt für längere Zeit fast unerträglich. Dies focht aber die Eingebornen nicht an. Viele hundert Zelte waren aufgeschlagen, alle zerlumpt wie der größte Teil der Menschen, und statt Fahnen, nur mit bunten Lappen behangen. Manche begnügten sich mit einem bloßen Kreuz, oder Reifen; einer hatte sogar, als Wahrzeichen, eine tote, halb verfaulte Katze oben darauf gestellt! Die niedrigste Sorte von Possenreißern trieben dazwischen, auf Brettertheatern und in abgetragener Flitterkleidung, ihr saures Handwerk, bis zur Erschöpfung in der furchtbaren Hitze tanzend und grimassierend. Ein Dritteil des Publikums lag, oder taumelte betrunken umher, die andern aßen, schrien oder kämpften. Die Weiber ritten häufig, zu zwei bis drei auf einen Esel sitzend, umher, bahnten sich mit Mühe ihren Weg durch die foule, rauchten dabei behaglich Zigarren und agacierten ihre Liebhaber. Am lächerlichsten nahmen sich zwei Bettler zu Pferde aus, derengleichen ich bloß am Rio de la Plata einheimisch glaubte. Das Pferd, auf dem sie ohne Sattel saßen, und das sie mit einem Bindfaden regierten, schien durch seine elende Gestalt für sie mitbetteln zu wollen.

Als ich den Markt verließ, nahm ein stark betrunknes Liebespaar denselben Weg. Es ergötzte mich, ihr Benehmen zu beobachten. Beide waren grundhäßlich, behandelten sich jedoch mit großer Zärtlichkeit und vielen égards, der Liebhaber deployierte sogar etwas Chevalereskes. Nichts konnte galanter und zugleich verdienstlicher sein, als seine wiederholten Bemühungen, die Schöne vor dem Falle zu bewahren, obgleich er seine eigene Balance zu behaupten nicht wenig Schwierigkeit fand. Aus seinen graziösen Demonstrationen und ihrem frohen Gelächter, konnte ich entnehmen, daß er sich zugleich nach Kräften bemühte, sie gut zu unterhalten, und was ihre Antworten betraf, so wurden diese, ohngeachtet der exaltierten Stimmung, mit einer Koketterie, und innigen Vertraulichkeit gegeben, die einer Hübscheren gewiß allerliebst angestanden haben würden. Der Wahrheit zu Ehren, muß ich zugleich bezeugen, daß von englischer Brutalität keine Spur in ihrem Benehmen zu entdecken war – eher glichen sie Franzosen, zeigten aber bei ebensoviel Lustigkeit mehr Humor und Gutmütigkeit, welche beide wahre Nationalzüge der Irländer sind, die durch Potheen (der beste, aber auf illicite Weise gefertigte, Branntwein) stets verdoppelt werden.

Tadle mich nicht über die gemeinen Bilder, die ich Dir vorführe. Sie sind der Natur näher verwandt als die übertünchten Wachspuppen unsrer Salons.


Bray, den 30sten

Um den Park von Powerscourt zu sehen, den mir neulich der Sonntag verschloß, bin ich heute hierher zurückgekehrt. Nicht leicht wird die Natur größere Hilfsquellen vereinigen, als sie hier mit freigebiger Hand gespendet, und ihre Gaben sind mit Verstand benutzt worden.

Die erste Hauptpartie heißt der Dargle, eine sehr tiefe und enge Schlucht, die mit hohen Bäumen bewachsen ist. Im Grunde rauscht ein voller und reißender Fluß. Der Weg führt oben an der rechten Seite hin, und von hier taucht der Blick tief in die grünen Abgründe, aus denen manchmal das Wasser plötzlich hervorglänzt, oder eine kühne Felsengruppe hervortritt. Drei größere Berge ragen über die Schlucht empor, und scheinen, obgleich ziemlich weit entfernt, in unmittelbarer Nähe, da man ihren Fuß nicht sieht. Sie waren heute abend von der, ganz italienischen, Sonne tief rosenrot gefärbt, und kontrastierten prächtig mit dem Saftgrün der Eichen.

