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Ein Leibl

Der Meister war jetzt schon Jahrzehnte tot. Eine Meisterin hat's nie gegeben. Es sei denn, daß man eine alte Liebe aus der Ammerseeperiode damit meinte.

Worüber niemand mehr erstaunte, als die alte Liebe selber. Ins Alter einer, die Frau Meisterin hätte heißen können, war sie nachgerade zwar hineingewachsen, an die achtzig etwa. Dem glatten Stadtgesellen aber, einem Bilderhändler, der an ihrem Krankenbette in sie hineinschwadronierte, fuhr sie übers ausgefranste Schwatzmaul: »Moasterin? Wennst mi derblecken willst, na' machst, daß d' 'nauskimmst, Bua – sonst kimmt der Michi mit'm Ochsenfiesel!«

»Aber meine Guteste, wollt Ihr leugnen, daß Ihr die einzige gewesen, der der Meister, als er jung war, seine volle Liebe zugewendet hatte?«

»Red' net so geschwolln daher, sinscht werd m'r schlecht, Bua – sei' Schatz war i, und guat.«

»Köstlich, diese Leute aus dem Volke! Diese Primitivität! Diese –«

»Was willst d'?«

Der Kunsthändler trommelte nervös auf seinem Kammgarnknie und sah schräg von unten her dem alten Weiblein lauernd in die eingefall'nen Züge. Ihre linke Wange hatte schon seit Tagen einen weißen Fleck. Der graue Förster, seinen Menschenwald durchstreifend, hatte sie gezeichnet: Fällig.

»Tja, Schatz –«

» Sei Schatz war i, net der dei' – mir waar's gnua, Bua!«

»Tja, Schatz des unsterblichen Meisters –«

Sie war aufgefahren: »Is er also no' am Leb'n?«

»I wo, Verehrte. Tot seit neunzehnhundertzehn.«

»Was sagst na' un–ge–stor–ben?«

»Seelisch, mein ich, seelische Unsterblichkeit, mein liebes Fräulein Rösl.«

»Des san mir alle – kennst dein Katechisi net? – der macht koan Unterschied zwischen mir und dir und mei'm Maler –«

»Euer Maler! Seht, da wären wir, wo ich Euch haben wollte.«

Die Alte blickte in den Herrgottswinkel, wo das Kreuz hing: »Wo Ihr mi Ham wollts?« sagte sie, »scho vergebn jetzt – Ihr kimmts z' spaat.«

»Vergeben – zu spät!« sprang der Besucher auf, »ein andrer zuvorgekommen? Wer – wer hat Euch um das Bild geprellt!«

»Was für a Bild?«

»Das er von Euch malte – gestern stand es in der Zeitung – das er Euch geschenkt hat –«

Die Alte sah durch seinen Redeschwall mit dem demütigen Blick derer, die vor ihrer letzten Türe stehen. Von weit her mußte ihr Erinnern wandern: »Gschenkt? – mir? – mei Bildl? – warten S' – ja, so fufzg Jahrln werd's jetzt her sein, daß er gsagt hat: ›Setz di' dort an 'n Ofen, Reesl‹, hat er gsagt, ›um die Zeit hast d' koan Menschen zu bedienen in der Wirtsstub'n drüb'n‹ – i war selbigsmal beim Wirt, Herr – ja, a Kellnerin – ja, a frische Dirn, Herr – sähet's koaner mir mehr an heut, gell, Herr – ›Setz di, Reesl,‹ sagt er, ›g'malt werst, daß d' mir fei' net anders drei' schaugst, als wie alleweil – des sag i dir: a gfrorns Gsicht wennst d' mir hinmachst, Reesl, na' hat 's gschnappt – koa' oanzigs Busserl kriegst mehr, Reesl‹ – jaa, des hat er gsagt, der Leibl, und nacha hat er gmalt und gmalt – Bua, der hat Zeit zum maln braucht – und net mucksen hast d' di' derfen – und angschaut hat er di' über sei' Farbenbrettl, Bua, als wenn er di' fressen hätt wolln ... jaja, wie lang werd jetzt des her sei – naa, fufzge langen nimmer, sechzge san s' – jesses, wie die Zeit vergeht – und is mir's do', als waar's erst gesting gwe'n – und was wirkli gesting gwe'n is, moanst, i wißt des no' – is des net gspassi, wenn ma' alt werd, Herr –«

