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Freidi

Getauft war sie auf Bawett Wenk. Laut Partenkirchner Standesamtsregister.

Aber das war nur die erste Taufe. Bedeutungsvoller ist die zweite Taufe. Wiedertäufer ist der Alltag. In der Art und Weise, wie man sich mit diesem Leutepriester auseinandersetzt, empfängt man seinen zweiten Namen. Der entscheidet.

»Wer ist denn die Alte mit den Glitzeraugen im verwelkten Kopf?« frug bei seinem Dienstantritt der junge Lehrer.

»Unsre Freidi.«

»Wie schreibt sich das, Herr Bürgermeister?«

»Schreibn? Schreibn laßt sich so a Nama überhaupts net. Höchstens sagn. Am besten: tun, Herr Lehrer.«

»Tun? Freidi tun? Wie macht man das?«

»Freu di halt,« sagte der Bürgermeister.

Das war seine Amtseinführung. Darauf wurde er verpflichtet. Vereidigt auf die Freude. An ein Dutzend Klassen seiner Kinder, die er nacheinander hatte, können es bezeugen.

Nun zucken freilich auch die besten Eide mit den Wimpern, wenn das Leben vor den Augen auf- und niederfuchtelt. Weiß man doch nie, ob's Spaß ist, oder ob es wirklich zuschlägt. Das ist auch nicht wichtig. Wenn man nur darnach den alten Frohblick beibehält. Oder ihn an einem andern Auge immer wieder neu entzünden kann.

Ein solches Aug war das der Freidi.

Es war immer das gleiche Nachforschungsergebnis. »Jackl, ist dir gestern net dei Stadel niederbronna?«

»Freili.«

»Und hast gheult drauf wie a Schloßhund?«

»Freili.«

»Und kannst scho wieder lachen heut?«

»Freili.«

»Aha, bist bei der Freidi gwesen?«

»Freili.«

»Und die hat di wieder aufgricht?«

»Freili.«

»Mit was denn, Jackl?«

»Mit freu-di halt, freili.«

Ein Rätsel blieb es freilich, woran die Freidi selber ihren Frohblick angezündet hat, wenn ihr das Leben vor den Augen auf- und niederfuchtelte. Und auch zuschlug. Drei verstorbene Kinder, ein viertes, das gleich wieder umgekehrt ist, ein grober Mann, den sie die letzten sieben Krankenjahre pflegen mußte, könnten es bezeugen. Um nur jene Kümmernisse zu benennen, die dem Dorfe sichtbar wurden. Aber sichtbar oder unsichtbar, die Glitzeraugen im verwelkten Kopfe blieben ungebrochen.

»Am Kirchgang wird's halt liegen, am fleißigen,« sagte der Pfarrer.

»An ihrer Arbeit wird es liegen, der fleißigen,« sagte der Bürgermeister.

Der Lehrer aber dachte nach: Er kannte Verdrossene, die schwer arbeiteten. Er kannte Mißvergnügte, die täglich in die Kirche gingen.

Nicht in die von Partenkirchen. Denn in Partenkirchen kam das Mißvergnügen auf die Dauer niemals auf. Die Freidi litt es nicht. Kam der von einem Schicksalsschlag Verbeulte nicht zu ihr, so kam sie halt zu ihm. So um Feierabend herum.

»Nazl, daß d' jetzt gar a so a grantigs Gsicht machst?«

»Soll i jodeln, wenn mir d' Seuch von meine fünf Küh drei kaput gmacht hat!«

»Freu di halt an deine zwei jetzt grad so viel, wie z'erst an alle fünf.«

»Aber wenn mi do die drei kaputten grad am meisten allweil gfreut hamm!«

»Und war des nix?«

»Was?«

»Daß d' di gfreut hast – freu di, daß d' di gfreut hast, Gischpel dummer, freu di!«

»Recht hast d',« hat der Nazl übers ganze Maul gezahnt.

Und so ging's überall im Dorf, wo Kummer eingekehrt war. Nicht als hätte sie für jede Kümmernis den gleichen Spruch bereit gehabt. Ist doch auch nicht jede Kümmernis dieselbe. Und muß man jegliche Kümmernis auf ihre Art bekriegen.

Der Lederer war bei der Bürgermeisterwahl durchgefallen.

»Eine Schand is's!« fauchte er im Haus herum, »dreimal hintereinander Burgermeister und 's viertemal durchgfalln, so a Schand!«

»A Schand?« schaute die Freidi zum Stallfenster herein, »und i hab mir denkt, a Freud is's.«

»A Freud?« legte der Lederer die Dunggabel hin.

»Grad so hat er's wolln, der Lederer, hab i mir denkt.«

»So wolln?«

»Dreimal hat er ihnen den Hanswurschten gmacht, hab i mir denkt, 's viertmal soll ein andrer ihnen ihren Mist ausmisten, i hab gnua an dem im eignen Stall – freu di!«

»Recht hast d',« sagte der Lederer und mistete vergnügt und pfiff dazu.

Um die gleiche Zeit war's, daß der Freidi letztes Kind am Typhus fortgestorben war.