Später öffnet sich, bei einer Felsenzinne, The Lover's Leap (des Liebenden Sprung) genannt, die Schlucht, in mehrere Täler, welche durch verschiedene niedrige Hügelreihen gebildet werden, in einiger Entfernung aber von den höchsten Bergen der Gegend umschlossen sind. In der Mitte dieser Landschaft erscheint, auf einem sanften Abhange, und am Saume des Waldes, das Schloß, mit Blumenanlagen zierlich umgeben. Von hier bis zu dem großen Wasserfall, führt der Weg, 5 Meilen lang, durch stets wechselnde Ansichten, die mehr dem freien Lande als einem Parke gleichen. Endlich erreicht man einen Wald, und hört schon von weitem das Rauschen des Falles, ehe man ihn noch sieht. Er ist nur nach vorhergegangenem Regenwetter bedeutend, aber dann auch herrlich. Die hohen Felsenwände sind an beiden Seiten dicht mit Gebüsch bewachsen, durch deren buntes Laub er sich hervorstürzt, und sein Becken umgibt eine duftende Wiese. An diese schließen sich alte ehrwürdige Eichen an, unter deren Schatten man ein, dem Charakter der Gegend angemessenes, Haus aufgeführt hat, wo man Erfrischungen erhält, daher es auch zum gewöhnlichen Ziel der hieher gemachten Landpartien dient. Grüne Fußsteige führen nun von hier noch weiter in die Wildnis des Gebürges, da es aber schon dunkel war, mußte ich auf den Rückweg denken. Herwärts hatte ich die weite Strecke größtenteils im Galopp zurückgelegt, und um mich nicht unnütz aufzuhalten, den zwölfjährigen zerlumpten Knaben, der mich führte, hinter mir auf's Pferd genommen, unbekümmert um die Verwunderung der Vorübergehenden, die nicht wußten, was sie aus dieser seltsamen Kavalkade machen sollten. In der Nacht konnte ich dagegen nur langsam auf dem steinigen Wege reiten, bis der Mond orangenfarben über den Bergen heraufstieg, und sich in den Nachtnebeln, wie eine große Papierlaterne, zu schaukeln schien. Um 11 Uhr erst gelangte ich, ermüdet und hungrig, im gastlichen Hause zu Bray wieder an.


Den 31sten

Der ländliche Aufenthalt hier ist so angenehm, daß ich den heutigen Sonntag noch daselbst verbrachte. Dieses Gasthofleben gibt zur Beobachtung der mittlern Klassen gute Gelegenheit, da jeder sich hier gibt, wie er ist, und sozusagen, allein zu sein glaubt. Ich habe schon erwähnt, daß die Engländer dieser Klassen (ich fasse unter dem Namen hier die englisch gebildeten Einwohner aller drei Königreiche zusammen) auf Reisen, im gemeinschaftlichen Gastzimmer, coffee-room genannt, ihren Tag zuzubringen pflegen, wenn sie sich nicht außerhalb des Hauses befinden. Abends wird dieser coffee-room mit Lampen erleuchtet, und nur auf Verlangen, den an einzelnen kleinen Tischen sitzenden Herren besondere Lichter gebracht. Es hat mich oft gewundert, daß in einem Lande, wo Luxus und raffinierte Lebensbedürfnisse so allgemein sind, dennoch, selbst in den ersten Gasthäusern der Provinz (auch in London größtenteils), überall Talglichter gebrannt werden. Wachskerzen sind ein extraordinärer Luxus, und wer sie verlangt, wird zwar mit verdoppelter Höflichkeit behandelt, ihm aber auch durchgehende mit doppelter Kreide angeschrieben.