»Zur Sache!« unterbrach sie der Besucher atemlos und funkelnd, »zur Sache, bitte: mit dem ersten Zug bin ich herausgefahren – wie ist es möglich, daß Ihr Euer Bild schon einem meiner Konkurrenten –«

»Han?«

»– einem meiner Konkurrenten – meiner Mitbewerber, meine ich –«

»Han?«

»Gott, ich zerplatze: vor mir hat's Euch gestern einer abgeluchst – abgekauft, meine ich!«

Langsam schüttelte die Alte den Kopf: »Naa–a.«

»Gott sei Dank, Ihr habt es noch – laßt es sehn – es soll Euch nicht gereuen –«

»Jojo, g'reut hat's mi' scho', daß i's – daß i's –«

»Kurz und gut, ich biete Euch für Euer Bild in Gold dreitausend bar –«

»Viertausend,« schob sich eine zweite Stadtgestalt in die Krankenstube.

»Fünftausend!« schrillte der am Bett und fauchte den Neuen an: »Soll das Kollegialität sein, Herr Kollege –«

»Bei einem Leiblbilde hört sie auf, Verehrter – sechstausend also, liebe Frau?« Eine dicke Brieftasche klappte auf.

Der Mund der alten Reesl tat desgleichen. Sie verstand das alles nicht. Fünftausend für ein Bildl? – gab es so etwas in dieser Welt? Oder war sie etwa schon gestorben – und im Himmel waren solche wunderbare Preise gang und gäbe zu den andern Wunderbarlichkeiten?

»Siebentausend!« schrie der am Bett, »war ich nicht der erste, der Euch hier besucht hat – glauben Sie, ich meine es Ihnen gut, Fräulein Rösl –«

»Reesl hoaßt's, net Rösl – gell, du paßt net auf, Reesl, auf den preißischen Hanswurschten – des is inser Bild – des is a boarisch Bild,« schaltete der Konkurrent auf treuherzig um, »des derf in koane fremde Händ net kemma, gell – gar, wo i dir sogar achttausend –«

»Lassen Sie das Kleintheater, meine Herren,« drang ein dritter breiter Mensch, hinter welchem andre Köpfe sichtbar wurden, in das niedere Zimmer, »es handelt sich um einen Leibl – das hier stammt aus seiner besten Zeit – aus der Zeit der ›Dorfpolitiker‹ – Sie wissen, was die ›Dorfpolitiker ‹ für einen Preis erzielt haben – noch dazu vor zwanzig Jahren – ich schätze, schlechter hat er seine Liebste nicht gemalt als jene Bauern – kurz und gut: ich biete fünfzigtausend ...«

Schweigen in der dumpfen Stube. So eng sie war, auf einmal ging sie in die Weite: Großauktion – von Berlin, von Köln, von Wien her, im Auftrag von Paris, von London waren sie in dieser letzten Nacht hierhergefahren. Ernst stand in den übernächtigen Gesichtern: Um einen Leibl ging's – um einen Leibl –

Die beiden Kleinen duckten sich bei dem Gebot von fünfzigtausend wie unter einem Peitschenhieb. Sie gaben das Rennen auf.

»Fünfundfünfzigtausend,« sagte eine Stimme außerhalb der Türe.

