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Ich habe ein Grundstück.
Weißt du Stadtmensch, was das heißt, ein Grundstück haben? Nein, das weißt du nicht. Du lebst auf keinem Grund. Du lebst in einem Häusermeer. Drei, vier Stockwerk abgestemmt von Mutter Erde, lebst du kümmerlich auf einem dünnen Bretterboden. Darunter Leere – mich wundert, wie du Wurzel schlagen, wie du eine Krone breiten kannst.
Mein Grundstück ist nicht übersichtlich. Es steigt und fällt. Seine Grenzen sind mir trotz des Zauns verwirrend.
Meinem Nachbarn nicht. Der hat alle Grenzen aller Dorfgrundstücke, so verzackt sie sind, im Kopf. Von Kindesbeinen an.
Meine Kindesbeine waren eben städtisch. Sie liefen gerade Straßen ab. Sie umkreisten, wenn es hoch kam, einen Marktplatz. Aber dem vertrackten Grundstück, das jetzt mein ist, sind sie nicht gewachsen.
Her mit dem Katasterblatt! Mit Blaustift nachgezeichnet, was der Geometer ausmaß! Hin und her und her und hin, in spitzen und in stumpfen Winkeln kreuz und quer. So, die Blaustiftlinie ist geschlossen.
Ich erschrecke. Was mir aus dem Kartenblatt entgegensieht, ist ein Gesicht. Sieht es ernst aus, lacht es, starrt es, grinst es? Ist's nicht die zerhackte Wange eines Korpsstudenten? Zucken nicht darunter die Schultern? Hunderttausendjährige Geschicke meines Grundstückes sind's, die zucken.
Weg mit dem Katasterblatt – mir graut vor meinem Grundstück. Wenn mein Grundstück nun ein Wesen wäre, wie ich es bin – gibt es etwas, das noch mehr lebendig wäre als die Scholle? Die Scholle, der die Ewigkeit auf die gefurchte braune Stirn geschrieben ist? Die Scholle, mit der verglichen wir nur Eintagsfliegen sind? Die Scholle, die die Hand hohl macht und uns einfängt: »Mir gehörst du! Schneide mir die grünen Haare! Kraue mich mit deinem Pfluge, Sklave!«
Ich schaue auf vom Schreibtisch, sehe draußen meine Tochter Rosen schneiden, sie zum Strauß vereinen. Sehe, wie sie glücklich über den Kies herankommt, mir die Rosen darreicht: »Freu' dich, Vater!«
Plötzlich graut mir nicht mehr. Ich bin meinem Grundstück wieder gut. Mag es immerhin der Herr und ich sein Sklave sein – kann man einem Herrn, der seinen Knecht mit Rosen überschüttet, böse sein?
Rosen? Sind denn Rosen eines Grundstücks Sinn und Ziel?
Jenseits meines Grunds knallt eine Peitsche. Der Deisenrieder pflügt. Pflügt mit der Gelassenheit, die seit Urgedenken Grund und Bauer aneinanderketten.
Ein kleines Dreieck jenseits meines Wiesenbuckels pflügt er. Meine Augen wandern zwischen seinem Grund und meinem hin und her. Auf einmal ist es mir, als ob mein Zaun sich weite, auswärtsbuchte und des Nachbars Dreieck mit umschließe. In meinen Eingeweiden knurrt von einem Urahn her und seiner Scholle ein Instinkt, der Bodenhunger.
»Deisenrieder, g'hört der Ackerzipfel dir?«
Er pflügt weiter. Stumm.
Ich sehe ein, ich habe dumm gefragt. Wem denn sonst als seinem Pflüger kann ein Grund gehören.
»Wie groß das Ackerdreieck da wohl sein mag?«
»A Zehntel Tagwerk schätz' i.«
»Ein Zehntel Tagwerk ist wohl nicht der Rede wert?«
»Der Red net – der Arbeit wohl,« wischt er von der Stirn sich den Schweiß.