Es hat etwas Belustigendes, die große Einförmigkeit zu betrachten, mit der sich alle, wie aus einer Fabrik hervorgegangen, betragen, was besonders bei ihrem Essen sichtbar wird. An einzelnen Tischen plaziert, keiner die mindeste Notiz vom andern nehmend, scheinen sie doch alle dieselben Manieren, und auch denselben gastronomischen Geschmack zu haben. Niemand genießt Suppe, die ohne besondere Vorausbestellung gar nicht zu haben ist, (der Grund, warum mich mein alter sächsischer Bedienter verließ, welcher behauptete, in solcher Barbarei, ohne Suppe! nicht länger existieren zu können). Ein großer Braten wird gewöhnlich von einem zum andern gebracht, um sich beliebig davon abzuschneiden, und zugleich im Wasser gekochte Kartoffeln, und andres ebenso zubereitetes Gemüse, nebst einer plat de ménage voll Essenzen, auf den Tisch gelegt, dazu Bier eingeschenkt, und damit hat in der Regel die Hauptmahlzeit ein Ende; nur die Luxuriösen essen vorher noch Fisch. Aber nun folgt die wesentliche zweite Station. Das Tischtuch wird abgenommen, reines Besteck aufgelegt, Wein und ein frisches Glas gebracht, nebst ein paar elenden Äpfeln oder Birnen, mit steinharten Schiffsbiscuits, und jetzt erst scheint sich der Tafelnde recht bequem festzusetzen. Seine Miene nimmt den Ausdruck der Behaglichkeit an, und scheinbar in tiefes Sinnen verloren, hinten übergelegt, und unverrückt vor sich hinstarrend, läßt er von Zeit zu Zeit einen Schluck aus seinem Glase bedächtig hinabgleiten, die Totenstille nur unterbrechend, indem er gelegentlich eins der Felsenbiscuits mühsam zermalmt. Ist der Wein vollendet, so folgt noch eine dritte Station: die des Verdauens. Hier hört alle Bewegung auf, der Gesättigte verfällt in eine Art magnetischen Schlafs, den bloß die offnen Augen vom wirklichen unterscheiden. Nachdem so ohngefähr eine halbe oder ganze Stunde verflossen ist, fährt er plötzlich auf, und schreit wie besessen: »Waiter! my slippers« (Kellner! meine Pantoffeln), und ein Licht ergreifend wandelt er gravitätisch aus dem Zimmer, um den Pantoffeln und der Ruhe entgegenzusehen. Diese Farce von fünf bis sechs Personen auf einmal vor sich abspielen zu sehen, hat mich oft besser wie eine Puppenkomödie unterhalten, und ich muß hinzufügen, daß, mit Ausnahme der Pantoffeln, die Szene sich in den ersten Clubs der Hauptstadt auch von Vornehmeren ziemlich ebenso abspielt. Lesen sah ich beinahe nie einen Engländer bei Tisch, und ich weiß nicht, ob sie es nicht für eine Unschicklichkeit oder gar eine Gottlosigkeit ansehen, wie z. B. am Sonntag zu singen oder zu tanzen. Vielleicht ist es auch nur eine Regel der Diätetik, die mit der Zeit zu einem Gesetz geworden ist, welches sie keine Lebhaftigkeit des Geistes zu übertreten nötigt.

