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Gute Nacht, Welt!

Wer eine Emilie hat, der hat auch eine Leni.

Emilie, das war die Tante. Leni, das war unsre Leni. Die Tante haßten wir, unsre Leni liebten wir.

Die beiden Namen haben fast die gleichen Laute, das e und i darin führen gleiches Regiment und, meint man, müßten auch das gleiche Denken wecken.

Aber wenn im Hause einer »Emilie« sagte – sie mochte noch so weit entfernt sein – war es uns, als träte sie ins Zimmer, sähe uns aus schrägen Augen an und sagte – nein, sie brauchte nichts zu sagen, es genügte, daß sie da sein hätte können, um uns fröstelnd unsre Kinderschultern in die Höhe ziehn zu lassen: Gab es spitzere Vokale als die beiden i in ihrem Namen, gab es fad're Laute, als die beiden e darin?

Aber sagte jemand »Leni« – sie mochte da sein oder nicht –, so war es uns, als sähe sie uns freundlich an und sagte – sie brauchte nichts zu sagen, es genügte, daß ihr Name durch das Zimmer wehte, ihr unsterblicher Dienstbotenname, um uns froh zu machen: Gab es hellere Vokale als das i in ihrem Namen, schlug das liebevolle e darin sich nicht gleich einem warmen Umschlagtuch um die noch eben fröstelnd hochgezogenen Schultern?

Ich müßte jetzt die Einzelzüge und die Einzeltaten, hübsch gesammelt, zeigen, welche die Emilie hassenswert, und die Leni liebenswert erscheinen ließen.

Nichts dergleichen kann ich zeigen. Ich neige heute, aus der Rückschau von fast einem halben hundert Jahren, zu der Ansicht: Daß die Leni die, und die Emilie die Gefühle weckte, war nicht Schuld und nicht Verdienst. Sie hatten keine Wahl.

Wann hätten Menschen je die Wahl gehabt, ihr Wesen zu bestimmen? Hätten sie's, es wäre kein Gezeichneter so gottverlassen dumm, nicht auch durch seines Wesens Güte ringsum Liebe zu erwecken. Wie es umgekehrt den Allzuguten oft gelüstet hätte, einen festen Fluch zu fluchen, doch es ward – er konnte es nicht hindern – daraus, wenn nicht ein Segen, doch so eine Art von Halleluja.

Arme Tante, deine Blicke wären, könntest du vom Jenseits heute auf uns schauen, immer noch die gleichen schrägen – ja, ihre Schräge wäre, wenn du nicht geboren worden wärest, doch erkältend durch die Welt gegangen. Ja, hättest du das Zauberwort gehabt, das unsre Leni hatte!

Das Zauberwort von unsrer Leni freilich haben wir, so lang sie lebte, nie erfahren.

Wir wußten nur: ging ihr was Bittres durch den Tag und drohte sie aus ihrem frohen Gleichgewicht zu werfen, so verschwand sie murmelnd einen Augenblick in ihrer dunklen Mädchenkammer. Und kam eine Weile später froh entwölkt zum Vorschein.

Kam ein Brief aus ihrer Heimat, wo Verwandte an ihr zogen, und verwirrte ihr die Arbeitsfreude eines fröhlich angefangnen Tages – noch im Lesen fing sie an zu murmeln und verschwand auf kurze Zeit in ihrer Kammer. Strahlend ging sie draus hervor.

Oft des Abends, wenn der Leni Hände von der vielen Arbeit zitterten, verschwand sie leise murmelnd in der Kammer. Arbeitsfreudig tauchte sie heraus im Morgendämmer, wenn wir alle noch in unsern Betten schliefen.

Wir dachten oft: was mag sie sich da drinnen Wunders holen? Doch wir scheuten uns, darin zu spionieren.

Erst als es zu Ende ging mit ihr, standen wir an ihrem Bette mit verlornen Kinderaugen, die dem Tode aus dem Wege wichen. So, nun konnten wir einmal herausbekommen, was die Kammer Zauberhaftes hatte.

Aber nichts daran war zauberhaft. Die weißgetünchten Wände nicht, die alte Bettstatt nicht, das dünne Tischchen nicht und nicht die beiden niedren Stühle. Auch das Fenster nicht, denn ein Fenster war nicht da. Die Mädchenkammern damals hatten keine Fenster. Von einer Wand hob sich ein Fleck ab. Die Herrschaft, welche vor uns in den Räumen wohnte, hatte hier ein Fenster übermauern lassen.

Auf diesen Fleck hin sahen unsrer Leni Augen, als sie uns die Hand gegeben hatte, abschiednehmend. Auf diesen Mauerfleck hin sprach sie – nicht mehr murmelnd, sondern klar und deutlich – diese Worte: »Gute Nacht, Welt!« Und starb.

Da wußten wir, das war ihr Zauberspruch gewesen, mit dem ein Lebenlang sie alles Leid, das ihrm Weg gekreuzt, besiegte.

Ihn hinterließ sie uns. Wir halten ihn in Ehren. Wir geben ihn an unsre Kinder weiter.

Es wäre schade, bliebe er darauf beschränkt. Liebe Freunde, wenn es euch in dieser Welt, in welcher die Emilien und die Lenis immer um die Herrschaft ringen werden, gar zu bitter einmal überkommen sollte, – klinkt die Kammer auf, die Kammer mit dem übertünchten Fenster, und dann murmelt mit der Leni: »Gute Nacht, Welt!«


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