»Deisenrieder, von meinem Grundstück sieht man keinen Wald.«
»Sell woll.«
»Daß ich's kurz mach', Deisenrieder, wollt Ihr mir das Stück verkaufen?«
Bis hierher bin ich neben seinem Pflug hergegangen. Jetzt hält er ein: »Verkaffen? Was drauf wachst, verkaffen? Freili –«
»Nein, das Grundstück selber mein' ich – seht, Ihr habt an sechzig Tagwerk, und da kommt's Euch, wenn Ihr's ineinander rechnet, auf ein Zehntel Tagwerk weniger kaum an ...«
Ich rede in die leere Luft – gut ein Dutzend Ochsenlängen weiter pflügt der Deisenrieder schon.
Nach einer Woche oder zweien treff' ich ihn im Wirtshaus: »Was ich sagen wollte, Deisenrieder –«
»Res'l, zahl'n! Drei Halbe und zwoa Brot – jesses, fünfe! Und um halbe fünfe sollt i beim Herrn Pfarrer –«
»Kann der nicht ein wenig länger warten?«
»Könne' scho – mögn net – pfüat Good.«
Ich sehe ein, nach Feierabend und bei sich im Hause muß ich ihn erwischen. Da kommt er mir nicht aus. Da kann ich, wie es hier der Brauch ist, erst von dem und jenem sprechen, bis die Rede langsam auf das Zehntel Tagwerk käme.
Wieder nach drei Wochen rück' ich ihm ins Haus. Nicht unbewaffnet. »Deisenrieder, schau', wie wär's mit diesem Pfund Tabak –«
»Was kost's?«
»Nichts, Deisenrieder, nichts.«
»Was nix kost, is nix wert.«
»Versteh' mich doch, ich will ihn Euch verehren.«
Er sieht mich an. Hart, fest und ernst wie alle Bauern, wenn's um Grund und Boden geht: »Mir san z'alt zum Fangamandl spieln – i verkaff koan Grund.«
»Auch nicht, wenn Ihr für den Kaufpreis Euch das Doppelte an Grund wo anders – ?«
»Wo?«
»Irgendwo.«
»Bei ins verkafft koaner koan Grund.«
»Aber der an mich verkauft hat –«
»Der is nuntergschwommen. Der hat müssen. I muß net.«
»Und wenn ich Euch das Dreifache –«
»Zu was brauchst 'n?«
»Für ein kleines Sommerhäuschen. Ich seh' so gern in den Wald –«
»I aa – und zu was brauchst 'n sonst?«
»Sonst? Hm, sonst zu nichts.«
»Aber i!«
»Ich habe mich erkundigt: Von dem Hafer auf dem kleinen Dreieck kann ein Roß im Jahre kaum für einen Monat Futter kriegen.«
»A Roß und a Monat is a Roß und a Monat.«
»Und wenn Ihr Weizen baut, so langt es kaum fürs Brot von einem kleinen Kind.«
»A Brot für a Kind – was is dageg'n dei' Summerhäusl?«
»Deisenrieder, ich biete Euch äußerst –«
»I hab mi aa erkundigt,« unterbrach er mich, »Ihr arbeit's mit 'm Hirn. I arbeit' mit mei'm Grund. Wie waar's« – er tippte mir mit seiner Pfeife auf die Schläfe –, »wie waar's, i schneidet Enk was raus, a Dreieck bloß, a kloans – oa Dreieck gegen 's andre – woll'n ma tauschen!«
»Mit Euch ist nicht zu reden, Deisenrieder. Ich hab' es gut gemeint –«
»Und i net schlecht.«
»Ich hab Euch helfen wollen –«
Sein alter Bauernschädel zuckte: »Helfen? Mir? Mit was?«
»Geld ist knapp, und Euer Stall braucht einen neuen Boden – ist nicht neulich eins von euren Rossen durchgebrochen?«
»Sei nur froh, wenn du nit durchbrichst bei der Arbeit.«
Da gab ich's auf mit ihm.
Er nicht mit mir.