Engländer, die nicht zur Aristokratie gehören oder sehr reich sind, reisen fast immer ohne Bedienten, mit der mail- oder stage-coach (königliche oder Privatdiligencen), worauf man schon in den Gasthöfen eingerichtet ist. Derjenige, welcher dort die Fremden bedient, und ihnen die Stiefeln putzt, hat selbst den allgemeinen Namen »Stiefeln« (boots). Stiefeln ist es also, der die Pantoffeln bringt, ausziehen hilft, und sich dann empfiehlt, indem er fragt, um welche Zeit man, nicht den Kaffee, wie er in Deutschland fragen würde, sondern das kochende Rasierwasser befiehlt. Sehr pünktlich erscheint er zur bestimmten Stunde damit, und bringt zugleich die rein geputzten Sachen. Der Reisende pflegt dann schnell seine Toilette zu machen, verrichtet noch einige nötige Geschäfte, und eilt hierauf seinem lieben coffee-room von neuem zu, wo alle Ingredienzien des Frühstücks reichlich auf seinen Tisch gepflanzt werden. Zu dieser Mahlzeit scheint er mehr Lebendigkeit mitzubringen, als zu der spätern, auch mehr Appetit, glaube ich, denn die Quantität der Teekübel, die Masse von Butterbrot, Eiern und kaltem Fleisch, die er verschlingt, erwecken stillen Neid in der Brust, oder vielmehr dem Magen, des weniger kapablen Fremden. Hier ist es ihm auch nicht nur erlaubt, sondern sogar durch die Gewohnheit (sein Evangelium) geboten, zu lesen. Bei jeder Tasse Tee entrollt er eine, auf unendliches Papier gedruckte, Zeitung von der Größe eines Tischtuches. – Keine speech, keine crime, con, keine Mordgeschichte, vom accident maker in London verfertigtDie Zeitungs-Redaktionen besolden dichterische Talente, welche, wenn sich keine wirklichen Mordgeschichten und schreckliche Zufälle ereignen, solche für das immer darnach neugierige Publikum erfinden müssen. Diese Künstler nennt man: accident makers (Verfertiger von Unglücksfällen). A. d. H. , wird überschlagen. Wie jener, der lieber an einer Indigestion sterben wollte, als etwas einmal Bezahltes ungenossen lassen, so denkt auch der systematische Engländer, daß er einer einmal begonnenen Zeitung keinen Buchstaben erlassen darf, weshalb auch sein Frühstück mehrere Stunden dauert, und die sechste oder siebente Tasse kalt getrunken wird. Ich habe gesehen, daß diese glorreiche Mahlzeit so lange hingezogen wurde, daß sie endlich mit dem dîner zusammenfloß, und Du wirst mir kaum glauben wollen, wenn ich Dich versichere, daß sogar ein leichtes souper um Mitternacht folgte, ohne daß die Gesellschaft unterdes den Tisch verlassen hatte. Hierbei waren jedoch mehrere versammelt, und ich muß überhaupt bemerken, daß, wenn dies der Fall ist, sich ein ganz anderes Bild darstellt, indem dann der Wein die Gesellschaft, statt sie in lethargisches Sinnen verfallen zu lassen, oft mehr als zu gesprächig macht. Etwas Ähnliches fiel auch heute vor. Fünf oder sechs Reisende ließen sich es wohl sein, und nachdem sie des Guten zuviel getan hatten, entstand ein heftiger Streit unter ihnen, der nach langem Lärm, sehr seltsam, damit endete, daß sie alle auf den Kellner losstürzten, und diesen zur Türe hinaus warfen. Hierauf wurde auch der Wirt noch gezwungen hereinzukommen, und für den ganz unschuldigen Menschen um Verzeihung zu bitten. Keiner der an den andern Tischen allein Essenden, nahm die mindeste Notiz von dieser Störung; sondern starrte ebenso gelassen wie bisher vor sich hin. Einer jedoch, der sein dîner sehr spät begonnen, gab bald darauf selbst eine neue Szene zum besten. Er war mit dem ihm überbrachten mutton unzufrieden, und befahl daher dem waiter, der Köchin zu sagen, sie sei a damned bitch (eine verdammte Hündin). Die Irländerin verlor über eine so ehrenrührige Beleidigung allen Respekt, riß sich aus den Armen der sie noch an der Saaltür vergebens zurückhaltenden Gefährtinnen los, stürzte mit untergestemmten Händen auf den Beleidiger zu, und überschüttete ihn nun mit einer solchen Flut echt nationaler Benennungen, daß dieser vor der empörten virago erblassend, das Feld räumte. Noch einmal so laut als gewöhnlich: »my slippers!« brüllend, eilte er, ohne ferneren Versuch, der Köchin die Spitze zu bieten, schleunigst seiner Schlafstube im dritten Stocke zu; denn Du weißt, daß, wie im colombier, die Nachtlager sich hier stets unter dem Dache befinden.

