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Buckelkrax

Der Praxmaier ist ein Bergführer. Die Riffel ist ein Führerberg. Ein Salonberg mit Kaminen, die so ausschauen, aber keine sind. Mit wildtuenden Sandreißen und mit Klettergriffen, eigens für die Photographen. Ein Berg, der auf der »Wiesen« beim Oktoberfest, umbrandet von Tausenden von Hektolitern, von Brathendeln und von Steckerlfischen, mit Tschindera und Tschindrabum, einen Massenauftrieb hätte, für zwanzig Pfennig Eintrittsgeld.

Der Praxmaier muß verdienen. Auch wenn er's nicht so nötig hätte: Führervorschrift ist, man habe jeden Fremden, der's bezahlt, zu führen.

»Auch zu tragen?« hat er sich erkundigt.

Hm, es käme auf den Fall an.

Der Fall von heute früh war so gestellt: »Na, man los, Verehrter, auf die Waxensteine!«

Der Führer schaute sich den Mann an: »Die sind gar nicht leicht, Herr.«

Der andre blätterte im Buche: »Schön, dann auf die Alpspitze!«

»Die hat ihre Mucken.«

»Mucken? Fliechen, nich wahr? Fliechen ufm Berche? is doch nichts dabei, Verehrter!«

»Sie sind dabei!«

»Ich? Ich bin doch keine Flieche?«

Praxmaier schätzte das Gestell ab. Fast hätte er was Spöttisches gesagt. Aber dann ginge ihm die Führung in die Binsen. Also sagte er: »Wie wär' es mit der Riffel?«

»Riffel, Riffel? Kamine da?«

Der Führer nickte.

»Klettergriffe, was?«

Der Führer nickte.

»Famos, famos! Was das für Eindruck macht, wenn ich berichte: Klettergriffe und Kamine!«

Es käme auf die Griffe an; dann auch: an wen's berichtet würde.

»Meinen Freunden selbstverständlich – drüben auf dem Eibsee – hier, den Rucksack tragen Sie – was sagen Sie zu meinen neuen Nagelschuhen, he?«

Es käme weniger auf Schuhe an, als wer in ihnen stecke.

Bitte sehr, er sei doch nicht von Pappe. Es sei auch nicht das erstemal, daß er, Herr Hönicke, einen Berg besteigen habe wollen –

»Besteign wollen is net bstiegn ham,« brummte der Führer, schulterte den Rucksack, machte kehrt und sagte: »Kemman S'!«

Kemmans? was das wäre?

»Nix is's – werdn soll's erst was – kemman S'!«

Da kam Herr Hönicke. Er kam durch Partenkirchen, kam durch Garmisch, kam durch Grainau hinterhergetrottet, stieg ein Stück hoch aufwärts hinter Hammersbach, dann aber blieb er stehen und versuchte es auf bayrisch: »Hammers bald?«

»Hammers bach!« verbesserte der Führer.

»Ich meine, ist es bald zu Ende?«

»Z' End? 's hat no gar net angfangt, d' Riffel – kemman S'!«

Er kam durchs Höllental, hinauf, hinab, hinauf, hinab, es winkte eine Hütte: »Jetzt haben wir's –?«

»– angfangen,« nickte der Führer zurück, »kemman S'!«

»Nee, ich komme nich mehr!«

Praxmaier kannte das und wußte: Gar nichts sagen, weitergehen.

»He, Verehrter, meinen Rucksack wenigstens müssen Sie mir zurückge–«

»Muß ich über d' Riffel auf 'n Eibsee umitragn, i woaß scho,« sagte Praxmaier und stapfte aufwärts.

Hönicke stapfte seinem Rucksack nach.

Es wurde steiler, immer steiler.

»Nu aber Schluß, Verehrter!«

»D' Hälft hätten ma.«

»Was, die Hälfte erst! Ich verzichte auf die andre Hälfte.«

»I net,« sagte der Bergführer ruhig.

Was das heißen solle? Zu verzichten habe er, der Herr, und nicht der Führer!

»Des sag ja i: I verzicht net

»Sie haben zu verzichten!«

»I hab Eahna z' führn, i hab Eahna über d' Riffel aufn Eibsee z' bringen, dafür wer' i zahlt, dafür krieg i mei Tax.«

»Seien Sie kein Frosch, Mann, ich zahle Ihnen die ganze Taxe für den halben Weg!«

»Was Ganz's für was Halb's? I bin kei Schwindler, Herr – kemman S'!«

Ächzend, schnaufend, schimpfend, jammernd kam er.

Jetzt begann so etwas, was von fern wie eine Kletterei aussah.

»Hören Sie – so hören Sie doch – ich zahle Ihnen Übertaxe, wenn wir umkehren!«

»Nix werd umkehrt. Über d' Riffel bring i Eahna. Jetzt is des an Ehrensach.«

»Erlauben Sie: die meine oder Ihre?«

»Die mei' – kemman S'!«

»Ihre Ehrensache? – ist ja lachhaft!«

Der Führer ließ ihn vorgehn, stupfte ihn mit dem Bergstock: »A bissl kitzeln, damit daß S' besser lachen können!«

Endlich war die Riffel überschritten. Jetzt kam die erste Stelle, wo man, wenn es etwas glitschig war wie heute, seine Sinne beieinander haben sollte.