Von ganz hinten bahnten sich zwei Riesenellenbogen einen Weg nach vorne. Ein Gesicht mit ungeheuren Backenflächen stand am Krankenbett der Alten: »Bevor ich siebzigtausend sage, bitte ich, das Bild zu sehen

Auf einmal waren alle einig: »Sehen – sehen – sehen,« scholl's und füllte diese niedre Stube, wogte hoch und ebbte ab und des Wortes Silben sprangen hin und her wie silberweiße Bälle: »Sehen – sehen – sehen ...«

Die Alte im Bett hatte sich mühsam aufgerichtet. Mühsamer noch vermochte sie zu denken: Siebzigtausend Mark? – wieviel war das doch? – für sieben Mark hatte ihr der Maler damals ein seidenes Fürtuch gekauft – ein gesticktes gar – o, das war schön gewesen, wunderschön – und siebzig Mark, das war ihr Jahreslohn gewesen, der höchste, den sie sich als Kellnerin verdiente – siebenhundert hatte sie bezahlt für dieses Austragshäusl – siebentausend kostete ein kleiner Bauernhof – aber siebzigtausend, siebzigtausend – gab es etwas, das gar siebzigtausend kostet – etwa ein Palast – das Schloß des Königs – oder – oder ...?

»Sehen – sehen – sehen!« drang es auf sie ein wie spitze Pfeile.

»Sehn?« stammelte sie verwirrt, »o mei', Buam – i möcht's ja selm sehng, dem Kini sei' Gschloß –«

»Ach was, das Bild – das Bild – das Bild –«

Wie hungrige Wolfsaugen war's auf sie gerichtet. Also war sie doch noch nicht im Himmel. Denn Wölfe gab's doch wohl nur in der Hölle.

»Wölf'!« lallte sie. Ihr wurde schlecht. »Michi!« konnte sie noch rufen, »Michi!« Dann fiel sie zurück.

Betreten sahen sich die Händler an.

Ein baumlanger alter Fischer stand auf einmal mitten im Zimmer: »Was geit's, Rees?« sagte er und beugte sich hinunter auf die Kissen.

»Siewezgdauset,« flüsterte es daraus.

»Siewezgdauset? Kruzitürken!« wütete der Alte und schoß giftige Blicke auf die Bieter, »laßts ihr do' an Ruah – sechts net, daß – daß aufs letzt geiht –«

»Sind Sie ihr Erbe?«

»I bin der Fischermichl – zum Erb'n geit's nix bei ihr.«

»Da könntet Ihr Euch täuschen – wißt Ihr nichts von – von –«

»I woaß nur, daß 's ihr guat taat, bal 's a wengerl außagaangets, Leitln,« drängte er sie mit sanfter Gewalt hinaus ins Freie.

Dort tat sich eine neue Börse auf. Der mit den ungeheuren Backenflächen fragte, was er jedem geben müßte, daß sie Abstand nähmen, weiter mitzubieten – es sei gefundnes Geld für sie – noch dazu totsicher – während so ein Bild, und wenn's vom Größten wäre – sie wüßten wohl, die Moden wechseln – aber drängen wolle er auf keinen Fall – wenn sie weiter bieten wollten, gut, er böte mit – freilich könne er nicht sagen, bis zu welcher Summe – daß sie ihn recht verstünden: Bieten könne er hier jede, auch die höchste Summe – aber es könne ihm auch belieben, einen andern Bieter auf dem höchsten Preise aufsitzen zu lassen –

Gemurmel. Beifall. Widersprüche. Andre Vorschläge – die Börse war im vollen Gange ...

Indessen saß der alte Fischer bei der alten Reesl. Sie hatte das Bewußtsein wieder. Sie glanzte den Michel an: »Gell, im Himmi bin i net?«

»Naa, no' net,« sagte der Alte sachlich.

»Aber siewezgdauset – siewezgdauset ...« Und erzählte alles.

Aufmerksam hatte der Alte zugehört: »Und wo hascht's?«

»Was?«

»Des Bildl?«

»O mei', hergschenkt halt, hergschenkt.«

»Warum?«

»Weil er mi g'ärgert hat.«

»Mit was?«

»Mit dem Flietscherl aus Baris, was eahm nachgreist is – da hab i's nimmer sehn mög'n und hab's hergschenkt.«

»Wem?«

»I woaß nimmer.«

»Bsinn di'.«

»I woaß 's gar nimmer.«

»Bsinn di besser.«

»Wenn i's halt nimmer woaß,« ächzte die Alte schwach.