Er hat mich oft besucht. Über vieles haben wir geplaudert. Manches habe ich von ihm gelernt. Vor allem, wie man aufrecht bleibt, wenn's einem schlecht geht.
Denn es ging ihm immer schlechter. Nicht nur unter ihm der Boden, auch über ihm die Decke drohte durchzubrechen.
Es lag nicht an ihm. Es lag an seinem Sohn. Der war ein Lump, der zweimal das vertat, was sich der Vater hart erschwitzte.
Nie, daß er deshalb bei mir klagte. Aber einmal, als es auf die Neige ging mit ihm, erwischte er im Zwielicht meinen Rockknopf: »Trag mir's net nach mit sellem Grund. Ich hab net anderst können. Er hat schon mei'm Vattern g'hört. Und dem sei'n Vattern aa. Der Lehrer hat's aus einer Urkund, daß er uns scho g'hört hat, wie der Schwed im Land war. Freili,« schloß er, »wem er g'hörn wird, wenn i nimmer da bin –«
Sein schon halb verglastes Auge sah mich forschend an. Ich hielt ihn aus, den Blick.
Als ich heimkam, war ein Freund da. Ich führte ihn im Haus herum. Ich zeigte ihm mein Grundstück. Er zeigte übern Zaun: »Dieses Stück dort müßtest du noch haben. Schon des Waldblicks wegen. Denke dir darauf ein Gartenhäuschen. Dich darin, in alten Tagen deine Lebenssumme auf ein Wandbrett kritzelnd ...«
Ich gab ihm keine Antwort. Er klopfte mich begönnernd auf die Schulter: »Solltest du nicht wissen, was der Mann von Weimar auf dem Gickelhahn ins Gartenhaus geschrieben?«
Er sah mich an wie ein Professor im Examen. Da sagte ich's denn auf:
Über allen Gipfeln ist Ruh,
In allen Wipfeln spürest du
Kaum einen Hauch.
Die Vöglein schweigen im Walde.
Warte nur: balde
Ruhest du auch.
Er war mit mir zufrieden. Dann legte er mir beide Hände auf die Schultern: »Nun, denke mal, auf jenem Gickelhahn sei jenes Gartenhaus mit seinem Weitblick, der ihm das Gedicht geschenkt hat, nicht gestanden und die Verse wären nicht geschrieben worden!«
»Dann wäre statt des Gartenhäuschens ein Stück Acker dagelegen, ein Zehntel Tagwerk etwa, über das ein Pflug ging, damit er Brot gab für ein Kind. Brot für ein Kind, jahraus, jahrein – meinst du nicht, das käme selbst dem größten Verse gleich?«
Enttäuscht, verächtlich rutschten seine Hände von meiner Schulter: »Und ich habe dich für ideal gehalten!«
Und fuhr mit dem letzten Postauto nach der Stadt zurück.
Das tiefe Tuten dieses Autos mischte sich mit den hohen Tönen eines Sterbeglöckchens. Der Deisenrieder war gestorben.
Noch am Tage der Beerdigung kam der Sohn zu mir: Er wisse, daß ich für das Zehntel Tagwerk dort vergeblich viermal den normalen Wert geboten habe – er sei nicht wie der Starrkopf seines Vaters und er würde mit sich reden lassen –
»Ich aber nicht mit mir.«
Nun, er wäre, wenn ich den Normalpreis dreimal bezahle, auch zufrieden.
»Ich aber nicht.«
Hm, weil ich es sei und sonst niemand Bauinteresse für ein Gartenhäuschen habe, wolle er aufs Doppelte – und als ich schwieg – auf den einfachen Preis heruntergehen.
Da empfahl ich ihm, die alte Urkunde aus der Schwedenzeit beim Lehrer nachzulesen.
Und setzte noch am gleichen Tage unter meinen letzten Willen einen Nachtrag: »Ich erlege meinen Erben als Bedingung auf, das Zehntel Tagwerk in der Richtung nach dem Walde nie zu kaufen ...«