Hönicke sackte ab. Hönicke umklammerte einen Schroffen. Hönicke behauptete, ihn schwindle.

Der Führer überlegte. Zurück war's jetzt noch schwerer. Also vorwärts. Er versuchte es mit einem alten Mittel, Grobheit: »Reiß di' zsamm, Kerl damischer!«

Hönicke erzürnte. Hönicke bekam wieder Farbe. Hönicke wurde ans Seil genommen. Wieder ging es eine kleine Strecke weiter.

Jetzt versuchte es der Führer mit Ermuntrung: »Halten S' aus, bald hamma 's, bald.«

Aber Hönicke sank abermals zusammen. Trotz des Seiles ging er nicht mehr weiter. Auf eine jämmerliche Weise fing er an zu fluchen und zu weinen. An einem Schiefblick merkte es der Führer: Mitleid schinden.

Da packte den alten Bergführer der Ekel. Schweigend holte er das Seil ein. Schweigend lud er ihn auf seinen Rücken. Schweigend litt er's, daß er sich wie eine Zecke ihm um Hals und Lenden krallte. Schweigend, schwer atmend, schritt er weiter mit der matten Last am Rücken.

Jetzt kamen freilich Stellen, wo man einzeln gehen mußte, sollte auch für einen guten Führer nicht Gefahr entstehen, wenn der Mann auf seinem Rücken die geringste Wendung machte.

»Wenn S' jetzt wieder selber gangeten, Herr Hönicke?«

Der wimmerte nur. Der fing zu beten an. Der klammerte sich nur fester. Seine Nägel drangen ihm ins Fleisch.

Da biß der Alte seine Zähne aufeinander. Hände, Füße seines »Herrn« riß er auf seinem Leibe fast auf einen Punkt zusammen und das eigne Leben schlug er in die Schanze ...

Eine Stunde lang. Ach wie lang ist eine Stunde, grausig lang ...

Dann war es überstanden. Der Führer verschnaufte: Jetzt würde Hönicke doch selbst verlangen, wieder abgesetzt zu werden.

Er verlangte nichts. Er hatte sich's behaglich auf dem Rücken eingerichtet. Man konnte ja dem Rücken dann ein Extratrinkgeld geben.

Weiter schweigend schritt der Führer mit der Last zu Tal. Immer breiter wurde jetzt der Weg. Nun war's beinah eine Straße.

Abermals verschnaufte der Führer und sah rückwärts: Jetzt?

Nichts.

Wieder eine Viertelstunde: Jetzt?

Nichts.

Da ergrimmt er. Etwas bisher Dunkles, wie es weitergehen würde, ward ihm hell und klar.

Hell ward's plötzlich auch im Kopf des Hönicke. Das Grandhotel vom Eibsee rückte nah und näher: Saßen da nicht seine Freunde jetzt beim Abendessen? Seine Freunde, die's ihm niemals glauben hatten wollen, daß er eine Hochtour machen könne? Seine Freunde, denen man jetzt gar erzählen könnte, daß man ohne Führer da herabgekommen wäre? Man hatte ja nichts weiter nötig, als den Menschen da noch vorher abzulohnen und auf einem andern Wege heimzuschicken – möglichst ohne allzu großes Trinkgeld.

»Heda, guter Mann, jetzt stillgestanden!«

Der Führer stand nicht still.

»Können Sie nicht hören!«

Der Führer hörte nicht.

»Zum Donnerwetter auch, ich will herunter!«

Weiter schritt der Führer.

Jetzt versuchte es der droben, abzugleiten. Aber plötzlich fühlte er die Hände und die Füße vorne blitzesschnell vom Seil umschlungen, festgeknotet.

»Mensch, Sie unterstehen sich –«

Trapp trapp, trapp trapp.

»Mann, ich zeig Sie an!«

Trapp trapp, trapp trapp.

»Lieber Mann, ich bitte Sie – lieber Mann, ich bitte Sie sehr – ich bin bereit, das Trinkgeld zu verdoppeln – zu – zu verdreifachen –«

Trapp trapp, trapp trapp.

*

An der Tafel in dem großen Speisesaale ging es hoch her. Reden auf die Berge stiegen. Lachen scholl und Gläser klangen, Schaumwein perlte –

»Ob der Hönicke wirklich seine Hochtour –?«

»Schade, daß er jetzt nicht da ist –«

»Da habts 'n!« grollte es vom Eingang.

»Da habts 'n!« dröhnte es im Weiterschreiten der Genagelten auf dem Parkett.

»Da habts 'n!« schrillte es, indem ein Führermesser blitzend einen Doppelknoten durchschnitt.

»Da habts 'n!« – loderte der Bergzorn auf des Alten Stirne.

»Da habts 'n! – solchene müssen mir führn! – für solchene müassen mir 's Lebn einsetzen – da habts 'n – habts 'n – 'n – 'n – 'n!«

Eine zappelnde Last flog auf die Tafel, daß sie klirrte.


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