Er setzte eine städtische, eine strafende Miene auf: »Wia ma' so was vergessen ka' – siewezgdauset –!«

»O mei', Bua, selbigsmal war i des net wert.«

»Von dei'm Bild is d' Red, 'it von dir!«

»Aber – aber daß a Bild von oa'm mehra wert is, wia ma' selm – wie ma' selm – wia ma' selm –«

»D' Leit san halt naarrisch – wia dei' Maler aa.«

»Mei' Maler war 'it naarrisch,« wehrte sie.

»Wer solchene naarrische Bilder malt, die wo die naarrischen Leit nacha mit naarrische siewezgdauset Mark kaufen woll'n –«

»Naa, naarrisch war er 'it – gern han i 'n g'hat –«

»Und er di', gell, weil er di' sauber sitzen hat lassen mit dei'm Kind.«

»O mei', a Maler halt – und 's Kind war gstorb'n, verstehst.«

»I versteh scho' – aber schad is's –«

»Was is schad?«

»Daß 's gstorbn is, weil ma' jetzt nimmer wissen ka', ob 's für des Kind aa siewezgdauset Mark – wennst d' di' nur grad bsinne kunntst ...«

Bild: Fritz Eggers

Die Türe war leise aufgegangen. Er hörte es nicht. Die Köpfe einer unentschieden ausgegangnen Börsenversammlung wurden im Gang sichtbar. Er sah es nicht.

»Wennst d' di' nur grab bsinne kunntst – han, kannst d' di' gar 'it bsinne, Rees – du muaßt di' do' bsinne könne – schaug, Rees, es sollt dei' Schaden 'it sei' – i waar imstand, Rees, und fahret für di' irgedwo hi' ...«

Die Rees besann sich. Besann sich schwer und hart. Die von achtzigjährigen Mühen verkalkten Adern auf der Stirne schwollen an. Die letzten Kräfte gab sie her. Immer wieder kam sie aus dem Geleise.

»Wem hab i's do' glei' gschenkt – jaja, gern hab' i 'n do' ghabt, arg gern – und für des Flietscherl kann er nix – wenn's eahm halt nachglaufen is – 's werd in Baris aa net anders sei' als bei uns – wem hab i's do' glei' gschenkt – wem – wem –?«

Sie hatte sich plötzlich hoch aufgerichtet, kerzengerade, mit einer letzten Anstrengung kam es über sie, laut schrie sie: »Jesses, jetzt – jetzt fallt's mir ei', wem i's gschenkt ha' – gar 'it leiden hat er s' könne, mei' Basen – ›So?‹ hab i gsagt, ›net leiden kannst 's? – dei Flietscherl kann i aa net leiden, daß d' es woaßt – und jetzt schenk i grad dei' Bildl meiner Basen, die wo du 'it leiden kannst – damit sie's auf ihren mager'n Kammerwag'n aufatuat, wenn's jetzt 'neiheirat't auf – auf – auf –‹«

Ein Dutzend Ohren konnten sich auf einmal bettwärts stellen, ein Dutzend Augenpaare bettwärts bohren.

»– auf – auf Ingel – Ingel – Ingelschtaad.« Und hatte sich ausbesonnen für Zeit und Ewigkeit.

Als der Michel die Tote sorgsam bettete, konnte er durch das Fenster eine Kohorte auf dem Wege nach dem kleinen Bahnhof rennen sehen. Es gab ihm einen kurzen Stich. Er überwand ihn – er hatte sich auch besonnen. Er nickte nur den Rennenden nach: »O mei', Buam, sovüll Billettn auf amal und alle akkurat nach Ingelschtaadt werd er halt net ham, der Herr Schtationsfürschtand ...«


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