Ist da dem Lederer eine hanebüchene Vergeltung aufgeblitzt, nach dem Begräbnis unterm Friedhofstor: »Weißt no, Freidi, wie d' mi neuli tröst't hast?«

»Freili weiß i's.«

Klobig pflanzte er sich in ihren Weg: »Jetzt möcht i grad sehn, ob's bei dir selber auch derfangt.«

»Was derfangt?«

»Was d' die andern predigst, ob du auch bei deinem Kind –«

Einen Augenblick hat sie ihn starr angeschaut: »Leicht, daß i's so wolln hab,« hat sie seltsam langsam gesagt und ging geschwind durchs Tor.

Die es hörten, haben sich bekreuzt: »Eine Sünd!«

»Nein,« sagte der Pfarrer, »keine Sünde. Sagt nicht auch der Herrgott: ›So hab ich's gewollt.‹ Vielleicht hat sie's ihm nachgesagt. Das ist alles. Macht es auch so.«

Als der Freidi Zeit erfüllt war, ist sie krank geworden. In der Stube drinnen hat sie's nicht gelitten. Ihr gewürfelt Bett hat sie sich auf die offne Tenne hinaustragen lassen, wo man die ganze Straße überblicken konnte. Da ist sie aufrecht in den Kissen gesessen. Dann und wann hat sie einem, der vorbeiging und der's nötig haben mochte, zugenickt: »Frei di!«

Dann kam ein Tag, wo sie nicht mehr aufrecht sitzen konnte. »Reesl,« fragte sie ihr Enkelkind am Bett, »Reesl, i hör jemand gehn, wer is's?«

»Der Hirschen Niklas, der wo gestern zehntausend Mark soll gwunna hamm in der Lotterie.«

»Isch guat – und wer kimmt jetzt?«

»Die Rassen Zenzl, die wo si verlobt hat mit dem Reiser Toni.«

»Freu di!« rief es aus dem Kissen nach der Straße.

»Reesl, i hör wieder Tritt?«

»D' Lipfen Vroni geht vorbei – weißt, Ahnl, die bei der die Verlobung wieder zruck is gangen.«

Auch zum Rufen hat die Kraft nicht mehr gereicht. Also daß die Vroni nur einen Hemdsärmel hat am Tennenboden in die Höhe gehn sehen und winken: Freu-di, freu-di!

Dann ist der Doktor gekommen und war zornig: »Wie kann man eine Kranke auf den offenen Tennenboden –«

Er kam nicht weiter. Die Glitzeraugen im verwelkten Freudi-Kopfe haben ihm die Red verschlagen: Freu di, daß einmal einer in der frischen Luft mag sterbn, statt in der muffleten Stubn, freu di!

So hat man sie in Gottesnamen auch noch in der Nacht auf offner Tenne liegen lassen.

Ein Zufall hat es gewollt, daß ich in aller Herrgottsfrühe auf selbigem Boden was zu suchen hatte. Das Dorf war noch nicht aufgestanden. Aber etwa schon die Freidi? Ich lugte hinüber.

Die gewürfelte Zudecke lag auf dem Boden. Im Bette lag die Freidi nackt und tot.

Ich wollte erschrecken. Aber da sah ich unter dem verwelkten Angesicht einen lichten Körper ohne eine Runzel, zart und schön. Meine Hände haben sich gefaltet: »Freu di« betete ich und ging.

Aber es war kein Abschluß. »Freu di« konnte nicht das letzte sein, was sie zu sagen hatte. Offen blieb, woher bezog sie ihre Freude?

Der Freidi Erben hatten es gewollt, daß ich ihr Testamentsvollstrecker würde. Allerlei Geschriebenes von der Freidi ist mir durch die Hand gegangen. Wie hab ich mich gewundert über ihre Schrift. Sie war groß und steil, wie Kinder in der ersten Klasse schreiben.

Ein Jährlein später bin ich durchs nachbarliche Tal gewandert. Unterwegs hab ich in einem Gnadenkirchlein von der Hitze ausgeschnauft. Ein Altar lag an der Seite, ein Marienaltar. Von lauter Täfelchen war er umhangen: »Maria hilf! ... Maria hat geholfen! ... Heiliger Sebastian dank für deine Hilfe! ... Heilige Muttergottes, du warst mir gnädig!«

Es waren sicher an die hundert Danktafeln. Einige davon kunstvoll geschnitzt. Manche goldig oder silbrig glitzernd. Eine Tafel aber hatte keinen Rahmen. Es war nur ein unbeholfner, selbstgeschnittener Pappendeckel. Und darauf die Worte:

Lob und Dank
Dir du Heilige
Kummernus!

»Kummernus, heilige Kummernus? eine merkwürdige Heilige, gell, Herr?« sagte der Mesner an meiner Seite, »ich kann mich noch genau erinnern, wie die alte Frau sie hingehängt voriges Jahr, aus dem Bayerischen ist sie hergekommen –«

»– und hatte glitzernde Augen in einem verwelkten Gesicht, nicht wahr?«

»Ah, Sie haben sie gekannt?«

Ich nickte. Auf einmal war es mir bewußt geworden, woher die Freidi ihre Freud bezogen hatte.

Der Mesner und ich, wir schauten lange auf den armseligen Pappendeckel mit den Dankbuchstaben, groß und steil, wie kleine Kinder in der ersten Klasse schreiben. In der ersten Klasse, wo die Kümmernisse tief gehen, sehr tief, und daher noch tiefer alle Freuden. Jaja, es war schon so: aus dieser ersten Klasse war die Freidi niemals rausgekommen.


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