Als der verstorbene Großherzog von W... in England war, bekam er auch Lust, allein und inkognito mit der stage zu reisen, um diese Art Leben kennenzulernen. Es amüsierte ihn sehr; am nächsten Morgen war er aber nicht wenig verwundert, als ihm der boots, nonchalamment, mit den Worten die Stiefeln brachte: »Ich hoffe, daß Euere Königl. Hoheit recht wohl geschlafen haben!« Er glaubte indes, vielleicht falsch verstanden zu haben, und setzte seine Reise, auf der Impériale sitzend, fort. Den nächsten Morgen dieselbe Titulatur. Nun frug er genauer nach, und es fand sich, daß im Innern seines Mantels eine Karte, mit seinem wahren Namen und Stand, angeheftet war, die das Inkognito vernichtete. Was ihm aber ohne Zweifel dabei am meisten auffiel, war, daß man so wenig darauf achtete, ob ein deutscher Souverän auf der Diligence sitze oder nicht. Der gemeine Mann in England gibt auf Rang überhaupt wenig, auf fremden gar nichts. Nur die mittlere Klasse ist hierin sklavisch, und prahlt gern mit einem fremden nobleman, weil sie ihrer eignen stolzen Aristokraten nicht habhaft werden kann. Der englische Edelmann selbst aber hält sich, auch der Geringste ihrer Lords, im Grunde des Herzens für mehr als den König von Frankreich.

Übrigens ist diese Art zu reisen für jemand, der nicht bloß Ortsveränderung beabsichtigt, oder sich durch größere Ehrfurcht der Gastwirte und Kellner geschmeichelt fühlt, gewiß die, welche der gewöhnlichen Art, die große tour zu machen, vorzuziehen wäre, da die verminderte Bequemlichkeit durch so viel Lehrreiches und Angenehmes aufgewogen wird, daß man bei dem Tausche hundertfach gewinnen muß.


Dublin, den 1sten September

Meinen Rückweg von Bray nahm ich diesmal über Kingston, längs der Küste auf einem rauhen, aber sehr romantischen Wege. Eine Unzahl von Bettlern stand an der Straße, denen es jedoch nicht an Betriebsamkeit fehlte, denn eine alte Frau unter andern sammelte emsig etwas weißen Sand auf der Straße, der von einer Wagenladung durch die Bretter gefallen war. Warum konnte man der Armen nicht eine Stunde lang die Schätze unsres Sand-Golkondas öffnen! In Ermangelung beglückte ich sie mit einigen Pence, von denen ich immer eine Ladung in einer meiner Rocktaschen führe, um sie, wie Körner an die Hühner, zu verteilen, denn hier bettelt alles.

Kingston ist ein größtenteils aus Landhäusern der Reichen bestehendes Städtchen, wo auch der Lord-Lieutenant zuweilen residiert. Seit der König Irland besuchte, ist ein Hafen hier errichtet, an dem fortwährend gebaut wird. Wegen der Seichtigkeit der Dubliner Bay ist er von bedeutendem Nutzen, dient aber jetzt hauptsächlich als ein Mittel, den armen Klassen Arbeit zu verschaffen. Die vielen ingeniösen Erfindungen, die man hier angewendet sieht, die vierfach nebeneinander hinlaufenden Eisenbahnen, wo ein Pferd die größten Lasten zieht, die Kettenwinden, womit die ungeheuern Blöcke wie kleine Quader gehandhabt und in die Dämme eingemauert werden, und anderes der Art mehr – sind ungemein lehrreich und interessant. Es lagen bereits verschiedene große Schiffe in dem noch unvollendeten Hafen, wo sie doch schon hinlängliche Tiefe und Schutz finden. Unter ihnen fiel mir ein ganz schwarzes, abgetakeltes auf, das wie ein Gespenst einsam dastand. Ganz geheuer war es auch nicht darauf – denn es enthielt, wie man mir berichtete, die nach Botany Bay bestimmten Gefangenen: das Transportschiff, welches sie von hier abführen sollte, war auch bereits angekommen. Für die Missetäter ist diese Transportation keine harte Strafe, (die Seekrankheit abgerechnet) und macht davon zwei Dritteil wenigstens, von neuem zu brauchbaren Staatsbürgern. Jede Regierung könnte sich, nach ihren lokalen Hilfsquellen, eine Art Botany Bay verschaffen – aber es wird wohl noch lange dauern, ehe das Prinzip der Rache aus den Gesetzen, und aus der Religion, ausgemerzt sein wird.

Man hat dem König wegen seiner denkwürdigen (d. h. wegen ihrer Erfolglosigkeit denkwürdigen) Reise nach Irland, am Eingang des Hafens ein Monument gesetzt, das mit der gewöhnlichen Geschmacklosigkeit, die in Großbritannien fast auf allen öffentlichen Bauten wie ein Fluch zu ruhen scheint, entworfen und ausgeführt ist. Es zeigt einen kurzen, lächerlichen Knüppel von Obelisk, der auf die Kante eines natürlichen Felsens dergestalt auf vier Kugeln gesetzt ist, daß es aussieht, als müßte jeder Windstoß ihn in die See rollen. Man kann sich nicht enthalten, zu wünschen, daß dies je eher je lieber geschehen möchte. Wie ein Kelchdeckel ist oben die Königskrone über die Spitze gestülpt, und das Ganze, gegen die grandiosen Dimensionen des Hafens und der umgebenden Gebäude, so klein und mesquin, daß man es wohl als die Spielerei eines Privatmannes, aber gewiß nicht für ein National-Monument ansehen kann. Vielleicht war der Architekt ein mauvais plaisant, und gebrauchte es nur satirisch. Als Epigramm ist es dann auch zu loben.

Die Straße von hier nach Dublin ist prächtig und stets mit Wagen und Reitern bedeckt. Es wunderte mich, sie nicht arrosiert zu finden, was die Landstraßen in der Nähe von London so angenehm macht. Wahrscheinlich geschieht es nur, wenn der Vizekönig hier ist. Heute war der Staub in dem Gewühl und Gedränge fast unerträglich, und alle Bäume wie mit Kalk überzogen.

Als ich in Dublin ankam, war grade Sitzung der katholischen Association, und ich stieg daher vor dem Hause ab. Leider aber war weder Shiel noch O'Connell gegenwärtig, so daß die Versammlung gar nichts Anziehendes darbot. Hitze und übler Geruch (car l'humanité catholique pue autant qu'une autre) vertrieben mich daher schon nach wenigen Minuten.

Abends amüsierte ich mich besser in den Vorstellungen andrer Scharlatans, nämlich einer Gesellschaft sogenannter englischer Reiter, die hier zu Hause sind. Herr Adam, in seiner Art wirklich: le premier des hommes, dirigierte die »Akademie«, welche diesen Namen besser wie manche andere verdiente. Man sah mit Vergnügen gegen zwanzig elegant gekleidete junge Leute, fast alle mit gleicher Geschicklichkeit agieren und durch die künstliche Verwirrung, Mannigfaltigkeit, Schwierigkeit und reißende Schnelle ihrer Bewegungen das Auge oft, gleich einem Chaos, mit Dissonanzen betäuben, die sich im Augenblick darauf in die anmutigste Harmonie auflösen. Noch ergötzlicher waren zwei unnachahmliche Clowns (Bajazzi), deren Glieder keinen Dienst einer Marionette versagten.

Der eine wurde überdies vortrefflich von seinem scheckigen Esel unterstützt, welcher in der Präzision seiner Kunststücke selbst die edlen Rosse beschämte, und der andere brachte, vermöge eines eigentümlichen, selbst erfundenen Instruments, eine so echt narrenhafte Musik zuwege, daß schon die unerhörten Töne, an und für sich, unwiderstehliches Lachen erregten. Ein pas de deux der beiden Clowns, mit Füßen und Händen getanzt, die ersteren aber in der Luft pas machend, während die Körper auf den Händen gingen, schloß das Schauspiel. Hier schien die menschliche Form zu verschwinden und grausend zugleich, wie eine Hoffmannische Darstellung, kam das Ganze dem bewildertenBewildert ist ein neues aus dem Englischen entnommenes Wort, mit dem ich mir die Freiheit nehme, die deutsche Sprache zu bereichern. Zuschauer, wie der Tanz zweier toll gewordenen Meer-Polypen vor.

(Hier fehlen einige Blätter der Korrespondenz.)


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